Offene Stellen an Berliner Schulen - Ungleicher Wettbewerb um Lehrerinnen und Lehrer
Im neuen Schuljahr werden voraussichtlich 1.500 Berliner Lehrerstellen unbesetzt sein, rechnerisch zwei pro Schule. Schulleiter schildern ihre Erfahrung: Der Lehrermangel betrifft sie unterschiedlich stark. Von Kirsten Buchmann und Leonie Schwarzer
- Brennpunktschulen mangelt es an Lehrkräften
- Förderbedarfe können kaum erfüllt werden
- Opposition kritisiert Kippen der 96-Prozent-Regel
"It was such a great time at our primary school", rufen fünf Schülerinnen der sechsten Klasse und halten Plakate hoch. Sie stehen vor ihrer Klasse und üben für ihre Abschluss-Aufführung. Denn: Es sind für sie die letzten Tage an der Bruno-H.-Bürgel-Grundschule in Berlin-Lichtenrade.
Für Eliza Bünger geht es nach den Sommerferien aufs Gymnasium. "Es hat sehr viel Spaß gemacht, in dieser Klasse zu lernen", sagt die Schülerin mit den Sommersprossen rückblickend, "es sind nicht oft Stunden ausgefallen, es war eigentlich immer wie geplant." Ihre Klassenkameradin Emilia Klette stimmt ihr zu: "Lehrermangel gibt es eigentlich nicht an unserer Schule."
Das passt zu dem, wie Schulleiter Jens Otte die Situation schildert: Es gebe genügend Bewerberinnen und Bewerber, viele Förderangebote an seiner Schule. Doch woran liegt das? Otte vermutet: auch an der Stimmung in der Schule. Es werde viel dafür getan, dass sich die Lehrkräfte wohlfühlen. Doch daneben spielt auch die Lage eine Rolle: Zwar liegt Lichtenrade nicht innerhalb des S-Bahn-Rings, aber: "Das hier ist eine problemarme Schule am Stadtrand" – und nicht die Schule im Brennpunkt.
Weniger Förderangebote
Ganz anders ist die Situation etwa 25 Kilometer weiter, ganz im Westen Berlins, an der Christian-Morgenstern-Grundschule in Spandau. Schulleiterin Karina Jehniche blättert besorgt durch die Pläne fürs kommende Schuljahr. Sie habe bis jetzt nur 88 Prozent der Stellen besetzt, es fehlen dementsprechend fünf bis sechs Lehrkräfte.
Darunter leide nicht der Regelunterricht, also Deutsch oder Mathe. "Alles, was den Kindern zusätzlich zur Verfügung stehen sollte, wie Sprachförderung und Förderangebote, kann ich nur zu einem geringen Teil abdecken", so die Schulleiterin.
Dabei wären die Förderangebote für ihre Schülerinnen und Schüler wichtig, denn die Schule liege mitten in einem sozialen Brennpunktgebiet. "Meine Schülerschaft setzt sich zu 90 Prozent aus Kindern zusammen, die aus Familien mit Migrationsgeschichte kommen", sagt Jehniche. Die Kinder hätten einen Nachholbedarf bei der Sprachförderung – und Förderbedarf auch in vielen anderen Bereichen.
Ein Großteil der Eltern beziehe außerdem Transferleistungen, die Familien bräuchten Unterstützung. "Wenn wir diesen Kindern in der Schule die Unterstützung nicht geben, dann bedeutet das: Ihre Bildungschancen sind schon von der ersten Klasse an wesentlich schlechter als in vergleichbaren Schulen in anderen Stadtbezirken."
Neue Senatorin will auf Anreize setzen
Um diesem Ungleichgewicht in den Bezirken entgegenzuwirken, hatte die vorherige Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) eine Regelung auf den Weg gebracht: Schulen durften demnach nur etwa 96 Prozent der Stellen besetzen. Die Idee dahinter: Lehrkräfte, die an beliebten Schulen abgewiesen werden, bewerben sich dann an weniger beliebten Schulen – und dadurch wird die Situation insgesamt gerechter.
Als eine ihrer ersten Amtshandlungen kippte Busses Nachfolgerin, Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU), diese Regelung wieder. Sie setzt stattdessen auf andere Wege. "Wir wollen über Anreizsysteme arbeiten", so die Senatorin, "und wir wollen schon früher in der Lehramtsausbildung steuern." Welche Anreize genau in Frage kommen, werde derzeit noch geprüft.
Kritik an dem Kurs der Senatorin kommt aus der Opposition. Die bildungspolitische Sprecherin der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, Franziska Brychcy, sagt, das Ende der 96-Prozent-Regelung verschärfe die ungleiche Situation an den Schulen noch. Sie fordert, dass durch ein zentrales Bewerbungsverfahren "die Kolleginnen an den Schulen eingestellt werden, wo der größte Mangel besteht."
Unterrichtshilfen und Assistenten
Den Lehrkräftemangel spürt die Schulleiterin Karina Jehniche an ihrer Spandauer Schule. Zwei Interessentinnen, die zum Gespräch da waren, sprangen später wieder ab, wie sie erzählt. Jehniche, auch Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen, führt das auf das Ende der 96-Prozent-Steuerung zurück. Mit dieser Regelung habe sie den Eindruck gehabt, "dass man Bewerberinnen in die Randbezirke bekommen hat. Die Steuerung mitten im Bewerbungsverfahren aufzuheben, war fatal."
Ganz anderer Meinung ist Jens Otte, der Schulleiter der Bruno-H.-Bürgel-Grundschule in Lichtenrade. Er findet es "sehr gut, dass die Schulen wieder zu 100 Prozent ausgestattet werden dürfen."
An der Christian-Morgenstern-Grundschule ist Karina Jehniche von einer 100-Prozent-Ausstattung weit entfernt. 140 Stunden pro Woche kann sie nicht durch Lehrkräfte besetzen, sagte sie und zeigt auf ihre Pläne. Schließen will sie die Lücke mit pädagogischen Unterrichtshilfen sowie einer pädagogischen Assistenz. Allerdings können die aus ihrer Sicht nicht dasselbe leisten wie Lehrkräfte.
Eine Übergangslösung, die aber wohl noch lange Zeit bestehen bleiben wird. Denn es wird dauern, bis mehr voll ausgebildete Bewerber von den Universitäten und an ihre Schule kommen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.06.2023, 15:00 Uhr