Einsparungen bei Berliner Sozialprojekten - "Eine Schließung können wir uns nicht leisten"

Di 16.07.24 | 08:28 Uhr | Von Margarethe Neubauer
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Karower African Mommies treffen sich im Juli 2024. (Quelle: rbb/Margarethe Neubauer)
Audio: rbb24 Inforadio | 16.07.2024 | Helena Daehler | Bild: rbb/Margarethe Neubauer

Ein Millarden-Loch klafft im Haushalt des Senats. In den Bezirken ist Sparen angesagt, auch bei sozialen Projekten. In Berlin-Karow bangt das Stadtteilzentrum. Hier finden Menschen Halt, denen das Ankommen besonders schwerfällt. Von Margarethe Neubauer

Die acht Frauen stehen dicht beieinander, haben den Blick selbstbewusst in die Kamera gerichtet. Sie tragen bunt gemusterte Kleider und moderne Trainingsjacken. Eine von ihnen ist Adolphine Landgraf. Auf dem Foto hält sie zwei der anderen Frauen im Arm. "Wir wollen zeigen, dass wir uns wohlfühlen", sagt die 47-Jährige, die heute eine Turbanfrisur und ein leuchtend grünes Kleid trägt. "Und, dass wir offen sind." Die Fotografien sollen Teil einer Ausstellung werden, die im Stadtteilzentrum in Berlin-Karow zu sehen ist.

Adolphine Landgraf war eine der Ersten, die vor vier Jahren hierher kam, um sich dem Projekt "Karower African Mommies" anzuschließen. Jede Woche treffen sich die Frauen aus sechs afrikanischen Ländern montags zum Frühstücken. Entweder gehen sie ins Kino oder gemeinsam auf den Spielplatz. "Dann fühlen wir uns sicher", sagt Adolphine Landgraf. Sie stammt aus Ghana und ist Mutter von Zwillingen. Mittlerweile betrachtet sie Karow als ihr Zuhause. Doch willkommen war sie nicht von Anfang an.

Safe Space zum Austausch über Alltagsrassismus

"Meine Nachbarn haben mich nie gegrüßt, nie Pakete angenommen. Sie haben bewusst weggeschaut, wenn ich vorbeikam", sagt Adolphine Landgraf, die seit 2017 in Karow lebt. "Aber ich habe einfach immer weiter gegrüßt. Heute unterhalten wir uns, bieten einander Hilfe an." Rassismus im Alltag – davon kann jede der Frauen hier eine Geschichte erzählen. Vom abfälligen Kommentar bis zum zugeklebten Briefkasten. Im Stadtteilzentrum können sie sich darüber austauschen – ein Safe Space.

Doch das Stadtteilzentrum, in dem das Projekt untergebracht ist, ist nicht nur Anlaufstelle für Nana, Adolphine und die anderen Mütter. Es ist Treffpunkt für Seniorinnen und Senioren, dort gibt es Näh- und Gymnastikkurse, Rentenberatung, aber auch Beratung für Migrantinnen und Migranten, die neu nach Karow kommen. Drei Projekte teilen sich die Räumlichkeiten, die ursprünglich eine Drei-Zimmer-Erdgeschosswohnung war.

Zu wenig Platz für die Projekte

Zu klein, sagt Annedore Dreger, die das Stadtteilzentrum seit 25 Jahren leitet. "Wir waren immer auf Wanderschaft - auf der Suche nach größeren Räume, aber hatten bisher kein Glück." Begegnungen zwischen verschiedenen Gruppen, älteren Besuchern und Neu-Karowern seien aufgrund des wenigen Platzes vor Ort kaum möglich. Dabei wäre genau das für Karow ein wichtiger Schritt. "Die Bevölkerungsstruktur hat sich sehr verändert. Es muss moderiert werden, dass die, die neu sind, sich mit denen vertragen, die schon da sind."

Zwischen 2016 und 2021 ist die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner mit Migrationshintergrund in Karow um rund 50 Prozent gestiegen. Im selben Zeitraum hat sich dort zudem der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer verdoppelt. Berlinweit bringt der Bezirk Pankow die meisten Geflüchteten unter, aktuell sind es etwa 5.500. Auch in Karow gibt es eine Aufnahmeeinrichtung für Geflüchtete.

Mögliche Kürzungen sind noch in Klärung

Wie in vielen sozialen Einrichtungen blicken die Mitarbeitenden des Stadtteilzentrums auf die drohenden Einsparungen des Senats mit Sorge. Bereits in diesem Jahr sollen die Ausgaben für mehr als 600 Projekte und Vorhaben gekürzt werden. Der Bezirk Pankow verzeichnet für die Haushaltsjahre 2024 und 2025 ein Defizit von rund 11 Millionen Euro. Wo genau der Rotstift angesetzt wird, steht aktuell noch zur Debatte. Im Bereich Soziales und Gesundheit sollen laut Bezirksbürgermeisterin Cordelia Koch (Grüne) 2025 in Pankow vorausichtlich 210.000 Euro eingespart werden, bei Jugend und Familie sind es 270.000 Euro.

"Wir wissen noch nicht, wie das aussehen wird, das wird noch diskutiert. Wir können nur sagen, wir können uns eine Schließung nicht leisten", sagt Annedore Dreger. "Das Fachpersonal geht dann weg und wie sollen die Projekte jemals neue Räume finden?" Allein das Angebot der "African Mommies" nehmen derzeit etwa 50 Frauen wahr. Vor allem die täglichen Beratungen, in denen sie Hilfe mit Formularen und Briefen von Ämtern und Hausverwaltungen bekommen, sind beliebt.

"Wir wollen Gemeinschaft"

"Hier kommt jede mit fünf, sechs Briefen in den Händen. Wenn uns niemand bei der Papierarbeit helfen würde, wäre das eine Katastrophe", sagt Adolphine Landgraf. Das Stadtteilzentrum sei ein wahrgewordener Traum findet auch "African Mommy" Nana. Sie lebt seit zehn Jahren in Deutschland, davon acht in Karow. Rassismus erlebe sie auf der Straße, im Supermarkt. "Geh zurück nach Afrika, haben die Leute zu mir gesagt. Sie denken, wir sind hier, um Geld zu nehmen und Kinder zu bekommen. Aber wir arbeiten. Wir sind Mütter, aber wir arbeiten", erzählt sie. Einmal habe Nana auf dem Spielplatz erlebt, wie andere Eltern ihre Kinder von ihrem Sohn fernhielten. "Mein Sohn fing an zu weinen. Ich sagte: Das sind Kinder, lasst sie doch zusammen spielen. Aber die Leute sagten: Nein."

Karower African Mommies treffen sich im Juli 2024. (Quelle: rbb/Margarethe Neubauer)Das Gemeinschaftsgefühl steht bei den "Mommies" im Mittelpunkt

Adolphine Landgraf engagiert sich mittlerweile auch ehrenamtlich bei den "Mommies", will sich außerdem selbstständig machen mit einem Verein, der Workshops gibt, um Alt- und Neu-Karower, die Nachbarschaft zusammenzubringen. "Ja, das wird schwer", sagt sie. „Aber wir wollen die Gemeinschaft hier – und nicht nur unter uns bleiben.“ Aber das gehe nicht ohne Orte wie das Stadtteilzentrum, die das möglich machen.

Sendung: Wir wollen reden - rbb-Bürgertalk, 16.07.2024, 20:15 Uhr

Beitrag von Margarethe Neubauer

47 Kommentare

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  1. 47.

    "Alltagsrassismus" Wo soll der sein?

    Unter anderem auch hier in den Kommentarspalten, ganz subtil verpackt. Aktuell gern gegen Ukrainer. Vor einiger Zeit war noch der Syrer an allem schuld.

  2. 46.

    Korrektur: im Mietshaus nicht tagtäglich. Bei Gesprächen mit Nachbarn werden manchmal abfällige Bemerkungen oder falsche Behauptungen über Immigranten aufgestellt. Da versuche ich dann gleich gegenzusteuern,das dass nicht wahr ist,was diese behaupten. Aber Sie haben Recht,wenn Sie sagen mit solchen Aussagen soll vorsichtig umgegangen werden. Nicht alles ist Rassismus. Manchmal sind es auch ganz normale Antipathien.

  3. 45.

    Die Politiker sollen erst mal bei sich selbst sparen: Diäten, Dienstwagen, Empfänge, Gehälter, TVO-Straße und nicht dort, wo das Geld dringend gebraucht wird.

  4. 44.

    Nach zehn Jahren stellt sich schon die Frage, ob so eine Subvention wegfallen kann.

  5. 43.

    Sie müssen niemanden lieben. Aber Sie sollten mit allen Menschen respektvoll und würdevoll umgehen. Oder wie meine Großmutter schon sagte: „Was du nicht willst, dass man‘s dir tu, das füg auch keinem andren zu.“

  6. 41.

    Wenn man Einfalt toll findet, dann ist man selber einfältig und hat Schwierigkeiten mit allem was nicht den eigenen Erwartungen entspricht. Das sind dann auch die Leute die über jede Änderung am Arbeitsplatz meckern, Leute die überall die Bremser sind und nie etwas voran bringen.

  7. 39.

    Propaganda, alles klar, schon hier muss ich lachen, netter Versuch, aber leider ein Schuss ins Leere. Wissen Sie, was Propaganda ist? Ich glaube nicht.

    Das hier ist das reale Leben und Fakten untermauern das Ganze. Realer geht es nicht.

  8. 38.

    Man muss einfach nur die Würde des anderen akzeptieren, das macht den Menschen zum Menschen. Sozialisation. Ganz einfach. Ich habe das schon als Kind gelernt, jeden so zu respektieren, wie er nun einmal ist. Wer rassistisch ist, ist übrigens auch nicht nett zu Behinderten und Homosexuellen, Rassismus, Antisemitismus und der Hass auf Randgruppen ist immer einer Gruppierung zuzuordnen. Diese These ist nicht neu.

  9. 37.

    Wie viele Weiße haben in Deutschland rassistische Übergriffe zur Anzeige gebracht? Ich kann dieses Relativieren und Empörtsein nur als einen kläglichen Versuch verbuchen, wieder einmal den Rassismus, den Menschen tagtäglich erleben müssen, zu relativieren. Der Mut, die Würde des anderen anzuerkennen, fehlt hier. Reflektieren ist eine Möglichkeit, sich selbst zu hinterfragen. Einfach mal ausprobieren.

  10. 36.

    Muss man denn Vielfalt unbedingt lieben und muss man dazu freiwillig gezwungen werden um nicht anzuecken ?

  11. 34.

    Auch Weiße können Rassismus erleben.
    Wer dies bestreitet, ist auch nicht viel besser als diejenigen, die Rassismus gegen Schwarze bestreiten oder bagatellisieren.
    Opfer von Erniedrigung, Übergriffen und Machtungleichgewichten zu werden, davor ist keine Hautfarbe geschützt.
    Daher reagieren z. B. benachteiligte Weiße auch manchmal empfindlich, wenn ihnen ständig struktureller Rassismus vorgeworfen wird.
    Es gibt viele Weiße - so wie ich - die Vielfalt mögen und für die das eine Bereicherung ist, dass Menschen mit anderer Hautfarbe hier leben. Aber ich möchte nicht ständig erzählt bekommen, man sei Teil oder Profiteur eines strukturellen Rassismus.

  12. 32.

    Finanzielle Möglichkeiten sind nun mal endlich.
    Jeder Mensch kann sich auch privat treffen.
    Warum müssen immer für jede spezielle Gruppe Sonderprojekte aus Steuermitteln finanziert werden?
    Wenn dann sollten solche Einrichtungen für alle Menschen sein. Dies würde auch zur Begegnung und Verständigung beitragen.
    Ich habe im Prenzlauer Berg auch kein steuerfinanziertes Café für alteingesessene Berliner.
    Ich bezahle Steuern, aber an den meisten Projekten, wo dieses Geld hingeht, kann ich nicht teilhaben, weil ich nicht die Zielgruppe bin.
    Hier wäre mal ein Café für ALLE eine sinnvolle Idee.
    Egal welche Hautfarbe - egal welches Alter.

  13. 31.

    Warum muss der Steuerzahler immer alles dauerhaft finanzieren? Es sollte stets nur am Anfang eine Anschubfinanzierung geben!

  14. 30.

    Bitte d. Alltags-Rassismus konkret benennen (...im Mietshaus).
    Allgemein-Kommentare sind nicht hilfreich.
    Es wird immer schneller "Rassismus", "Nazi"und"Rechtsextremismus" gerufen. Warum? Um eigenes Fehlverhalten, um d. eigene Forderungs-Mentalität zu verdecken?
    Gern werden auch Sprach-Barrieren benannt...Besser wäre,die Sprache zu lernen u. nach d. Werten des Gast-Landes zu leben. Sich bei d. Arbeit ! kennen-u. schätzen zu lernen.
    Wirklichen Rassismus muss man unterbinden. Straftaten ahnden.

  15. 29.

    Steffen argumentiert hier auch immer so, für ihn sind jene, die Rassismus erleben, hypersensibel. Er sucht die Schuld bei den Opfern. In seinen Kommentaren genau so formuliert, ähnlich ihren.
    Nach dem Motto: Hab dich doch nicht so, du bist viel zu sensibel.
    Wer selbst kein Opfer von Rassismus ist, sollte doch wenigstens den Mut haben, zuzugeben, dass der Rassismus real existiert und dieses Abwerten der Opfer in den Kommentaren unterdrücken, um die Würde anderer nicht zu verletzen. Man muss nicht als jemand, der nie Rassistische Angriffe erlebte, hier noch kundtun, dass der Rassismus, den andere erleben, gar kein Rassismus wäre.

  16. 28.

    Für viele ist es aber auch unverständlich, wenn ein Mann unter dem Nick einer Frau den Rassismus hier anonym verharmlost. Rassismus ist auch, wenn ihn jemand leugnet und behauptet, den gäbe es nicht und eine harmlose Äußerung würde einen zum Rassisten machen. Eine Täter-Opfer-Umkehr.
    Rassismus ist etwas zutiefst verletzendes, in Würde und Gleichberechtigung und das kann verheerende Folgen mit sich bringen, denn Rassismus ist die Entwertung eines Menschen, weil er angeblich nicht zu ihrer Gruppe gehört, andere äußere Merkmale aufweist und man diesen Menschen bewusst abwerten will und das auch tut, anstatt ihn einfach als Menschen zu sehen. Es ist das bewusste beleidigen und abwerten einer Person, die in ihrer Würde gleich ist. Das ist Rassismus.

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