Erschossene Lehrerin - Urteil im A9-Mordprozess wird am Freitag verkündet

Do 19.09.24 | 14:38 Uhr | Von Lisa Steger
Das Justizzentrum Potsdam, in dem sich auch das Landgericht befindet. (Quelle: dpa/Christoph Soeder)
Bild: dpa/Christoph Soeder

Am 10. Mai 2023 wurde Carolin G. aus Niemegk erschossen in ihrem Auto an der A9 gefunden. Seit Januar läuft der Prozess gegen ihren Ex-Partner und dessen Schulfreund. Am Freitag wird das Urteil verkündet. Von Lisa Steger

Es ist ein besonderer Prozess, der am Freitag am Landgericht Potsdam nach neun Monaten zu Ende geht. 35 Verhandlungstage, 180 Zeugenaussagen – trotzdem wird wohl einiges ungeklärt bleiben, was den Tod von Carolin G. aus Niemegk betrifft, die am 10. Mai 2023 erschossen am Steuer ihres Autos gefunden wurde - auf dem Standstreifen der Autobahn A9 zwischen Brück und Beelitz.

Das Interesse an dem Prozess war riesig: Kollegen, Nachbarn und Freunde der Lehrerin verfolgten ihn, viele von ihnen sichtlich bewegt. Angeklagt sind Carolin G.s Ex-Partner und dessen Schulfreund - wegen gemeinschaftlichen Mordes.

Krieg um ein Kind

Was man sicher weiß: Der jetzt 42 Jahre alte Björn R. aus Berlin-Zehlendorf, ein Kleinunternehmer, der Baudienstleistungen anbietet, lag mit der Lehrerin Carolin G. in einem Sorgerechtsstreit um den im Februar 2021 geborenen Sohn. Die beiden waren erst kurz liiert, als sich Nachwuchs ankündigte. Kurz nach der Geburt des Jungen trennte sich das Paar. Ein Gericht sprach dem Vater das Kind zu, doch die Mutter sollte das Kind abholen und Zeit mit ihm verbringen dürfen.

Folgt man der Anklagebehörde, so war dies Björn R. schon zu viel. Er wollte Carolin G. ganz und gar aus dem Leben des Kindes verbannen – so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Daher soll er seinen früheren Klassenkameraden aus der Waldorfschule, den jetzt 43 Jahre alten Benjamin K., mit dem Mord beauftragt haben.

K. ist aufgrund einer Chromosomenanomalie, dem Klinefelter-Syndrom, Frührentner. Er leidet an Rückenproblemen und hat laut einem Gutachten einen sehr geringen Intelligenzquotienten.

Benjamin K. soll am Nachmittag des 10. Mai 2023 mit einem Auto den Wagen der Frau gerammt haben, um sie, als sie zum Halten gekommen war, aus nächster Nähe zu erschießen. Das folgt laut Anklage aus den Verletzungen des Opfers, aus den Spuren am Unfallauto und daraus, dass Björn R. laut Zeugen eine 9-Millimeter-Pistole besessen haben soll - dieses Kaliber wurde auch für die Tat verwendet.

Komplizierte Beweisaufnahme

Bis heute fehlt die Tatwaffe. Es gibt keine DNA-Spuren des mutmaßlichen Schützen am Auto oder am Opfer. Auch hat keiner von beiden ein Geständnis abgelegt. Björn R. ließ, als sich der Prozess gen Ende neigte, seinen Verteidiger Axel Weimann eine Erklärung verlesen. Darin bezichtigt Björn R. den anderen Angeklagten: Dieser habe die Tat aus eigenem Antrieb begangen. Weil er Carolin G. für eine schlechte Mutter gehalten habe. Er, der Kindsvater, habe nichts damit zu tun.

Benjamin K. indes bestreitet, der Schütze gewesen zu sein. Er sei dazu auch gesundheitlich nicht in der Lage. Wegen seiner Krankheiten könne er weder lange sitzen noch schnell laufen.

Die Verteidiger beider Männer haben auf Freispruch plädiert. Die vorgelegten Beweise und Zeugenaussagen reichen aus ihrer Sicht nicht für eine Verurteilung aus. Zum Schluss des Verhandlungstages ergriffen auch die Angeklagten das Wort und bestritten die Tat.

Indizien wiegen schwer

Staatsanwältin Maria Stiller hat für beide Angeklagten eine lebenslange Haftstrafe beantragt und will auch, dass das Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellt. Denn sie sieht gleich drei Mordmerkmale erfüllt: Heimtücke, weil der Schütze die Arg- und Wehrlosigkeit der Frau ausgenutzt habe, niedrige Beweggründe und Habgier: Denn Carolin G. hatte Ersparnisse, der Sohn ist Alleinerbe. Wenn die Strafkammer wegen Mordes verurteilt und ebenfalls von einer besonderen Schwere der Schuld ausgeht, hätten die Männer kaum eine Chance, nach 15 Jahren freizukommen.

Eine Vielzahl von Indizien belastet die beiden Angeklagten. Der mutmaßliche Schütze Benjamin K. musste gleich zu Beginn einräumen, dass er Carolin G. über Wochen beschattet hatte – mit einem Auto, das laut Anklage Björn R. gekauft hatte, stand er vor ihrer Wohnung in Niemegk und vor der Kita des Kindes in Dahnsdorf in Potsdam-Mittelmark. 15 Mal war das Handy des mutmaßlichen Schützen dort eingeloggt.

Und: Wenige Tage nach dem Tod der Lehrerin kaufte Benjamin K. ein Wohnmobil, zahlte 11.500 Euro in bar und fuhr damit nach Italien. Das Geld habe er sich von Björn R. geliehen, sagte Benjamin K. aus. Über ein Alibi für die Tatzeit verfügt Benjamin K. nicht.

Unfallwagen "abgefackelt"

Der mutmaßliche Todesschütze gab auch zu, dass er den Opel Vectra, mit dem das Auto von Carolin G. gerammt wurde, im Sommer 2023 in Berlin-Buch in Brand setzte, nachdem er zuvor die Nummernschilder abgeschraubt hatte: "Ich sollte das Auto einfach abfackeln", das habe Björn R. befohlen. Dass es der Unfallwagen war, hat ein Gutachter bestätigt.

Eine Schlüsselszene in diesem Prozess war der Auftritt einer Zeugin, die am 10. Mai 2023 am Tatort vorbeigefahren war. Sie erkannte Benjamin K. nicht. Sie erinnerte sich, einen großen, dünnen Mann am Tatort gesehen zu haben. Ob es der Angeklagte war, konnte sie nicht sagen. Dennoch zitterte Benjamin K. während ihrer Aussage am ganzen Leib.

Carolin G. floh ins Frauenhaus

Auch für Björn R. sieht es nicht gut aus. Im Prozess verlas der Richter WhatsApp-Nachrichten der beiden Angeklagten. Der Kindsvater schrieb: Der Schulfreund sollte jemanden suchen, der die Frau, so wörtlich, "beseitigt". Und der andere versprach, sich umzuhören. Nach einem Haushaltsunfall des Kindes, für den Björn R. seine Ex-Partnerin verantwortlich machte, schrieb er dem Freund: Wenn er dabei gewesen wäre, "dann würden jetzt die Regenwürmer an ihr nagen".

Der heute 42-Jährige hatte Carolin G. mehrfach mit dem Tode bedroht, sie lebte zeitweise im Frauenhaus. Die dortige Betreuerin sagte als Zeugin aus, dass der Kindsvater Carolin G. einen tödlichen Autounfall gewünscht habe. Das habe ihr die junge Mutter völlig aufgelöst erzählt.

Zeugin belastet Björn G.

Eine Frau, die 2023 kurz mit dem Zehlendorfer Kleinunternehmer liiert war, hatte sich an die Polizei gewandt, nachdem sie von der Ermordung der Lehrerin aus den Medien erfahren hatte. Im Gericht erklärte sie, Björn R. habe Carolin G. in Kurznachrichten verflucht und zum Beispiel geschrieben: "Sie muss weg."Und: Er werde mit Ihr "kurzen Prozess" machen.

Der Zeugin habe er von einem Auto erzählt, das er gekauft habe. Was er mit dem Auto wollte, habe er nicht gesagt. Einen Kaufvertrag für das Auto gab es nicht, der Autoverkäufer erkannte jedoch vor Gericht sowohl Björn R. als auch Benjamin K. als Käufer wieder.

Als Zeuge vernommen wurde auch ein Strafgefangener, der zeitweise mit Björn R. während dessen Untersuchungshaft zusammen im Gefängnis war. Ihm zufolge hatte Björn R. sich damit gebrüstet, dass er dem Schulfreund die Tat angehängt habe - und dieser so naiv gewesen sei, sich darauf einzulassen.

Viele Verhandlungstage waren schwer zu ertragen. So etwa die Aussage des Polizisten, der Björn R. kurz nach der Tat zuhause aufgesucht und ihn anschließend in der Wache vernommen hatte. Völlig unbewegt sei Björn R. gewesen; er habe sich nicht einmal nach der Todesursache erkundigt. Nach ein paar Stunden sei es ihm zu viel geworden. Ob er gehen könne? Er müsse schließlich am nächsten Tag arbeiten.

Manche Fragen bleiben offen

Sollten sich die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft bestätigen, so wäre es einer der bedrückendsten Kriminalfälle der letzten Jahre in Brandenburg. Erschütternd das Missverhältnis zwischen Anlass und Folge: Ein Beziehungskonflikt, wie ihn viele Menschen kennen – und die Folge ist ein Auftragsmord. Bestürzend auch die Kaltblütigkeit, mit der die Tat – wenn es denn so war – über Wochen geplant wurde, ohne dass einer der Männer zur Besinnung gekommen wäre.

Doch warum? Die Familiendynamik erklärt es nur zum Teil. Chatnachrichten belegen: Nach der Trennung redete nicht nur die Mutter des angeklagten Ex-Partners Carolin G. schlecht und sprach ihr die Erziehungsfähigkeit ab, sondern auch deren eigene Mutter. Sie gab dem Kindsvater Tipps, wie er das alleinige Sorgerecht bekommen könne: "Wir werden alles tun, um zu zeigen, dass du ein guter Vater bist", schrieb sie ihm.

Sein ganzes Umfeld bestärkte R. in dem Glauben, dass ihm, und nur ihm, das Kind zustehe. Die Mutter – ein Störfaktor. Björn R., der Vater, der mit über 40 Jahren noch mit den Eltern in einem Haus wohnt, nimmt es dankbar auf. Doch gibt man deshalb einen Mord in Auftrag?

Noch rätselhafter ist der zweite Angeklagte. Hat er tatsächlich eine lebenslange Strafe riskiert, nur um seinem Schulfreund im Rosenkrieg zu helfen? Und hat er angenommen, das komme nicht heraus?

Auch kurz vor dem Urteil sind noch manche Fragen offen. Es kann sein, dass sie nie beantwortet werden.

Sendung: Antenne Brandenburg, 20.09.2024

Beitrag von Lisa Steger

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