Rostige Riesen - Hobby-Eisenbahner wollen in Falkenberg historische Dampfloks wachküssen
Gut 100 Lokomotiven umfasst eine private Sammlung in Falkenberg. Einige Fahrzeuge sind restauriert, der Großteil der historischen Dampfloks wartet auf die Aufarbeitung. Ein Happy-End aber wird es für die meisten wohl nicht geben. Von Stefan Oberwalleney
Erhaben stehen die alten Dampflokomotiven auf den Gleisen. Aneinandergereiht wie ein endlos langer Zug. Braunroter Rost hat den einst schwarzen Stahl überzogen. Hier und da sind Löcher zu sehen. Pflanzen wuchern zwischen den Rädern, kleine Bäume wachsen in den Tendern, wo einst die Kohle für die Fahrt gebunkert wurde. Die Vergänglichkeit ist allgegenwärtig, aber die rostigen Riesen tragen ihre Patina mit Würde.
Meinen laienhaften Eindruck, "die rosten vor sich hin", korrigiert der Fachkundige dahingehend, dass der sichtbare Rost keine Rolle spiele. "Das sind nur die dünnen Bleche. Die sahen auch vor 20 Jahren schon so aus", erklärt Enrico Forker, einer von insgesamt fünf Hobbyeisenbahnern, die sich in Falkenberg um die Eisenbahnsammlung kümmern.
Worauf es bei den Loks wirklich ankomme, sei der Rahmen. "Dass der rostet, werden wir und auch die nächste Generation nicht erleben", sagt Forker.
Ich staune. Er grinst.
Im Lokschuppen, der so herrlich nach Schrauber-Werkstatt duftet, erklärt mir Enrico Forker, dass er zu den "Nichtnormalen" zähle, deren Hobby alte Lokomotiven sind. Der Mann ist ein wandelndes Lexikon und scheint alle hier versammelten Lokomotiven aus dem FF zu kennen. Als ich bemerke, dass ich als Kind eine Modelleisenbahn hatte, kann er mir anhand der Achsenzahl und des "Vorlaufs" die Modelbezeichnung meiner Dampflok nennen.
Ich staune. Er grinst. Ich frage ihn etwas, er hat die Antwort. Kann man Eisenbahnen leben? Enrico Forker ist die lebende Antwort auch auf diese Frage.
Eine solche Loksammlung gibt es kein zweites Mal
An die 100 Lokomotiven, davon 70 Dampfloks, die anderen Diesel- und E-Fahrzeuge, umfasst die Sammlung. Zusammengetragen hat sie der Bahnenthusiast Bernd Falz, der noch etwa gleichviele Lokomotiven im rheinland-pfälzischen Hermeskeil stehen hat, wo er auch lebt.
Anfang der 1990er Jahre hat er die Lokomotiven der DDR-Reichsbahn abgekauft. Die wollte sie eigentlich verschrotten. Erworben hat der passionierte Loksammler auch gleich das Bahnbetriebswerk oberer Güterbahnhof.
Ab und zu besucht Bernd Falz seine Loks in Falkenberg. Das werde allerdings immer seltener, sagt Enrico Forker. Schließlich sei er mittlerweile in den hohen Achtzigern.
Aber wenn er kommt, dann setzt er sich in den Führerstand seiner "Ludmilla", eine Diesellok russischer Bauart, die im Lokschuppen steht. Dort sitzt er dann mindestens eine Stunde und fährt in Gedanken einfach los, wie Forker erzählt. Noch hat die "Ludmilla" TÜV und könnte tatsächlich fahren, allerdings ist die Lokomotive derart schwer, dass die alten Holzschwellen auf dem Bahngelände das Gewicht kaum mehr halten. Auch an ihnen nagt der Zahn der Zeit.
Die Betriebsfähigkeit ist nicht finanzierbar
So ein Hobby ist eine teure Sache und das liegt weniger an den Ersatzteilen für die alten Lokomotiven, denn die stehen in großer Zahl draußen, als vielmehr an den Kosten für den Betrieb. Wie ein Auto braucht auch eine Lokomotive einen TÜV, um fahren zu dürfen.
Nur dass der TÜV nicht wie beim Auto 150 Euro koste, sondern locker 1,5 Millionen Euro, erklärt Enrico Forker. Eine Summe, die alle Finanzierungsmöglichkeiten der Falkenberger Hobby-Eisenbahner bei Weitem überschreitet. Hochgerechnet auf alle bereits in Stand gesetzten Lokomotiven im Lokschuppen: eine gigantische Summe.
Also werden die Loks in der Freizeit nach Kräften aufgearbeitet, um sie der Nachwelt zu erhalten. Sie werden entrostet, komplettiert und angestrichen. "Mehr geht nicht", sagt Enrico Forker bedauernd. Dass eine der Patina-Lokomotiven draußen auf dem Gelände jemals wieder auf große Fahrt geht, ist wohl ausgeschlossen.
Das Ohr auf dem schwarzen Stahl
Enrico Forker lehnt an einer alten Dampflok der Baureihe 52. Kenner wissen damit etwas anzufangen, allen anderen sei gesagt, dass es Lokomotiven sind, die in den 1940er Jahren gebaut wurden und noch lange bei der Reichsbahn der DDR im Einsatz waren.
"So eine Dampflokomotive lebt", sagt Enrico Forker mit tiefer Überzeugung, "auch wenn sie steht. Du hörst sie atmen. Du spürst ihre Wärme. Da ist Leben drin".
In einem unbeobachteten Moment schmiege ich kurz mein Ohr an den schwarzen Stahl. Die riesige Lokomotive ist leicht schmierig, aber atmen höre ich sie nicht. Wahrscheinlich bleibt das Hobby-Eisenbahnern wie Enrico Forker vorbehalten.
Schraubenschlüssel Größe 120
Als er mir erklärt, dass das Dampflokhobby eine Droge sei, glaube ich ihm das sofort. "Du wirst nicht krank, aber süchtig", sagt er. Das erscheint mir logisch, denn anders ist es wohl nicht zu erklären, dass Menschen praktisch ihre gesamte Freizeit in einem Lokschuppen verbringen und mit Mammut-Schraubenschlüssel der Größe 120 hantieren.
Hobby-Eisenbahner seien wie eine große Familie, bemerkt Enrico Forker. Manchmal kämen Anfragen von anderen Eisenbahn-Vereinen. Dann tauschten die Falkenberger Teile und freuten sich, wenn wieder eine alte Lokomotive auf einer Veranstaltung fahre. "Dann kannst du sagen, wir haben etwas dazu beigetragen", schwärmt er. "Das ist mehr Lohn, als wenn du Geld in die Hand bekommst."
"Wir hatten auch schon Nackte hier"
Die wunderschönen Dampflokomotiven für die Nachwelt zu erhalten, darum geht es ihm und seinen Mitstreitern. Offizielle Öffnungszeiten gibt es bei der Loksammlung in Falkenberg nicht, aber wenn jemand einen Besuch plant, dann freuen sind die Hobby-Eisenbahner und bieten gern auch Führungen an.
Immer wieder kommen dann auch Nerds vorbei, die Seriennummern abgleichen und fragen, warum diese Achse an jener Eisenbahn eingesetzt worden ist. Andere benutzen die rostigen Riesen als Kulissen.
Jüngst hatte eine Frau einen Strick um den Hals und hing an dem großen Kohlespender auf dem Gelände, was die Hobby-Eisenbahner kurzzeitig in Panik versetzte, glaubten sie an einen Suizid. Zum Glück stellte sich heraus, dass die Frau auf einer Schaukel saß und der Strick um den Hals keine tragende Wirkung hatte. Ihr filmender Partner war kurz in den Büschen.
"Geht nicht - gibt’s nicht", sagt Enrico Forker, dem auch schon Nackte auf dem Gelände begegnet sind. Die hätten sich vor den Eisenbahnen fotografiert.
Kein Schrottplatz, sondern Technikgeschichte
So leicht bringt den Mann nichts aus der Ruhe. Was ihn aber wirklich nervt, sind Menschen, die im Internet den Sinn der Sammlung diskutieren und glauben, den Falkenberger Hobby-Eisenbahnern etwas vorschreiben zu können, wie er erzählt. Vereinzelt lese er Kommentare im Internet, die sagten: Das ist Schrott und soll weg.
"Die Sammlung ist Privatbesitz und was damit geschieht, entscheiden allein der Besitzer und die, die die Dinge betreuen und sich einen Kopp drüber machen", sagt Enrico Forker. "Das ist ausreichend."
Und ein Schrottplatz sei das hier schon gar nicht, sondern ein Stück Technikgeschichte. "Stell dir vor, dass das Zeug weg ist", sagt er, "dann würden die Besserwisser hinterher jammern und könnten zu Aldi gehen und sagen, dass die Raviolidose mal ne Dampflok war. Das bringt dann aber auch nichts mehr."