Interview | Abriss-Stopp am Jahn-Sportpark - "Gebäudebrüter-Schutz ist nicht 'nice to have', sondern eine gesetzliche Pflicht"
Der Schutz von Spatzen hat den umstrittenen Abriss des Jahn-Sportparks vorerst gestoppt. So hat das Verwaltungsgericht jedenfalls entschieden. Die Entscheidung hat den Nabu Berlin überrascht, sagt Geschäftsführerin Melanie von Orlow.
rbb: Frau von Orlow, was ist das Ungewöhnliche an der Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts, den Abriss des Jahn-Sportparks zu stoppen?
Melanie von Orlow: Es hat uns tatsächlich überrascht, dass das Gericht so radikal und rigoros und - wahrscheinlich auch für den Außenstehenden erst mal unverständlich - einen kompletten Stopp verhängt hat. Denn es ist selten, dass das Thema Artenschutz und Gebäudebrüter so viel Aufmerksamkeit erhält. In den meisten Fällen werden solche Sachen sehr unterschwellig und ohne irgendwelche Verfahren einfach kurzerhand beseitigt, ohne dass es jemals zum Aufschrei kommt. Hier kommt es mal zum Aufschrei und das begrüßen wir grundsätzlich.
Das Gericht schreibt in der Begründung, erstens sei nicht klar, ob die als Ersatz geplanten Sperlingshäuser rechtzeitig vor dem Abriss fertig werden, und zweitens, ob die Häuser wirksam sind. Warum mögen Spatzen diese Häuser nicht?
Das kann man so nicht sagen. Wir haben sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht: Sie können funktionieren, sie können auch nicht funktionieren. Das Problem ist hier einfach schlichtweg, dass der Spatz, auch wenn er in Berlin vielleicht häufig ist, auf der Vorwarnliste steht. Was wir in Berlin haben, darum beneiden uns andere Städte.
Der Sperling ist eine besonders geschützte Art. Das heißt: Für ihn müssen Ersatzmaßnahmen gemacht werden, die auch wirksam sein müssen. Das muss im Zweifelsfall auch der Bauherr belegen - und zwar im Vorfeld. Da hapert es leider sehr oft in Berlin. Wir hatten früher bereits versucht, dass mehr Gebäudebrüterschutz in die Baugesetzgebung kommt. Es wurde alles wieder rausgenommen - mit den Worten, die Architekten kennen und wissen das. Wir müssen leider feststellen: Nein, sie wissen es offensichtlich nicht. Selbst bei so einem großen Millionenprojekt hat hier wieder mal die ganze Planung versagt.
Das heißt also, diese Sperlingshäuser müssten erst mal aufgebaut werden. Dann müsste man gucken, ob die Spatzen, die am Jahn-Sportpark gebrütet haben, umziehen und auch annehmen?
Das wäre eine Möglichkeit gewesen. Der Bauherr hätte nachweisen können, dass diese Ersatz-Nisthilfen funktionieren. Das ist hier unterblieben und damit muss jetzt der Bauherr mit den Konsequenzen leben. Es bleibt abzuwarten, ob nicht noch eine zweite Instanz vielleicht anders darüber entscheidet. Aber im ersten Schritt ist es einfach erst mal ein Hinweis, der - wie ich finde - in ganz Berlin mal hoffentlich auf offene Ohren stoßen sollte.
Gebäudebrüterschutz ist nicht 'nice to have', sondern eine gesetzliche Pflicht, die bundesweit gleichermaßen geregelt ist. Bauherren können sich in Berlin problemlos beraten lassen. Wir helfen gerne dabei, solchen Problemen, wie wir sie jetzt hier haben, vorzubeugen.
Kann man im Privatbereich auch den Nachbarn anzeigen, der in der Brutzeit die Fluglöcher der Spatzen abdichtet?
Ja, das sollte man natürlich auf jeden Fall. Aber noch besser ist es, wenn man erst mal nebenan klingelt und ihn darum bittet, vielleicht die Sperre rauszunehmen. Denn: Wenn dort nämlich schon Junge drin sind, ist das ein Verstoß gegen das Tierschutzrecht.
Es ist aber auch so, dass Gebäudebrüter, selbst wenn sie ihren Platz im Winter nicht belegen und dort nicht brüten, im nächsten Jahr im Regelfall wieder da sind. Sie nutzen die gleichen Stellen immer wieder, und man ist - nach Artenschutzrecht - gesetzlich verpflichtet, diese Stellen zu erhalten. Wo es nicht geht, weil ich zum Beispiel die Wärmedämmung mache - das wollen wir ja auch alle -, kann man dafür Nistkästen anbringen. Das ist gar kein Problem. Die müssen auch nicht an der gleichen Stelle liegen, wenn das jetzt optisch oder vielleicht wegen anderen Problemen nicht passt an der Stelle. Aber es ist möglich.
Und: Es muss gemacht werden. Und es ist wirklich kein großer Kostenfaktor. Es wird gerne behauptet, dass es den Bauherrn in den Ruin bringt. Ich kann Ihnen sagen, bei den Bausummen sind das Kosten von unter einem Prozent.
Berlin gilt als Hauptstadt der Spatzen. 190.000 Spatzenpaare sollen hier leben. Fallen diese 94 Nester aus dem Jahn-Sportpark vom Artenschutz her überhaupt ins Gewicht?
Ich kann nur sagen: Die Summe macht's. Das ist nur die Spitze des Eisbergs, die wir jetzt gerade gesehen haben. Sie wissen gar nicht, wie wahnsinnig viele Anrufe wir jedes Jahr kriegen zu Bauvorhaben, die irgendwo in der Stadt laufen, wo kein Mensch informiert wird, keiner involviert ist, wo Mauersegler teilweise mit samt Brut einbetoniert werden. Das ist teilweise dramatisch, was da läuft. Da muss man einfach auch mal sagen: Halt, stopp. Wir haben die Spatzen in Berlin ja auch nur, weil wir sie geschützt haben. Gehen Sie mal nach Hamburg, da werden Sie suchen müssen, bis Sie die Sperlinge finden.
Welche Strafe steht denn auf die Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorschriften zum Schutz dieser gebäudebrütenden Arten?
Das können schon einige zehntausende Euro werden - sofern es, wie gesagt, jemanden gibt, der es meldet, und eine Behörde, die es auch verfolgt. Und das ist leider der Punkt: Da erleben wir sehr unterschiedliche Aktivitäten bei den einzelnen Bezirken. Das wird normalerweise bezirklich verfolgt. Manche Bezirke sind da sehr vorbildlich. Andere Bezirke, das muss man leider sagen, muss man ein bisschen zum Erfolg tragen. Oft reagieren sie nicht. Das liegt sicherlich auch an Überlastungen, die die teilweise haben. Da ist aber auf jeden Fall viel Handlungsdefizit.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Melanie von Orlow führte Irina Grabowski für rbb24 Inforadio.
Der Text ist eine redaktionell bearbeitete Fassung. Das Gespräch können Sie auch oben im Audio-Player nachhören.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.11.2024, 15:25 Uhr