Geflüchtetenhilfe in Berlin - Sozialarbeiter am Limit
Fast zwei Drittel der Deutschen sprechen sich dafür aus, weniger Geflüchtete aufzunehmen. Derweil steigt die Zahl der Menschen, die in Berlin ankommen. Diejenigen, die sich um sie kümmern, berichten von grenzenloser Erschöpfung. Von Agnes Sundermeyer
Irgendwas fällt immer aus in der aktuellen Notlage. Peter Hermanns und seine Kollegin Anja Thal drehen und drehen an den Knöpfen der Herdplatten in der alten Küche der Unterkunft für geflüchtete Männer in Treptow-Köpenick. 195 Menschen wollen hier täglich kochen.
Doch das geht gerade nur eingeschränkt. Neben ein paar kaputten Herdplatten gibt es nämlich momentan auch kein Wasser. Sozialarbeiterin Thal seufzt und deutet auf die Badezimmertür gegenüber. "Jetzt müssen die Bewohner eben Wasser von da holen, wenn sie ihr Essen kochen wollen. Das macht leider mehr Stress und Unruhe, wenn jemand anderes gleichzeitig duschen will."
Ehrenamtliches Engagement zurückgegangen
Kochen ist Fixpunkt in einem sonst oft ungeregelten Alltag – klappt das nicht, ist Stress programmiert. Das kann das Sozialarbeiter-Team von Anja Thal und Peter Herrmanns in der Unterkunft nicht gebrauchen. Die ist so gut wie voll. Peter Hermanns koordiniert die Unterbringung für den "Internationalen Bund", der 36 Einrichtungen in Berlin und Brandenburg betreut. Insgesamt sind dort gut 5.000 Menschen untergebracht. In den letzten Tagen ist das ein Job am Limit geworden.
Auf seine persönliche Belastung angesprochen, wird der 59-Jährige ernst. Im Moment sei es "wieder heftig". Zwischendurch habe er versucht, ein bisschen auf sich zu achten: "Das geht aber gar nicht mehr, im Moment sind es wirklich so regelmäßig 60 Stunden Arbeit pro Woche." Dabei hat Hermanns viel Erfahrung mit der schnellen, improvisierten Unterbringung von Menschen.
Euphorische Willkommenskultur vorbei
2014, als die erste große Welle der Flüchtlingskrise kurz bevorstand, hatte er die Leitung der ersten Containerunterkunft übernommen. Gegen viel Widerstand einer teilweise von Rechtsextremisten unterwanderten "Nein zum Heim"- Initiative im Kiez. Aber auch mit viel Unterstützung rühriger Ehrenamtlicher.
Von der euphorischen Willkommenskultur sei nicht viel geblieben, so Hermanns. Helfer, Ehrenamtliche und Mitarbeiter seien desillusioniert und erschöpft, das ehrenamtliche Engagement signifikant zurückgegangen, so Hermanns.
Zusammenarbeit mit dem Landesamt oft chaotisch
Seit Februar steigt die Zahl der Geflüchteten, die in Berlin ankommen und untergebracht werden müssen, wieder kontinuierlich. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten verzeichnete im August einen Zugang von 9.988 Asylbewerbern, im September kamen 12.303. Dazu die Geflüchteten aus der Ukraine, 11.758 im September.
Parallel zu den Zahlen steigt auch der Druck auf Hermanns und die anderen Betreiber von Unterkünften, schnell genug Betten bereitzustellen. Und das nicht nur von heute auf morgen, sondern von Stunde zu Stunde. Da habe Berlin "wenig aus der Krise gelernt", so Hermanns. Immer noch gebe es große organisatorische Probleme in der Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten: "Erst wurde uns gesagt, es kommen 100 neue Bewohner, dann 150, 200. Und so müssen wir im Laufe des Tages permanent die Dienstpläne ändern, die Logistik, um das hinzukriegen."
Mehr Augenmaß in der Krise
Hauptherkunftsländer der Männer im Heim in Treptow-Köpenick sind Syrien, die Türkei und Afghanistan. Im Durchschnitt sind die Bewohner 31 Jahre alt. Die Sozialarbeiter helfen ihnen bei der Suche nach Integrationskursen und einem Ausbildungsplatz. Nur wenige haben schon Asyl und arbeiten.
Voraussetzung für eine bessere Integration sei mehr "Augenmaß in der aktuellen Krise", davon ist Hermanns überzeugt. Auch wenn er vom Krisenmanagement des Landes enttäuscht sei, könne es nur mit den Behörden gelingen, und nicht gegen sie. "Wir dürfen nicht mehr permanent in so einer Notsituation sein, sondern müssen endlich die Dinge in Ruhe steuern!"
Es ist ein Appell an das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, das seine interne Kommunikation dringend verbessern müsse, so Hermanns. Außerdem brauche es eine Hausleitung als konstanten Ansprechpartner: Sonst hielten das auch die Sozialarbeiter nicht mehr lange aus. Im Heim in Treptow zieht mittlerweile wieder Essensgeruch durch die Flure. Es wird gekocht, wenn auch auf weniger Herdplatten. Fünf Betten sind noch frei in der Einrichtung. Spätestens am Wochenende werden sie belegt sein.
Sendung: rbb24 Abendschau, 24.10.2023, 19:30 Uhr