Brandenburgs Innenminister zieht Bilanz - Endlich Schluss mit "Kampagne und Klamauk"
Michael Stübgen kam als Krisenretter für die CDU aus dem Bundestag nach Brandenburg, wurde Innenminister und Landesvorsitzender. Der Kenia-Koalition trauert er nicht nach. Von Schwarz-Grün im Bund rät er trotzdem nicht ab. Über seinen Abschied sprach er mit Amelie Ernst und Michael Schon.
rbb|24: Herr Stübgen, die Kenia-Koalition ist kurz vor Schluss mit einem großen Knall zerbrochen. Ministerpräsident Woidke von der SPD hat die bündnisgrüne Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher auf dem Flur des Bundesrats entlassen, im Streit um die Krankenhausreform. Wie müssen wir uns die Zusammenarbeit zwischen SPD, CDU und Grünen in den letzten fünf Jahren vorstellen?
Michael Stübgen: Das war eine komplizierte Koalition. Das war von Anfang an klar, mit drei Partnern. Unsere Kabinettssitzungen, aber auch der Koalitionsausschuss, waren sehr oft streitbeladen. Aber das Ziel, dass wir zu Ergebnissen kommen müssen für das Land und die Menschen, hat uns grundsätzlich geeint.
Das heißt, den Rauswurf von Frau Nonnemacher fanden Sie trotz allem angemessen, auch in der Form?
Der Ministerpräsident hat sowohl die Personal- als auch die Richtlinienkompetenz. Das heißt, er kann im Zweifel anweisen, welche politische Haltung die Landesregierung in bestimmten Fragen hat. Er hatte angekündigt, die Krankenhausreform in den Vermittlungsausschuss zu überweisen und auf seiner Richtlinienkompetenz bestanden. In einem solchen Fall hat ein Minister zwei Möglichkeiten: Entweder er beugt sich oder er nimmt seinen Hut. Dem Ministerpräsidenten war der Vermittlungsausschuss wichtig. In der Sache habe ich das auch für richtig gehalten. Frau Nonnemacher aber wollte bei der Abstimmung eine Enthaltung Brandenburgs herbeiführen.
Wie würden Sie denn den Führungsstil von Ministerpräsident Woidke beurteilen? Zuletzt gab es den Vorwurf, er sei autoritär.
Das kann ich so nicht bestätigen. Die Gesundheitsministerin auf dem Flur zu entlassen – das hätte ich anders gemacht. Ansonsten war sein Führungsstil kooperativ.
Was war Ihre Rolle in der Koalition?
Als stellvertretender Ministerpräsident war es meine Rolle, die Schwerpunkte meiner Partei zu vertreten. Da brauchte es ein gewisses Verhandlungsgeschick. Und Geduld: Wenn man mit den Grünen etwas verhandeln wollte, brauchte man immer sehr viel Zeit. Das kannte ich nicht, trotz 29 Jahren Erfahrung im Bundestag.
Was war so schwer?
Man hat über Vorschläge ein halbes Jahr lang im Kabinett verhandelt, dann gab es endlich eine Einigung. Und dann fing das in den Koalitionsfraktionen im Landtag mit den Grünen wieder von vorne an – so, als hätte man nicht schon ein halbes Jahr in der Regierung verhandelt. Gesprächskreise sind wichtig. Aber gutes Regieren hängt von Entscheidungen ab.
Das klingt nicht so, als würden Sie Ihrem CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz nach der Bundestagswahl eine Koalition mit den Grünen empfehlen.
Es gibt schon Unterschiede zwischen Grünen-Landesverbänden oder dem Grünen-Bundesverband. Ich kenne viele Regelungen im Polizeibereich, auch beim Verfassungsschutz, die gehen zum Beispiel mit den Grünen in Baden-Württemberg oder in Nordrhein-Westfalen, nur mit den Grünen in Brandenburg gehen sie nicht. Meine Erfahrungen mit den Grünen in Brandenburg sind mäßig.
Sie hätten also nicht noch einmal fünf Jahre in einer Kenia-Koalition regieren wollen?
Ich hätte nicht unbedingt gerne fünf Jahre so weitergemacht. Für mich hat sich deutlich gezeigt, dass die Brandenburger Grünen in Fragen von Polizei, Verfassungsschutz und auch Asyl und Migration letztlich ideologische Positionen vertreten, die unser Land ruinieren würden. Um ein Land in Krisenzeiten zu organisieren und zu führen, ist das nicht hinreichend.
Die Krisen der letzten fünf Jahre waren Corona, Krieg und Migration. Was hätte im Rückblick besser laufen müssen?
Beim Thema Asyl und Migration hätte ich mir gewünscht, dass wir nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins mindestens eine Ausreiseeinrichtung schaffen. Wir haben etwa 4.500 vollziehbar ausreisepflichtige Asylbewerber in Brandenburg, aber die Rückführung funktioniert nicht hinreichend. Aber das war wieder ein Riesenproblem mit den Grünen. Genauso das Behördenzentrum am BER, das wir ja mit der Ampel-Koalition im Bund machen wollten und das ich am liebsten schon Anfang letzten Jahres eröffnet hätte…
… manche sagen auch Ausreisezentrum dazu, das erklärt vielleicht den Streit...
… ja, aber es ist kein Ausreisezentrum. Die ganze Debatte war extrem einseitig, auch medial. Manche Landtagsabgeordneten nannten es sogar Abschiebedrehkreuz. Eine vorsätzlich falsche Bezeichnung. Es geht um ein Behördenzentrum, in dem die Kompetenzen und die Strukturen des Bundes, also die Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, und unsere Zentrale Ausländerbehörde gebündelt werden. Es geht um Flughafen-Asylverfahren, um die Einreise von Kontigentflüchtlingen – und ja, auch um Abschiebungen, die dort durchgeführt werden können.
Vielleicht auch eine Frage des Menschenbildes. Vor Ihrer Karriere als Politiker waren Sie Pfarrer. Gab es Entscheidungen in der Migrationspolitik, bei denen Sie Ihre christlichen Ideale verraten haben?
Nein. Dann hätte ich nicht Innenminister werden dürfen. Aber der Meinung war ich nie, dass man als Innenminister in einem demokratischen Deutschland gegen sein Gewissen verstoßen muss. Meine Pflicht als Innenminister ist es, Recht und Gesetz im Bereich Migration umzusetzen. Ein Land muss bestimmen können, wer kommt und wer nicht – da hatte ich vielfach auch Auseinandersetzungen mit Angela Merkel. Und ausreisepflichtige Asylbewerber müssen das Land verlassen. Allerdings haben wir in Brandenburg in den letzten fünf Jahren bevorzugt auf freiwillige Ausreisen gesetzt. Das hatten sich auch die Grünen im Koalitionsvertrag gewünscht. Und das habe ich immer aus Überzeugung mitgetragen.
Haben Sie nie einen Zwiespalt gefühlt?
Ich halte es für einen Fehler, wenn vor allem diejenigen abgeschoben werden, derer man leichter habhaft wird, weil sie sich gut integrieren. Es gab zum Beispiel einen Abiturienten, der kurz vor einem hervorragenden Abschluss stand, schon einen Studienplatz in der Tasche hatte und voll integriert war. Der sollte abgeschoben werden. Da habe ich mich persönlich gekümmert. Die Möglichkeit zur Beschäftigungsduldung und Ausbildungsduldung gab es schon, als ich Innenminister geworden bin. Allerdings kann das nicht ein Amt organisieren, das muss ein Asylbewerber selbst beantragen. Und er muss natürlich wissen, dass er es beantragen kann. Wir müssen die Integrationsverweigerer zurückführen, nicht diejenigen, die sich integriert haben. Nach langer Diskussion in der Koalition haben wir geschafft, dass Angelegenheiten der Rückführung und Abschiebung nicht mehr bei den Kommunen liegen, sondern bei der Zentralen Ausländerbehörde des Landes.
Wo haben Sie in den letzten fünf Jahren Fehler gemacht?
Die Corona-Impfkampagne – da bin ich ziemlich reingestolpert. Mein Haus hat sie vom Gesundheitsministerium übernommen. Es musste verhindert werden, dass sie scheitert. Ich hatte nicht genug Zeit, mir Strukturen zu überlegen und sie durchzusetzen. Da gab es Reibungsverluste, auch weil die Kooperationsbereitschaft des Gesundheitsministeriums gering war. Zigtausende Brandenburgerinnen und Brandenburger wollten sich impfen lassen, aber es war nicht genug Impfstoff da und es gelang nicht, den Impfstoff nach Bedarf zu verteilen. Wir haben es dann aber mit einem Krisenstab geschafft, beim Impfen auf das normale bundesdeutsche Niveau zu kommen.
Würden Sie sagen, Ihnen ist in den letzten fünf Jahren ein großer Wurf gelungen?
Der Verfassungstreue-Check, der in der gesellschaftlichen Situation, die wir jetzt haben, leider nötig ist. Bevor Beamte auf Lebenszeit ernannt werden, prüfen wir, ob bei einem der Verfassungsschutzämter etwas vorliegt. Übrigens bundesweit, das hat BSW-Chef Robert Crumbach offenbar noch nicht ganz verstanden. Die neue Koalition von SPD und BSW will das nächstes Jahr evaluieren. Ich zweifle, dass es dann schon genügend belastbare Daten gibt. Aber ich bin sicher, dass sich das Gesetz insgesamt bewähren wird.
Sie haben die AfD zum rechtsextremistischen Verdachtsfall erklärt. Den Verdachts-Status kann man nicht ewig aufrechterhalten. In welche Richtung bewegt sich die AfD?
Brandenburg war 2020 das erste Bundesland, das die AfD öffentlich zum Verdachtsfall erklärt hat. Mir war wichtig, das öffentlich zu machen, auch um der betroffenen Partei die Möglichkeit zu geben, das rechtlich prüfen zu lassen. Das hat ja auch stattgefunden. Seitdem beobachten wir die Partei und es ist durchaus möglich, dass sie als gesichert rechtsextrem hochgestuft wird. Wir haben es mit einer weiteren Radikalisierung der AfD zu tun, diese Erkenntnisse liegen in Brandenburg vor. Darüber wird dann aber die nächste Regierung zu entscheiden haben.
Sind Sie bei all der Krisenbewältigung froh, dass Sie diese Themen bald los sind?
Ich habe es nicht gehasst, hier morgens ins Büro zu kommen. Aber es gibt eine Menge Dinge, wo ich nicht traurig bin, dass ich sie nicht mehr habe.
Zum Beispiel?
Viele Auseinandersetzungen im Innenausschuss des Landtags hatten mit einer sachorientierten Streitkultur nichts zu tun. Das war Klamauk und Kampagne. Das habe ich in der Form in meiner Zeit im Bundestag nicht erlebt.
Schauen wir noch auf Ihre Partei, die CDU. Bei der Wahl im September wurde sie mit 12,1 Prozent kleinste Oppositionspartei im Landtag.
Ich glaube, die Brandenburger CDU muss jetzt aufpassen, dass ihr nicht das passiert, was der SPD in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt passiert ist – dass sie nur noch einstellig gewählt wird. In Sachsen war die SPD froh, noch sieben Prozent zu bekommen und als Zünglein an der Waage für eine Regierungsbildung herzuhalten. Als scheidender Innenminister und ehemaliger Landesvorsitzender werde ich jetzt keine Ratschläge geben, was zu tun ist. Zur Wahrheit gehört auch, dass die SPD den Wahlkampf zu einer Entscheidung zwischen Dietmar Woidke und der AfD polarisiert hat. Das hat allen geschadet, außer der SPD und der AfD.
War es ein Fehler, dass Ihr Spitzenkandidat Jan Redmann Fraktionsvorsitzender geblieben ist, statt Sie als Innenminister abzulösen und sich als Teil der Regierung zu profilieren? Das Gedankenspiel gab es.
Ich weiß nicht, wer darüber alles nachgedacht hat. Mich hat niemand gefragt. Ich fühlte mich auch an das Versprechen gebunden, für fünf Jahre als Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident zur Verfügung zu stehen.
Wäre es denn im Rückblick eine Variante gewesen, die die CDU nach vorne gebracht hätte?
Natürlich erhöht so ein Ministeramt den Bekanntheitsgrad. Aber an der Bekanntheit allein lag es nicht. Die wurde bei Jan Redmann ja auch durch andere Dinge erhöht.
Wo sehen Sie nach Ihrer Zeit als Innenminister in der CDU und in der Brandenburger Politik: Im Hintergrund, als Ratgeber, oder vielleicht doch irgendwo im Vordergrund?
Wenn mein Amt vorbei ist, werde ich nach 35 Jahren als Berufspolitiker kein öffentliches Amt mehr haben; keine öffentlichen Reden, kein erhobener Zeigefinger. Im nächsten Jahr werde ich Dinge tun, für die ich bisher keine Zeit hatte: Mit meiner Frau die Alpe-Adria-Tour machen [410 km langer Radweg von Salzburg nach Grado, Anm. der Red.], mit dem Fahrrad von München nach Trient, eventuell weiter nach Venedig, weil ich meiner Frau vor Jahrzehnten versprochen habe, dass wir die Stadt mal besuchen.
Und ich wollte schon immer mal nach Riga segeln, das kommt im Sommer. Für die Zeit danach habe ich erstaunlich viele Angebote, sowohl voll- als auch teilberuflich. Damit werde ich mich aber nach dem 12. Dezember beschäftigen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.12.2024, 07:55 Uhr