Verschobene Jahreszeiten - Was der sommerliche Herbststart für den Winter bedeutet
Zum kalendarischen Herbstanfang werden in Berlin und Brandenburg am Sonntag erneut 23 Grad und Sonne erwartet. Warum ein warmer Herbstbeginn normal geworden ist und was das für den Winter bedeutet, erklärt Meteorologe Frank Kreienkamp.
rbb|24: Zum kalendarischen Herbstanfang sollen es am Sonntag für unsere Verhältnisse fast schon kühle 23 Grad werden. Ist das ungewöhnlich warm?
Frank Kreienkamp: Es ist aktuell tatsächlich relativ warm für den Zeitraum im Monat, in dem wir uns befinden. Das ist in den letzten Jahren aber normal gewesen. Es ist aber auch möglich, zu diesem Zeitpunkt eine sehr viel kühlere Phase zu haben. Gerade vor ein paar Tagen war das ja so in Berlin und Brandenburg.
Wie wird es jetzt weitergehen, bleibt uns das schöne, fast noch sommerliche Herbstwetter noch eine Weile erhalten?
Die derzeitigen Vorhersagen prognostizieren uns noch einige sonnige Tage. Doch schon nächste Woche wird es etwas kühler und wolkiger. Für kommenden Donnerstag sagt die Vorhersage im Moment auch Regen vorher.
Auf Ihrer Website [dwd.de] gibt es einen Anzeiger für "phänologische Jahreszeiten". Dort ist deutlich zu sehen, dass schon der sogenannte Vor-Frühling zu Jahresbeginn im Jahr 2024 viel früher dran war als sonst. Und das zog sich durch den ganzen Frühling und Sommer. Kommen die Jahreszeiten jetzt immer früher? Ist früher das neue Normal?
Ja. Denn durch den Klimawandel haben wir höhere Temperaturen und dadurch fangen die Pflanzen früher an, in ihre Phäno-Phase zu kommen. Das heißt, dass sie früher austreiben, die Blüten und dementsprechend die Früchte früher kommen und – wenn dann eine gewisse Zeit vorbei ist – dann kommen auch irgendwann die Verfärbungen der Blätter früher. Denn die können ja nicht ewig an den Bäumen hängenbleiben.
Das heißt, die phänologischen Jahreszeiten machen sich am Zustand der Pflanzen fest. Müssten – wenn da jetzt alles viel früher vonstattengeht – irgendwann kalendarische und meteorologische Jahreszeitbeginne mal offiziell angepasst werden?
Die Einteilung der Jahreszeiten mithilfe von kalendarischem oder meteorologischem Kalender sind ja sowieso eine sehr artifizielle und für unsere Region speziell definierte Sache. Hier sagen wir ja: Der Winter soll weiß sein und es soll Frost geben. In anderen Regionen in der Welt ist das ja ganz anders. Schon in Italien gibt es viel weniger Frosttage im Winter. Und Schnee ist in vielen Regionen des Landes auch nicht typisch. Aus meiner Perspektive sollte da also nichts verschoben werden.
Zu den Verschiebungen der Jahreszeiten phänologisch gesehen: Geht das jetzt das ganze Jahr so weiter? Kommt also der Winter auch früher? Oder gibt’s immer weniger Winter?
Auch der Winter kommt vielleicht früher. Denn phänologisch gesehen beginnt der Winter mit dem Blattfall der Stiel-Eiche. Es kann sein, dass die Blätter in diesem Jahr früher herunterfallen. Das war auch in den vergangenen Jahren so. Aber es gibt auch Jahre, da geschieht das später. Es ist natürlich insgesamt viel länger warm. Dadurch kann die Ursache für den Blattfall auch später einsetzen – bei bestimmten Bäumen ist es notwendig, dass dafür Frost einsetzt. Und gerade der hat sich doch auf später im Jahr verschoben.
Wie funktioniert der Klimawandel an der Stelle – also woher kommt die Wärme, die alles früher im Jahr beginnen lässt?
Die Atmosphäre der Erde funktioniert wie ein Treibhaus. Also genau wie das, was wir als Glashaus im Garten kennen. Wenn die Energie als Strahlung von der Sonne in die Atmosphäre kommt, wirken bestimmte Inhaltsstoffe der Atmosphäre wie Glasplatten. Das heißt, die Strahlung von der Erde, die wieder zurück ins Weltall gehen soll, wird von der Atmosphäre blockiert.
Dadurch, dass wir Menschen die Atmosphärenzusammensetzung verändert haben – beispielsweise dadurch, dass wir durch die Verbrennung von fossilem Kohlenstoff mehr CO2 in die Atmosphäre gepustet haben – ist die Glasdecke sozusagen dichter. So bleibt mehr Wärme, mehr Energie im Treibhaus übrig. Von dem, was an Energie übrigbleibt, gehen 90 Prozent ins Meer. Nur zehn Prozent werden dafür genutzt, dass die Atmosphäre wärmer wird.
Wird sich das noch weiter verändern?
Bei der Phänologie gibt es da mehrere Punkte, über die man in Sachen Frühlingsbeginn nachdenken muss. Das ist einerseits die Temperatur und der Sonnenschein. Da wird mit fortschreitendem Klimawandel natürlich alles früher stattfinden. Aber die Pflanze brauchen teilweise auch bestimmte Ruhephasen oder auch Frosteinwirkung. Das heißt, irgendwann ist dann auch Schluss. Man kann nicht sagen, dass dann am Ende das Frühjahr am 1. Januar beginnt und der Herbst am 31. Dezember zu Ende ist. Es wird noch gewisse Phasen geben, in denen keine Blätter da sind, bevor die Pflanzen wieder anfangen zu wachsen. Dafür braucht es auch eine gewisse Menge an Sonneneinstrahlung. Und wir sind hier im Winter relativ weit weg von der Sonne. So viel Sonneneinstrahlung kommt da also gar nicht an, damit bestimmte Pflanzenphasen losgehen können.
Ist die Situation in Berlin und Brandenburg von der Lage in Deutschland her speziell?
Wir liegen hier aus deutscher Perspektive gesehen dicht am kontinentalen Rand und relativ weit weg von dem Meer – dem Atlantik – das uns beeinflusst. Wir haben also auch ohne den Klimawandel von vorneherein eine andere klimatologische Bedingung. Brandenburg ist üblicherweise trockener als die meisten anderen Regionen in Deutschland. Und durch die Kontinentalität ist es hier im Winter oft kühler und im Sommer wärmer. Wenn wir mit dem Klimawandel auch eine Erwärmung der Meere haben, führt das in den westlichen Bundesländern, die dichter am Atlantik liegen, dazu, dass es im Winter teilweise gar nicht mehr so kalt wird. Denn dort kommt die warme Luft vom Meer an.
Brandenburg ist auch im Nordosten Deutschlands die Region, die über sehr lange Phasen hinweg sehr sehr trocken sein kann. Und durch das Ausbleiben von Niederschlägen können dann auch Probleme bei den Pflanzenphasen auftreten. Durch die große Trockenheit können sie einfach nicht wachsen. Hinzu kommt – und das haben wir in Ostdeutschland und in anderen Regionen in diesem Jahr auch erlebt – der Punkt, dass wenn Pflanzen früher anfangen zu blühen, sind sie dichter an dem Bereich, in dem es noch kalte Nächte mit Frostgefahr geben kann. Das kann zu Ernteausfällen führen.
Die Klimasituation hat aber auch schon dazu geführt, dass teilweise Bauern zwei Ernten einfahren konnten. Ich weiß von einem Bauern, der Wintergetreide ausgesät hatte, das sehr früh reif war. Als er das geerntet hat, war es noch so früh im Jahr, dass er noch Sommergetreide pflanzen und ernten konnte.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess
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