Konzertkritik | Sara Hebe im SO36 - Rap gegen alles, was schief läuft in der Welt

Do 15.06.23 | 10:35 Uhr | Von Hendrik Schröder
ARCHIV: Konzert Sara Hebe (Bild: picture alliance/AP Photo)
picture alliance/AP Photo
Audio: rbb24 Inforadio | 15.06.2023 | H. Schröder | Bild: picture alliance/AP Photo Download (mp3, 4 MB)

Sara Hebe rappt jetzt gegen alles an, was schief läuft in der Welt und in ihrer argentinischen Heimat. Live strahlt das wenig Wärme aus, hat aber eine große Entschlossenheit. Von Hendrik Schröder

Der Anfang ist ehrlich gesagt erst mal komisch. Es geht sehr spät los, erst gegen 21:40 Uhr kommt Sara Hebe auf die Bühne. Und obwohl der Support, Audrey Funk, super war und der ganze Laden schon mal ordentlich vorgetanzt hat, sind einige etwas genervt, jetzt noch mal so lange rumstehen zu müssen. Aber schließlich geht das Licht im Saal aus und los gehts. Oder doch noch nicht so richtig.

Sara Hebe, ihr Schlagzeuger, ihre Gitarristin, alle tragen Sonnenbrillen und wirken so distanziert. Dann fummelt Hebe endlos an einem Mikroständer rum, trägt ihn schließlich weg, nimmt sich ein Glas Wein. Als scheint sie gar nicht richtig bei der Sache. Dazu ist die ganze Zeit ein Fotograf mit auf der Bühne und stört am Anfang die Performance doch sehr. Aber zum Glück, soll sich im Laufe des Konzerts alles zum Guten wenden.

Die Lesedüne findet im SO36 statt.
Bild: imago/Travel-Stock-Image

Rotwein aus der Pulle

Denn der Sound, der da jetzt aus den Boxen ballert, ist nicht von dieser Welt. Die Bässe sind so tief, so wummernd, so derbe, dass der Boden vibriert. Die Drums sind teils live gespielt, teils aus dem Computer und zackig und hart, die Gitarre ist verzerrt und trotzdem ist das kein Rock, wie man jetzt denken könnte. Das ist eher eine Art Hardcore-Dancehall-Cumbia-Sound mit Rap-Gesang. Irgendwann nach dem dritten Song nimmt Hebe auch die Sonnenbrille ab, trinkt den Rotwein mittlerweile aus der Pulle und dreht echt durch auf der Bühne.

Eigentlich wollte sie Juristin werden, erzählt sie gerne in Interviews, war auch schon an der Uni eingeschrieben und wollte später als Anwältin den Armen und Unterdrückten in ihrem Land helfen. Doch dann entdeckte sie über ein Theaterstück die Musik und den Rap für sich, schmiss das Studium und wurde Musikerin. Und singt jetzt gegen alles an, was schief läuft auf dieser Welt. Gegen das Patriarchat, Polizeigewalt, Neoliberalismus.

Wütend und aggressiv

Dass sie auch als Privatmensch schnell wütend wird, ungeduldig ist und oft genervt, wie sie ebenfalls in Interviews erzählt, scheint ihr bei ihren Auftritten eher zu helfen. Die Songs kommen an diesem Abend aggressiver, härter, krasser rüber, als auf ihren bislang fünf Alben. In einem rosa-blauen Fantasiekleid, mit Corsage, Strumpfhaltern und einer Art Tüllschweif stampft sie über die Bühne und rappt und schreit atemlos ihre Lyrics.

Auch die Ansagen werden eher geschrien als gesprochen. Wobei die auch nur versteht, wer gut Spanisch kann. Was allerdings bei 50 Prozent der Leute der Fall zu sein scheint. Hebe lächelt wenig auf der Bühne, bleibt äußerlich ungerührt. Eine gewisse Wärme auszustrahlen ist vielleicht schwer bei den Themen und dem Sound, aber sie schafft es immerhin, zusammen mit ihrer Band, den Saal gleichzeitig aufzupeitschen und zum Tanzen zu bringen.

Es geht um was

In Argentinien ist Sara Hebe keine kleine Nummer, sie gewann Dutzende Preise, spielte im Fernsehen und auf den ganz großen Festivalbühnen. In ganz Lateinamerika gilt sie als Ikone und als Sprachrohr der queeren Szene. Und auch wenn sie sich an diesem Abend vielleicht ein bisschen sehr Rockstar-mäßig feiern lässt, mit Queen-ähnlichem Winken ins Publikum und triumphalen Blicken, was eigentlich gar nicht in die Szenerie passt: Die geschätzt 500 Leute im ordentlich vollen SO36 sehen wahrscheinlich genau das in ihr.

Viele der Fans haben dem Äußeren nach jedenfalls keine große Lust auf klassische Schönheitsideale und geschlechtertypische Kleidung. Die schreiende Performance steht allerdings ein bisschen im Widerspruch zu der so herzlichen Atmosphäre unter den Leuten vor dem Konzert und während des Support-Acts. Aber sei es drum. Sara Hebe geht es um was. Da kann man nicht zimperlich sein. Ein herausfordernder Abend, für die Ohren, für die Tanzbeine, für den Kopf. Gut so.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.06.2023, 6 Uhr

Nächster Artikel