Interview | Michael Barenboim zu Protest an FU - "Die Menschenrechte gelten für alle, außer anscheinend für Palästinenser"

Fr 10.05.24 | 20:56 Uhr
Teilnehmer einer Pro-Palästinenser-Demonstration der Gruppe "Student Coalition Berlin" im Theaterhof der Freien Universität Berlin, davor steht ein Polizist (Quelle: dpa/Markus Schreiber)
Video: rbb24 Abendschau | 10.05.2024 | Norbert Siegmund | Bild: dpa/Markus Schreiber

Berliner Uni-Dozenten verteidigen in einem offenen Brief pro-palästinensische Proteste an der Freie Universität. Aus der Politik ernten sie dafür scharfe Kritik. Dafür hat ein Unterzeichner des Briefs, Professor Michael Barenboim, kein Verständnis.

rbb: Herr Barenboim, warum haben Sie den offenen Brief der Lehrenden unterschrieben?

Michael Barenboim: Ich habe diesen Brief aus zwei Gründen unterschrieben. Der erste Grund ist, dass die Studierenden ganz einfach das Recht haben zu protestieren. Und der zweite Grund ist natürlich auch, dass ich inhaltlich unterstütze, wogegen sie protestieren, nämlich den Angriff auf Gaza in den letzten Monaten und jetzt insbesondere den Angriff auf Rafah [tagesschau.de], die unglaublich hohen Zahlen an unschuldigen toten, verletzten, hungernden Menschen, und die Zerstörung eines ganzen Gebietes, dass in ein für Menschen unbewohnbaren Raum verwandelt wurde. Und dazu noch das massenhafte Töten von Kindern [zeit.de].

Diese ganzen Sachen stören mich auch. Deswegen hat er [der offene Brief, Anm. der Redaktion] auch meine Unterstützung.

ZUR PERSON

Michael Barenboim (Quelle: imago images/Kim Kanert)
www.imago-images.de

Professor an der Barenboim-Said-Akademie - Michael Barenboim

Michael Barenboim ist ein klassischer Violinist und Bratschist. Er ist Konzertmeister des West-Eastern Divan Orchestra, in dem Musiker aus Israel und Palästina zusammenspielen. Barenboim ist Professor für Ensemblespiel und Violine an der Barenboim-Said-Akademie in Berlin und war von 2020 bis 2024 deren Dekan.

Nun sagt der Regierende Bürgermeister Kai Wegner, er habe kein Verständnis für dieses Schreiben, die Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger zeigt sich wörtlich fassungslos, dass Uni-Dozenten pro-palästinensische Proteste verteidigen. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

Ich verstehe das einfach nicht. Ich behaupte nicht, dass jeder meine Meinung teilen muss. Aber ich verstehe nicht, wie man einerseits immer davon sprechen will, dass es Meinungsfreiheit gibt, dass es das Recht auf freie Meinungsäußerung gibt und dann, wenn junge Menschen sich zusammentun, und Sachen einfordern, dass es dann heißt, das geht jetzt zu weit.

Wir leben in einem Rechtsstaat, wo diese Sachen offensichtlich erlaubt sind. Woher kommt diese Aufregung? Ich verstehe das nicht. Ich verstehe auch nicht, wie man immer gleich dazu kommen muss, dass die Polizei kommt.

Wie bewerten Sie die Haltung der FU, die Polizei zu rufen?

Ich hätte diesen Brief nicht unterschrieben, wenn ich das für richtig gehalten hätte. Man kann nicht sagen: 'Wir unterstützen freie Meinungsäußerung, aber...'. Das ist albern, finde ich. Es kann kein Aber geben. Entweder wir stehen dazu oder wir stehen nicht dazu. Entweder sind wir eine Gesellschaft, wo gerade eben die Universität auch ein Ort des Diskurses ist, ein Ort des Denkens und ein Ort auch der der verschiedenen und der vielfältigen Meinungen ist, oder wir wollen das nicht.

Was mich aber am meisten an der ganzen Sache stört, ist, dass das immer für alle gilt, außer für Palästina. Palästina steht immer außen vor. Die Menschenrechte gelten für alle, außer anscheinend für Palästinenser. Die freie Meinungsäußerung gilt für alle, außer wenn sie sich für Palästina äußern wollen. Und diese Haltung finde ich wirklich nicht in Ordnung.

Ist das für Sie ein besonderer Aspekt? Sie haben einen jüdischen Hintergrund und setzen sich jetzt ein, das pro-palästinensischer Protest artikuliert werden darf und dann gibt es gleich diese Kritik. Wie wirkt das auf Sie?

Mein Jüdischsein hat damit eigentlich nicht viel zu tun. Ich bin jemand, der sehr daran glaubt, dass es Menschenrechte gibt, die für alle gelten. Ich bin jemand, der das internationale Recht respektiert und der das gerne respektiert sieht. Und ich sehe nicht gerne, dass einfach massenhaft unschuldige Menschen umgebracht werden, auf dieser industriellen Skala schon gar nicht.

Das hat mit meiner Familie eigentlich so gar nichts zu tun. Ich bin einfach ein Mensch. Und als Mensch widert mich das an.

Was wäre ihr Plädoyer in Hinsicht der Proteste an den Universitäten?

Mein Plädoyer wäre, dass man Studierenden ihre Demonstrationen machen lässt und sich darauf einlässt, sich mit ihnen über die tatsächlichen Probleme zu unterhalten.

Haben Sie Sorge, dass man über das Thema Israel und Palästina nicht mehr frei diskutieren darf?

Wir haben einen wunderbaren Katalog an Regeln und an Rechten. Aber irgendwie ist die Unterstützung von Palästina immer eine Ausnahme. Man darf alles sagen, nur bei der Sache wird es dann gleich schwierig. Kritik an Israel dementsprechend auch. Und ich glaube, dass Menschenrechte für alle gelten sollten und Kritik an einem Staat möglich sein muss.

Das Interview führte Norbert Siegmund. Das Interview ist eine gekürzte und redigierte Fassung.

Korrektur: Michael Barenboim ist aktuell nicht mehr Dekan der Barenboim-Said-Akademie. Wir haben die entsprechende Textstelle korrigiert.

Sendung: rbb24 Abendschau, 10.05.2024, 19:30 Uhr

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