Wegen Corona-Lockdowns - Motorische Entwicklung von Berliner Kindern hat sich um ein Jahr verlangsamt

Mo 14.08.23 | 14:06 Uhr
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Kinder dehnen sich während des Sportunterrichts. Quelle: imago images/wolterfoto
Bild: imago images/wolterfoto

Die motorische Entwicklung von Kindern hat sich in den letzten drei (Corona-)Jahren offenbar dramatisch verschlechtert. Das zeigt eine neue Studie des Landessportbunds Berlin. Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Kiezen sind besonders betroffen.

Vor Kurzem hat der Landessportbund Berlin (LSB) und die Berliner Bildungs- sowie Innenverwaltung eine Studie zur motorischen Entwicklung von Kindern veröffentlicht, die es in sich hat. Aus dieser wird deutlich, dass die Lockdowns während der Corona-Pandemie für eine drastische Verzögerung der motorischen Fähigkeiten bei Kindern gesorgt haben. Die Forscherinnen und Forscher sprechen von einer Verlangsamung der Entwicklung um ein Jahr.

Dass der Schulunterricht zumindest in Präsenz und vor allem der Sportbetrieb in Vereinen in den letzten Jahren immer wieder unterbrochen war, spüren viele Kinder - insbesondere in benachteiligten Kiezen - noch heute. Die Studienleiter warnen gar vor Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter. Demensprechend alarmiert zeigt sich der LSB und will gegenwirken.

LSB-Präsident: Pandemie war "Brandbeschleuniger"

"Das Studienergebnis ist für uns nicht ganz überraschend", sagt LSB-Präsident Thomas Härtel. Man habe bereits anhand anderer Studien gesehen, dass die Corona-Jahre insbesondere bei Kindern für Einschränkungen und nachhaltige Auswirkungen in der Entwicklung gesorgt hätten. "In welcher Breite Kinder durch die Corona-Pandemie aber in Mitleidenschaft gezogen worden sind, hat uns dann doch überrascht. Das hat enorme Auswirkungen", sagt Härtel.

Jochen Zinner von der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport (DHGS) sowie sein Team haben die Daten von rund 75.000 Drittklässlerinnen und Drittklässlern ausgewertet und dabei festgestellt, dass nur 12 Prozent der Kinder motorisch fit sind. Im Rahmen des Deutschen Motorik-Tests wurden Fähigkeiten in den Bereichen Ausdauer, Koordination, Kraft und Schnelligkeit geprüft. Vor der Pandemie lag der Wert bei fast 20 Prozent - laut Zinner ein ordentliches Ergebnis.

Insbesondere in den Bereichen Kraft und Schnelligkeit habe sich der Wert arg verschlechtert - verzeichnet wurde ein Rückgang von 16 und elf Prozent. Härtel spricht bei der Pandemie vor allem von einem "Brandbeschleuniger", der ein nicht unbekanntes und bereits vorhandenes Problem noch größer gemacht habe.

Die Pandemie habe dazu geführt, dass sich die motorische Fähigkeit in den letzten Jahren insgesamt, also bei allen Kindern, um vier Prozent verschlechtert habe. Laut der Studie bedeutet dieses Ergebnis allgemein einen rund einjährigen Rückstand der motorischen Entwicklung bei den Kindern. Dadurch würden nachhaltige und langfristige gesundheitliche Probleme wahrscheinlicher. "Wenn man das ein Stück dramatischer ausdrücken will, kann man den Effekt mit dem Einfluss vergleichen, den das Rauchen auf das Risiko für Lungenkrebs hat", sagt Studienleiter Zinner.

Wenn man das ein Stück dramatischer ausdrücken will, kann man den Effekt mit dem Einfluss vergleichen, den das Rauchen auf das Risiko für Lungenkrebs hat.

Professor Dr. Jochen Zinner

Forderung nach Angeboten in sozial benachteiligten Kiezen

Doch das ist nicht das einzige Problem, dass die Studie aufzeigt: Durch mangelnde Bewegung stieg der Anteil übergewichtiger Kinder während der Pandemie von 19,5 Prozent auf 21,2 Prozent. Insbesondere Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Stadtteilen sind hiervon betroffen, wie die Forscherinnen und Forscher in ihrer Studie erklären. Zinner betont: "Es ist besonders besorgniserregend, dass es eine Verkettung von Fitness, Übergewicht, Vereinszugehörigkeit und dem sozialen Status, in dem sich die Kinder aufhalten, gibt. Das Problem war zwar schon vor der Pandemie bekannt, aber die Lockdowns verstärken diese Effekte." Zinner und seine Kollegen empfehlen dementsprechend, vorzugsweise in benachteiligten Bezirken verstärkt Sportangebote zu machen.

"Natürlich werben wir als LSB für Aktivitäten in unseren Vereinen", sagt Härtel. Tatsächlich spürt der Verband nach einem Einbruch der Mitgliederzahlen während der Pandemie mittlerweile wieder ein deutlich gestiegenes Interesse, sich in Sportvereinen zu betätigen. "Wir versuchen aber auch passgenaue Angebote zu machen. Für Kinder, die einen hohen Nachholbedarf haben, aber auch für Kinder, die trotz der Corona-Pandemie schon gewisse Leistungen erbringen. Hinzu kommt, dass wir bald unsere schon bekannten Sportfeste direkt in den Bezirken dezentral anbieten werden und dort die breite Palette des Berliner Sports vorstellen werden", sagt Härtel.

Man sei dabei aber auch auf die Eltern angewiesen, die ihre Kinder unterstützen müssten. "Für uns gilt, nachhaltig entsprechende Angebote zu unterbreiten, damit diese Familien erreicht werden", so Härtel. Neben den Angeboten in den betroffenen Bezirken verweist Härtel vor allem auf das Bildungs- und Teilhabepaket, das es Familien mit geringem Einkommen zum Besipiel ermöglicht, einem Verein beizutreten.

Angebote hätten Entwicklung entschärfen können

Sowohl Härtel als auch Zinner sind optimistisch, dass sich der Trend mit den richtigen Maßnahmen aufhalten und wieder umkehren lässt. Insbesondere Zinner weißt aber auch daraufhin, dass die Verbände und die Politik mit den Erfahrungen der letzten Jahre auf mögliche kommenden Lockdowns besser vorbereitet sein müssten. Es hätte durchaus Angebote gemacht werden können, die die dramatische Entwicklung hätten aufhalten können.

Sendung: rbb24, 14.08.23, 18 Uhr

14 Kommentare

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  1. 14.

    "Doch das ist nicht das einzige Problem, dass die Studie aufzeigt: Durch mangelnde Bewegung stieg der Anteil übergewichtiger Kinder während der Pandemie von 19,5 Prozent auf 21,2 Prozent..."
    ...das die Studie aufzeigt. Bitte Korrektur lesen. Oder liegt's am mangelnden Wissen? Eselsbrücke: "das" ist durch dieses, jenes oder welches ersetzbar.

  2. 13.

    Tja es wäre halt wichtig die Corona Maßnahmen aufzuarbeiten… was hat was gebracht bzw. Was war dann doch unnötig.
    „ Erfahrungen der letzten Jahre auf mögliche kommenden Lockdowns besser vorbereitet sein müssten.“
    Wenn man aber sowas von sich gibt, scheint man von einer Bewertung der Maßnahmen „was hat was gebracht“ weit entfernt zu sein… alles war gut und alternativlos.

  3. 12.

    Was für ein gehässiger gereizter Ton hier untereinander, können Sie nicht auch anders?

  4. 10.

    Für was der Lockdown immer herhalten muss... Meiner Meinung hat der generelle Bewegungsmangel der Kinder wenig damit zu tun. Die Ursachen für eine verzögerte motorische Entwicklung sehe ich vielfältiger:
    Schulport findet nur noch eingeschränkt statt, weil die meisten Turnhallen, soweit überhaupt vorhanden, marode sind. Auch eine falsche Ernährung dürfte ein weiterer Grund sein. Und statt sich draußen zu bewegen, wird der Rest des Tages an Smartphone, Playstation und Co. rumgehangen. Die übergewichtigen Kinder/Jugendlichen, die man täglich beobachten kann, sind der beste Beweis dafür. Pandemie hin oder her...

  5. 9.

    Kann man, ist aber nicht die Lösung für wochenlangen Lockdown. Kinder im besagten Alter haben andere Bewegungsbedürfnisse als ein Teenager, dem die Figur wichtig ist und genau aus diesem Grund gibt es Spiel-, Sport- und Bolzplätze, nicht als rot-weiß abgesperrtes Landschaftselement. Ein Kind ist kein Hund mit dem man Gassi geht.

  6. 7.

    Haben Sie den Artikel nicht gelesen oder nicht verstanden? Das Problem der motorischen Unterentwicklung bei Kindern gab es vorher schon!
    „Härtel spricht bei der Pandemie vor allem von einem "Brandbeschleuniger", der ein nicht unbekanntes und bereits vorhandenes Problem noch größer gemacht habe.“

  7. 6.

    Und genau die mit Baby-Sprache versagen am meisten bei der Förderung ihrer Kinder.
    Woran das wohl liegt?

  8. 5.

    Kann das Problem vielleicht darin liegen, dass es viel zu wenig Kinderspielplätze mit Sportanlagen/-geräten gibt?
    In meinem Kiez: Vier Supamarkthallen (eine davon abgebrannt) mit noch viel größeren Parkplätzen, aber nur zwei Kinderspielplätze - einer davon gerade mal 0,1 ha groß!
    Außerdem tragen für die Entwicklung der Kinder in erster Linie die Eltern die Verantwortung. Die können nicht alle Aufgaben dem Staat, Schulen und Sportvereinen übertragen. Die hatten während der Pandemie auch nicht weniger Zeit, mit ihren Kindern um die Wette zu rennen.

  9. 4.

    Das war doch von Anfang an klar. Die Kinder sind in allen Bereichen: Sport, Bildung, soziale Kontakte die eigentlich Leidtragenden der Corona Maßnahmen gewesen. Man hat sich einfach nicht gekümmert um diejenigen, die zukünftig wichtig für die Entwicklung unseres Landes sind. Und die Eltern, die im Homeoffice Beruf und Förderung ihrer Kinder zu managen hatten, wurden und werden wie üblich alleine gelassen als ginge das den Rest dieser egoistischen Gesellschaft nichts an.

  10. 3.
    Antwort auf [Eve-Marie] vom 14.08.2023 um 15:12

    Wissen Sie überhaupt, wovon Sie reden? Die Einschränkungen für Kinder in Deutschland während der Pandemie sind fast einzigartig gewesen. Tw. stärker als für Erwachsene. Wo war Ihre Kritik da?

  11. 2.

    Mit Flatterband abgesperrte Spielplätze, Verbot der Nutzung von Sporteinrichtungen, Einschränkungen im Sportunterricht... alles im Freien!!
    Es gab Virologen, die schon damals der Auffassung waren, dass eine Infektionsgefahr dort fast zu vernachlässigen sei.
    Für diese Stimmen - wie auch die von Kinderpsychologen und Sportmedizinern - hatte die Bundes- und Landespolitik aber kein Gehör, weil dort jegliches Feingefühl für die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen bis heute nicht existent ist.

  12. 1.

    "Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Kiezen sind besonders betroffen." - wurden bzw. konnten um einiges seltener zum Reit-, Tennis- oder Ruder-Unterricht gefahren werden. Zum Ballett wohl ebensowenig.
    Schon tragisch das dafür auch wieder Corona herhalten muß, so wie auch der Klimawandel und die Energiekrise.

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