Outsourcing - Lieferando-Kuriere befürchten massive Einschnitte

Mi 26.03.25 | 07:58 Uhr | Von Fabian Grieger, Jan Wiese und Sophie Goldau
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Archivbild: Lieferando-Kurierfahrer in Berlin. (Quelle: dpa/Ditsch)
Video: rbb24 Abendschau | 24.03.2025 | Fabian Grieger, Jan Wiese und Sophie Goldau | Bild: dpa/Ditsch

Beim Kurierdienst Lieferando haben die Arbeiter:innen viel erreicht: Es gibt einen Betriebsrat und Festanstellungen. Jetzt aber befürchten die Mitarbeitenden Einschnitte, denn der Konzern testet ein neues Modell. Von F. Grieger, J. Wiese und S. Goldau

Für die meisten Fahrer ist der Weg nach Spandau die letzte Fahrt des Tages. Zuvor haben sie stundenlang zick-zack durch Berlin Burger, Pommes oder Currys ausgeliefert. An diesem Abend steht die Betriebsratswahl für knapp 2.000 aktive Lieferando-Kuriere aus Berlin und Potsdam an. Das Zusammentreffen im Wahllokal ist einer der wenigen Momente des Austauschs zwischen den sonst allein fahrenden Ridern.

Die Stimmung aber ist gedrückt. Warum - das möchten die Fahrer nur anonym erklären. "Bis letztes Jahr habe ich immer gesagt: Lieferando ist eine der besten Firmen, für die ich je gearbeitet habe", sagt ein junger Mann. "Jetzt muss ich leider sagen, dass es eine der schlechtesten ist."

Spandau als Testgebiet für neues Beschäftigungsmodell

Was ist passiert? "Von einem Tag auf dem anderen konnte ich mich in Spandau, wo ich immer arbeite, nicht mehr in die App einloggen. Das war ein Schock", heißt es vom selben Mitarbeiter. Ein anderer zeigt auf seinem Handy eine Nachricht aus der App, in der er seine Arbeitsanweisungen erhält. Dort heißt es, er solle jetzt - statt in Spandau auszuliefern - nach Charlottenburg-Wilmersdorf oder Steglitz-Zehlendorf fahren. Und: "Das Einloggen außerhalb der oben genannten Bezirke kann als Nichtbefolgen einer Arbeitsanweisung gewertet werden und zu disziplinarischen Maßnahmen wie (…) Kündigung deines Vertrages führen."

Der Grund: In Spandau setzt Lieferando seit Kurzem auf das so genannte Flottenpartnersystem. Konkret heißt das: Das Unternehmen lagert die Kurierfahrten an ein Subunternehmen aus. Die Lieferando-Fahrer in Spandau müssen nun einen längeren Arbeitsweg in Kauf nehmen und in anderen Bezirken um weniger Aufträge konkurrieren. Die Alternative lautet: Sie wechseln zum Subunternehmer Fleetlery, der nun in Spandau ausliefert, und damit nehmen veränderte Arbeitskonditionen in Kauf. Fleetlery soll nach rbb-Informationen von den Fahrern für jeden Auftrag eine Vermittlungsgebühr fordern. Statt garantiertem Mindestlohn und Festanstellung werde nun pro Lieferung gezahlt.

Flottenpartnersystem ist weit verbreitet

Lieferando schreibt auf Anfrage von rbb24 Recherche: "Die Auslieferung durch darauf spezialisierte Lieferpartner ist branchenüblich." Tatsächlich arbeiten die Konkurrenten von Wolt und Uber Eats bereits seit Langem mit dem Flottenpartnersystem. Bei Lieferando soll es sich jedoch nur um einen Test "in sehr kleinem Umfang zu Vergleichszwecken" handeln, "ohne dass dies das Direktanstellungsmodell unserer konzernangehörigen Logistikgesellschaft ändert".

Zu konkreten Fragen zu den Arbeitsbedingungen beim Subunternehmer verweist Lieferando auf den Flottenpartner Fleetlery. Doch der lässt Fragen unbeantwortet.

Bei Lieferando liefern kooperierende Restaurants mit eigenen Fahrern einen Großteil der Bestellungen aus. Nur einen kleinen Teil übernehmen direkt angestellte Lieferando-Fahrer. Die befürchten nun, dass von diesem Teil nach dem Test in Spandau immer mehr an Flottenpartner ausgeweitet wird – und damit mühsam erkämpfte Erfolge bei den Arbeitsbedingungen in Gefahr sind. Für die direkt bei Lieferando angestellten Fahrer gilt: Sie erhalten den Mindestlohn unabhängig von der Anzahl der Fahrten und können durch einen Betriebsrat mitbestimmen. Standards, die in dieser Branche absolut kein Standard sind.

Sonja Engel von der Beratungsgesellschaft Arbeit Gestalten, die im Auftrag des Senats die Arbeitsbedingungen in der Lieferkurierbranche untersucht hat, weist auf diverse Probleme bei den Unternehmen hin: "Das fängt an bei Fragen der Arbeitszeit und der Schichtplanung, geht über schnelle Kündigungen und Lohnvorenthaltung bis zur Vorenthaltung von Urlaubsansprüchen." Auch die Frage der Altersvorsorge sei für viele Fahrer ungeklärt.

Engel teilt die Sorge der Lieferando-Fahrer: "Bei den Subunternehmen gehen wir davon aus, dass die Arbeitsbedingungen schlechter sind als bei Lieferando, was ganz maßgeblich daran hängt, dass bei Lieferando ein Betriebsrat etabliert wurde."

Modell Österreich: mehr als 1.000 Fahrer gekündigt

Der Betriebsrat hatte sich gemeinsam mit der Gewerkschaft NGG zum Ziel gesetzt, als nächstes einen Tarifvertrag zu erkämpfen. Jetzt gebe es andere Sorgen, sagt Betriebsrat Mo, der seinen vollen Namen nicht nennen möchte. "Wir haben schon letztes Jahr davor gewarnt, dass Lieferando Schritte in Richtung Wolt-Uber-Amazon-System geht und auf Flotte umstellt. Das heißt, dass immer mehr Risiko und finanzielle Belastung auf Subunternehmen oder Scheinselbständige ausgelagert wird", sagt er. "Jetzt haben wir außerdem die Nachricht bekommen, dass in Österreich der Betrieb komplett umgestellt wurde."

Dort beendete Lieferando auf einen Schlag die Verträge mit knapp 1.000 Fahrern und bietet Ihnen stattdessen nun Arbeit auf selbstständiger Basis an.

Lieferando Deutschland weist daraufhin, dass Lieferando in Österreich ein anderes Unternehmen sei. In Deutschland seien solche radikalen Schritte nicht geplant.

Für EU-weite einheitliche Standards soll nun die "EU-Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit" sorgen. Diese wurde im Dezember 2024 verabschiedet. Ihre Umsetzung steht in Deutschland noch aus. Die Beraterin Sonja Engel fordert dabei, diese "so auszugestalten, dass es möglichst wenig Schlupflöcher für Plattformen gibt, um doch Arbeitsrechte und Sozialrecht grundlegend zu unterlaufen".

Scheinselbständigkeit bei App-Arbeit umstritten

Ein Ziel der gesetzlichen Leitlinie ist auch, mehr Klarheit in die umstrittene Frage der Scheinselbstständigkeit bei App-basierter Arbeit zu bringen. Diese muss immer im Einzelfall geklärt werden – notfalls vor dem Arbeitsgericht. Die Beweislast für eine Scheinselbstständigkeit liegt dann bei den Arbeitnehmenden.

Die neue EU-Richtlinie soll das ändern. Sie sieht vor, bei der Plattformarbeit davon auszugehen, dass es sich um abhängige Beschäftigung und nicht um Solo-Selbstständigkeit handelt. Die Beweislast soll in Zukunft beim Arbeitgeber liegen.

Doch die EU-Richtlinie muss erst bis 2026 umgesetzt werden. Beim neu gewählten Lieferando-Betriebsrat macht man sich schon jetzt auf neue Konflikte gefasst. Sami, neuer und alter Betriebsrat auf der Liste der "Selbstorganisierung Lieferando Workers Collective", die knapp 80 Prozent der Stimmen holte, kündigt an: "Wir werden dafür kämpfen, die Rider vor einem solchen (Subunternehmer-)System zu schützen, von dem wir schon schlechte Beispiele von den anderen Firmen haben."

Sendung: Abendschau, 24.03.2025, 19.30 Uhr

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33 Kommentare

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  1. 33.

    Natürlich gehört Lohndrückerei zum Wesen des Kapitalismus. Das können Sie in diversen Büchern nachlesen. Deswegen ist es notwendig, Regeln zu etablieren, die dies im kapitalistischen System brechen - oder nennen Sie es von mir aus korrigieren. Denn diese Auswüchse wie wir sie hier sehen, brauchen der politischen Korrektur. Und die ganzen schönen Start Ups in dieser Richting sind ohne staatliche Hilfe zustandegekommen? Niemand hat einen damit verbundenen Steuervorteil genutzt? Kapitalismus braucht auch Rahmenbedingungen, um funktionieren zu können. Er ist nicht die alleinige Grundlage von allem, wie Sie anscheinend annehmen.

  2. 32.

    Insgesamt ziemlich viel Unsinn und gefährliches Halbswissen was hier verbreitet und kommentiert wird. Guter Journalismus sieht anders aus.

  3. 31.

    Unsinn was du erzählst ich bin Fahrer das Trinkgeld kommt online genauso an ….. nur muss es schon in der Bestellung mit eingegeben werden …. Nachträglich geht nicht mehr

  4. 30.

    Jetzt verstehe ich, warum ich seit neuestem von den Fahrern aufgefordert werde, Trinkgeld in bar zu geben...

    Jetzt gibt es gar kein Trinkgeld online mehr. Die bereichern sich selbst an dem Tip für den Fahrer. *Kopfachütteln*

  5. 29.

    Dieser ganze Lieferando-Online-Hype ist doch auch nur eine pandemische Spätfolge. Der bequem gewordene Kunde bewegt seinen Allerwertesten nur noch im "Notfall" vor die Türe. Seine Hoheit der Couchpotatoe hält Hof und lässt die Kuriere antanzen, während der Homeofficeschwerstarbeiter noch schnell was futtern kann bevor die Yogamatte vll. kalt wird. Diese Dienste oder deren Nutzung sind überflüssig, dekadent, von Bequemlichkeit geprägt. Es ist richtig, ich kann sie nicht ausstehen und das ist einfach nur meine Meinung dazu.

  6. 28.

    Na, auf dem FDP Parteiprogramm geschlafen? Eher sollte man Geschäftsmodelle verbieten, die auf ausbeuterischer Beschäftigung basieren. Scheint ja ohne eine faire Bezahlung nicht tragfähig zu sein, kann also weg.

  7. 26.

    dem Kurier 10€-20€ Trinkgeld bar in die Hand drücken?

    Das hieße also, ähnlich Gastro-Ausbeutung, dieses System mehrfach zu unterstützen. Nein!

    Hinzu kommt ja das "Aufstocken" der Grundsicherung (denn für ein ordentliches und vor allem gesichertes Einkommen reicht das nicht). Das bezahlen alle obendrauf.

    Noch dazu die Armutsrenten.

    Und die Rendite der Aktionäre.

    Das meinen Sie ernstlich?!?

  8. 25.

    "Diese Lieferando-Job sind nicht als Vollzeitstelle für den Lebensunterhalt gedacht."

    Richtig. Und zwar durch das Konzept der Ausbeutung, das niemand lange durchhalten kann oder will.

    Mann Mann. Ehrlich, als wenn das ein akzeptables Argument für möglichst geringen Lohn und Abwälzen von Verantwortung wäre.

    Doch, ich finde Kapitalismus auch gut. Nur manche Auswüchse davon nicht.

  9. 24.

    Diese Lieferando-Job sind nicht als Vollzeitstelle für den Lebensunterhalt gedacht.

    Und ja, Kapitalismus ist toll. Ohne ihn gäbe es keinen wohlstand und auch keinen deutschen Sozialstaat.

    Erst nachdenken, dann schreiben.

  10. 23.

    Wie verdienen sie ihren Lebensunterhalt? Durch ihre eigenen Hände oder beziehen sie Sozialleistungen?

  11. 22.

    Jedem Lieferando-Besteller steht es frei, dem Kurier 10€-20€ Trinkgeld bar in die Hand zu drücken. Es ist der bornierte Geiz der Kunden, der an die Kuriere weitergegeben wird.

  12. 21.

    Das ist doch was für alle, die gegen Bürgergeld/Grundsicherung wettern und meinen, man müsste "denen" nur mal das Leben so richtig schwermachen wie einem G2-Ungeimpften:

    >Fleetlery soll von den Fahrern für jeden Auftrag eine Vermittlungsgebühr fordern. Statt garantiertem Mindestlohn und Festanstellung werde nun pro Lieferung gezahlt.<

    Profitmaximierung für LobbyKapitalisten. Knechtung NeoSklaverei für Mittellose.
    Das Defizit zahlen das Wahlvolk, die Steuerzahler.

    Daaafürr wollen sie dann aber auch auf die Mittellosen einhacken.

  13. 20.

    In Ö beendete Lieferando auf einen Schlag die Verträge mit knapp 1.000 Fahrern und bietet Ihnen stattdessen nun Arbeit auf selbstständiger Basis an.

    "selbstständig", "Arbeits-Angebot". Das kennt man als Ich-AG für Hartz-Erpresste.
    Auch dort sind "Angebote" nur solche, die man nicht ablehnen kann. Sonst Total-Entzug der Existenz. Aber wir liebe Menschenrechte.

    Diese neokapitalistischen Auswüchse, das schließt Agenda 2010 und nun Rolle rückwärts eines Spahn-Linnemann ein, sind Zulieferer eines Neo-Sklaven-Marktes.
    Mitten in der EU der Bürger-, Freiheits- und Menschenrechte.

  14. 19.

    Gute Idee.
    Zumal Gewerkschaften als Arbeitgeber auch nicht gerade im Ruf stehen, ihre Mitarbeiter fair zu behandeln.
    Selbst keine Tarifverträge haben, kaum Gehaltserhöhung en und gekürzte Betriebsrenten. Alles schon berichtet worden.
    Dazu noch die schlechten Bewertungen von Mitarbeitern auf den Jobportalen.
    Es ist eben immer einfacher von anderen Firmen Sachen zu fordern, als diese selbst umzusetzen.

  15. 18.

    Das Absurde besteht zudem darin, wie "stolz" die Berliner Politik auf ihre Start Ups ist, und seien sie noch so ausbeuterisch strukturiert. It's capitalism. Und was sagt die sozialdemokratische Wirtschaftssenatorin dazu? Sie scheigt wahrscheinlich dazu. Und auf die Idee, im Senat für mehr Geld für Personal zu sorgen, das kontrolliert (mit drm jetzigen Prrsonal- und IT-Bestand idt das ohne großeInvestitionennicht zu machen), wird sie wahrscheinlich auch nicht auftreten, oder? Stöört die schwarze Null. Wie auch niemand im Abgeordnetenhaus, oder? Anstelle von Demokratieförderprogrammen müsste jemand nur die etablierten Formen nutzen. Das ist traurig. Umd natürlich sind wir alle über umsere Bequemlichkeit im Konsumverhalten Mitverursacher-innen. Denn auch Frauen machen es sich einfacher, nicht nur Männer. Gaußsche Normalverteilung halt.

  16. 17.

    Für mich sind daß Heuschrecken Unternehmen bei denen nicht der Mensch/Mitarbeiter im Fodergrund steht sondern nur die Gewinne für die Herrschaften in den Chefetagen. Als Bürger sollte man solche Lieferfirmen einfach ignorieren.

  17. 16.

    >"Diese Gewerkschaften schädigen dauerhaft Wirtschaftswachstum"
    What??? Wie sind Sie denn drauf? Ja ja... und Lohnzahlungen verursachen Milliardenschäden in deutschen Unternehmen! ;-))

  18. 15.

    Diese Gewerkschaften schädigen dauerhaft Wirtschaftswachstum

  19. 14.

    "Die Auslieferung durch darauf spezialisierte Lieferpartner ist branchenüblich." - genau wie die Post/DHL.

    Unabhängig davon habe ich den Eindruck, da es letztens hier im rbb ja auch um den starken Anstieg der indischen Community ging, das die Fahrer all dieser Essens-Lieferdienste aus Indern und/oder Pakistanis besteht.
    Und wie gesagt, ist mein Eindruck.

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