9.000 Euro erhöhtes Beförderungsentgelt - Ausflug einer Berliner Schulklasse endet zum zweiten Mal mit Polizeieinsatz
Die Abschlussfahrt einer 10. Klasse aus Berlin endet mit einem erhöhten Beförderungsentgelt von 9.000 Euro. Und einem Empfang der Bundespolizei. Ein Teil der Schüler wurde erst kürzlich in Brandenburg angegriffen. Von P. Rother und J. Hennig
Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit endete der Ausflug einiger Berliner Zehntklässler mit einem Polizeieinsatz. Die Bundespolizei begrüßte in der Nacht von Freitag zu Samstag kurz nach Mitternacht insgesamt 32 Schüler:innen und ihre beiden Lehrkräfte am Berliner Hauptbahnhof - zusammen mit den wartenden Eltern der zumeist 15- und 16-jährigen Jugendlichen.
Der Gruppe wurde Fahren ohne gültiges Fahrschein vorgeworfen. Mehr als 9.000 Euro erhöhtes Beförderungsgeld sollte sie dafür bezahlen. Und nun wurden ihre Personalien aufgenommen.
Wobei die Bundespolizei wohl schnell deutlich machte, dass sie selbst überrascht war, wen sie da empfing - laut der Lehrerin wirkten sie nicht auf eine müde Klasse am Ende ihrer Abschlussfahrt eingestellt. "Vor Ort zeigten sie Verständnis", sagt eine der Lehrerinnen dem rbb, "das war wohl etwas falsch durchgegeben worden."
Erst Verspätung, dann falsches Gleis
Aber, der Reihe nach: Die Schulklasse aus Berlin kam aus Utrecht in den Niederlanden, wo sie gerade eine sehr schöne Abschlussfahrt hatte, wie die Lehrerin schildert. Sie wollten am Freitag zurück nach Berlin fahren. Doch beim Zwischenstopp in Duisburg strandete die Reisegruppe. Der anvisierte Flixtrain hatte Verspätung, um 16:36 Uhr sollte er ursprünglich von Gleis 10 abfahren.
"Viele Züge mit Verspätung, sehr chaotisch und voll, da Bauarbeiten", vermerkte die Lehrerin in einem Gedächtnisprotokoll, das dem rbb vorliegt. Um 17:58 Uhr sei an der Anzeigetafel ein Gleiswechsel für den Zug nach Berlin angezeigt worden. Die Gruppe aus Berlin wechselte also hinüber zu Gleis 9. Dort sei der FLX 30 zunächst auch an der Anzeigetafel für 18:01 Uhr angekündigt worden, so die Lehrerin. Ab etwa 18:06 Uhr verschwand die Ankündigung aber. Der Zug kam nicht.
Die Lehrkräfte versuchten danach vergeblich die Flixtrain-Hotline zu kontaktieren. Am Infoschalter der Deutschen Bahn erfuhren sie, dass der FLX 30 von Gleis 11 statt 10 oder 9 abgefahren war. Auch andere Reisende hatten den Zug deshalb verpasst.
Gestrandet in Duisburg
Die Mitarbeiter der Deutschen Bahn riefen dann nach Angaben der Lehrerin verschiedene Stellen an, um herauszufinden, wer nun haftet: Flixtrain oder die Bahn? "Die Bahn habe den Anzeigetafel-Fehler verursacht, hieß es dann", so die Lehrerin. Das gaben sie ihr später auch schriftlich.
Ein Lösungsvorschlag, wie die Gruppe nun nach Berlin kommen soll, habe es aber nicht gegeben. "Anrufe bei Schulleitung, stellvertretender Schulleitung und privater Anwältin", schreibt die Lehrerin in ihrem Protokoll. Es sei keine Lösung des Problems in Sicht gewesen. ICE-Tickets für alle Gruppenmitglieder hätten zu dem Zeitpunkt rund 4.500 Euro gekostet. "Das Geld hatten wir aber nicht", so die Lehrerin.
"Jede weitere Kooperation" verweigert
Mit der schriftlichen Bestätigung der Bahn über "fehlerhafte Gleisinformationen" stieg die Klasse um 20:10 Uhr schließlich, nach sieben Stunden auf dem Duisburger Bahnhof, in einen ICE nach Berlin – auf Vorschlag der Lehrkräfte ohne Fahrschein. "Wir hatten zuvor mit der stellvertretenden Schulleitung gesprochen – die hatte den Vorschlag unterstützt", so die Lehrerin. Auch die Bahn-Mitarbeiter vor Ort hätten das akzeptiert, sagt sie.
"Das war eine Notsituation, wir müssen die Kinder ja befördern", sagt die Lehrerin. Die erste Ticketkontrolle im Zug verlief auch ohne Beanstandung. Der Kontrolleur verstand. "Er sagte, dass es noch einen Personalwechsel geben wird. Er wollte das Problem weitergeben", so die Lehrerin.
Doch der zweite Kontrolleur verstand nicht. Er sei sofort aktiv geworden, habe mit mehreren Stellen wegen der Zuständigkeit telefoniert, erklärt die Lehrerin: "Es ließ sich offenbar nicht mehr klären, dass es einen Anzeigefehler in Duisburg gab." Der Kontrolleur habe daher nach etwa einer Stunde entschieden, das erhöhte Beförderungsentgelt von der Reisegruppe aus Berlin zu verlangen. "Wir haben daraufhin jede weitere Kooperation mit dem Kontrolleur verweigert", hält die Lehrerin schriftlich fest.
Bundespolizei: "verstärkt Kräfte vor Ort"
Um 0:20 Uhr kam der ICE schließlich am Berliner Hauptbahnhof an. Die Reisegruppe wurde von etwa 20 Kräften der Bundespolizei erwartet. Nach Aufnahme der Personalien wurde eine Fahrpreis-Nacherhebung pro Person von 267,40 Euro verteilt. In Summe geht es also um einen Betrag von 9.091,60 Euro. Für den verpassten Flixtrain zahlte die Klasse der Lehrerin zufolge knapp 1.500 Euro.
Die Bundespolizei bestätigte dem rbb auf Nachfrage, dass es in der Nacht zu Samstag einen Einsatz im Hauptbahnhof gegeben hat. Es waren demnach "verstärkt Kräfte vor Ort". Die Schüler und die beiden Lehrkräfte hätten keine gültigen Tickets gehabt, erklärte eine Sprecherin. Die Lehrkräfte hätten sich geweigert, die Personalien an den Kontrolleur im Zug herauszugeben. Daher sei die Polizei angefordert worden, um die Identität der Schüler und der Lehrerinnen festzustellen.
"Das ist in so einem Fall eine ganz normale Prozedur", sagte die Sprecherin der Polizei weiter. Die anwesenden Erziehungsberechtigten seien informiert worden, dass es noch etwas dauern würde, hieß es weiter.
"Der Einsatz war absolut unangemessen und unnötig und hat mich und die Kinder irritiert, die gerade erst nicht so erfreuliche Erfahrungen mit der Polizei hatten", sagt dagegen die Lehrerin.
Bahn fordert Geld nicht mehr ein
Denn für etwa die Hälfte der 32 Schüler:innen war es nicht der erste unerfreuliche Vorfall während einer Fahrt. Im Mai bereiteten sich die Zehntklässler auf ihre Mathe-Prüfungen für den Mittleren Schulabschluss vor. In Heidesee (Dahme-Spreewald) wurden sie dann aber rassistisch beleidigt und von teils vermummten Jugendlichen bedroht. Die Polizei musste kommen, die Eltern holten nachts ihre Kinder vorzeitig ab.
Die Angreifer wollten laut Polizei auch in die Unterkunft der Schulklasse gelangen. Der Staatsschutz ermittelt wegen Volksverhetzung und Bedrohung.
Die Vorgeschichte war zumindest bei der Bahn natürlich nicht bekannt. Dennoch bedauert sie im Nachhinein die Geschichte: "Wir können verstehen, dass der Vorfall am vergangenen Freitag für die Reisegruppe ein unerfreuliches Erlebnis gewesen ist", teilte ein Sprecher dem rbb auf Nachfrage mit. "Dafür möchten wir uns an dieser Stelle entschuldigen."
Das Geschehene werde aufgearbeitet, hieß es zunächst. Später schrieb ein Sprecher: "Es ist richtig, am vergangenen Freitag hat es am Bahnhof Duisburg Fehler in der Kundeninformation gegeben. Deshalb werden wir die Fahrpreis-Nacherhebung von der Schulklasse nicht einfordern." Das erfolge "aus Kulanzgründen", so der Sprecher, immerhin sei die Gruppe am Ende "ohne gültigen DB-Fahrschein in den ICE eingestiegen". Auch die Lehrerin bestätigt, dass sie mit der Bahn im Kontakt und Austausch sei und nun die 34 Vorgangsnummern übermitteln müsse.
Dann wird zumindest diese Geschichte erledigt sein.
Sendung: rbb24 Inforadio, 14.07.2023, 18:30 Uhr