Berliner Moderne - Waldsiedlung Zehlendorf für Unesco-Welterbe vorgeschlagen

Di 05.12.23 | 10:51 Uhr
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Wohnhaus, Waldsiedlung Zehlendorf, Argentinische Allee, Berlin (Quelle: dpa/Schoening)
Audio: rbb 88.8 | 04.12.2023 | Michael Ernst | Bild: dpa/Schoening

Sieben deutsche Vorschläge wurden auf die Liste für das Welt- und Kulturerbe der Unesco gesetzt. Darunter ist die Waldsiedlung Zehlendorf in Berlin - sie soll damit als eine Stätte von besonderer Bedeutung für die Weltgemeinschaft gewürdigt werden.

Die Waldsiedlung in Berlin-Zehlendorf steht auf der aktuellen Vorschlagsliste für das Welt- und Kulturerbe der Unesco. Die Kultusminister von Bund und Ländern einigten sich am Montag auf sieben neue deutsche Vorschläge. Dazu gehören neben der Waldsiedlung aus der Zeit der Berliner Moderne unter anderem die Fundstätte der 300.000 Jahre alten Schöninger Speere in Niedersachsen, das "Pretziener Wehr" in Sachsen-Anhalt, der Fernsehturm in Stuttgart und der Olympiapark in München, wie die Kultusministerkonferenz mitteilte.

Bunte "Papageiensiedlung" - mit hoher Lebensqualität

Die farbenfrohe Waldsiedlung Zehlendorf, auch bekannt als Onkel Toms Hütte oder Papageiensiedlung, wurde von 1926 bis 1931 nach Plänen der Architekten Bruno Taut, Hugo Häring und Otto Rudolf Salvisberg errichtet und war ihrer Zeit voraus. Die etwa 1.100 Mehrfamilienhäuser mit bis zu drei Stockwerken sowie Einfamilienhäuser stehen rund um den U-Bahnhof Onkel Toms Hütte. Dieser wurde erst während der Bauzeit der Siedlung eröffnet.

Die Architekten konzipierten sie auf dem damals unbebauten Gelände am Rande Berlins als Genossenschaftsprojekt, um Wohnraum für verschiedene soziale Schichten bereitzustellen. Architektur, Natur und Funktionalität sollten eine harmonische Verbindung eingehen, die Häuser organisch in die grüne Umgebung eingefügt werden. Für damalige Verhältnisse - Wohnraummangel war auch in der Weimarer Republik ein großes Problem - waren die Einfamilienhäuser fast schon weitläufig, mit ihren jeweils 85 bis 104 Quadratmetern Wohnfläche.

Bruno Taut ließ alle Fassaden mit leuchtenden Farben bemalen, die Richtung Osten in Gelb- und Grüntönen, die Richtung Westen in braun und dunkelrot. Er integrierte Gärten und Grünflächen zwischen den Gebäuden und verwendete bewusst Naturmaterialien wie Holz und Ziegelstein. Ein zeitloses Konzept, das den etwa 15.000 Bewohnerinnen und Bewohnern ein angenehmes Wohnumfeld und damit eine hohe Lebensqualität bieten sollte - daran hat sich in fast 100 Jahren nichts geändert. Seit 1995 steht die Waldsiedlung unter Denkmalschutz.

Onkel Toms Hütte würde Berliner Welterbe-Siedlungen der Moderne komplettieren

Dass sie nun fürs Unesco-Welterbe vorgeschlagen wurde, ist nur ein erster Schritt - sicher ist der Aufstieg in den exklusiven Klub damit noch nicht. Für die Auswahl von Welterbestätten müssen sich interessierte Stätten auf nationaler Ebene um die Aufnahme in die sogenannte Tentativliste für das Unesco-Welterbe bewerben. Ein Platz auf dieser Anmeldeliste ist Voraussetzung dafür, einen Antrag für die Welterbe-Liste einreichen zu können. Die aktuelle deutsche Tentativliste läuft den Angaben zufolge Ende 2024 aus.

Unter den sieben deutschen Vorschlägen wurde die Waldsiedlung Zehlendorf auf den ersten Platz gesetzt, "weil sie eine bereits existierende Welterbestätte vervollständigt". Die bereits registrierten sechs Siedlungen der Berliner Moderne - Gartenstadt Falkenberg, Schillerpark-Siedlung, Hufeisensiedlung, Wohnstadt Carl Legien, Weiße Stadt und Großsiedlung Siemensstadt - sind laut Unesco "Ausdruck der politischen, sozialen, kulturellen und technischen Fortschrittlichkeit im Berlin der Weimarer Republik".

Der Berliner Kultursenator Joe Chiallo (CDU) bestätigte, dass die Waldsiedlung als eine Erweiterung der schon seit dem Jahr 2008 bestehenden Welterbestätte der Berliner Moderne eingetragen werde. Den Worten des Stadtentwicklungssenators Gaebler (SPD) ist die Waldsiedlung ein herausragendes Beispiel für den sozialen Wohnungsbau.

Wohnhaus, Waldsiedlung Zehlendorf, Argentinische Allee, Berlin (Quelle: dpa/Joko)Fast 100 Jahre alt - und doch nie aus der Zeit gefallen: Die Waldsiedlung Zehlendorf.

Karl-Marx-Allee und Interbau-Gebäude setzen sich nicht durch

Zuvor hatte ein international besetzter Fachbeirat die neuen Vorschläge für Deutschland erarbeitet. Das letzte Verfahren dieser Art hatte vor zehn Jahren stattgefunden. Jedes Bundesland hatte die Gelegenheit, zwei Anträge einzureichen. Entscheidende Faktoren für eine positive Bewertung waren den Angaben zufolge neben dem Potenzial zur außergewöhnlichen weltweiten Bedeutung die Berücksichtigung der "Globalen Strategie für eine repräsentative, ausgewogene und glaubwürdige Welterbeliste", heißt es in dem Bericht, der am Montag veröffentlicht wurde [unesco.de].

Die ebenfalls vom Land Berlin auf die Vorschlagsliste eingereichten Gebiete der Karl-Marx-Allee in Ost-Berlin und der Interbau 1957 setzten sich dagegen nicht durch. Berlins Landeskonservator Christoph Rauhut sagte, er bedauere zutiefst, dass die Einzigartigkeit dieser Ensembles nicht erkannt wurde. "Für mich steht die herausragende Bedeutung dieser Denkmale außer Frage", sagte Rauhut: "Ich hoffe, dass wir für die Zukunft einen Weg zu finden, wie wir gemeinsam diesen bedeutsamen Gebieten der Berliner Baugeschichte zu einer dies würdigenden Anerkennung verhelfen können."

Die Welterbeliste zählt den Angaben zufolge aktuell 1.157 Stätten in 167 Ländern. Mit 51 Welterbestätten liegt Deutschland im weltweiten Vergleich aktuell nach Italien (58) und China (56) auf Platz drei [unesco.de]. Bei den Kulturerbestätten findet sich Deutschland (48) nach Italien (53) auf Platz zwei.

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.12.2023, 19 Uhr

19 Kommentare

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  1. 19.

    Ich sehe in einer tendenziell inflationären Unterschutzstellung eher eine Widerspiegelung der typisch deutschen Pedanterie: Wo sich ggf. nur das Spezifische der eingedrehten Schrauben vom Nachbargebäude unterscheidet, besteht die Versuchung, diesen Unterschied zu dokumentieren. Zudem gab es auf anderer Ebene ja immer schon Menschen, die alle Variationen eines Autofabrikats oder einer Baureihe bei der Bahn - Farbgebung, ggf. Zierstreifen der 1.,2.,3. Serie, Scheinwerfer, Innenleuchten - für jedes Exemplar einzeln für dokumentationswert halten.

    Gleichwohl: Die Dokumentation der Unterschiedlichkeit zwischen Karl-Marx-Allee und Hansa-Viertel ist es sehr wohl wert, öffentlich thematisiert und dokumentiert zu werden.

  2. 18.

    Die Vorschläge Waldsiedlung Zehlendorf und das Paar Karl-Marx-Allee (einst Stalinallee) und Hansaviertel verkörpern m. E. sehr Unterschiedliches:

    Ist die Struktur der Waldsiedlung erst auf den zweiten Blick erkennbar, müssen selbst Berliner sie oft erst suchen, stechen die Karl-Marx-Allee und das Hansaviertel deutlich heraus und das gerade in dem damals formulierten Gegensatz. Mir scheint, dass der Mut gefehlt hat, die Unterschiedlichkeit zwischen Karl-Marx-Allee und Hansaviertel zu thematisieren, ohne Gefahr zu laufen, dass dies in einem aufgewühlten Klima aus dem Ruder laufen könnte und es zu schrillen Bewertungen käme.

    Überfällig wäre eine Thematisierung der verschiedenen Architekturkonzeptionen direkt nach dem Krieg aus heutiger Distanz her schon - seinerzeit, als die Gestaltung wieder anfing, sich Bahn zu brechen.

  3. 17.

    Der Denkmalschutz ist eine Behörde praktisch ohne Aufsicht. Ist doch klar, dass da die Beamten versuchen ihren Einfluss möglichst groß zu machen, indem die halbe Stadt unter ihr Ressort geholt wird. Da lässt man dann lieber die Ruinen so lange verrotten bis sie aus Sicherheitsgründen abgerissen werden müssen.

  4. 16.

    Die steht seit Mitte der 80er unter Denkmalschutz, seit Mitte 90 auch die Gärten. Selbst das "Untereinander" hat sich kaum geändert - es ist immer noch ein "Dorf im Dorf" - meist schön ;-).
    Ach so, lieber Senat, ein Fußgängerüberweg oder eine Bedarfsampel wäre Torweg/Am Heideberg schön. Für die Kinder manchmal spannend den Torweg zu überqueren - trotz Tempo 30 Zone.

  5. 15.

    Ja,zum Beispiel.
    War ewig nicht da - ist denn da alles noch weitgehend original und unverbaut?
    Aber ich glaube, die Anlage wäre von der Größe her nicht genug fürs Welterbe...

  6. 13.

    Bei Ihrem Nick könnte man vermuten, dass Sie die drei genannten Gebiete nur aus dem Auto heraus kennen und beurteilen und sie Ihnen deshalb nicht genehm sind.
    Welche Vorschläge für architektonisch wertvolle Objekte oder Komplexe als Welterbestätte hätten Sie denn so...

  7. 12.

    Noch Deutsche Wohnen, bald Vonovia. Die freuen sich schon riesig so ein Welterbetitel macht sich prima auf der Mieterhöhung. :-(

  8. 11.

    Mal ganz abgesehen davon, ob man diese Siedlung schön, zweckmäßig, oder sonstwie findet, ist diese Denkmalschützeritis einfach mal zu hinterfragen. Jeder rostige Eimer aus verganenen Zeiten wird zum historischen Zeugnis erklärt. Ich denke da z. B. an die Briten. Das alte Wembley-Stadion abgerissen und einfach ein neues gebaut. Das wäre bei uns unmöglich. Wenn ich daran denke, wie viele Ruinen in Berlin und im Umland darauf warten, endlich saniert zu werden. Dann aber am Denkmalschutz scheitern. Dann sollte man nachdenken, ob man in der Realität, oder im Disneyland lebt.

  9. 10.

    So als Vorreiter einer vom Konzept her optimalen Nutzung von bebauter Fläche zu Grün darf diese Siedlung Onkel Toms Hütte schon gelten. Genau verglichen schaut unser Wohnkomplex aus den 1970er Jahren heute ebenso bunt mit Massig ausgewachsenen Bäumen und Grün zwischen den Blöcken aus. Und der Wohnungsgrundriss ist fast auch gleich mit dem DDR Typenbau IW64. Ging damals noch: Eine 4-köpfige Familie auf 60 oder 76qm. In Zeiten unserer allgemeinen Maßlosigkeit sind solche Wohnverhältnisse heute fast schon unzumutbar. ;-)

  10. 9.

    Bitte nicht den Sinn der Welterbeerklärung so inflationär betreiben.
    Es ist meines Erachtens richtig, daß sich Karl-Marx-Allee und Interbau-Gebäude im Hansaviertel nicht durchsetzten. Die Waldsiedlung gehört auch nicht dahin.

  11. 8.

    Nun bin ich dort um die Ecke aufgewachsen, als Jugendliche immer durch die Siedlung an die Krumme Lanke. Viele Freunde hatten dort ihre erste Wohnung. eins der Einfamilienhäuser zu ergattern war wie ein 6er im Lotto. Wem gehört die Gagfah Siedlung eigentlich heute?

  12. 7.

    Hey, Frank, zur Straße hin gebe ich dir Recht, aber zur Argentinischen muss es auch nicht DER Hit sein, aber bist Du mal hinter die Häuser gegangen? Die haben alle Gärten, angrenzend (einfacher zu sehen in der Hufeisensiedlung...), die "Lebensqualität" findet halt nicht vorm Haus statt ;-) sondern im Garten. Es ist eine richtige Gartenstadt. Und fürs Zusammenkommen gibt es die Ladenstraße - auch einmalig, und sehr sehenswert.

  13. 6.

    Vor allem sind das, sowohl bei den Reihenhäusern als auch in den Wohnungen, kompakte und dennoch funktionale Grundrisse! Warum wird so etwas nicht mehr gemacht?! Wir brauchen das Rad nicht neu erfinden, von den Könnern lernen genügt.
    Ich habe sehr gerne dort gewohnt!

  14. 5.

    Bruno Taut ist einer der Säulenheiligen der Architektur - m.E. nur teilweise zu Recht. Seine Großsiedlungen sind vielfach monoton. Die Farbkombinationen sind nett - aber in der dutzendfachen Wiederholung nur noch im Architektur-Bildband erträglich. Wer an dem endlosen, durchgehenden Riegel an der Argentinischen Allee entlang radelt oder gar entlang läuft bekommt bald Angst, in einem Wiederholungs-Alptraum gefangen zu sein. Es ist eine Massenwohnanlage, in der viel zu wenig Raum für Freizeit und Geschäfte ist, und die die Gegend zerschneidet. Und wer dort nicht wohnt, hat dort nichts zu suchen. - Tatsächlich ist die Wohn- und Aufenthaltsqualität in der Karl-Marx-Allee und auch im Hansaviertel (Interbau '57) deutlich höher.

  15. 4.

    Eben, vielleicht nächstes Mal. Auch da gibt's viel zu entdecken :-)

  16. 3.

    Schade, dass das Interbau-Hansaviertel und die Karl-Marx-Allee nicht auch auf die Vorschlagsliste für die Welterbestätten gesetzt wurden.
    Aber was nicht ist, kann ja vielleicht noch werden...

  17. 2.

    Super, endlich! Und jetzt schnell sichern, bevor die Heuschrecke Solardächer und moderne Briefkastensteelen davor klatscht!

    Ich habe mich da immer sehr heimelig und wohl gefühlt, schon das Farbkonzept ist der Hammer. Die durchdachte Funktionalität ist nach 100 Jahren noch immer passend, ganz ohne Kuchenblock und anderes Gedöns. Und das, ohne dadurch Abstriche beim Aussehen ertragen zu müssen.

    Aber sind nicht alle Weltkulturerbe-Siedlungen toll? Ich finde immer wieder jede super :-)

  18. 1.

    Oh je, dann jetzt schnell noch dämmen und Solar aufs Dach, bevor es auf ewig verboten ist.

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