Kürzungspläne in Berlin - Sparen an der Gesundheit von Frauen?

Do 31.08.23 | 16:21 Uhr | Von Franziska Hoppen
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Symbolbild: Schwangerschaftsberatung. (Foto: dpa)
Video: rbb24 Abendschau | 31.08.2023 | Franziska Hoppen | Bild: dpa

Der Berliner Senat will Gelder für Schwangerschaftsberatungsstellen kürzen. Die Verbände schlagen Alarm: Schon jetzt fehle es an allen Ecken und Enden. Ratsuchende hätten schon abgewiesen werden müssen. Von Franziska Hoppen

  • Senat will Schwangerschaftsberatungsstellen 1,5 Millionen Euro weniger geben
  • Pro Familia in Schöneberg bangt deshalb um 20 Arbeitsplätze
  • Schon jetzt fehlen in Berlin einige Vollzeitstellen - bei steigendem Beratungsbedarf
  • CDU- und SPD-Fraktion kritisieren die Senatspläne

Sibylle Schreiber fürchtet, demnächst 20 Mitarbeiterinnen entlassen zu müssen. Sie ist Geschäftsführerin des Pro Familia Landesverbands in Berlin-Schöneberg und hat im Entwurf des Berliner Senats für den nächsten Doppelhaushalt 2024/2025 eine fette Kürzung entdeckt: Schwangerschaftsberatungsstellen sollen rund 1,5 Millionen Euro weniger an Zuwendungen des Landes erhalten. Treffen würde das nicht nur Schreibers Mitarbeiterinnen. "Wir mussten letztes Jahr schon 33 Personen pro Woche abweisen", sagt Schreiber, "weil wir so schon keine Termine mehr frei hatten".

Recht auf Beratung

Die Beratungsstellen helfen Frauen, Paaren und Familien bei allen Themen rund um Schwangerschaft und sexuelle Gesundheit. Pro Familia bietet in Schöneberg zum Beispiel Workshops für Schülerinnen und Schüler an, offene Sprechstunden auch für wohnungslose oder geflüchtete Frauen, Ärztinnen können bei Bedarf Spiralen legen, beim Kinderwunsch beraten, und auch finanzielle Unterstützung für Frauen in Not anstoßen sowie Hilfe bei der Wohnungssuche. Und es werden natürlich Beratungen für Schwangere angeboten, die über einen Abbruch nachdenken. Schreiber und ihr Team arbeiten pro Jahr etwa 6.000 solcher Termine ab. Geregelt ist das vom Gesetz: Demnach haben jeder Mann und jede Frau das Recht, sich in Fragen der Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung beraten zu lassen.

Dass der Bedarf in Berlin seit Jahren steigt und das Angebot kaum hinterherkommt, beobachtet auch der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Dachverband der meisten Berliner Beratungsstellen. Allein im ersten Halbjahr 2023 mussten demnach mehr als 1.600 Beratungen aufgrund fehlender Kapazitäten abgesagt werden, davon knapp 600 Beratungen für einen Schwangerschaftsabbruch.

18 Stellen fehlen schon jetzt

Das ist insofern pikant, als dass es einen weiteren klaren gesetzlichen Auftrag gibt: Paragraf 218a des Strafgesetzbuchs regelt, dass Schwangerschaftsabbrüche nur dann legal sind, wenn sie bis zum Ende der 12. Woche erfolgen und die schwangere Person nachweisen kann, dass es vorher eine Beratung gab. Deshalb regelt das Gesetz auch, dass es pro 40.000 Einwohner eine Beraterin oder einen Berater in Vollzeit geben muss. In Berlin fehlen aber jetzt schon 18 Vollzeitstellen, das geht aus einer Antwort der Senatsgesundheitsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage aus dem Januar hervor. Berlin wird also jetzt schon seinem gesetzlichen Auftrag nicht gerecht.

Vor allem für Schwangere, die eine Abtreibung durchführen lassen wollen, verursacht das enormen Zeitdruck. Je später sie einen Termin für eine Beratungsbescheinigung bekommen, desto später bekommen sie einen Termin beim Arzt – oder eben keinen mehr, weil die 12 Wochen verstrichen sind. Und je später ein Schwangerschaftsabbruch stattfindet, desto größer das Risiko für Gesundheit und Psyche.

Kürzungen treffen aber eben nicht nur Schwangere, oder wohnungslose Frauen, oder Paare mit Kinderwunsch, wie Schreiber sagt. Sie träfen eigentlich mindestens die halbe Stadt. Denn jede Frau im gebärfähigen Alter kann jederzeit ungewollt schwanger werden – kein Verhütungsmittel ist zu 100 Prozent sicher. Und statistisch betrachtet werden weniger junge Frauen ungewollt schwanger als Frauen mittleren Alters, die im Zweifel schon Kinder haben, sodass mangelnde Unterstützung auch ganze Familien treffen kann.

"Kürzungen nicht nachvollziehbar"

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat deshalb einen Brandbrief an die Politik verfasst und fordert, dass Berlin endlich den gesetzlich verpflichtenden Versorgungsauftrag erfüllt. Das fordert auch die Opposition: "Kürzungen sind überhaupt nicht nachvollziehbar für uns", sagt Ines Schmidt, frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion mi Abgeordnetenhaus. "Schwarz-Rot kann hier gar nicht kürzen, im Gegenteil, sie müssen aufstocken."

Auch die frauenpolitischen Sprecherinnen der Regierungskoalition geben sich verwundert über die geplanten Kürzungen. "Das lässt sich aus meiner Sicht nicht erklären", sagt Aldona Niemczyk von der CDU. "Die Beratungsstellen sind super existentiell für die betroffenen Frauen. Da darf aus meiner Sicht nicht gespart werden. Niemczyk wolle sich deshalb dafür einsetzen, dass die Kürzungen vom Tisch kommen. Auch Mirjam Golm von der SPD zeigte sich in der rbb24 Abendschau vom Mittwoch irritiert über den Haushaltsentwurf. "Ich bin mir sehr sicher, dass wir diese Lücke schließen können," sagt Golm.

Die "Lücke zu schließen" reiche zumindest Sibylle Schreiber von Pro Familia aber nicht. "Wir fordern seit Jahren mehr Zuwendungen", sagt Schreiber. Die brauche es, um dem gesetzlichen Auftrag wirklich gerecht zu werden.

Zeit für Verhandlungen ist noch. Der Haushaltsentwurf des Senats wird nun in den Ausschüssen weiter diskutiert und voraussichtlich erst im Dezember vom Abgeordnetenhaus beschlossen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 31.08.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Franziska Hoppen

14 Kommentare

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  1. 14.

    Da kann ich nur voll und ganz zustimmen! Schon in den Schulen werden diese Themen in verschiedenen Klassenstufen behandelt. Ich habe das in einem anderen Bundesland jahrelang gemacht.
    Wenn dann spezielle Informationen notwendig sind, können Frauenärzte und Frauenärztinnen weiterhelfen. Sogar entsprechende telefonische Beratungsmöglichkeiten gibt es zu diesem Thema.
    Wenn Frauen mündige Bürgerinnen sind, wissen sie zu verhüten und haben auch noch Kondome für ihren Partner in ihrer Handtasche.

  2. 13.

    Wenn Sie da mal nicht irren (Ausnahmen).
    Leider gibt es auch noch andere "Ausnahmen" ... viel schlimmerer Natur, z.B. Missbrauch in der Ehe

  3. 12.

    Wenn Frau keine Kinder möchte, sollte Sie verhüten. Das nennt man Verantwortung tragen. Es gibt gute Möglichkeiten, eine Schwangerschaft zu verhindern. Eltern, sollen ihre Kinder aufklären. Schule kann auch einen Beitrag leisten.
    Ja, jetzt kommt gleich wieder der Aufschrei, dass Frau trotz Verhütung u.s.w. Aber, das sind Ausnahmen. Da sollte Frau bei der Wahrheit bleiben.
    Und, liebe Männer, es gibt Kondome.

  4. 11.

    Hallo „Volker“, was ist ein Schwangerer? Oder doch besser „die Schwangere:innen“? Ein Dilemma das es nicht geben würde, wenn man, zu recht der offiziellen richtigen Grammatik folgt. Die ist immer neutral, jedes Geschlecht verbergend in der Mehrzahl. (Die Leiter)
    Im Artikel geht man davon aus, dass Frauen es sind, die gebären. Egal wie man sich fühlt.

  5. 10.

    Wieso können denn die Frauen nicht selbst für diese Dienstleistung zahlen? Die Überschrift ist irreführend. Der Senat muss mit unser aller Geld halt haushalten und wenn wir Radwege und ÖPNV-Sozialtickets in Berlin wollen, müssen wir den Euro anderweitig einsparen. Das ist bei uns Zuhause auch so, den Euro kann man nur 1x ausgeben. Schulden auf Kosten der Kinder sollten auf das unbedingte Mindestmaß reduziert bzw. gänzlich vermieden werden,

  6. 9.

    Wer dazu beiträgt, dass Menschen in ungewollter Elternschaft leben, bringt unsägliches Leid hervor!

  7. 8.

    Nicht immer alles so streng hinterfragen, jede Kommune, jede Stadt, jedes Land jedes Ressort muss Geld sparen. Die Streichung von Mitteln ist hierbei nur logische Konsequenz. Ich glaube der Bürgermeister von Kreuzberg oder Neukölln oder so, hat es bei einem Interview gut zusammengefasst. Er hat halt gebundene Mittel wie zb für Personal, Miete, AsylbL etc und kann halt nur dort sparen, was als "Überhang" vorhanden ist. Und das sind wohl meist solche Gelder.

    Grundsätzlich bin ich auch voll dagegen in diesen Bereichen zu sparen. Ich wollte nur kurz zum Ausdruck bringen, dass da keine verdeckte Geburtsteigerung angedacht ist. Denn selbst die CDU sollte wissen, was den (ungewollten) Kindern ab Tag 1 auf dieser Erde passieren kann.

  8. 7.

    Wir brauchen jetzt jeden Euro für die Ukraine. Basta!

  9. 6.

    Das ist so typisch für konservative Politik. Wenn es um die Entrechtung von Frauen geht, sind die Konservativen immer schnell dabei. Durch die Hintertür sollen Abtreibungen eingeschränkt werden - das ist widerlich.

  10. 5.

    Ich kenne mich in dem Metier nicht gut aus, habe allerdings den Eindruck, dass die Tendenz besteht, Kosten der normalen Lebensführung auf den Steuerzahler abzuwälzen.

  11. 4.

    Wer sich gegen ein Kind entscheidet, das sich auf den Weg ins Leben machte, aber gerade nicht in die mütterliche Vita passt, wird im Normalfall immer einen seelischen Konflikt haben - egal ob pro familia die Absolution erteilt. Die Pflicht zur Beratung ist falsch, wenn das Ergebnis vorher besiegelt ist. Ich denke, dass es genügt, wenn ganz junge Schwangere beraten werden, sofern sie das möchten. Eine Frau im mittleren Alter wird selbst wissen, ob sie so spät ein erstes Kind oder noch ein weiteres Kind will, das ihr Enkel sein könnte. Die Entscheidung kann ihr niemand abnehmen und wie es aussieht, ist die Pflicht zur Beratung eine Idee, die auf dem Mist von Männern gewachsen ist. Vielleicht fragt man mal Frauen, was die davon halten, denn die sind überwiegend von Schwangerschaften betroffen.

  12. 3.

    War nicht gestern zu lesen, dass die CDU auf ihrer Klausur beschlossen hat, das "soziale Profil" zu stärken? Ich glaube, da ist noch viel Luft nach oben...

  13. 2.

    Die Hilfen für eine Schwangere oder einen Schwangeren dürfen nicht gekürzt werden! Oder soll die Geburtenrate damit erhöht werden?

  14. 1.

    Wat für eine Heuchelei - „… ‚Das lässt sich aus meiner Sicht nicht erklären’, sagt Aldona Niemczyk von der CDU.“
    Aus meiner Sicht lässt sich das schon erklären. Der Finanzsenator ist von der CDU. Das ist eine von den Parteien, die die Streichung von § 218a nwv verhindern und somit bereit sind, Frauen in Notsituationen zu kriminalisieren! Das wird passieren, wenn der Beratungstermin so spät stattfindet, dass drei Tage Bedenkzeit nicht eingehalten werden können. Und es werden weiterhin ungewollte, ungeliebte Kinder auf dem Abstellgleis landen.

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