Interview | Berliner Feuerwehrmann - "In unserem Beruf ist die Gefahr Mensch neu hinzugekommen"
Seit 13 Jahren ist Baris Coban Feuerwehrmann in Neukölln. In der vergangenen Silvesternacht wurde auch er bei einem Einsatz angegriffen. Im Interview spricht er über neue Gefahren und mögliche Gründe für die vielen Bagatellanrufe.
rbb: Herr Coban, wir sind in der Feuerwache Neukölln, das ist sozusagen Ihr Homespot, Sie arbeiten hier. Wie sieht ein normaler Tag für Sie aus?
Baris Coban: Wir versehen unseren Dienst im Zwölf-Stunden-Rhythmus. Wir haben immer im Wechsel einen Tag- und einen Nachtdienst und einen Tag frei. Danach nochmal einen Tag- und einen Nachtdienst und dann drei Tage frei. Das heißt, jede zweite Schicht findet nachts statt, die Dienste gehen immer von sieben bis sieben.
Ganz schön lang, oder?
Das hat auch seine Vorteile, man muss entsprechend weniger zur Arbeit anreisen, als wenn ich in einem Acht-Stunden-Dienst tätig wäre.
Und diese zwölf Stunden verbringen Sie hier auf der Wache oder im Wagen?
Auch das hat sich ein bisschen verändert. In den letzten Jahren sind unsere Alarmzahlen enorm in die Höhe gegangen. Und einen Großteil meiner Zeit verbringe ich tatsächlich eher auf der Straße und bin im Einsatz. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man zehn oder zwölf Stunden draußen unterwegs ist.
Was sind denn das für Einsätze?
Ich bin auch Notfallsanitäter, ein Großteil meiner Arbeit findet im Rettungswagen oder Notarzteinsatzfahrzeug statt. Da sind dramatische Sachen dabei, aber der Großteil sind leider viele Bagatellfälle in diesen zwölf Stunden. Wenn wir da unsere zehn bis zwölf Einsätze machen, sind gefühlt zwei oder drei richtige Notfälle, wo ich sage: Okay, war das jetzt gerechtfertigt, dass wir dahingefahren sind? Und der Rest ist viel Quatsch. Dazu zähle ich Sachen wie seit Wochen Schmerzen im Knie. Das ist leider keine Seltenheit.
Wir haben in den letzten Jahren immer häufiger und nun bald täglich den Ausnahmezustand. Über 90 Prozent unserer verfügbaren Einsatzmittel im Bereich Rettungsdienst sind im Einsatz. Und dann hat man teilweise nur noch fünf oder sechs Rettungswagen für 3,7 Millionen Einwohner, das ist natürlich sehr wenig.
In den letzten Wochen hat es sich immer mal wieder gehäuft, dass das Einsatzaufkommen höher war als wir verfügbare Einsatzkräfte haben. Dann mussten Patienten warten. Das bedeutet, mein Einsatzspektrum spielt sich nicht nur in Neukölln ab, sondern stadtweit, wir fahren auch nach Köpenick oder Charlottenburg.
Man denkt immer, da wo die Feuerwehr ist, da brennt's. Aber da brennt's gar nicht immer, oder?
Nee, die Brände sind nur ein marginaler Anteil. Ausgelöste Brandmelder, klassische Verkehrsunfälle im Berliner Stadtverkehr oder Stichwort Unfall in Wohnungen - das sind unsere häufigen Einsätze. Langweilig wird es nicht, es ist schon ein sehr vielfältiger Beruf, ich muss die Pumpe und Drehleiter bedienen können. Ich muss von Herzinfarkt bis neurologischen Notfall, dem Schlaganfall alles können. Manchmal müssen wir auch improvisieren, das ist auch unser Job.
Seit wann machen Sie das jetzt?
Ich habe vor 16 Jahren im Rettungsdienst angefangen und bin jetzt seit 13 Jahren bei der Berliner Feuerwehr. Das letzte Mal, dass ich jemanden reanimiert habe, ist zwei Wochen her. Das ist ein gutes Gefühl, wenn man nach Hause geht und vielleicht jemanden vielleicht wieder ins Leben zurückgeholt hat.
Ich will aber gar nicht nachfragen, was aus den Menschen am Ende geworden ist. Das ist meine Strategie des Umgangs, das macht jeder anders. Das lässt einen nicht kalt.
Als Feuerwehr- und Rettungssanitäter bekommen Sie sehr intensiv die Stimmung in der Stadt mit. Hat sich da was verändert?
Prinzipiell muss ich vorneweg sagen, dass die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung groß ist. Das wird manchmal schlimmer dargestellt, als es ist. Manchmal ist die Hilfsbereitschaft sogar zu viel, wenn es bis zu zehn Ersthelfer gibt, die uns da nicht ranlassen. Es kommt sehr selten vor, dass jemand hilflos auf der Straße liegt und keiner hilft.
Aber was ich festgestellt habe, ist, dass die Hemmschwelle, die 112 zu rufen, inzwischen gesunken ist. Und manchmal ist eine gewisse Hilflosigkeit da bei diesen Bagatellfällen. Wo der normale Gang zum Hausarzt gereicht hätte, wird stattdessen lieber die Feuerwehr gerufen.
Wie kommt das, was meinen Sie?
Ich glaube, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der wir faul geworden sind. Man kann inzwischen alles über das Telefon regeln, für alles gibt es einen Servicedienstleister. Und wenn es nachts aus meinem Hahn tropft, dann wird die Feuerwehr gerufen.
Viele Einsätze werden von obhutspflichtigen Personen gestartet, die sich absichern wollen. Zum Beispiel in Pflegeeinrichtungen. Da hat sich ein Patient eine Beule zugezogen und alle sehen, dass das nichts Gefährliches ist, aber die Feuerwehr wird gerufen, um sich abzusichern, weil kaum noch jemand Verantwortung übernehmen möchte.
Nun gab es die vergangenen zwei, drei Jahre verstärkt Angriffe auf Rettungs- und Polizeifahrzeuge. Ganz extrem die vergangene Silvesternacht. Sie waren auch in der Nacht in Neukölln unterwegs. Was haben Sie erlebt?
Erstmal muss man vorneweg sagen: Die Angriffe gab es schon immer. Auch Kollegen, die seit 30 Jahren im Dienst sind, berichten davon. Damit werden wir immer zu tun haben, vor allem, weil wir es im Bereich Rettungsdienst mit Menschen zu tun haben, die nicht Herr ihrer Sinne sind, Intoxikierte, Leute, die Alkohol oder Drogen konsumiert haben, psychisch kranke Patienten, das wird auch wahrscheinlich noch in vielen Jahrzehnten so sein.
Aber letztes Silvester war schon anders?
Ja, also das war auch für uns eine ungewohnte Situation, dieser Einsatz in der Sonnenallee, wo dieser brennende Reisebus unter dem Wohngebäude stand. Da waren ja schon Einsatzkräfte vor Ort. Die haben noch Unterstützung gebraucht, weil in diesen Wohnungen noch Menschen waren, gehbehindert zum Teil. Unser Auftrag war es, dort schnell hinzufahren und die Patienten in Sicherheit zu bringen.
Und als wir ausstiegen, wurden wir attackiert von den Jugendlichen, mit Steinen, mit Flaschen, mit Pyrotechnik, sie wollten uns aktiv verletzen. Natürlich macht das was mit einem. Wir haben dann zugesehen, dass wir irgendwie schnell wegkommen. Wir haben diese Barrikaden so gut es ging beiseitegeräumt, sind ins Fahrzeug eingestiegen, hatten alle einen Tinnitus. Keiner hat noch irgendetwas gehört.
Und dann gehen auch noch Emotionen in einem hoch. Dort an der Einsatzstelle ging es ja weiter, da unten wurde ein Ladengeschäft angezündet, dann haben wir das gelöscht. Als wir dann zusammengeräumt haben, wurden wir immer wieder beschossen. Das war auch in anderen Teilen der Stadt so.
Hat Sie das nachhaltig schockiert?
Normalerweise schaffe ich das gut, das Erlebte auf Arbeit zu lassen und nicht mit nach Hause zu nehmen. Aber das war so eine Schicht, da bin ich nach Hause gegangen und war nachdenklich. Ich war wütend, muss ich ganz klar sagen, das hat mich sehr beschäftigt im Nachgang.
Wir sind es gewohnt, schreckliche Dinge zu erleben, berufsbedingt. Wir sind es auch gewohnt, die schrecklichen Dinge zu verarbeiten. Das hat mich nicht nachhaltig beeinflusst, ich habe dadurch keine psychischen Probleme bekommen. Aber es ist omnipräsent, wenn ich darüber rede. Am Ende sind es Erfahrungen, die wir in Zukunft einfließen lassen. Feuerwehrmann zu sein, ist so schon so gefährlich, wir haben es mit brennenden Wohnungen zu tun und Patienten mit ansteckenden Krankheiten. Jetzt ist die Gefahr Mensch selbst neu dazu gekommen, das ist ein komisches Gefühl.
Wie Sind Sie damit umgegangen, auch bei der Feuerwehr generell?
Wir haben schnell festgestellt, dass wir das in Zukunft nicht mehr wollen. Uns war schnell klar, wir brauchen eine aktive Präventionsarbeit. Und die machen wir Einsatzkräfte in unserem Bezirk Neukölln selbst. Es gab Gelder dafür, Förderung und wir haben uns den Träger Outreach gesucht. Der leitet in Berlin diverse Jugendclubs in Problembezirken, wie es immer so schön heißt. In Neukölln, Kreuzberg, Schöneberg, da sind wir aktiv in die Präventionsarbeit gegangen. Wir haben gesagt, wir möchten an die Jugendlichen rantreten, wir möchten die Menschen hinter der Uniform zeigen. Wir möchten mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen und vielleicht auch mal gucken, was könnten die Motive gewesen sein.
Wir haben auch Fußballturniere dafür gestartet und Workshops in Jugendclubs gemacht. Unser Ziel war, die Jugendlichen kennenzulernen und nicht mit erhobenen Zeigefinger da reinzugehen. Wir sind ja auch keine Pädagogen, wir sind Feuerwehleute. Das war natürlich auch für uns komplettes Neuland, aber es hat gut funktioniert, wir haben gute Gespräche auf Augenhöhe gehabt. Und wir haben viele Erkenntnisse gewonnen, zum Beispiel, dass weder Hass noch Wut eine Rolle spielte. Ganz im Gegenteil, es war eher eine ausgelassene Partystimmung und es war eine Gruppendynamik. Auch Alkohol und Drogen haben eine untergeordnete Rolle gespielt, die Jugendlichen sind nicht dafür bekannt, viel Alkohol zu trinken, das kommt zu Hause nicht gut an.
Am Ende ging es um die Social-Media-Kanäle, wer hat die besten Videos auf Tiktok, wer war wohl live mit dabei? Wer hat welche Eskalation mitgemacht?
Das sind jetzt aber vielleicht nicht unbedingt die Jugendlichen, die Sie letztes Silvester getroffen haben, oder?
Zugegeben hat es natürlich niemand, es ist auch fraglich, ob die Jugendlichen, mit denen wir zusammengearbeitet haben, uns auch beschossen haben. Aber gewiss kennen sie die, die uns beschossen haben.
Meinen Sie, Sie haben jetzt ein gegenseitig besseres Verständnis füreinander?
Ich wäre komplett naiv, wenn ich sage, wir haben jetzt drei Workshops gemacht und ein bisschen Fußballturnier und jetzt ist alles besser. Diese Arbeit wird Jahrzehnte dauern. Aber man muss auch einfach irgendwann mal anfangen. Zumindest haben wir die Hoffnung, dass sie bei solchen Gruppendynamiken dann sagen würden, 'Hey, Leute, hört mal auf, ich kenne bei der Feuerwehr zwei, drei Leute, die sind eigentlich ganz in Ordnung!'.
Sind Sie dieses Jahr Silvester im Einsatz? Mit welchem Gefühl gehen Sie da rein?
Ja. Also erstmal bin ich mental anders darauf eingestellt, aber Angst spielt da keine Rolle. Es ist schon so, dass mein Bauchgefühl mir sagt, dass es erneut zu Ausschreitungen kommen könnte. Aufgrund des Nahost-Konflikts herrscht in Berlin eine angespannte Stimmung. Wir hatten vor wenigen Wochen werktags zu Geschäftszeiten heftige Ausschreitungen hier auf der Sonnenallee, wo Fahrzeuge und Müll angezündet wurden, wo Einsatzkräfte erneut angegriffen wurden, das war nicht mal Silvester. Es besteht meinerseits die Sorge, dass sich möglicherweise an Silvester wieder etwas entladen könnte. Das sind auch andere Tätergruppen, keine Jugendlichen, sondern Mütter, Väter. Ich glaube, auch die Kollegen stellen sich mental auf das Schlimmste ein.
Würden Sie den Jugendlichen raten, zur Feuerwehr zu gehen?
Langfristig ist das auch ein bisschen unser Ziel. Wir wollen diverser bei der Berliner Feuerwehr werden. Die Polizei macht es uns vor. Ich glaube, auch das wird irgendwann in einer Silvesternacht eine Rolle spielen.
Unsere Arbeitsbelastung hat sich in den vergangenen Jahren enorm verstärkt, wir haben Personalnot wir in jedem anderem Beruf. Ich würde auch im nächsten Leben wieder zur Feuerwehr gehen, zu Hundert Prozent. Auch wenn ich nach manchen Zwölf-Stunden-Diensten die Hände über dem Kopf zusammenschlage und mich frage, was habe ich hier gemacht?
Aber im großen Ganzen ist der Beruf für mich eine Erfüllung. Ich würde das jedem weiterempfehlen. Und es ist ein krisensicherer Beruf, die Bezahlung ist nach den letzten Tarifverhandlungen auch zufriedenstellend.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ursula Voßhenrich für rbb24 Inforadio. Bei der Onlinefassung handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Version. Das ganze Interview können Sie mit Klick auf das Artikelbild nachhören.
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.12.2023, 6:33 Uhr