Organisierte Kriminalität - Schlag gegen syrische Drogendealer: Spur führt auch nach Berlin

Do 21.12.23 | 06:23 Uhr | Von Arne Meyer-Fünffinger (BR), Margherita Bettoni (MDR), Ludwig Kendzia (MDR), Nadja Malak (MDR), Olaf Sundermeyer (RBB), Ahmet Senyurt (SWR)
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Symbolbild: Bewaffnete Polizisten mit Schutzweste auf Streife. (Quelle: dpa/Koch)
Video: rbb24 | 21.12.2023 | Olaf Sundermeyer | Bild: dpa/Koch

Deutsche Drogenfahnder stoßen immer öfter auf die sogenannte "Dschihadisten"-Droge Captagon. Bisherige Ermittlungen deuten auf ein syrisches Kartell. Die Recherche eines ARD-Netzwerks führt auch zu einem Drogenfund in Berlin.

  • In den vergangenen Jahren haben Drogenfahnder immer wieder Captagon sichergestellt
  • Tatverdächtige stammten oft aus Syrien
  • Die Droge wird in der Regel im arabischen Raum produziert
  • Deutsche Sicherheitsbehörden sind noch dabei, ihre Ermittlungen zusammenzuführen

Es ist an einem Mittwochabend vor zwei Jahren kurz nach Ladenschluss. Der 24-jährige Mohammed F. *) nimmt auf einem Supermarkt-Paktplatz in Berlin-Lichtenberg mehrere Taschen von zwei Männern aus einem weißen Transporter entgegen. Mohammed F., aufgewachsen im syrischen Aleppo, war vor einigen Jahren als Flüchtling nach Berlin gekommen. Ein Cousin aus Belgien hatte ihn per WhatsApp gebeten, die Pakete aus dem Libanon entgegenzunehmen. Ein anderer Mann aus Syrien werde sie bei ihm abholen, für den Weitertransport.

Das sei unter seinen Landsleuten so üblich, sagt Mohammed F. später beim Berliner Landeskriminalamt (LKA) aus. Auch dass er sich zunächst nicht für den Inhalt der Taschen interessiert habe. Darin befinden sich 60 Kilogramm Tabletten, 354.000 Stück Captagon-Amphetamin - eine verbotene Droge in größerer Menge, wie das LKA später feststellt.

Drogenfahnder des Zoll haben in NRW und Sachsen die bisher größte Menge der "Dschihadisten"-Droge Captagon in Deutschland entdeckt. (Quelle: Deutscher Zoll)
Vom Zoll beschlagnahmte Drogen. | Bild: Deutscher Zoll

Strukturen mit Verbindungen nach Berlin

Legt man den Stückpreis von 20 US-Dollar zu Grunde, für den die Captagon-Tabletten im arabischen Raum gehandelt werden, liegt der Straßenverkaufswert bei rund 6,5 Millionen Euro. Captagon, das zu weiten Teilen aus Amphetamin besteht, wird vor allem in Syrien und dem Libanon in illegalen Fabriken als Tablette hergestellt und hauptsächlich in den arabischen Raum geschmuggelt. Die syrische Regierung steht im Verdacht, an diesem milliardenschweren Geschäft beteiligt zu sein.

Geschmuggelt wird die Ware in vielen Fällen auf dem Land- oder Seeweg nach Europa, wird hier mit sogenannter Tarnware in Container umverpackt und dann per Schiff oder Flugzeug weiter in den arabischen Raum geschickt. Anfang Oktober war die Droge weltweit in die Schlagzeilen geraten, nachdem israelische Medien berichteten, einige Hamas-Terroristen hätten bei ihren Angriffen am 7. Oktober Captagon-Tabletten bei sich gehabt.

Gemeinsame Recherchen eines Netzwerks aus rbb, BR, MDR, SWR, Frankfurter Allgemeine Zeitung und Mediengruppe Bayern zeigen, dass Deutschland für den weltweiten Captagon-Handel an Bedeutung gewinnt. Die bisherigen Ermittlungen legen den Verdacht nahe, dass Syrer als Hintermänner die Strukturen für den Handel mit Captagon aufbauen – mit Verbindungen auch nach Berlin. Die Recherchen des Verbunds zeigen auch, dass die Ermittlungen unterschiedlicher Behörden derzeit noch nicht konzentriert wurden. Ermittlungsergebnisse aus verschiedenen Bundesländern werden erst langsam zusammengeführt.

"Wirf die Pillen ins Klo und halte dich da raus!"

Als Mohammed F. irgendwann einen Blick in die Taschen wirft, die ihm da zum Weitertransport übergeben wurden, entdeckt er die Pillen. Sein Cousin aus Belgien behauptet, das sei lediglich Pflanzendünger aus Saudi-Arabien. Ein Nachbar, den er ins Vertrauen zieht, rät ihm angeblich: "Wirf die Pillen ins Klo und halte dich da raus." Da ruft Mohammed F. die Polizei an. Von nun an wird sein Telefon abgehört. Seine Kontakte, auch der Cousin, insgesamt fünf Personen, können am Ende nicht namentlich identifiziert werden, sie führen Aliasnamen.

Das Verfahren wird nach drei Monaten eingestellt, die Drogen werden vernichtet. So geht es aus der Verfahrensakte der Staatsanwaltschaft hervor, die das ARD-Netzwerk einsehen konnte. Das Berliner Landeskriminalamt misst dem Verfahren keine größere Bedeutung zu, zumal Captagon auf dem Drogenmarkt der Hauptstadt nach Kenntnis von Polizei und Staatsanwaltschaft keine besondere Rolle spielt.

Im Jahr darauf werden allerdings zwei syrische Straßenhändler mit 460 Tabletten in Neukölln aufgegriffen. Doch auch diesem Aufgriff wird keine größere Bedeutung beigemessen. Dabei zeigen Recherchen des ARD-Netzwerks, dass Captagon-Tabletten in der arabischen Community in Neukölln für 15 bis 20 Euro gehandelt werden.

Nach Rekorddrogenfund: Vier Syrer in Haft

Unterdessen laufen in anderen Bundesländern inzwischen größere Captagon-Verfahren: In der Abteilung für Organisierte Kriminalität der Staatsanwaltschaft Aachen ermittelt man gegen eine syrische Tätergruppe wegen des Verdachts des "gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels und Handels von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge": Anfang Oktober heben Ermittler der Zollfahndungsamtes (ZFA) Essen im Raum Aachen ein Drogenlager mit 300 Kilogramm Captagon-Tabletten aus.

Am selben Tag nehmen sie in der Region um Aachen vier Männer als Tatverdächtige fest, Syrer im Alter von 33 bis 45 Jahren. Ihnen werden weitere Funde aus den vergangenen Monaten an den Flughäfen Köln/Bonn und Leipzig/Halle zugeschrieben. Insgesamt 460 Kilogramm Captagon: 3,2 Millionen Tabletten, Straßenverkaufswert: Rund 60 Millionen Euro. Es ist der bislang größte Captagon-Fund in Deutschland.

Die Schmuggler hatten den Großteil der Tabletten in dem Garagenkomplex zwischen 16 Tonnen Sand versteckt, der säckeweise auf Paletten gestapelt war. "Die Täter haben die Captagon Säcke in diesen Sandsäcken verpackt und haben sie dann in einer äußeren kleinen Schicht Sand eingebettet. So dass bei einem äußerlichen Betrachten der Säcke, auch wenn man die befühlt hat, keine Tabletten festzustellen waren", sagt Ermittlungsleiter Andreas B. **) im Interview.

Drogenfahnder des Zoll haben in NRW und Sachsen die bisher größte Menge der "Dschihadisten"-Droge Captagon in Deutschland entdeckt. (Quelle: Deutscher Zoll)Drogen in Baumarkttüten.

Der langjährige Drogenfahnder kennt sich entlang der Grenze zu Belgien und den Niederlanden aus. Captagon war ihm erstmalig im vergangenen Jahr aufgefallen. Bei einem Zoll-Fund im Paketzentrum am Flughafen Köln/Bonn. Damit begannen seine Ermittlungen: 10 Kilogramm Amphetamintabletten, versteckt in einer Tarnladung, im Inneren von sieben Paketen mit Bremszylindern, die nach Bahrein geliefert werden sollten. Die Drogen waren bei der Kontrolle an einem Röntgengerät aufgefallen.

Es folgten drei weitere Funde, versteckt im Filter eines Luftreinigungsgeräts, sowie am Flughafen Leipzig/Halle in einer Ladung Duftkerzen und einem Pizzaofen, jeweils mit Adressaten in Saudi-Arabien. Der Gesamtwert der Captagon-Funde in Deutschland in den vergangenen drei Jahren wird auf eine halbe Milliarde Euro geschätzt.

Drogen im Pizzaofen versteckt

Die Staatsanwaltschaft Aachen prüft zurzeit mögliche Verbindungen zu weiteren Captagon-Verfahren unter Beteiligung syrischer Tatverdächtiger. In Essen sind bereits im vergangenen Jahr drei Männer als Teil eines internationalen Schmugglerrings verurteilt worden. In Regensburg wurde im Juli eine Produktionsstätte für Captagon-Tabletten ausgehoben [tagesschau.de]. Dort waren zwei Syrer festgenommen worden. Bei der Festnahme fanden hier die Ermittler 300 Kilogramm Captagon-Tabletten. Außerdem wurden Rohstoffe für eine mögliche Herstellung von gut drei Tonnen Captagon gefunden. In dieser Sache ermittelt die Staatsanwaltschaft in Ellwangen.

Die Sprecherin der Aachener Staatsanwaltschaft, Katja Schlenkermann-Pitts, sagte im Interview mit dem ARD-Netzwerk von BR, MDR, RBB und SWR mit Blick auf die Fälle in Ellwangen, Essen und Köln/Bonn oder auch in Aachen und Leipzig "und auch den Marktwert dieser ganzen Tabletten", dass es sich "hier um eine organisierte Tätergruppierung handeln kann, die auch länderübergreifend tätig ist." Sie kündigte für ihre Behörde deshalb an, diese "Strukturen und Zusammenhänge weiter beleuchten" zu wollen.

Von dem Berliner Verfahren und dem Fund bei Mohammed F. wusste die Staatsanwaltschaft Aachen allerdings bislang nicht.

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 21.12.2023, 09:05 Uhr

Beitrag von Arne Meyer-Fünffinger (BR), Margherita Bettoni (MDR), Ludwig Kendzia (MDR), Nadja Malak (MDR), Olaf Sundermeyer (RBB), Ahmet Senyurt (SWR)

30 Kommentare

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  1. 30.

    Wenn Sie den Artikel gelesen hätten, wüssten Sie (vermutlich), dass es im Artikel um organisierte Kriminalität geht.

  2. 29.

    Es war doch Fr. Göring-Eckhardt, die sinngemäß sagte, dass mit den Eingewanderten sich das Land verändere und sie sich darauf freue.
    Und letztendlich doch wohl die Grünen, die jeden aufnehmen wollen ohne zu wissen wer da wirklich kommt und am liebsten auch keinen abschieben wollen.
    Da ist wohl Schelte mehr als angebracht.

  3. 28.

    Das war doch klar wie Kloßbrühe.. oder ??

  4. 27.

    Danke für ihre Erklärung, die sicher auf einige wenige zutrifft. Ich finde allerdings, dass sich die Regierung eben nicht genügend Mühe gibt, um Migranten zu integrieren. In Deutschland liebt man es, romantisch in Betroffenheit zu schwelgen. Tatkräftige und schnelle Hilfe wird dagegen durch überbordende Bürokratie ausgebremst. Und natürlich machen sich das Kriminelle zu Nutzen. Sie sprechen die verzweifelten Menschen an. Und manche davon sind so allein und ohne familiäre Hilfe für jedes Angebot dankbar, das schnelle Lösung verspricht. Im Grunde befördert also das zögerliche Handeln der Zuständigen das Abgleiten in die Kriminalität. Aber es gibt auch die Charakterfesten wie den jungen Mann aus dem Artikel, der das ganze Ermittlungsverfahren durch seine Anzeige erst in Gang setzte. Ich hoffe nur, dass das für ihn nicht Verfolgung durch einen kriminellen Clan und dann auch noch Abschiebung bedeutet, sondern dass Deutschland sich für sein mutiges Handeln erkenntlich zeigt.

  5. 26.

    Naja, ohne Bezug zum eigentlichen Thema verharmlost er die Droge Captagon. Dass Sie das relevant finden, kann ich mir aber vorstellen...

  6. 25.

    So ist das wenn man als traumatisierter Flüchtling hier ankommt, keiner kümmert sich richtig um einen, man will integriert werden wird man aber nicht, man will arbeiten darf aber nicht, man will sich auch mal was leisten kann aber nicht, man will in einem schönen Haus wohnen ,ein schönes Auto fahren,hat man aber nicht, da kann man schon mal auf die schiefe Bahn geraten . Eigentlich wollte man nicht mit Drogen handeln, aber was bleibt einem denn übrig. Unsere Regierung gibt sich so viel Mühe das es den Neuangekommenden hier gut geht aber Mühe allein reicht nicht.

  7. 24.

    Bestimmen Sie jetzt, wer oder wie sich jetzt zum Thema geäußert werden muss? Der Beitrag von @Bernd wurde veröffentlicht- also ist er relevant. Eigentlich ganz einfach. Eigentlich....

  8. 23.

    Ihr Kommentar deckt sich mit Habecks Aussage „von der Wirklichkeit umzingelt“. Ja, auch SeaWatch ist eine gefördertes Projekt der Grünen mit Millionen Steuergeldern. Warum sollte man dies der CDU/FDP/Afd unterstellen wollen? Und dieser Bericht ist nur EIN Baustein der Gesamtsituation

  9. 22.

    Und wenn es so wäre, was hätte das eine mit dem anderen zu tun? Im Artikel geht es um organisierte Kriminalität.

  10. 21.

    Dass Sie auf Drogen zurückgegriffen haben, um Ihr angebliches Staatsexamen zu schaffen, hat nicht wirklich etwas mit dem Thema zu tun...

  11. 20.

    Das Sündenbockprinzip klappt seit Menschengedenken, es ist ähnlich, wie Beichten zu gehen, man selbst trägt keine Schuld und muss über sich selbst nicht nachdenken.

  12. 19.

    Wie verbinden Sie Ihre Aussage mit dem Gelesenen? Ich finde keinen Zusammenhang. Jedoch ordne ich diesen zu den Unkereien, die andere Menschen triggern sollen, damit diese unsachlich werden. Sie sind dann ja fein raus, Sie haben ja nur geunkt.

  13. 18.

    Das Meckern liegt mir nicht so, wie anderen, werde nie verstehen, wie man unsachlich werden muss, wenn man diesen Artikel liest. Einfach mal Hintergründe erfragen und recherchieren.

  14. 17.

    Sind es nicht insbesondere die Grünen, die der Meinung sind , ein paar Flüchtlinge mehr dürfen es schon sein und abschieben sollten wir auch weniger. Wegen der fehlenden Arbeitskräfte und der kulturellen Vielfalt.

  15. 16.

    Sie haben indirekt die Liberalen in der Regierung gelobt. Denn ohne die würden wir nicht nur Pleite sein sondern auch noch verwahrlost.

  16. 15.

    Mir wird angst und bange, wenn ich Kommentare wie den Ihrigen lese, in denen Themen vermengt werden, die nichts miteinander zu tun haben...

  17. 14.

    Sie wissen doch wie das ist, wo auch immer man hier irgendeinen Bezug zu den Grünen herbeiziehen kann und wenn er auch noch so klein ist, wird es gemacht. Ist eben so bei bestimmten Menschen, die andere zum Hassobjekt auserkoren haben. Dazu eignet sich doch solch eine Kommentarfunktion wunderbar.

  18. 13.

    Sie haben indirekt die Liberalen in der Regierung gelobt. Denn ohne die würden wir nicht nur Pleite sein sondern auch noch verwahrlost.

  19. 12.

    In den 70er Jahren haben sehr viele Studenten Captagon genommen, um über Stunden voll konzentriert und total ruhig lernen zu können. Auch ich habe so mein Examen geschafft. Illegal war es nicht, man konnte es ganz normal in der Apotheke oder beim Arzt bekommen! Ich war sehr froh über diese Tabletten und konnte keinen Abhängigkeit erkennen!

  20. 11.

    Hier sind offenbar eher die syrischen Nachrichtendienste involviert. Immer wieder sehenswert zu dem Thema, der Spielfilm: Kill the Messenger USA 2014 ("War on Drugs" und Aufklärung durch Journalisten).
    Der Grundstoff des ursprünglichen Medikaments mit Markennamen Captagon wurde 1961 von der Degussa AG synthetisiert und war bis 2003 als Arzneimittel in Deutschland zugelassen.

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