Zehn historische Olympia-Anekdoten - Tote Tauben und Gold für Gedichte
Seit 128 Jahren gibt es die Olympischen Spiele der Neuzeit nun schon. Genug Zeit für kuriose Anekdoten und herzerwärmende Geschichten, die zuweilen bis in die Weltpolitik hinein spielten. Von Ilja Behnisch
1. Lyrisches Gold
Zwischen 1912 und 1948 waren nicht nur Sportarten olympisch, sondern auch die schönen Künste. Und so wetteiferten die Nationen nicht nur zwischen Schwimmbecken und Leichtathletik-Stadion, sondern auch in den Bereichen Architektur, Literatur, Musik, Malerei und Bildhauerei. Die Idee dazu ging zurück auf Pierre de Coubertin, den Begründer der modernen olympischen Bewegung, und beinhaltete die Maßgabe, im künstlerischen Ausdruck immer auch die Brücke zum Sport zu schlagen. Beispiel gefällig?
Aber bitte doch. Hier die erste Strophe des letzten Gedichts, das jemals olympisches Gold gewann. "Hellaan laakeri" (Hellas Ruhm) heißt es und stammt von der Finnin Aale Tynni, die zugleich auch die einzige, weibliche Goldmedaillen-Gewinnerin in den künstlerischen Disziplinen überhaupt war:
"Oi Hellaan laakeri ylhäinen,
sinä ikävöity puu!
Kädet ylitse vuosituhanten
sinun lehviis kurkottuu."
Auf Deutsch:
"O edler Lorbeer von Hella,
du ersehnter Baum!
Überreichen Sie das Jahrtausend,
das Ihre Blätter erreichen."
2. Vergessene olympische Sportarten
Andere Zeiten, andere Wettbewerbe. Während Breakdancing in Paris 2024 zum ersten Mal olympisch ist, haben andere Sportarten ihre große Zeit auf der Weltbühne wohl für immer hinter sich. Mit dabei: Tauziehen (mit fünf Titeln Rekordsieger: Großbritannien), Heißluftballon fahren oder Standweitsprung. Ähnlich verheißungsvolle, aber noch zu prüfende Disziplinen aus dem Herzen der rbb|24-Redaktion: Keinsprung und 20 Kilometer Stehen.
3. Vergrämte Tauben
Auch nur einmalig olympisch: Taubenschießen. Wobei tatsächlich lebendige Tauben gemeint sind, auf die während der Spiele im Jahr 1900 geschossen wurde. Am besten gelang dies seinerzeit dem Belgier Léon de Linden, der auf 21 getötete Vögel kam.
Aber nicht nur durch Waffengewalt kamen Tauben zu Tode während Olympia. So setzten sich die während der Eröffnungsfeier von Seoul im Sommer 1988 freigelassenen Friedenstauben nach kurzem Flug auf den Rand der Schale, in der bald darauf das olympische Feuer entzündet wurde. Die Tauben verbrannten, weshalb ihner seither nur noch symbolisch gedacht wird.
4. Auf den Dackel gekommen
Apropos Tiere: Maskottchen gehören längst zu jeder sportlichen Großveranstaltung, so auch zu Olympia. Wenn in der Vergangenheit auch nicht immer klar war, ob und was für eine Idee hinter dem Kostüm steckte. Wenlock zum Beispiel, das Maskottchen der Spiele von London 2012, sah aus wie eine Mischung aus Spermium und Marsmensch.
Da lag der Fall beim ersten olympischen Maskottchen überhaupt klarer. Waldi hieß der Dackel, den sich Designerin Elena Winschermann ausgedacht hatte. Die Silhouette von Waldi entsprach übrigens ziemlich exakt der Marathon-Strecke von München 1972. Und noch schöner: Waldi hatte ein lebendes Alter Ego: eine Hündin mit dem goldmedaillenverdächtigen Namen Cherie von Birkenhof.
5. Paul McCartney auf Mindestlohn
So komisch das Maskottchen von London 2012 auch aussah, so schön war die Eröffnungsfeier. Mit James Bond, Queen Elisabeth II. und Ex-Beatle Paul McCartney als Live-Act. Der für den Auftritt die wahnsinnige Summe von einem Pfund erhielt. Der Grund? Im Vertragswerk über den Auftritt musste aus gesetzlichen Gründen eine Gage vermerkt werden. McCartney hätte es sicher auch für lau gemacht. Immerhin wird sein Privatvermögen auf mehr als eine Milliarde Euro gehandelt.
6. Halb Silber, halb Bronze
Die Berliner Spiele von 1936 werden vor allem als Propaganda-Spiele der Nationalsozialisten erinnert. Und doch erlebten auch diese Spiele ihre zutiefst menschlichen Momente. Als die Japaner Nishida Shuhei und Oe Sueo nach dem Ende des regulären Wettbewerbs im Stabhochsprung gleichauf auf Rang zwei lagen, weigerten sie sich, in das angedachte Stechen zu gehen. Stattdessen schnitten sie die Silber- und Bronze-Medaille in zwei und schmolzen je zwei unterschiedliche Hälften wieder zusammen, so dass jeder von ihnen halb Silber, halb Bronze gewonnen hatte.
7. Fahnen-Kunde
Und noch etwas Gutes hatten die Spiele von 1936 in Berlin. Denn nachdem die teilnehmenden Länder Haiti und Liechtenstein dort offenbar erstmals bemerkten, dass ihre Nationalfahnen mit den jeweils blau-roten Streifen absolut identisch waren, beschloss Liechtenstein, noch eine Krone hinzuzufügen. Offiziell, um die "Einheit der Leute mit ihrem Prinzen" zu betonen.
8. Gib Gummi!
Apropos Liebe. Zu den Sommerspielen von Sydney 2000 bestellten die australischen Gastgeber 70.000 Kondome, um sie innerhalb des olympischen Dorfes und damit unter den Athleten zu verteilen. Klingt viel, war aber schon zur Hälfte der Spiele verbraucht, weshalb nochmals 20.000 Gummis nachbestellt werden mussten.
Und doch war das alles nichts im Vergleich zu dem, was offenbar die Veranstalter von Rio 2016 erwarteten. Zu den Spielen am Zuckerhut wurden den Athleten 450.000 Kondome bereit gestellt — 42 pro Sportler.
9. Jugend trainiert für Olympia
Während die Berlinerin Lilly Stoephasius mit ihrem 17 Jahren bereits an ihren zweiten Spielen teilnimmt, ist das noch nichts im Vergleich zum jüngsten Olympioniken aller Zeiten. Der heißt Dimitrios Loundras, war Mitglied der griechischen Barren-Mannschaft im Jahr 1896 und damals gerade einmal zehn Jahre und 218 Tage alt. Geschadet hat es ihm nicht. Loundras brachte es später zum Admiral der griechischen Marine.
10. Grateful Dead
Eigentlich hätte sich die litauische Basketball-Nationalmannschaft die Teilnahme an den Spielen von Barcelona 1992 kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht leisten können. Doch dann kam Hilfe aus unerwarteter Richtung. Die US-Rockband-Giganten The Grateful Dead spendeten der Truppe dabei nicht nur Geld. Sie erlaubten dem jungen Basketball-Verband Litauens zudem, Band-Merchandise zu verkaufen. Mit Erfolg: Die litauischen Basketballer holten Bronze.
Sendung: rbb|24 Inforadio, 29.07.2024, 22:15 Uhr