Debatte über mögliche Blackouts - Die Stromversorgung steht - trotz Kohleausstieg vor fünf Jahren
Vor fünf Jahren ist der Fahrplan für den Ausstieg aus der Kohleverstromung beschlossen worden. Die Vorbehalte wegen möglicher Blackouts in Deutschland waren groß - aber: Ist die Gefahr tatsächlich gestiegen? Eine Bilanz und ein Ausblick. Von P. Manske, D. Schneider und F. Ludwig
- Versorgungssicherheit beim Strom trotz des beschlossenen Kohleausstiegs vor fünf Jahren derzeit nicht gefährdet
- Wind- und Sonnenenergie kompensieren die wegfallenden Kapazitäten sowohl bei der Atomkraft als auch in der Braunkohleverstromung
- Stromnetz und Batteriespeicher müssen ausgebaut werden
- Experten fordern schnelle Verabschiedung der Kraftwerksstrategie im Bund, um Gaskraftwerke bauen zu können
Es waren andere Zeiten, vor fünf Jahren, am 16. Januar 2020. An eine weltweite Pandemie war noch gar nicht zu denken, die Bundeskanzlerin hieß noch Angela Merkel, Olaf Scholz war noch Finanzminister. An diesem Tag war eine Entscheidung getroffen worden, die massive Auswirkungen auf die Braunkohleländer haben sollte - darunter auch Brandenburg. Denn vor fünf Jahren wurde der Ausstiegsfahrplan aus der Kohleverbrennung beschlossen.
Neben Brandenburg verhandelten auch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen mit der Bundesregierung. Zuvor hatte sich die sogenannte Kohlekommission bereits auf einen Kompromiss geeinigt und eine Empfehlung ausgesprochen.
Am Ende einigte man sich auf einen Kohleausstieg bis 2038 - ein früherer Ausstieg sollte geprüft werden. Außerdem waren die Versprechen für Ausgleichszahlungen an die Kohleländer erneuert worden - 40 Milliarden Euro sollten die für den Strukturwandel bekommen.
Ein halbes Jahr später, am 3. Juli, wurden die zugehörigen Gesetze vom Bundestag beschlossen. Einerseits das Kohleausstiegsgesetz, andererseits das Strukturstärkungsgesetz. Und fünf Jahre später zeigt sich: Der Ausstiegsfahrplan wird bislang zwar überwiegend eingehalten, doch es warten noch einige Fallstricke.
Ampelregierung, RWE-NRW-Deal, Ukraine-Krieg
Seit dem beschlossenen Ausstiegsfahrplan hat sich noch vieles entwickelt. Die mittlerweile nicht mehr bestehende Ampelkoalition hatte in ihrem Koalitionsvertrag von einem Kohleausstieg "idealerweise" bis 2030 gesprochen. Das Land Nordrhein-Westfalen einigte sich mit dem Energieversorger RWE auf einen Ausstieg bis 2030. Der Krieg in der Ukraine und dadurch ausbleibende Öl- und Gaslieferungen haben 2022 aber noch einmal Bewegung in den Ausstieg gebracht. So mussten beispielsweise zwei Blöcke des Braunkohle-Kraftwerks Jänschwalde aus der Sicherheitsreserve geholt werden.
Brandenburg, in erster Linie Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), setzt weiter auf den vereinbarten Kohlekompromiss und will am Ausstiegsdatum 2038 nicht rütteln. Dennoch transformiert sich das einstige reine Kohleunternehmen Leag seit längerem hin zum Produzenten erneuerbarer Energien. Mit der geplanten "Gigawatt-Factory" will die Leag einer der größten Produzenten von Sonnen- und Windenergie werden. Denn durch verteuerte CO2-Zertifikate könnte sich die Braunkohleverstromung rein wirtschaftlich schon vor 2038 nicht mehr lohnen.
Kraftwerksstrategie des Bundes fehlt
Für die Leag ist dabei die geplante Kraftwerksstrategie im Bund ein entscheidender Faktor - vor allem, weil sie bislang nicht beschlossen wurde. Mit wasserstofffähigen Gaskraftwerken sollen, so der Plan, Schwankungen in der Stromversorgung durch Wind und Sonne ausgeglichen werden. Weht kein Wind und scheint die Sonne nicht, sollen die Gaskraftwerke einspringen. Doch ohne Klarheit über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen baut die Leag diese nicht. Zumal auch die Versorgung mit Wasserstoff, der in Zukunft anstelle des Erdgases verstromt werden soll, noch nicht geklärt ist.
Das hat konkrete Auswirkungen, denn die Versorgungssicherheit ist ein entscheidender Faktor bei der Abschaltung der verbliebenen Kohlekraftwerke. Die Bundesnetzagentur hat beispielsweise die Befugnis, die Abschaltung von Kraftwerken auszusetzen, sollte diese gefährdet sein. Doch die notwendigen Checks der Versorgungssicherheit sind während der Ampel-Regierung ausgeblieben.
Braunkohle-Anteil am Strommix bislang trotz Ausstieg konstant
Den Überblick über den deutschen Strommix hat Leonhard Probst vom Fraunhofer Institut für solare Energiesyteme in Freiburg im Breisgau. Er ist zuständig für die Energy Charts, also die Übersicht, wie viel Strom aus welcher Quelle kommt. Er erklärt, dass der Anteil der Braunkohle an der deutschen Stromproduktion seit 2020 trotz beschlossenem Kohleausstieg nicht gesunken ist - und weiter bei etwa 17 Prozent liegt.
Dass dieser Anteil nicht gesunken sei, liege aber auch an der Abschaltung der Atomkraftwerke und am Ukraine-Krieg, so Probst. Braunkohlekraftwerke mussten einen Teil der Atomkraft kompensieren, stark gestiegene Erdgaspreise machten die Braunkohle ebenfalls wieder attraktiver. Dass der Anteil der Braunkohle nicht gestiegen sei, sei wiederum auf den Ausbau der Erneuerbaren zurückzuführen.
Windkraft-Ausbau stagniert
Deutschland sei in vielen Bereichen auf einem guten Weg, schätzt Probst ein, beispielsweise beim Ausbau der Solarenergie. Die Produktion schwanke allerdings stark, weshalb zukünftig vermehrt auf den Ausbau von Batteriespeichern gesetzt werden müsse. Wird beispielsweise in der Mittagszeit viel Solarstrom produziert, muss der für schwächere Zeiten gespeichert werden können, sagt Probst.
Der Ausbau der Windkraft stagniere wiederum, so der Fraunhofer-Spezialist. Hier sei aufgrund aktueller Genehmigungen aber auch ein Ausbau zu erwarten. Ein Problem ist aber der mangelnde Netzausbau. Lange sei von einem gleichbleibenden Strombedarf ausgegangen worden - stattdessen gebe es aber einen Anstieg, die Netze seien dafür nicht gemacht, so Probst.
Eine Abkehr vom Braunkohleausstieg hält er nicht für sinnvoll, stattdessen müssen die Erneuerbaren noch konsequenter ausgebaut werden, sagt Probst. So werde, durch niedrigere Produktionskosten, auch der Strompreis wieder sinken. Politische Rahmenbedingungen, etwa veränderte Umlagen auf den Strompreis, sind dafür eine Voraussetzung.
Deutschland hat in den letzten Jahren wieder mehr Strom importiert als exportiert. Überwiegend wurde dabei erneuerbare Energie eingekauft, erklärt Probst. Die kann im EU-Ausland nämlich meist günstiger als bei uns produziert werden. Das zeige, dass auch in Deutschland die Erneuerbaren massiv ausgebaut werden müssten.
Deutschland produziert noch immer genug Strom selbst
Auch Bernd Hirschl sieht die Versorgungssicherheit in Deutschland aktuell nicht gefährdet - trotz des Kohleausstiegs und trotz der gestiegenen Strom-Importe. Er forscht an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) an der Energiewende und erklärt, dass Deutschland trotz der Importe ausreichend Strom selbst produziert. So sei beispielsweise die vorhandene Reserveleistung trotz Dunkelflaute nicht abgerufen worden. Damit sind Zeiten gemeint, in denen weder Wind weht, noch die Sonne scheint. Dass trotz der vorhandenen Leistung Strom aus dem Ausland eingekauft worden ist, begründet der Experte mit dem günstigeren Preis. Es zeige sich, dass der Strommarkt stabil genug sei, um solche Phasen zu kompensieren.
"Die Versorgungsqualität in Deutschland ist nach wie vor auf einem überdurchschnittlich hohen Niveau, wenn man das europäisch und international vergleicht", so Hirschl. Mit den erneuerbaren Energien habe die Qualität sogar zugenommen. Die wegfallenden Kapazitäten aus Braunkohle und Atomkraft seien durch die Erneuerbaren überkompensiert worden. Der Anteil der Erneuerbaren am deutschen Strommix sei innerhalb von fünf Jahren um 20 Prozent gestiegen.
Allerdings seien die bisherigen Großkraftwerke auch wichtig für die Stabilität des Stromsystems. Diese sogenannten Systemdienstleistungen müssten zukünftig ebenfalls durch erneuerbare Energien übernommen werden - dafür brauche es sowohl Batteriespeicher, als auch alternative Kraftwerke, beispielsweise auf Gas- oder Wasserstoffbasis. Auch er sieht deshalb die Bundesregierung in der Pflicht, mit der geplanten Kraftwerksstrategie.
Statt einzelner großer Kraftwerke werde es zukünftig viele kleinere, alternative Kraftwerke geben, ist Hirschl überzeugt.
Zu viel Strom ist problematischer als zu wenig
Davon geht auch Stefan Kapferer, Vorsitzender der Geschäftsführung beim Netzbetreiber 50Hertz, aus. Auch er sagt, in Deutschland müsse nun mehr "gesicherte Leistung", also konventionelle Kraftwerke aufgebaut werden. Im November und Dezember letztes Jahr habe es beispielsweise eine Dunkelflaute gegeben. Die sei gut überstanden worden, man befinde sich aber derzeit an der "Unterkante", was die Versorgung durch herkömmliche Kraftwerke angehe.
Sollten keine neuen Kraftwerke, beispielsweise auf Gasbasis, gebaut werden, könne einer weiteren Stilllegung von Braunkohlekraftwerken nicht mehr zugestimmt werden, so Kapferer. Auch er spielt damit auf die fehlende Kraftwerksstrategie im Bund an. Kapferer nennt aber noch eine weitere Forderung, die, wie er hofft, bald umgesetzt sein soll: die Einflussnahme auf kleine und mittlere Solaranlagen.
"Die viel herausfordernden Phasen für die Netzsteuerung sind die, in denen wir ein sehr hohes Angebot an Stromerzeugungskapazitäten haben", sagt er - also die Phasen, in denen die Erneuerbaren zu viel Strom liefern. Mit dem neuen Gesetz sollen auch kleine und mittlere Anlagen, etwa auf Dächern von Gewerbehallen, gesteuert werden können. Denn anders als beispielsweise bei Braunkohlekraftwerken kann der Netzbetreiber bei Erneuerbaren keinen Einfluss auf die Stromerzeugung nehmen. So kommt es in Brandenburg beispielsweise zu der Situation, dass mehr Strom durch Erneuerbare erzeugt wird als benötigt wird. Auf diese Phasen müsse besser reagiert werden können.
Versorgung nach aktuellem Stand nicht gefährdet
Nach aktuellem Stand ist die Versorgungssicherheit beim Strom in Deutschland also nicht gefährdet. Engpässe, beispielsweise bei Dunkelflauten, können aktuell gut über den europäischen Strommarkt abgefangen werden. Deutschland produziert bislang aber zumindest rechnerisch genug Strom, um den eigenen Bedarf decken zu können - auch ohne Atomkraft und trotz Kohleausstieg.
Damit das zukünftig so bleibt, sind aber Investitionen nötig. Einerseits muss das Netz ausgebaut werden, andererseits Batteriespeicher, mit denen überschüssige Energie für Mangelphasen zurückgehalten werden kann.
Ein entscheidender Schritt in der Energiewende und im Braunkohleausstieg ist zudem die Kraftwerksstrategie des Bundes. Ohne neue konventionelle Kraftwerke wird es schwierig, zukünftig auf Schwankungen im Stromangebot durch Erneuerbare zu reagieren.
Sendung: rbb24 Inforadio, 16.01.2025, 9:50 Uhr