Mieterverein Berlin stellt Konzept vor - Sanieren statt Abreißen
"Bauen, bauen, bauen" - ein Mantra, das sich Politiker gern auf die Fahne schreiben. Doch bauen heißt nicht gleich neuen Wohnraum schaffen. Vor allem, wenn an der Stelle des zu errichtenden Neubaus ein altes Wohnhaus weichen muss. Von Efthymis Angeloudis
Nur gut 53 Jahre ist das Wohnhaus in der Charlottenburger Schlüterstraße 44 alt. 1969 erbaut, soll nun Bauschutt daraus werden. In bester Lage zwischen Kurfürstendamm und Lietzenburger Straße unweit des Olivaer Platzes soll stattdessen ein neues Büro- und Geschäftshaus entstehen. Dabei ist das Haus in keinem schlechten Zustand und ist 2012 strangsaniert worden. Der Grund: Es sei nicht rentabel, das mit öffentlichen Mitteln gebaute Wohnhaus zu sanieren. Die Wiederherstellungskosten eines einfachen Wohnstandards würden die Mieteinnahmen in den nächsten zehn Jahren übersteigen, heißt es in einem Gutachten.
Diesem Trend, noch relativ junge Gebäude abzureißen, um sie durch Neubauten zu ersetzen, möchte der Berliner Mieterverein (BMV) entgegenwirken. Am Mittwoch hat der BMV in einer Pressekonferenz Vorschläge präsentiert, wie mittels Zweckentfremdungsrecht und Bauordnung der Abriss von leistbarem Wohnraum deutlich erschwert werden könnte. "Damit möchten wir die eingeläuteten Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus um ein wichtiges stadtpolitisches Thema erweitern", so BMV-Geschäftsführer Sebastian Bartels.
BMV: Abriss ist keine Ausnahme
Um das zu erreichen, müsste laut BMV die Rentierlichkeit einer Sanierung bei einem Zeitraum von mindestens 20 Jahren statt der bisher berechneten 10 Jahre ansetzen und bei einer Genehmigung eines Abrisses Ersatzwohnraum für die Bewohner entstehen. Der BMV kritisierte dabei die rot-grün-rote Koalition: Sie habe es versäumt, sich mit diesem Thema im vergangenen Jahr befasst zu haben.
Abrissgenehmigungen seien in Bezirken seit langem keine Ausnahme: "Es geht nicht nur um sprichwörtliches Verpulvern grauer, seit Jahrzehnten in Zement und Steine gebundener Energie, sondern um das Herauskaufen zigtausender Menschen. Sie werden von Investoren mit ein paar tausend Euro aus ihren Wohnungen herausgelockt", beklagt Bartels und fordert: "Abriss muss nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus sozialen Gründen so weit wie möglich verhindert werden".
Charlottenburg-Wilmersdorf auf dem ersten Platz
2021 sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bundesweit rund 14.000 Gebäude abgerissen worden, obwohl Wohnraum vielerorts knapp ist - und obwohl der Neubau mehr Ressourcen verschlingt und CO2-Emissionen verursacht als die Sanierung bestehender Gebäude. Wahrscheinlich ist die Zahl sogar noch höher, denn in Deutschland braucht man – abgesehen von Berlin – keine Genehmigung, um Gebäude abzureißen.
Doch auch in der Hauptstadt sei das Genehmigungsverfahren keine wirkliche Hürde für Investoren. Von 2018 bis 2021 wurden berlinweit mindestens 63 Prozent aller Anträge genehmigt. Besonders häufig wurden Abrissgenehmigungen in Charlottenburg-Wilmersdorf erteilt, das bezüglich der Antragszahl 2018 und 2019 den ersten und 2020 den zweiten Platz einnimmt. 2019 und 2020 wurden im Bezirk immerhin mehr als die Hälfte der Anträge genehmigt.
Bezirk: Abriss nur bei Ersatzwohnraum
"Charlottenburg-Wilmersdorf ist ein Bezirk, der generell über viele Bebauungen verfügt, da er sich in einer attraktiven Innenlage befindet und historisch gesehen die sogenannte City-West war", sagte eine Sprecherin des Bezirkstadtats Arne Herz (CDU) rbb|24. "Der Bezirk hat dementsprechend auch viele Anträge auf Abriss, damit neue und moderne Gebäude entstehen können." Die Abrissanträge seien aber nur dann zu genehmigen, "wenn entsprechender Ersatzwohnraum angeboten wird". "Wenn der Eigentümer ein bewohnbares Wohngebäude abreißen möchte und hierfür jedoch entsprechenden Ersatzwohnraum erstellt und dem Wohnungsmarkt anbietet, so darf die Genehmigung nicht verwehrt werden", sagte die Sprecherin weiter.
Das treffe nicht zu, teilte der BMV in seiner Pressekonferenz am Mittwoch mit. In vielen Fällen genehmigten die Bezirksämter die Abrisse sogar ohne Auflagen. Die Folge: Es muss weder ein Ersatzwohnhaus entstehen, noch Wohnraum zu einer leistbaren Miete. Es kann Gewerbe entstehen – wie im Fall der Schlüterstraße 44.
Grüne fordern Abrissverbot für Wohnraum
Die Sprecherin für Wohnen und Mieten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Katrin Schmidberger, begrüßte den Vorstoß des BMV. "Es kann nicht sein, dass intakte Wohnhäuser abgerissen werden, um mit den Grundstücken Spekulation zu betreiben. Die Vorschläge des Berliner Mietervereins zeigen wichtige Bausteine für eine sinnvolle Reform auf, um die Missstände zu beseitigen."
Dahingehende Maßnahmen sollen im Koalitionsvertrag längst verabredet worden sein. "Da der Stadtentwicklungssenator seinen Fokus nur auf Neubau gelegt hat, ist die Bilanz bisher allerdings nüchtern", sagte Schmidberger adressiert an Andreas Geisel (SPD). "Wir fordern ein faktisches Abrissverbot für Wohnraum."
Sendung: Abendschau, 11.01.2023, 19:30 Uhr