Zusätzliche Kredite - Berlin will fünf Milliarden Euro zusätzlich in Klimaschutz investieren
Mit einem Haushalt neben dem Haushalt will der Senat mehr für den Klimaschutz tun. Was sich einfach anhört, ist wegen der Schuldenbremse rechtlich kompliziert. Doch Schwarz-Rot glaubt, einen Weg gefunden zu haben. Von Jan Menzel
Eindeutiger als im Grundgesetz geht es kaum. "Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen", steht in Artikel 109 in schönster Schnörkellosigkeit. Allerdings gilt auch hier: Keine Regel ohne Ausnahme. So dürfen auch große Kredite sehr wohl aufgenommen werden, wenn Naturkatastrophen, eine Rezession oder unverschuldete Notlagen das Land treffen.
Anders ausgedrückt: Wer die Schuldenbremse ausbremsen will, braucht gute Gründe. Der Bund etwa hat das sogenannte Sondervermögen über 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr mit dem Argument aufgelegt, dass sich die Sicherheitslage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine radikal verändert hat. Der Berliner Senat will mit seinem Sondervermögen "Klimaschutz" auf Nummer sicher gehen. Deshalb gibt es eine doppelte Begründung für diesen Extra-Haushalt.
Senat will in der Klimakrise nicht warten
Den wissenschaftlich belegten Klimawandel heranzuziehen, liegt dabei nahe. Schon 2021 erklärte der damalige Senat die Klimanotlage für Berlin. In einer viel beachteten Entscheidung hat das Bundesverfassungsrecht dem Klimaschutz im selben Jahr quasi Grundrechtscharakter verliehen. Darauf baut nun der aktuelle Senat auf. Die massiven Klimaveränderungen würden eine schnelle Reaktion des Staates erfordern. "Zu warten würde nur weiteren Schaden bedeuten", so Finanzsenator Stefan Evers (CDU).
Doch so ganz mag der Senat nicht darauf vertrauen, dass diese eine Notlage reicht - auch wenn vor Gericht gegen den Milliarden-Kredit geklagt werden sollte. Deshalb sollen die stark gestiegenen Energiepreise als weiterer "Auslöser" einer Notlage, auf die das Land reagieren müsse, herangezogen werden. Finanzsenator Evers spricht von einem "tiefgreifenden, äußeren Schock" - ausgelöst durch Ukraine-Krieg, Russland-Sanktionen und explodierte Energiepreise.
Parlament entscheidet über Klima-Milliarden
Voraussetzung für ein rechtssicheres Sondervermögen ist aus Sicht des Senats, dass das Abgeordnetenhaus diese doppelte Notlage formal feststellt. Das Parlament soll überhaupt die Schlüsselrolle bekommen und final entscheiden, wofür das Geld aus dem Sondervermögen ausgegeben wird. Berlin will nicht den Fehler der hessischen Landesregierung wiederholen. Sie hatte seinerzeit ein Corona-Sondervermögen eingerichtet, das später vom Landesverfassungsgericht wegen mangelnder Parlamentsbeteiligung für verfassungswidrig erklärt wurde. In Berlin soll der Hauptausschuss des Parlaments das letzte Wort haben.
So gesehen geht der Senat bei seinem Sondervermögen "Klimaschutz, Resilienz und Transformation" mit Netz und doppeltem Boden zu Werke. Die Bewältigung der umfassenden Notlage sei so gewaltig und so teuer, dass sie nicht einfach aus dem regulären Haushalt bezahlt werden könne, argumentiert der Finanzsenator. Fünf Milliarden Euro müssten für den "engen Zweck" der definierten Notlage verwendet werden. Und es muss für "zusätzliche" Maßnahmen ausgegeben werden, die sonst nicht finanzierbar wären, ist Stefan Evers wichtig zu betonen.
CO2-Einsparung ist das Maß der Dinge
Wo genau in Klimaschutz und Energie-Unabhängigkeit investiert werden soll, ist aber noch weitgehend offen. Konkrete Vorhaben können die Senatsverwaltungen erst anmelden, wenn das Sondervermögen beschlossen ist. Kriterien für die Bewilligung der Mittel sollen die CO2-Einsparung und das Umsetzungs-Tempo der jeweiligen Maßnahme sein. Definiert sind vier große Bereiche, in die das Geld fließen soll. Einer davon ist der Gebäudesektor. Hier könnten energetische Sanierungen von Gebäuden, effiziente Gebäudetechnik oder moderne, weniger CO2- intensive Bauweisen finanziert werden.
Der zweite Bereich ist die Transformation der Energieversorgung und Erzeugung mit Großvorhaben wie dem Umbau der Kraftwerke. Derzeit werden dort überwiegend Kohle und Gas verfeuert. Die Umstellung auf erneuerbare Energien wird Milliarden kosten. Für solche klimafreundlichen Investitionen könnte Geld aus dem Sondervermögen fließen. Für den Rückkauf der "alten" klimaschädlichen Kraftwerks- und Leitungsinfrastruktur hingegen nicht, sagt Finanzsenator Evers.
Drittes Cluster ist mit dem Verkehrssektor eines der Berliner Sorgenkinder mit Blick auf den CO2-Ausstoß. Hier könnten ein besseres Angebot im öffentlichen Nahverkehr, neue Radwege oder die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte von Land und Bezirken laut Evers "denkbare Anwendungsfälle" sein.
Im vierten Cluster will der Senat die Transformation der Wirtschaft hin zu klimafreundlicher Produktion unterstützen.
Straffer Zeitplan, entspannter Tilgungsplan
Der weitere Zeitplan ist straff: Nach den Sommerferien soll das Parlament mit den Beratungen beginnen. Vorgesehen ist auch Experten anzuhören. Berlin kann zudem auf eigene Erfahrungen mit Extra-Haushalten zurückgreifen. Seit neun Jahren gibt es das Siwa/Siwana-Sondervermögen für die wachsende Stadt. Anders als bei Siwa/Siwana soll das Klima-Sondervermögen aber nicht auf einen Schlag mit Geld befüllt werden. Erst wenn konkrete Projekte bewilligt sind, soll der dafür erforderliche Betrag am Kreditmarkt aufgenommen werden. Schluss ist, wenn die fünf Milliarden Euro ausgeschöpft sind.
Der Finanzsenator hofft, dadurch Zinsen zu sparen. Teuer wird das Sondervermögen für die zukünftigen Steuerzahler dennoch. Die Schulden müssen schließlich wieder abgestottert werden. Auch hier machen Grundgesetz und Berliner Schuldenbremsengesetz Vorgaben. Der Senat will mit der Tilgung 2030 beginnen. Bis 2056 sollen die Kredite des Sondervermögens vollständig zurückgezahlt sein.
Sendung: rbb24 Abendschau, 25.07.2023, 19:30 Uhr