Interview | Waldforscher Pierre Ibisch - "Wenn Flächen in Ruhe gelassen werden, stellen sich oft von selbst Bäume ein"
Angesicht zunehmender Trockenheit und Waldbrände soll der Wald in Brandenburg zum klimaresistenten Mischwald umgebaut werden. Aber wie funktioniert das: Waldumbau? Waldforscher Pierre Ibisch plädiert dafür, die Wälder öfter sich selbst zu überlassen.
rbb: Herr Ibisch, wenn wir über den Wald in Brandenburg sprechen, welche Flächen meinen wir damit genau?
Ibisch: Wir sprechen über etwa ein Drittel der Landesfläche von Brandenburg, die gesetzlich als Wald definiert ist. Diese Fläche besteht größtenteils aus bewirtschafteten Wäldern, die vom Menschen stark geprägt und hauptsächlich auf die Holzproduktion ausgerichtet sind. Tatsächlich machen diese bewirtschafteten Wälder etwa 70 Prozent der Waldfläche in Brandenburg aus, und sie sind stark von Kiefern dominiert.
Man könnte fast von Baumäckern sprechen …
Ja, wenn man sich die Wälder genauer ansieht, sieht man oft gepflügte Furchen im Boden und Bäume, die in Reih‘ und Glied gepflanzt wurden. Das sieht dann aus wie auf einem Maisfeld. Diese intensive Waldbewirtschaftung ist allerdings weder für den Boden, noch für den Wald, noch für uns gesund.
Seit Jahren wird von Umweltschützer:innen und mittlerweile auch von der Brandenburger Politik ein Umbau des Waldes angemahnt, um ihn widerstandsfähiger gegen Trockenheit und Schädlinge zu machen. Wie ziehen die privaten Waldbesitzer mit?
Einige Waldeigentümer zögern, in die Waldentwicklung zu investieren. Sie hoffen, dass es doch noch eine Weile so weitergeht und nach einer Dürreperiode auch der Regen zurückkommen wird. Zudem könnte der Blick auf den Holzmarkt, der eine hohe Nachfrage nach Nadelholz zeigt, sie davon abhalten, von den Nadelbäumen abzuweichen.
Doch diese Haltung birgt potenziell große Risiken, denn die Gefahren durch Hitze, Trockenheit, Schädlingsbefall und Brände nehmen rapide zu.
In den Mittelgebirgen sind beispielsweise ganze Fichtenwälder praktisch über Nacht zusammengebrochen. Das macht deutlich, dass Geschäftsmodelle schnell zerstört werden können. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, rasch Maßnahmen zur Waldentwicklung zu ergreifen.
Welche Baumarten sollten wir verstärkt anbauen, um dem Klimawandel Rechnung zu tragen?
Ich würde gerne nicht mehr davon sprechen, Bäume anzubauen. Vielmehr müssen wir einen grundlegenden Wandel in unserem Denken vollziehen. Wir müssen den Wald als sich entwickelndes Ökosystem betrachten, das sich an immer schwierigere Wachstumsbedingungen und zunehmende Extreme anpassen muss.
Wir sollten bedenken, dass sich diese komplexen Ökosysteme erstaunlich gut selbst organisieren können. Der Wald umfasst Mikroorganismen und Pilze im Boden, die sich mit den Bäumen verbinden und ihnen bei der Nährstoff- und Wasseraufnahme helfen. Es gibt verschiedene Funktionen von Ökosystemen, die gestärkt werden müssen, und das lässt sich nicht einfach durch das Anpflanzen von Bäumen erreichen. Ein Wald funktioniert nicht wie eine Maschine, bei der man ein defektes Teil austauschen kann. Besonders in der Klimakrise ist das deutlich.
Wenn Flächen einfach in Ruhe gelassen werden, stellen sich oft von selbst Bäume ein, die an den richtigen Stellen wachsen, wo es am besten an Wasser geht. Diesen Prozess können wir unterstützen, müssen aber darauf achten, dass die jungen Bäume nicht von Wildtieren gefressen werden.
Letzten Sommer und bis in das frühe Frühjahr hinein gab es viel Regen. Hat das für Entspannung gesorgt?
Der Regen hat sicherlich geholfen, vor allem Laubwälder haben positiv reagiert. Aber auf den weit verbreiteten tiefgründigen Sandböden in Brandenburg kann das Wasser schnell versickern. Wenn wir also erneut ein trockenes Jahr haben sollten, könnten wir schnell wieder in Schwierigkeiten geraten. Grundsätzlich steigt mit den Temperaturen auch das Waldbrandrisiko vor allem in den Nadelbaumforsten.
Welche Rolle spielen in Brandenburg angesichts der hohen Waldbrandgefahr eigentlich Löschflugzeuge?
Dieses Thema wird auch europaweit diskutiert. Es zeigt sich aber immer wieder, etwa aus den Waldbrandländern im Mittelmeerraum wie Portugal und Spanien, dass Flugzeuge gar nicht das entscheidende Thema sind.
Am wichtigsten ist die Waldbrandprävention. Wir müssen die Wälder und Forste so entwickeln, dass es gar nicht erst zum Großbrand kommt, denn es zeigt sich: Wenn es brennt, wird es ganz, ganz schwierig. Und ob sie dann zwei oder drei Flugzeuge mehr haben, ist nicht entscheidend.
Wie gehen andere Regionen mit den Erhebungen zum Zustand des Waldes um? Läuft man da einfach durch den Wald, schaut nach oben und führt Strichlisten?
Konventionell gehen Menschen im Wald zu Stichprobenpunkten, von denen es gar nicht so viele gibt, die kilometerweit auseinander liegen, und beobachten dann die Bäume und schätzen den Belaubungsgrad ein. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Ich war erfreut zu sehen, dass der brandenburgische Waldzustandsbericht erstmals auch Daten von Satellitenbildern nutzte.
Diese Bilder ermöglichen es, abzuschätzen, wie die Temperatur auf der Erde und wie grün der Wald ist. Man kann so auch den Chlorophyllgehalt messen und damit die Vitalität des Waldes bestimmen.
Es ist dringend geboten, ein systematisches, fernerkundungsbasiertes Ökosystem-Monitoring einzurichten. Die Daten stehen in großer Zahl zur Verfügung, man muss sie nur nutzen. Dafür gehlt noch ein wenig das Bewusstsein in den Ministerien. Ich wünsche mir auch, dass dies im neuen Bundeswaldgesetz vorgeschrieben wird, um den Fortschritt in Richtung Digitalisierung zu unterstützen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Frank Schröder. Bei der vorliegenden Version handelt es sich um eine redigierte und gekürzte Fassung.
Sendung: Antenne Brandenburg, Das Gespräch, 27.02.2024, 20:05 Uhr