Interview | Frauentag - "Jeder einzelne Tag sollte Frauenkampftag sein"
Männer und Frauen werden in allen Bereichen des Alltags ungleich behandelt. Das hat damit zu tun, dass Frauen mehr Care Arbeit übernehmen, sagt Autorin Alexandra Zykunov. Am besten wäre, wir würden das Patriarchat gemeinsam abschaffen, findet sie.
rbb|24: Frau Zykunov, brauchen wir einen Frauentag?
Alexandra Zykunov: Klar, brauchen wir den noch, aber wir brauchen den am liebsten nicht ein Mal im Jahr, sondern jeden einzelnen Tag im Jahr. Weil immer noch so viel Unwissen darüber herrscht, wie sehr Frauen und weiblich gelesene Personen in einem Land wie Deutschland immer noch benachteiligt werden, im Grunde in jedem einzelnen Bereich ihres Alltags. Ich wünschte, wir hätten nicht nur den 8. März um dafür zu trommeln und das öffentlich zu machen, sondern jeden einzelnen Tag.
Denken Sie, der Frauentag ist wichtiger als der Muttertag, weil es an diesem Tag wirklich um das Erreichen von Gleichberechtigung geht und nicht um Dankesagen mit ein paar Blumen?
Den Muttertag würde ich am liebsten komplett streichen aus all unseren Kalendern, weil das ja im Grunde einfach nur so ein Verschleiern von der ganzen Care-Arbeit, von der finanziellen Abhängigkeit ist, in die sich meist Mütter in Deutschland immer noch manövrieren. Der macht das unsichtbar. Jeder einzelne Tag sollte Frauenkampftag und Mutterkampftag sein, und darauf aufmerksam machen, wie sehr sich gerade Mütter in Altersarmut manövrieren mit dem System in dem wir gerade leben.
Sie unterscheiden zwischen Frauen und Müttern. Denken Sie, dass Gleichberechtigung für Frauen mit Kindern in weiterer Ferne liegt als für Frauen ohne Kinder?
Das sieht man an den Statistiken, dass das so ist. Dass Frauen ohne Kinder und Care-Verantwortung beruflich weiter nach Vorne kommen und der Gender Pay Gap beispielsweise geringer ist. Gleichzeitig sollten wir nicht den Fehler machen und sagen: Dann kriege ich einfach keine Kinder, weil mich dann die Diskriminierung nicht tangiert. Wie traurig wäre das. Wir brauchen ja Kinder, auch wirtschaftlich als Arbeitnehmer:innen, Fachkräfte und Rentenzahler:innen von morgen. Und wir brauchen genauso Menschen, die sich um Alte kümmern, andernfalls brechen wir als Zivilisation zusammen.
Irgendwer muss sich um Kinder und Alte kümmern und nach Hause kommen und kochen und Wäsche waschen und putzen, sonst kann ja niemand nach seiner Arbeit nach Hause kommen, sich ausruhen und am nächsten Tag wieder in den Betrieb gehen. Und diese Care-Arbeit machen immer noch zu einem viel größeren Teil Frauen und eben nicht Männer. Das bedeutet also nicht, dass Frauen ohne Kinder genauso gut aufgestellt sind wie Männer, überhaupt nicht.
Woran liegt das?
Man weiß aus Untersuchungen, dass auch Frauen, die keine Kinder haben, vom Gender Pay Gap betroffen sind. Man weiß zusätzlich auch noch, dass Frauen im gebärfähigen Alter, die keine Kinder kriegen, trotzdem im Job benachteiligt werden, weil es dann heißt: "Oh, die hat noch keine Kinder, die könnte bald welche kriegen". Also imaginäre Kinder sind auch ein Problem. Oder wenn sie irgendwann aus dem gebärfähigen Alter raus sind, mit Mitte 40 und keine Kinder haben, heißt es: "Die wollte offenbar keine Kinder, was ist denn mit der nicht in Ordnung? Die stelle ich lieber nicht ein". Frauen können es eigentlich aktuell nur falsch machen.
Sie haben letzten Jahr Ihr Buch "Was wollt ihr denn noch alles?!" veröffentlicht und darin Zahlen und Studien gesammelt, in welchen Bereichen Frauen und Männer ungleich behandelt werden. Wo zeigt sich das außerhalb des Berufslebens noch?
Eine unbekanntere Diskriminierungsform ist sowas wie der Gender Health Gap. Medikamentenstudien werden auch heute noch zu mehr als 70 Prozent am männlichen Körper erforscht. Somit erleben Frauen aktuell auch heute doppelt so oft schwere Nebenwirkungen, wenn sie Medikamente nehmen im Vergleich zu Männern. Oder dass Frauen, die operiert werden, eine 32 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, auf dem Operationstisch zu sterben, wenn sie von einem männlichen Chirurgen operiert werden, statt von einer weiblichen Chirurgin. Gleichzeitig sind aktuell in Deutschland aber 77 Prozent aller Chirurgen Männer. Transfrauen oder Frauen of Color treffen solche Zahlen noch härter, sie werden im Gesundheitswesen und bei Diagnosen noch mehr diskriminiert als etwa weiße cis-Frauen [Anm. d. Red.: werden diejenigen bezeichnet, deren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.]
Was erwarten Sie von der Politik, damit sich an der Ungleichbehandlung möglichst bald etwas ändert?
Die Bundesregierung hat sich auf die Fahnen geschrieben, dass sie ja in zehn Jahren die Gleichstellung in Deutschland erreicht haben will. Das ist wirklich ein sehr lächerliches Ziel, weil sämtliche Institute vorrechnen, dass allein der Gender Pay Gap noch etwa 130 Jahre brauchen wird, um endlich behoben zu werden. Aber die Bundesregierung, wenn sie da wirklich ernsthaft etwas vorantreiben will, muss sie die Zusammenhänge sehen zwischen einerseits dem Gender Pay Gap und dem Gender Pension Gap, also der Rentenlücke und wie das alles andererseits mit dem Gender Care Gap zusammenhängt.
Dass sehr viele der Gender Gaps zusammenhängen mit der Tatsache, dass Frauen keine Zeit und keine Ressourcen haben, sich um all diese Dinge zu kümmern, ihre eigene finanzielle Unabhängigkeit voranzutreiben und Karriereleitern zu erklimmen, weil ihnen in diesem 24-Stunden-Tag die Zeit fehlt, weil die Care-Arbeit bei ihnen liegt, auf ihnen lastet und dort ihre Zeit frisst, all diese anderen Dinge angehen zu können und diese Gender Caps zu beheben.
Das heißt, wir brauchen viel mehr Anreize, um Männer in Care-Arbeit zu bringen. So etwas wie die Abschaffung des Ehegattensplittings, die Erhöhung des Elterngeldes, mehr Anreize, damit Männer in Teilzeit gehen, Familienstartzeit für Väter, diese zwei Wochen bezahlte Vaterschaftszeit.
Meinen Sie, wir müssen uns auch selbst verändern, um mehr Gleichberechtigung zu ermöglichen?
Ich hadere mit dieser Frage. Ich verstehe total, dass man den Wunsch verspürt, selbst etwas zu tun. Und natürlich sind auch Frauen patriarchial sozialisiert. Das heißt sie sind von klein auf erzogen worden mit diesem Gedanken, dass sie sich zu kümmern haben. Dass sie diejenigen sind, die putzen, dass sie diejenigen sind, die wissen, wie ein perfektes Geschenk instagramable einzupacken ist und wie man die dreistöckige Regenbogen-Torte backt.
Ich plädiere dafür, dass natürlich Frauen auch bei sich anfangen müssen und hinterfragen müssen: Muss ich diese Übermutterrolle annehmen? Und natürlich müsste man im privaten Bereich in heterosexuellen Beziehungen sagen: Streitet euch, Frauen. Geht viel mehr in den Konflikt und fechtet das mit euren Partnern aus und setzt die mal auf den Pott.
Das Problem ist, dass diese individuellen Aspekte sehr kurz greifen, allein schon, weil jede fünfte Familie ein Alleinerziehendenhaushalt ist – da gibt es gar keine Partner. Und auch weil jede dritte bis vierte Frau in ihrem Leben Gewalt in ihrer Beziehung erlebt haben wird und diese Frauen ihre Männer eben nicht einfach "auf den Pott" setzen können. Heißt: Ohne die politische Infrastruktur durch die Punkte, die ich vorhin habe anklingen lassen, ablassen, wird das alles wenig bringen.
Die Rahmenbedingungen müssen sich ändern, die Gesetze müssen sich ändern, die Politik und die Wirtschaft müssen Rahmenbedingungen schaffen, damit Gleichberechtigung wirklich gelebt werden kann. Es ist kein privates Problem, was in den Partnerschaften gelöst werden kann, sondern ein strukturelles.
Wir haben jetzt größtenteils über Menschen geredet, die gerade Eltern sind. Was ist mit denen, die jetzt Teenies sind oder Anfang 20 – ist ein Wandel zu mehr Gleichberechtigung auch eine Generationenfrage?
Das wird gut und gerne angenommen. Gleichzeitig hat eine aktuelle Studie gerade belegt, dass junge Frauen sehr links orientiert sind und gleichzeitig junge Männer sehr konservativ. Man sieht das auch an eher konservativen neoliberalen Parteien wie der FDP, die sehr viel von jungen Männern gewählt wird. Also ich würde nicht sagen, dass das ein Generationsthema ist.
Es ist eher ein Mind-Set-Thema. Wie sehr habe ich Angst meinen eigenen Machterhalt als Mann - wenn ich es jetzt ganz zugespitzt formuliere - zu verlieren? Das ist, glaube ich, eine Angst die sowohl bei einem 60-Jährigen als auch bei einem 20-Jährigen im Kopf ablaufen kann. Wir müssen einfach vielen Männern, egal welchen Alters zeigen, dass auch sie von dem patriarchalen System benachteiligt werden. Sie werden in Rollen gepresst, in toxische Männlichkeiten, in die Rolle des einzigen Ernährers, des einzigen Entscheiders, des Karriereristen – völlig egal, ob sie das überhaupt wollen oder nicht.
Der Mucki-Mann, der immer jede Frau erobert, der nicht so gern mit seinem Sohn kuschelt, nicht so gern beim Baby in Elternzeit ist, ungern über seine Gefühle redet und niemals bei Filmen weint. Von diesen Bildern werden Männer ja genauso in Geiselhaft gehalten und würden davon genauso befreit werden, wenn wir gemeinsam das Patriarchat abschaffen und das nicht nur den Frauen überlassen als Lebensaufgabe.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Anna Bordel, rbb|24
Sendung: rbb24, 08.03.2024, 13:00 Uhr