Unions Niederlage in Bochum in der Analyse - Rückschritt mit Ansage
Union Berlin muss in Bochum gegen einen Mitkonkurrenten um den Klassenerhalt eine empfindliche 0:3-Niederlage einstecken. Besonders in der Defensive zeigen sich die Eisernen anfällig, wobei Trainer Nenad Bjelica seine Mannschaft auch in Schutz nimmt. Von Fabian Friedmann
Es waren große Emotionen, die der 1. FC Union am Dienstagabend auf den Rasen des Berliner Olympiastadions brachte. Die Eisernen präsentierten sich gegen den spanischen Rekordmeister Real Madrid als Einheit, die nie aufgab, die den Gegner zeitweise in den gegnerischen Strafraum presste und dafür mit stehenden Ovationen von über 70.000 Zuschauern im weiten Rund des Stadions gefeiert wurde – trotz der 2:3-Niederlage am Ende eines denkwürdigen Champions-League-Abends.
Unions Auswärtsschwäche in der Liga hält an
Vier Tage später war diese Energie aus dem Madrid-Spiel verpufft. Das 0:3 beim VfL Bochum war nicht nur in der Höhe verdient, es offenbarte auch einmal mehr eklatante, eiserne Schwächen auf fremden Plätzen (sechste Auswärtsniederlage in Folge in der Bundesliga) im Duell gegen einen direkten Konkurrenten um den Abstieg: Kaum spielerische Linie, kein kollektives Aufbäumen und dazu haarsträubende Abwehrfehler, die es dem Gegner viel zu einfach machten, Tore zu erzielen.
"Wir haben uns heute was anderes vorgestellt, was anderes erhofft, aber wir konnten es leider nicht umsetzen und dementsprechend verlieren wir in der Höhe zurecht mit 3:0", sagte ein geknickter Union-Kapitän Rani Khedira nach Spielschluss am Mikrofon der ARD-Sportschau.
Zu große Abstände, kein Druck auf den Gegner
Für Khedira waren es in der Summe "viele Kleinigkeiten", die sich am Ende zu defensiven Großbaustellen summierten. Das 1:0 in der vierten Minute der Nachspielzeit der ersten Hälfte resultierte durch einen Fehler bei einer Standardsituation – wieder einmal. Behrens und Haberer unterliefen im Kollektiv einen Stöger-Freistoß, worauf Asano den Abpraller wuchtig zur VfL-Führung nutzen konnte. "Es fängt damit an, dass du deine Position nicht einhältst bei Standards, dass du nicht zu 100 Prozent auf dem Platz bist", resümierte Khedira: "Und dann ist es schwierig, in der Bundesliga zu bestehen."
Dass man bei den heimstarken Bochumern, die zuvor bereits gegen Dortmund (1:1) und Wolfsburg (3:1) beachtliche Leistungen im Ruhrstadion gezeigt hatten, ein äußerst schweres Auswärtsspiel zu bestreiten hätte, musste den Verantwortlichen und der Mannschaft vorab klar gewesen sein. War man in der ersten Hälfte noch zumeist auf Augenhöhe, mit den besseren Chancen für den VfL, so kam die zweite Halbzeit des FCU einem defensiven Offenbarungseid gleich: In allen Mannschaftsteilen passten die Abstände nicht mehr, der Druck auf Ball und Gegner war zeitweise nicht mehr vorhanden.
Anfälligkeit bei Flanken, Standards und Kontern
Die Anfälligkeit bei Standards und hohen Flanken wurde erneut deutlich. Immer wieder probierte es der VfL mit diesen Mitteln, was kurz vor der Pause schließlich von Erfolg gekrönt wurde. Bereits vor dem 0:1 verteidigte Unions Abwehr selten in der Konsequenz, die der Abstiegskampf verlangen würde. Keeper Frederik Rönnow hielt Union lange Zeit im Spiel und bewahrte seine Mannschaft mit starken Paraden vor noch einer höheren Niederlage. Beim 2:0 war aber auch der dänische Schlussmann machtlos, weil Union an diesem Tag schlichtweg die Physis fehlte, dem Gegner über 90 Minuten Paroli bieten zu können.
Nach einem aussichtsreichen Angriff der Eisernen schnappte sich Bochums Keeper Manuel Riemann eine schwache Behrens-Flanke, drosch sie in den Lauf des pfeilschnellen Asano, der Antwi-Adjei mitnahm und der per Querpass, den im Rückraum völlig vergessenen Pacienca bediente. Bochums Stürmer traf dann unhaltbar für Rönnow in die linke Ecke. Ein Konter wie aus dem Lehrbuch, gegen Unioner, die in dieser Szene nur hinterherliefen, die der Schnelligkeit und der Wucht des VfL nichts entgegenzusetzen hatten.
Bjelica nimmt Mannschaft in Schutz
Dass Unions Innenverteidiger Diego Leite nach seinem Blackout gegen Real im folgenden Spiel gegen Bochum erneut einen vermeidbaren Elfmeter verursachte und daraus dann das 0:3 resultierte, passte da nur allzu sehr ins Bild an diesem gebrauchten Tag für die Köpenicker. "Der Gegner war besser, wir müssen Bochum gratulieren", analysierte Union-Trainer Nenad Bjelica nüchtern das Gesehene. Die Gastgeber seien in einem besseren körperlichen Zustand gewesen als der FCU, so Bjelica. Die Belastung gegen Real sei enorm gewesen, man habe "viele Emotionen verbraucht", weshalb er seine Mannschaft auch in Schutz nehmen wollte.
Dass Union in der zweiten Hälfte die Puste ausging, ist unterm Strich nachvollziehbar, vor allem wenn man die Gründe für die schwache Offensiv-Leistung näher beleuchtet. Mit Robin Gosens fehlte ein wichtiger Fixpunkt auf den Flügeln, der von einem frisch genesenen Sheraldo Becker nicht adäquat ersetzt werden konnte. Benedict Hollerbach war bis zu seiner Auswechslung bemüht, steht aber noch am Anfang seiner Entwicklung. Und der zuletzt so stark aufspielende Kevin Volland blieb unauffällig und musste in der zweiten Hälfte wohl auch seinem starken, kräftezehrenden Auftritt gegen die Madrilenen Tribut zollen.
Gegen Köln braucht Union ein anderes Gesicht
Unterm Strich bleibt: Union hat vorab zu viele Kräfte und Emotionen verbraucht, dazu im Spiel zu viele eigene Fehler gemacht – und dass gegen einen Gegner, der dank seiner Entschlossenheit und Körperlichkeit, seine sich bietenden Chancen konsequent nutzen konnte. Und so war die Auswärtsniederlage gegen den VfL wie ein Rückschritt mit Ansage. Das ist zwar bitter, aber das kann passieren.
Nichtsdestotrotz sollte der 1. FC Union die verkorkste Hinrunde versöhnlich beenden. Bereits am Mittwoch hat die Mannschaft die Gelegenheit dazu, durch einen Sieg gegen den 1. FC Köln mit einer positiven Grundstimmung in die verkürzte Winterpause zu gehen. "Wir sind voll überzeugt, dass wir das vor heimischem Publikum tun werden", sagte Nenad Bjelica hoffnungsvoll.
Ein abermals emotionales Erfolgserlebnis wäre auch wichtig für die Eisernen, um die zarte und weiterhin bitter benötigte Aufbruchstimmung, die der neue Trainer zuletzt entfacht hatte, über die kommenden Monate hinweg mitzunehmen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 16.12.2023, 19:30 Uhr