The Who in der Berliner Waldbühne - Rock-Opas spielen Rockopern

Mi 21.06.23 | 09:18 Uhr | Von Jens Lehmann
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Band The Who spielt am 20.06.2023 beim Konzert in der Berliner Waldbühne. (Quelle: dpa/Carsten Koall)
Audio: rbb24 Inforadio | 21.06.2023 | Jens Lehmann | Bild: dpa/Carsten Koall

Sieben Jahre lang mussten die deutschen Fans der legendären Rockband The Who auf die Rückkehr ihrer Helden warten, am Dienstagabend war es dann soweit. Jens Lehmann war beim einzigen Deutschlandkonzert der "The Who Hits Back!"-Tour dabei.

Wie hieß die Zeile aus "My Generation" doch gleich? "Hope I die before I get old" … Tja, zu spät. The Who feiern nächstes Jahr ihr 60-jähriges Bühnenjubiläum. Lead-Sänger Roger Daltrey ist 79. Pete Townshend 78. Ihre alten Bandkollegen haben sie lange überlebt. Und wer glaubte, ihre "Long Goodbye"-Tour vor mehr als zehn Jahren sei wirklich schon der Abschied gewesen, der hat nicht mit der Zähigkeit dieser alten Herren gerechnet.

Dass Alter nicht vor jugendlichem Elan und Großartigkeit schützt, hat Peter Gabriel erst vor wenigen Wochen mit einem fantastischen Konzert in der ausverkauften Waldbühne bewiesen. Jetzt folgt ihm mit The Who eine der einflussreichsten und zugleich dienstältesten Bands des Planeten nach. Und schon wieder wimmelt es in der Murellenschlucht von rüstigen Rockern.

14.000 sollen es an diesem Abend sein. Da gähnen schon einige leere Blöcke gen Berliner Himmel, ein Schelm wer da an die Kartenpreise von teilweise mehr als 200 Euro denkt. Ich frag‘ mich ja immer, ob dadurch auch eine gewisse Vergnügungspflicht herrscht? "Bei dem Preis wär’s jetzt schon doof, wenn’s mir nicht gefällt…"

Vielleicht wird auch deshalb die ziemlich maue Vorband "The Wake Wood" abgefeiert, die doch mit ihrem Bluesrock eher so wirken, als hätten sie den Support im Preisausschreiben gewonnen. Man möchte ihnen "Who are you!?" entgegenrufen…

Punkt halb 8 ist es dann soweit: Erst strömen die Musikerinnen und Musiker vom Filmorchester Babelsberg auf die karge Bühne, und hinterdrein schlendert The Who. Leibhaftig.

Rockoper bis die Ohren bluten

Townshend im unauffälligen blauen Hemd, weißer Bart, so eine Hafenarbeitermütze verdeckt die Glatze. Daltrey dagegen ganz der Playboy: weißes Hemd, gefühlt bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, dazu eine von diesen selbsttönenden Porno-Sonnenbrillen, auf den großen Monitorwänden neben der Bühne sieht er aus wie Dieter Thomas Heck. Er prostet dem Publikum mit seiner Teetasse zu, greift sich zwei Tambourins – und los geht’s mit der bombastischen Ouvertüre zu "Tommy". The Who gelten ja als Väter der Rockoper. Und die ballern sie jetzt auch in die Waldbühne - bis die Ohren bluten. Die ersten sieben Songs stammen allesamt aus "Tommy".

Schon klar: The Who sind berühmt-berüchtigt für ihren Lärm, sie haben quasi im Alleingang die Lautstärke in den Rock´n´Roll gebracht. Aber muss das denn so matschig klingen?

Immerhin scheint es auch anderen Menschen so zu gehen, richtig Stimmung will in den ersten Songs noch nicht aufkommen, erst bei "Pinball Wizard" erwacht die Waldbühne zum Leben. Da stehen sogar die Herrschaften von ihren Stühlen im Innenbereich auf und recken die Fäuste.

Daltrey schwingt das Mikro

Daltrey ist da schon völlig in seinem Element, das Mikrophon schießt und schwingt am Kabel über die halbe Bühne, und wenn er es rechtzeitig wieder an den Mund kriegt, dann hat der Mann für sein Alter eine absolut beneidenswerte Stimme. Manchmal klingt sie ein bisschen rauh, aber das ist mehr liebenswerte Patina als alles andere, die Höhen sind jedenfalls voll da – und Daltrey kann auch richtig kämpferisch klingen.

Das hebt er sich allerdings für den Mittelteil des Konzertes auf. Da verlässt das tapfer vor sich hin spielende, aber nur selten zu hörende Orchester die Bühne, Townshend entschuldigt sich beim Publikum, dass man so lange nicht bei den Freunden und Verbündeten aus Deutschland gewesen sei – und The Who klingen jetzt plötzlich so, wie The Who eben auch in der neuen Besetzung mit Ringo-Starr-Sohn Zak Starkey und Townshends Bruder Simon klingen kann: Kraftvoll, rockig, direkt.

"You better you better you bet", "Substitute" – die älteren Fans sind jetzt völlig aus dem Häuschen. Erste Who-Who-Rufe sind im Rund zu hören. Und ja: Bei "We won’t get fooled again" reißt es auch mich endgültig mit.

Es ist ja auch ein zeitloser Song. "Wir lassen uns nicht schon wieder reinlegen" singt das lyrische Ich da immer wütender, während es eine Enttäuschung nach der anderen erlebt – ein Sisyphos der Revolution.

Mist, das Orchester kommt zurück

So stark könnte es weiter gehen, denke ich - und verfluche mich gleich dafür. Als wäre ich der Telekinese fähig, habe ich damit offenbar das Orchester wieder zurück auf die Bühne gedacht. Bei aller Sympathie für die Babelsberger (die Pete Townshend konsequent "your local Berlin orchestra" nennt): Man merkt sofort, was man nicht vermisst hat.

Die einzigen, die wirklich durchkommen, sind die Bläser. Die Streicher werden oft vom Keyboard geschluckt. Und jetzt geht auch noch die Koordination flöten, selbst der am rechten Bühnenrand bereitstehende Dirigent kann nicht mehr helfen, wenn Daltrey den Mikrophon-Propeller anwirft, Townshend sich durch Rockerposen rudert, Powerchords drischt und das Orchester am liebsten selbst leiten würde.

Na klar, ist ja auch wieder Zeit für Rockoper, jetzt ist Quadrophenia dran. Fünf Songs lang. Zu "The Rock" flimmern ikonische Bilder über die Leinwände, was früher Vietnam war, ist jetzt der Ukraine-Krieg. Bei "Love reign o’er me" rauscht das Orchester ein letztes Mal auf, es wird kitschig, das schrammt fast am Supertramp-Sound vorbei – und gerade, als man schon die irre steilen Treppen in der Waldbühne hochsteigt, da düdelt doch noch das berühmteste Synthie-Intro aller Zeiten in die Arena.

Zwiespältiger Abend

Mit "Baba O’Reily" endet ein zwiespältiger Abend. Es ist schön zu hören, dass man mit Ende 70 noch so gut bei Stimme sein und so gut rocken kann, aber warum man dem eigenen Bombast-Sound auch noch ein Orchester beigeben muss, bleibt mir schleierhaft. Will auch so gar nicht zu den Rock-Revolutionären der Sixties passen. Mein Fazit: Hmpf.

Sendung: rbb24 Abendschau, 21.06.2022, 19.30 Uhr

Beitrag von Jens Lehmann

19 Kommentare

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  1. 19.

    Ja klar, super Song der m. E. etwas von den Kinks beatmete "Happy Jack". ;-) Wobei schon die direkte Vorgänger-Single "Substitute", der zu meinen Lieblingssongs gehört, ein absoluter Kracher war. Und eben dieser Song war für '66 schon reichlich 'punkig' und wurde auch beim ersten Auftritt der Sex Pistols im Dez. '75 gespielt.

  2. 17.

    ja, erschreckend altersdiskriminierender und auch inhaltlich schwacher Kommentar von Jens Lehmann. Der sollte sich besser ins Tor stellen! (Ironie!)

  3. 16.

    Es stimmt: die Ticketpreise waren zu hoch, aber das sind sie nicht nur die bei THE WHO... Die Stones bspw. kosten noch deutlich mehr, obwohl sie weniger Kosten haben (kein Orchester) und live schlicht nicht so gut sind. Ihre musikalische Qualität haben THE WHO auf der Waldbühne wieder bewiesen. Genau das ist meiner Meinung nach auch der Grund für die "nur" ca. 20.000 Zuschauer... THE WHO sind halt KEIN Mainstream. Wie sagte Pete Townshend schon vor 60 Jahren: wer Qualität vermeidet kommt am besten weg!

  4. 15.

    Lieber RBB. Irgendwie empfinde ich den Bericht altersdiskriminierend. Das Alter zu erwähnen ist normal, kurz etwas dazu zu sagen auch, aber es ist der rote Faden von Überschrift bis Fazit. Damit reduziert Ihr das Ganze aufs Alter. Irgendwie traurig.

  5. 14.

    Mit dem Song“ Happy Jack“ war für mich als Jugendlicher damals klar, diese Band ist einfach großartig und das ist erst der Anfang. Die Alten Stones mit Brain Jones waren mir eh lieber.

  6. 13.

    Nun, Rockmusik ist sehr vielfältig. Diesbezügliche Musikrichtungen entwickeln sich weiter. Der "kleinste gemeinsame Nenner" ist ,"die Mukke ist handmade". Der Rest ist Geschmackssache - und "Legends never die".

  7. 12.

    Für mich die beste Band aller Zeiten! Und das für mich ultimative Konzert fand 1981 in der Grugahalle statt. Damals natürlich noch mit John Enthwistle. Kostete damals 12 DM; aber das kann man natürlich nicht mehr vergleichen!

  8. 11.

    Zitat: "Townshend entschuldigt sich beim Publikum, dass man so lange nicht bei den Freunden und Verbündeten aus Deutschland gewesen sei . . ."

    Dabei hat Daltrey sich mglw. kleines "F*ck you!" gedacht. ;-) Denn er ist ja, anders als Townshend, als ziemlich konservativer Brexiteer bekannt. Wobei er sich schon davon enttäuscht zeigte, dass die großen Versprechungen, die sich nach dem Austritt aus der "Mafia" EU ergeben sollten, dann doch nicht eingetroffen sind . . . vor allem nicht für ihn persönlich.

    Nichtsdestotrotz sind The Who natürlich eine der besten Bands ever, die mir persönlich noch mehr als die Stones bedeuten.

  9. 10.

    Konzerte, gerade in dieser Größe sind mittlerweile teuer geworden. Keine Frage. Allerdings sind die Lohn-, Logistik- und Energiekosten bekanntermaßen gestiegen, britische Bands klagen auch über den Brexit, der vieles nicht einfacher machte. Hier waren eine vielköpfige Band und ein Orchester aktiv - wie bereits gesagt wurde, das kostet. Wenn dann aber fast 2,5 h feinste Musik abgeliefert wird, stimmt der Gegenwert durchaus. Die Anwesenden waren bester Laune. - Im Artikel wird von der Patina in Daltreys Stimme geschrieben, okay, der Mann ist 79. Wären doch alle Menschen in diesem Alter so drauf. Aber einfach mal Material von 64/65 der High Numbers und frühen Who anhören und anschauen. Auch dort eine schöne, teils äußerst raue Stimme. Das hatten zu der Zeit einige, junge britische Sänger extrem gut drauf... da hatte ich eher meinen Spaß. Und für Puristen ist es ggf. auch reizvoll... Celli, Geigen, Bläser statt Synthesizer beim "Rock-Oper-Set"?

  10. 9.

    Wie Sie aber mit Sicherheit auch wissen werden wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt weil nichts bewiesen wurde. Blöd gelaufen.

  11. 8.

    Hmpf? Ok, Skepsis war angesagt. Orchester? Kann das gut werden? Meinem Empfinden nach: Es wurde gut. Und die - übrigens nicht nur betagten - Personen, die um mich herum dieses Konzert genießen durften (für 113 Euro übrigens), sahen das wahrscheinlich ähnlich. Totale Begeisterung. Prima Band, inkl. Zak Starkey an den drums. Pete gut in Form ... ok, man muss in seinem Alter auch keine Gitarre mehr zertrümmern - und auch My Generation muss nicht kommen ... i hope i die before i get old ... ach nö. Äußerst (!) beeindruckend die Stimme von Daltrey; man spielte 2 Stunden und zwanzig. Es wurde also durchaus etwas geboten fürs Geld - in anderen Medien übrigens durchaus auch so zu lesen. Aber die Geschmäcker sind verschieden - und der pure "Band-Set" war auch mehr nach meinem Geschmack. The kids are alright!

  12. 7.

    Sehr schön geschriebener Artikel, danke dafür. Ich habe mir den Spaß vor allem wegen dem Orchester nicht gegönnt; die Preise kamen noch extrem erschwerend hinzu. Hat der gute Pete etwa noch einen 'Sex Offenders' Prozess Hals als das er so viel Kohle braucht?

  13. 6.

    Richtig, es wird kein Hahn mehr nach den Interpreten von heute krähen. Muss man auch nicht, ist sowieso alles eine Brühe und dafür gemacht, so schnell wie möglich in Vergessenheit zu geraten.

  14. 5.

    Rock Opas ?
    Freut euch lieber. In zehn Jahren wird es all die Rock Legenden nicht mehr geben. Dann könnt ihr mit all dem ganzen Streaming Matsch leben, von dem Keiner jemals eine Legende wird.

  15. 4.

    Ob bei Peter Dennis Blandford Townshend wieder einige Gitarren zu Bruch gingen? Oder hat er sich diesesmal zurückgehalten? Bei „We won't get fooled again“ kann ich es mir sicher vorstellen das eine zumindest dran glauben musste.

  16. 3.

    Da frage ich mich wenn man bis zu 200 Euro für eine Karte verlangt ob dieses noch gerechtfertigt ist. Vor Jahren hat man zwischen 60 und 100 Euro bezahlt. Bei diesen Preisen müssen sich Konzertveranstallter nicht wundern wenn die Ränge leer bleiben.

  17. 2.

    Ich ärgere mich zwar auch oft über die hohen Ticketpreise, aber man muss in diesem Fall bedenken, dass neben The Who und Crew auch noch ein ganzes Orchester bezahlt werden muss. Und die Miete der Waldbühne ist vermutlich auch um einiges höher als von kleinen Clubs.

  18. 1.

    Früher war alles besser, was man in Frage stellen kann. Aber auf jeden Fall billiger ich habe sie für 10 DM gesehen und sie waren besser warum es war unsere Musik heute ist es nur noch Geschäft. Schade die Zeiten sind vorbei es lebe der Konsum .

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