Interview | Bedrohte Insekten - Warum Schafgarben-Böckchen sich so wohl auf Berliner Mittelstreifen fühlen

Di 10.10.23 | 14:26 Uhr
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Frankfurter Allee im Oktober 2023 (Quelle: Museum für Naturkunde/Frank Koch)
Audio: Radioeins | 23.09.2023 | Interview mit Frank Koch | Bild: Museum für Naturkunde/Frank Koch

Kaum ein Ort erscheint so lebensfeindlich wie der Mittelstreifen stark befahrener Straßen. Doch was der Insektenforscher Frank Koch vom Museum für Naturkunde Berlin zwischen den Fahrbahnen großer Straßen entdeckte, hat selbst ihn überrascht.

rbb|24: Herr Koch, wie kamen Sie auf die Idee, auf den Mittelstreifen nach Insekten zu suchen?

Frank Koch: Zuerst gab es das Projekt "Stadtgrün", das 2017 vom Institut für Gartenbau und Landwirtschaft an der Humboldt-Universität, zusammen mit dem Museum für Naturkunde Berlin gestartet wurde. Dabei ging es um den Anbau stressresistenter Pflanzen im städtischen Umfeld.

Auf einem Teil der Mittelstreifen wurde die obere Bodenschicht durch Sandboden ersetzt. In diesem nährstoffarmen Boden wurden dann diverse Pflanzen ausgebracht. Es sollte geprüft werden, wie sie mit dem Umweltstress zurechtkommen, also Trockenheit und permanente Hitze im Sommer, Tausalz im Winter und die Dauerbelastung durch Autoabgase. Zur Kontrolle wurde noch eine traditionell begrünte Fläche auf den Mittelstreifen untersucht.

Die Frage, welche Arten von Insekten dort vorkommen, war eher ein Nebenaspekt des Projekts. Ich persönlich bin davon ausgegangen, dort werden nicht allzu viele Arten zu finden sein. Vielleicht Ameisen oder eine Honigbiene oder Fliege, die zufällig vorbeikommt. Drei, vier, höchstens fünf Arten. Dass wir bis heute fast 450 Arten gefunden haben, hätte ich nicht für möglich gehalten.

Gab es noch weitere Überraschungen?

Ja, es gab einige Insekten die auf der Roten Liste der gefährdeten und stark gefährdeten Arten stehen, wie Wildbienen, Grabwespen, Bock-, Lauf- und Rüsselkäfer. Auf dem Mittelstreifen der Frankfurter Allee habe ich beispielsweise das Schafgarben-Böckchen gefunden, einen Käfer, der in Deutschland stark gefährdet ist.

Adlergestell im Oktober 2023. (Quelle: Museum für Naturkunde/Frank Koch)Wildpflanzen auf dem Mittelstreifen am Adlergestell

Und dann war da noch die Heuschreckensandwespe, Sphex funerarius - die galt seit etwa 60 Jahren in Berlin und Brandenburg verschollen. Eine Art, die vor allem in Nordafrika und Südeuropa weit verbreitet ist. 2019 habe ich sie auf dem Mittelstreifen der Heerstraße wiederentdeckt. Außerdem 2021 Hylaeus intermedius, eine Maskenbienenart, die das erste Mal in Deutschland dokumentiert wurde.

Diese Isolation bedeutet auch, dass kaum Fußgänger oder Hunde den Mittelstreifen frequentieren. Im Großen und Ganzen ist der Mittelstreifen sich selbst überlassen.

Insektenforscher Frank Koch

Wie kommt es, dass auf den Mittelstreifen so viele verschiedene Arten zu finden sind?

Es sind natürlich Extrem-Standorte, auch aufgrund der Isolation. In der Frankfurter Allee und auf dem Adlergestell gibt es je Richtung drei Spuren und es wird relativ schnell gefahren. Da ist es schon verwunderlich, wie sich dort so eine Insektenvielfalt entwickeln kann. Aber diese Isolation bedeutet auch, dass kaum Fußgänger oder Hunde den Mittelstreifen frequentieren. Im Großen und Ganzen ist der Mittelstreifen sich selbst überlassen - solange er nicht gerade gemäht wird - daher können sich dort diese Insektenpopulationen ungestört entwickeln.

Sie haben die Bezirke davon überzeugt, dass nicht mehr so viel gemäht wird?

Mähen ist für die Mittelstreifen, die Insektenwelt und die wilde Vegetation immer Gift. Kurzgeschorene Rasen sind eigentlich immer tote Rasen. Ich habe das in den letzten Jahren immer wieder bei den Grünflächenämtern propagiert und inzwischen steht auch die Senatsverwaltung hinter mir. Die Mittelstreifen werden jetzt nur noch einmal im Jahr gemäht, im September und Oktober, damit die alte Vegetation Platz für neue Vegetation im Frühjahr macht. Früher wurde dort im Vierwochenrhythmus gemäht, da konnte sich kein Leben in Ruhe entwickeln.

Infobox

Eine Goldgräberwespe auf einer Blume (Quelle: Imago Images)
Imago Images

Sphex funerarius

Die Heuschreckensandwespe ist eine der größten Grabwespen in Deutschland. Nachdem sie lange Zeit in Deutschland als fast ausgestorben galt, verbreitet sie sich seit den 1990er Jahren aus Südosteuropa und entlang des Rheins nordwärts. Es wird vermutet, dass sie dabei vom zunehmend wärmeren Klima profitiert.

Gab es Bedenken der Bezirke, zum Beispiel wegen der Verkehrssicherheit?

Eigentlich nicht. Es wurde auch vorher mit den Bezirken darüber gesprochen. Wenn Sie sich den Mittelstreifen auf der Frankfurter Allee anschauen, auch wenn noch nicht gemäht wurde: Es ist keine Beeinträchtigung zu erkennen. Es darf natürlich nicht verbuschen, auch aus diesem Grund muss einmal im Jahr gemäht werden. Das einzige Problem waren die langfristigen Verträge, die die Bezirke mit den Pflegebetrieben hatten. Aber mittlerweile hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass die ungemähten Mittelstreifen gut für die urbane Natur sind. Gerade wo in Berlin immer mehr Brachflächen verschwinden, die für die Insekten von großer Bedeutung sind.

Ist der Bodenaustausch mit zusätzlichen Kosten für die Kommunen verbunden?

Der Boden muss nicht unbedingt ausgetauscht werden, es reicht auch aus, die obere Bodenschicht in einem gewissen zeitlichen Abstand zu fräsen. Wenn die Grasnarbe zerstört ist, entwickelt sich die Vegetation von selbst. Selbst wenn die Mittelstreifen sich selbst überlassen werden, kommen immer mehr Blühpflanzen zum Vorschein, beispielsweise Schafgarbe oder Kreuzblütler wie die Graukresse. Gerade diese sind für kleine Wildbienen, die oft nur drei bis fünf Millimeter groß sind, wichtig. Insekten, die die Stadtbewohner kaum wahrnehmen.

Selbst wenn die Mittelstreifen sich selbst überlassen werden, kommen immer mehr Blühpflanzen zum Vorschein.

Insektenforscher Dr. Frank Koch

Ist das auch ein Modell für andere Städte?

Ja, da besteht auch ein wachsendes Interesse daran, mit wenig Aufwand Plätze für die Natur in den Städten zu schaffen. Insgesamt sind die wilden Mittelstreifen ein gutes Geschäft für die Städte und für die Natur. Die Verwaltungen sparen Geld fürs Mähen, das sie zum Teil auch wieder in die Mittelstreifengestaltung investieren können, und schaffen somit Oasen für die Insekten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Andreas Heins.

Sendung: Radioeins, 23.09.2023, 10:10 Uhr

29 Kommentare

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  1. 29.

    Sie ist schlecht für Pferde, aber gut für Insekten. Und nun? Ich glaube, dass auf einem Grünstreifen in der Stadt für Pferde keine Gefahr droht.

  2. 28.

    Fauli sein ist nicht immer schlecht, die Insekten und Vögel in meinem "Garten für Faule" danken es mir sehr. Nur die Nachbarn nicht, die soviel Arbeit und laute Geräte in den Garten reinstecken, dass die gar nicht mehr hinterher kommen. Wenn das Schaffen der Lohn für die Mühe sein soll, bitte schön..... und selber schuld ;-)

  3. 27.

    Nach JKK die Graukresse, wieder so ein dummer Fall von Sorglosigkeit. Da wird eine Giftpflanze (bedingt: für Pferde lebensgefährlich) mit ihrer freien Verbreitung begeistert begrüßt, die außerhalb der Städte penibel bekämpft wird. Ihre Ausbreitung, wo sie einmal ist, läßt sich nicht verhindern. Muß man ihren Bestand aber auch noch fördern?

  4. 26.

    Es ist typisch: Wenn die Ergebnisse des Nichtstuns auf den Mittelstreifen katastrophal, für jeden sichtbar, gescheitert sind, dann wird dreist behauptet...
    Noch weniger tun ist moralisch noch viel besser. Ich möchte nicht wissen, wieviel Zeit gebraucht wurde... für diesen Artikel und einen Wissenschaftler zu finden, statt in der gleichen Zeit etwas zu bewirken, was man sieht. Kommt mir vor wie im Kinderzimmer: Das Rechtfertigen des Nichtaufräumens dauert länger als das Aufräumen.

  5. 25.

    Die Artenvielfalt und das -spektrum sind in der Tat erstaunlich. Wie schön, daß sich die Vernunft immer mehr durchsetzt! Ich mag die Brandenburger Magerrasen sehr. Und sie sind viel sinnvoller als die kurzgeschorenen Grasrasenwüsten, die mit immensem Aufwand betreut werden müssen.

  6. 24.

    Darauf möchte ich nicht antworten, weil es immer die Gleichen sind, die das Nichtstun und Zuteilen über das Schaffen stellen. Wirklich immer.
    Deshalb die Emotionalität. Wer will schon zu den „Faulis“ gehören? Einmal erwischt, wird dann die „Moral“ aus dem Hut gezaubert? Der Mensch ist zum Schaffen da. Die Ergebnisse des Schaffens nennt man auch Belohnungen.

  7. 23.

    "Hier ging es um das Vergleichen von...."
    Äpfeln und Birnen? Die auf den Mittelstreifen vorkommenden Arten gibt es schließlich woander kaum bis gar nicht.

  8. 22.

    @Blüte

    Erst ziehen Sie die Zweckmäßigkeit der Arbeit des Wissenschaftlers in Frage ("Dafür Forschung?" , Post Nr.8, dann fordern Sie eine genauere wissenschaftliche Untersuchung ("Also muss verglichen werden" Post Nr.18).

    Was denn nun?


    Übrigens: Streng genommen, könnte dem Herrn Wissenschaftler erst einmal sehr sein, wie denn nun der Grünstreifen auf der B1 aussieht. Er wird gewiss nicht dafür bezahlt, sich mit dem Bezirksamt rumzuschlagen - sondern für Forschung und Lehre.

  9. 21.

    1. Versteckt mal wieder etwas gegen die Autofahrer
    2. Das Begehen der Mittelstreifen durch Menschen u. andere schreckliche Wesen sofort verbieten (einzäunen)
    3. Und erst Mal die Blumen aus den Ritzen der Fußwegplatten!
    4. Und wer kümmert sich, auch hier, endlich mal um die arme Steinlaus?

  10. 20.

    Na dann erklären sie mir mal, wer in Ihren Augen den "Gestaltern und Fleißigen" und wer zu den Nichtstuern zählt.

  11. 19.

    Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf meine Kernaussage und auf den Artikel lenken, in dem es nicht um Geschmack geht? Es ging um den Vergleich von Insektenfreundlichkeit, wo hier im Artikel das vergleichende Element fehlt. Das ist dann, wenn das nicht erfolgt, bloße Rechtfertigung.... für das Nirchtstun mit missionarischer Attitüde. Der Artikel hat lenkende Wirkung. Dem Artikel fehlt die Objektivität. Weil es schlimmer immer geht. Was auch einige Kommentare zum Ausdruck bringen: „Gefällt mir besser als...“. Nur, darauf kommt es gar nicht an.

  12. 18.

    Meine Kernaussage ignorieren Sie? Hier ging es um das Vergleichen von.... Insektendomiziele auf solidere Art und Weise. Wenn Sie das erkennen wollen?
    Es geht nicht darum, wie einige wenige Kommentare hier veröffentlicht wurden, was noch schlimmer sein oder aussehen könnte. Es ist wie mit einem alten verrosteten VW-Käfer: Es ist alles schön, was man mit Liebe betrachtet. Das hat mit dem Sachverhalt der Anzahl von Insekten nur wenig zu tun. Darauf bin ich aber eingegangen. Rückschlüsse auf meinen Natur/Gartengeschmack entspringen Ihrer nicht stimmenden Phantasie.

  13. 17.

    „Natur ist (über-)lebenswichtig - hübsch aussehen eher nicht.“
    Schönheit liegt auch im Auge des Betrachters. Aber das wertfreie beobachten muss man auch wollen lernen. Wenn vier Wochen im Stadtgrün nicht gemäht wurde, beschweren sich manche Leute schon über „blühende Unkräuter“.

  14. 16.

    Die Natur funktioniert nunmal nicht "links, rechts, geradeaus" - sie hat in den allermeisten Fällen eine wundervolle Unordnung. Dieser "Unordnung" in einer Stadt wieder Raum zu geben macht mehr Arbeit wie das wöchentliche Ausleeren des heimischen Rasenfangkorbes. Natur kennt auch keine Moral - sie ist einfach da - wenn man sie lässt - die Natur. Natur ist (über-)lebenswichtig - hübsch aussehen eher nicht. Leider erschließt sich das nicht jedem.

  15. 15.

    Der größte Feind der Insekten neben den Straßen sind die Typen, die meinen, dort alle vier Wochen mähen zu müssen.

  16. 13.

    Zum Thema Rasenmähen .
    In Lichtenberg in den Parks werden diese Flächen zu unmöglichsten Zeiten bearbeitet. Vor allem mitten im Hochsommer. Nicht nachvollziehbar, vor allem weil kein Kleingärtner auf diese blöde Idee kommen würde. Aber die Gartenbauämter in den Bezirken sehen wohl das nicht so.....

  17. 12.

    Was soll das denn? Natur auf unversiegelten Flächen!? Sowas gibt es bei uns auf dem Land nicht. Da wird alles schön brav weg gemäht, wegen der Verkehrssicherheit. Und bringt ja sowieso nichts, die Insekten landen dann ja immer an den Frontscheiben der Autos und sterben. Nicht, dass das Schule macht. Wer braucht schon Insekten!? Wir wollen ordentlich gemähte, saubere Flächen an unseren Straßen. Genauso schön sauber und steril wie unsere Gärten!

  18. 11.

    Diese Unordnung finde ich sehr gut, viel besser, als wenn immer alles so spießig aussieht. Und es freut mich für die Böckchen.

  19. 10.

    Sehr schön. Mir persönlich gefallen die natürlichen Wiesen viel viel besser als die abgesäbelten toten Rasenflächen. Diese sind für mich nicht schön und ästhetisch, das sind für mich wildere Flächen wie diese Mittelstreifen. Da gibs wenigstens was zu gucken und wenn es noch so trocken ist, irgendetwas blüht trotzdem, statt vertrocknet Rasen. Fledermäuse und Vögel haben durchaus etwas von den Insekten dort!

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