Tagebau Jänschwalde - Ära in der Lausitz endet nach fast 50 Jahren Kohleförderung
Fast 50 Jahre lang wurde im Tagebau Jänschwalde Braunkohle gefördert - am Freitag endet mit dem "Schichtwechsel" eine Ära in der Lausitz. Die Kohlekumpel tauschen mit den Sanierern. Doch für die Renaturierung wird vorerst weiter nach Kohle gegraben. Von Florian Ludwig
- am Freitag offizielles Ende des Tagebaus Jänschwalde
- circa 660 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert
- Rekultivierung jetzt Hauptaufgabe in Jänschwalde
- andere Standorte in der Region fördern weiter Kohle
Wer auf Karten nach Cottbus sucht, dem fällt nordöstlich der Stadt eine riesige farblose Fläche auf - gelegen zwischen den Dörfern Jänschwalde (Spree-Neiße) im Norden, Heinersbrück im Westen, Forst im Süden und der polnischen Grenze im Osten. Bundesstraßen umrahmen die scheinbar ungenutzte Fläche. Zu finden ist dort auf den ersten Blick: nichts.
Wer sich auf den Weg in das Gebiet macht, findet alles andere, als "nichts" vor. Stattdessen bekommt man einen Eindruck davon, wozu Menschen fähig sind, wenn sie etwas erobern wollen und ausreichend große Maschinen mitbringen. Hier befindet sich der Braunkohle-Tagebau Jänschwalde.
Am Freitag kommt der Tagebau offiziell zu seinem Ende, nach fast 50 Jahren Kohleförderung. Der Energiekonzern Leag feiert das mit einem Schichtwechsel. Denn obwohl der Tagebau endet, fängt die Arbeit hier erst jetzt richtig an.
Schichtwechsel im Tagebau Jänschwalde
1974 aufgeschlossen - zwei Jahre später die erste Kohle
1974 ist der Tagebau "aufgeschlossen" worden, wie es in der Fachsprache heißt. Umgangssprachlich könnte man auch sagen, 1974 wurde damit begonnen, hier ein riesiges Loch zu buddeln. Zwei Jahre lang musste hier zunächst vor allem Erde bewegt werden. Erst 1976 konnte das in eben diesem Jahr eröffnete Kraftwerk Jänschwalde erstmals mit Lausitzer Braunkohle aus dem angrenzenden Tagebau gefüttert werden.
Die Bilanz seitdem ist beeindruckend: mehr als zehn Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr, die Maschinen seit fast 50 Jahren im Einsatz und schon jetzt eine rekultivierte Fläche von fast 3.000 Hektar.
Für die Kumpel eine emotionale Angelegenheit
Vor allem für viele Kumpel, die zum Teil Jahrzehnte in Jänschwalde gearbeitet haben, ist der Schichtwechsel eine emotionale Angelegenheit. Zu ihnen gehört auch Michael Kadler, seines Zeichens Steiger, also eine Art Vorarbeiter im Tagebau.
Kadler hat im Gleisbau gearbeitet, in der Betriebsüberwachung, war in der Werksfeuerwehr und hat in der Grube fast alle Bereiche betreut, wie er sagt. Seit 2015 ist er Steiger.
"Insgesamt ist das der Stolz der Lausitz gewesen - die Braunkohle", so Kadler. "Wir haben auch als Bergleute einen gewissen Stolz." Kadler hat mittlerweile den Eindruck, dass sein Lebenswerk "von außen" kaputt gemacht wird - und spielt dabei auf Proteste gegen den Tagebau und die Braunkohle an. Er arbeite dennoch gern in der Kohle. Es sei nicht so leicht, wie es von außen aussehe, betont er. "Man muss viel koordinieren, man muss viel wissen - ob es nun Geotechnik oder Gerätetechnik ist."
Kadler wünscht sich jetzt, kurz vor der Rente, Sicherheit für seine Kollegen. Der Kohlekompromiss, also der vereinbarte Abbau bis 2038, solle eingehalten werden, ist er der Meinung. Noch immer läuft eine Diskussion über einen möglicherweise früheren Kohleausstieg in der Lausitz schon 2030. Unter den Kumpeln sorge das für Verunsicherung und Ärger.
Mit brachialen Methoden zur Braunkohle
Riesige Maschinen bewegen sowohl Erde als auch Braunkohle im Tagebau Jänschwalde. Selbst wenn man unmittelbar vor diesen Geräten steht, sind ihre Dimensionen kaum zu erfassen. Zahlen geben nur einen ungefähren Eindruck davon.
Im sogenannten Vorschnitt arbeitet ein Schaufelradbagger - ein 3.000-Tonnen-Monstrum, das lediglich die oberen Bodenschichten ohne Braunkohle abbaggert. Mit Förderbändern wird diese Erde an die Tagebaukante gebracht, der Absetzer schüttet sie auf die Kippe. Während der Tagebau also auf der einen Seite wächst, wird er auf der anderen schon wieder zugeschüttet.
Eine Maschine mit 650 Metern Länge und 420 Metern Breite
Ist die erste Erdschicht abgegraben kommt das technische Herzstück des Tagebaus zum Einsatz: die F60. Sie legt die eigentliche Braunkohle frei. Die F60 ist eigentlich ein Zusammenschluss mehrerer Großgeräte. In Jänschwalde sind das drei Eimerkettenbagger und eine gigantische Bandbrückenkonstruktion: 650 Meter lang, 420 Meter breit und insgesamt rund 30.000 Tonnen schwer.
Auch die F60 fördert keine Braunkohle, sondern lediglich Abraum, also Sand, Kies und Ton, die über die Bandanlagen zu den ausgekohlten Flächen des Tagebaus transportiert und dort wieder abgeladen werden.
Die eigentliche Braunkohle wird direkt unter der F60 gefördert. Drei Schaufelradbagger und zwei Eimerkettenbagger graben nach Kohle - Abraum, der als Zwischenschicht abfällt wird separat abtransportiert. Die Kohle wird mit Förderbändern zur Verladung transportiert. Über das Leag-eigene Schienennetz wird sie schließlich per Zug zum Kraftwerk gebracht.
Ein Teil der Geräte wird voraussichtlich auch nach dem Ende des Tagebaus weitergenutzt - bei der Rekultivierung. "Der Rest der Gerätekombination, beziehungsweise die F60 und auch die Grubengeräte werden der Verschrottung zugeführt", erklärt Karsten Schmiel von der Leag.
Der immerwährende Kampf gegen das Wasser
Die schiere Größe und auch Tiefe des Tagebaus sorgt für Probleme - die Braunkohle liegt fast 100 Meter tief in der Erde. Damit die beschriebenen großen Maschinen nicht im Grundwasser untergehen, muss das abgepumpt werden. Mit Filterbrunnen wird der Grundwasserspiegel gesenkt. Das abgepumpte Wasser kommt als Kühlwasser im Kraftwerk Jänschwalde zum Einsatz oder wird in die Flüsse Spree und Neiße abgegeben.
Damit sich die Auswirkungen der Grundwasserabsenkung nicht über den Tagebau hinaus erstrecken, ist schon seit Ende der 1970-er Jahre und noch einmal 2007 eine insgesamt elf Kilometer lange und bis zu 84 Meter tiefe Dichtwand aus Ton an der östlichen Grenze des Tagebaus errichtet worden.
Ohne das abgepumpte Grundwasser fehlt unter anderem der Spree viel Wasser: An trockenen Tagen macht das Grubenwasser bis zu 80 Prozent des Spreevolumens aus, so Zahlen der Leag. Ohne den Tagebau könnte bald deutlich weniger Wasser in Richtung Berlin fließen.
Rekultivierung läuft längst
Mit dem Schichtwechsel am Freitag geben die Kohlekumpel die Grube gewissermaßen an die Sanierer ab. Nach dem Tagebau soll nichts mehr an ihn erinnern, auch wenn das kaum möglich sein wird.
Weil der Tagebau "wandert", hat die Rekultivierung längst begonnen. Laut Leag sind bereits fast 3.000 Hektar ehemalige Tagebauflächen rekultiviert. Auf 1.400 Hektar arbeiten schon jetzt Landwirte, die die Flächen gepachtet haben.
Über 1.000 Hektar der Bergbaufolgelandschaft seien mit Mischwald aufgeforstet worden, sagt die Leag. Auf den eigentlich pflanzenfreien Kippenflächen sind wiederum lausitztypische Wildpflanzen ausgebracht worden. Im sogenannten "Grünen Herz" des Tagebaus gibt es laut Leag beispielsweise den Acker-Wachtelweizen - eine stark gefährdete Art.
Einige Arbeiter bleiben weiter in der Grube
Die Sanierung der aktuell genutzten Flächen beginnt unmittelbar nach dem Ende des aktiven Tagebaubetriebs - allerdings sind die Grenzen fließend. So wird auch 2024 noch einige Monate Braunkohle gefördert. Die Maßnahme gehört zu den Sicherungsmaßnahmen, zu denen die Leag vom Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe (LBGR) verpflichtet worden ist. Mit den vorhandenen Großgeräten wird eine 300 Meter breite Drainage-Schicht hergestellt, über die aufstauendes Grundwasser abgeleitet werden soll. Dafür laufen die Bagger vorerst noch weiter.
Entsprechend bleibt auch ein Teil der Kohlearbeiter vorerst in der Grube. Der Rest wird "quasi in alle Winde verstreut", sagt der Steiger Nico Böker, der zukünftig auf der F60 in Nochten arbeiten wird. "Es gehen einige nach Nochten, einige nach Welzow und es gibt Kollegen, die nach Schwarze Pumpe in die Brikettfabrik gehen", erklärt er. Er sei froh, im Betrieb bleiben zu können, auch mit einem längeren Weg zur Arbeit. "So einen schönen großen Sandkasten hat eigentlich gar keiner", sagt er.
Seen als beste Variante
Allerdings bleibt es nicht lange sandig und trocken: Weil mit dem Tagebau Millionen von Tonnen Braunkohle entnommen wurden, muss nun das "Massendefizit" ausgeglichen werden. Die Leag setzt hier auf ein altes Konzept: Drei Seen sollen hier entstehen. Unklar ist allerdings, ob die trockene Lausitz genug Wasser dafür hat.
Die Grube nach dem Ende der Kohleförderung sich selbst zu überlassen ist keine Option. Die losen Kippenflächen - also die Bodenschichten, die bunt durchmischt wieder aufgeschüttet wurden - sind lebensgefährlich. Ohne aufwändige Sanierungsarbeiten, beispielsweise Verdichtungen, kann die Kippe ins Rutschen geraten. Die Bergbaufolgelandschaft müsste großflächig abgesperrt und überwacht werden. Bei einem See, oder wie in Jänschwalde gleich drei davon, sind die Arbeiten zwar noch immer aufwändig - aber deutlich einfacher darstellbar, als wenn der Tagebau nicht geflutet wird.
Der (nicht erfolgreiche) Kampf gegen die Abbaggerung
Doch auch nach der Sanierung der ehemaligen Tagebauflächen bleiben irreversible Auswirkungen der Kohleförderung. Seit den 1980er Jahren mussten insgesamt sechs Orte ganz oder teilweise umgesiedelt werden. Die ursprünglichen Dörfer wurden abgebaggert. Klinge, Weißagk, Klein Bohrau, Klein Briesnig und den östlichen Teil des Ortes Grötsch gibt es nicht mehr. Überregional bekannt wurde der Kampf des Dorfes Horno gegen die Abbaggerung.
Seit Ende der 1970er Jahre hatten sich die Einwohner von Horno gegen ihre Umsiedlung gewehrt, 2004 war es schließlich dennoch soweit: 320 Einwohner wurden nach Neu-Horno, etwa zehn Kilometer entfernt, umgesiedelt.
Doch beendet ist die Geschichte damit nicht. Erst im November gab es einen Gedenkgottesdienst in Neu-Horno. Die Erinnerung an das Verlassen des Dorfes seien bei vielen Einwohnern noch präsent, erklärt Pfarrer Tobias Jachmann. "Die Hornoer haben ihre Heimat verloren", sagt er. Kaum jemand fühle sich im neuen Ort so wie zuvor im Alten. "Die Schmerzen sind noch da", bilanziert Jachmann. Und er verweist auf andere Orte - etwa Klinge und Weißagk - die nicht einmal einen "neuen" Ort bekommen hätten, deren Bewohner in alle Himmelsrichtungen verstreut seien.
Protest gegen die Braunkohle - und gegen den Jänschwalder Tagebau
Der Tagebau Jänschwalde ist ein massiver Eingriff in die Umwelt und - bezogen auf die Umsiedlungen - auch in das Leben Hunderter Menschen. Dementsprechend war der Tagebau auch immer wieder das Ziel zahlreicher Proteste.
Unstrittig ist, dass die Lausitzer Braunkohle beim Verbrennen Unmengen von CO2 produziert - der Preis für die zuverlässige Stromerzeugung. Doch ebendiese Klimabilanz hat beispielsweise 2019 die Aktionsgruppe "Ende Gelände" nach Jänschwalde geführt. Mehrere Stunden blockierten Aktivisten hier Bahngleise und Zufahrten, dranken in die Kohlegrube ein. Oder es kam es zu Aufrufen, Maschinen zu blockieren, beispielsweise durch die Gruppe "Unfreiwillige Feuerwehr".
Andere Tagebaugegner wählten andere Wege, um gegen die Kohleförderung vorzugehen - beispielsweise den gerichtlichen. Die Deutsche Umwelthilfe und die Grüne Liga klagten vor dem Cottbuser Verwaltungsgericht, weil es keine bestätigte Umweltverträglichkeitsprüfung für den Tagebau gab. Im September 2019 musste der reguläre Betrieb deshalb eingestellt werden. Erst Monate später, im Februar 2020, konnte der wieder aufgenommen werden - bis dahin wurden lediglich Sicherungsmaßnahmen durchgeführt.
Außerdem gibt es aktuell Streit darum, ob der Tagebau Jänschwalde Schuld daran ist, dass im Ort Tauer zahlreiche Risse in Hauswänden aufgetreten sind.
In Welzow, Nochten und Reichwalde wird weiter gefördert
Das Ende des Tagebaus Jänschwalde bedeutet noch kein Ende der Lausitzer Braunkohle. Das nahgelegene Kraftwerk wird noch bis voraussichtlich 2028 Kohle verbrennen, die kommt bis dahin aber aus den Tagebauen Welzow Süd, Nochten und Reichwalde (beide Ostsachsen). Danach soll hier ein wasserstofffähiges Gaskraftwerk stehen - aus dem ältesten Kraftwerk im Leag-Betrieb wird eines der modernsten.
In Welzow soll noch bis zum aktuell geplanten Ende der Braunkohle 2038 gefördert werden. So ist es auch für die anderen beiden Tagebaue Nochten und Reichwalde im Revier vorgesehen. Sie beliefern weiterhin die Kraftwerke Schwarze Pumpe und Boxberg.
Mit dem Tagebau Jänschwalde endet dennoch eine Ära in der Lausitz. Nicht nur Strom, sondern auch große Teile der Lausitzer Identität sind mit der Braunkohle entstanden. Zum Ende kommt auch ein gigantischer Eingriff in die Umwelt: Grundwasserabsenkungen, ganze Dörfer, die abgebaggert wurden, ein eigenes Schienennetz, das aufgebaut wurde.
Mit der Renaturierung entsteht hier wieder eine neue Landschaft - inspiriert von der ursprünglichen. Und in ein paar Jahren wird sich nordöstlich von Cottbus, zwischen Jänschwalde, Heinersbrück, Forst und der polnischen Grenze bei Google Maps wohl keine hellrosa Freifläche mehr befinden - sondern ein neues Stück Lausitz, ohne Braunkohle.
Sendung: rbb24 Inforadio, 22.12.2023, 6:00 Uhr