Debatte über Fahrsicherheit - Was für und gegen eine Fahrprüfung für Senioren spricht
Die EU-Kommission plant, dass Autofahrer ab 70 ihren Führerschein nur noch jeweils fünf Jahre verlängert bekommen. Dann sollen sie nachweisen, dass sie noch fit genug sind. Der Bundesverkehrsminister lehnt das ab. Welche Alternativen gibt es?
- Um den Führerschein zu verlängern, sollen Senioren laut EU-Entwurf Gesundheits-Check, Selbstauskunft oder Fahrprüfung absolvieren
- Regelung ist Sache der Mitgliedsländer
- Senioren verursachen gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil weniger Verkehrsunfälle, dafür aber schwerere
- In zahlreichen anderen Ländern sind solche Fahrtauglichkeits-Checks bereits Pflicht
Um die Zahl der Toten und Verletzten im Straßenverkehr zu senken, plant die EU-Kommission eine Führerscheinreform. Die soll helfen, die Zahl der Verkehrstoten bis 2030 zu halbieren. Einer von mehreren Bausteinen in dem Entwurf: Menschen ab 70 Jahren sollen alle fünf Jahre nachweisen, dass sie noch fahrtauglich sind, um ihren Führerschein verlängert zu bekommen [tagesschau.de].
Pflicht-Checks für Seniorinnen und Senioren gibt es bereits in vielen anderen Ländern, zum Beispiel der Schweiz, Dänemark, Italien, Tschechien, Finnland und Kanada, auch in manchen Bundesstaaten der USA und Australiens.
Der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) lehnt diese Pläne ab. "Ich will keine verpflichtenden Tauglichkeitsprüfungen für Autofahrer über 70, und ich bin zuversichtlich, dass sich dafür in der EU auch keine Mehrheit finden wird", sagte Wissing vor einigen Tagen den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Wissing argumentiert: Viele ältere Menschen lebten auf dem Land. Für sie sei ein selbstbestimmtes Leben ohne Auto schwer möglich. Das liegt allerdings auch daran, dass der öffentliche Nahverkehr vielerorts dürftig ist und deshalb als Alternative für viele wegfällt - was ebenfalls in Wissings Verantwortungsbereich fällt.
In Berlin Senioren als Unfallverursacher gleichauf mit jungen Erwachsenen
Die EU-Kommission besteht nicht auf verpflichtende Fahrprüfungen: Ob sie eine Verlängerung mit einer Gesundheitskontrolle, einer Selbsteinschätzung, einem Auffrischungskurs oder Fahrprüfungen verknüpfen, will sie den Staaten freistellen. Ob die Mehrheit der EU-Mitglieder für eine Pflicht stimmt, ist völlig offen.
Was die absoluten Zahlen angeht, sind ältere Autofahrer in Deutschland bei Unfällen nicht auffällig: Gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung waren sie laut der Statistiken der vergangenen Jahre insgesamt seltener in Verkehrsunfälle verstrickt als jüngere. Laut des Statistischen Bundesamts waren im Jahr 2021 66.812 Menschen ab 65 Jahren an Unfällen mit Personenschaden beteiligt. Das waren 14,5 Prozent aller Unfallbeteiligten. Der Anteil der Bevölkerung im Alter von 65 Jahren und mehr lag dagegen bei 22,1 Prozent.
In Berlin waren Senioren beim Anteil der Unfallverursacher statistisch gleichauf mit jungen Erwachsenen - mit jeweils zehn und elf Prozent.
Im Durchschnitt weniger weite Strecken am Steuer
Die geringere Unfallbeteiligung dürfte unter anderem daran liegen, dass ältere Menschen im Durchschnitt weniger Kilometer zurücklegen als Jüngere, weil beispielsweise der Weg zur Arbeitsstelle wegfällt, wie es vom Statistischen Bundesamt hieß. Eine Analyse des Vergleichsportal "Check24", dass die Kilometerangaben von Kfz-Versicherten untersuchte, bestätigt das.
"Die über 75-Jährigen fahren oft nur vergleichsweise wenige Kilometer mit dem Auto, außerdem haben viele Frauen in dieser Generation gar keinen Führerschein. In Relation zu den gefahrenen Kilometern ist das Unfallrisiko der Über-75-Jährigen ähnlich hoch wie das in der Hochrisikogruppe der 18- bis 20-Jährigen", sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV).
Schwerere Unfallfolgen
Gleichzeitig waren die Unfälle, die Senioren verursachten, häufig gravierender. Laut Statistischem Bundesamt sind über 75-Jährige an drei von vier Unfällen mit Toten und Verletzten schuld, an denen sie beteiligt sind. Der demographische Wandel wird sich auf das Unfallrisiko auf deutschen Straßen auswirken: Weil immer mehr ältere Menschen im Land leben, steigt der Anteil älterer Autofahrer. In Brandenburg zum Beispiel (siehe unten) ist die Zahl der Unfälle, an denen Senioren und Seniorinnen beteiligt waren zuletzt gestiegen - was aber auch daran liegt, dass mehr Menschen älter werden und länger Auto fahren. Nach wie vor gilt: Wer die Führerscheinprüfung als junger Mensch bestanden hat und nicht später wegen schwerer Verstöße zur MPU muss, dessen Fahrtauglichkeit wird nie wieder überprüft - die Fahrerlaubnis behält man sein Leben lang.
Im Jahr 2014 sprachen sich 150 Experten auf der Verkehrskonferenz "Aging and Safe Mobility" gegen allgemeine, verpflichtende Fahrsicherheitsprüfungen für Senioren aus. Sie argumentierten, "eine Verbesserung der Verkehrssicherheit konnte durch Einführung einer solchen Maßnahme nicht nachgewiesen werden." Tatsächlich ist die aktuelle Studienlage hierbei aber verblüffend dünn, gemessen daran, wie stark der Anteil älterer Autofahrer steigt. Laut der "Generali Altersstudie" hat sich der Anteil 80-85-jähriger Autofahrer in den vergangenen 30 Jahren mehr als verzehnfacht.
In Dänemark braucht man ab 75 Jahren ein Attest vom Arzt
Mit zunehmendem Alter aber nehmen auch Bewegungseinschränkungen, kognitive und andere körperliche Defizite zu, die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt ab. Wer zum Beispiel den Blick über die Schultern nach hinten nicht mehr richtig hinbekommt, weil er den Kopf nicht mehr weit genug drehen kann, erhöht sein Unfallrisiko: Beim Ausscheren, Überholen oder Rechtsabbiegen. Die meisten Unfälle verursachen Senioren an Kreuzungen und Einmündungen. "Senioren im Auto sind eher die Verursacher von Unfällen, als Fußgänger sind sie vielfach diejenigen, die einen Unfall erleiden", sagt Unfallforscher Brockmann.
Er sagt aber auch, genau wie übrigens der ADAC: Es gibt sehr fitte Ältere und gebrechliche jüngere Senioren. Entscheidend für die Fahrsicherheit sei nicht pauschal das Lebensalter, sondern die Fahrerfahrung und der Gesundheitszustand.
Letzterer ließe sich allerdings problemlos durch einen Check beim Arzt nachweisen. In Dänemark etwa müssen Fahrer ab 75 Jahren ein ärztliches Attest vorlegen, um ihren Führerschein zu verlängern.
Rat vom Fahrlehrer anzunehmen, fällt vielen leichter
Zur Verbesserung des Fahrverhaltens älterer Autofahrer spricht sich der Unfallforscher Brockmann für freiwillige sogenannte Rückmeldefahrten mit einem Profi aus, ab dem 75. Lebensjahr - ab dann geht das Unfallrisiko messbar deutlich nach oben.
Die Erfahrung aus eigenen Projekten sei positiv - Fehlerquoten seien auch Monate später noch besser. Das belegt auch eine Untersuchung im Auftrag der UDV: Im Vergleich zu Teilnehmern einer Kontrollgruppe, die nach der Fahrt kein qualifiziertes Feedback durch Fahrlehrer bekamen, begingen die älteren Probanden - erwartungsgemäß - bereits bei der zweiten Testfahrt deutlich weniger Fahrfehler [udv.de].
Solche "Fahr-Fitness-Checks" bieten beispielsweise der ADAC [adac.de] und die Dekra [dekra.de] jährlich an, samt direktem Feedback und Urkunde hinterher. Der Fahrlehrer kann dann empfehlen, Autobahnen zu vermeiden, wirklich nur noch kurze Wege zu fahren, nicht mehr in Städten, wo Reizüberflutung droht - oder eben, das Auto ganz stehen zu lassen. Die Erfahrung zeige, sagt Siegried Brockmann: Eine klare Rückmeldung im Vier-Augen-Gespräch werde von den Betroffenen meist besser aufgenommen als die Ratschläge von Kindern oder Enkeln.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 14.11.2023, 19:30 Uhr
Die Kommentarfunktion wurde am 17.11.2023 um 16:51 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.