Interview | Klimaforscher Johan Rockström - "Wir führen das letzte Gefecht, wenn es um das Klima und unseren Planeten geht"
2023 geht als das global wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen in die Geschichte ein. Johan Rockström, Co-Chef des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, erklärt, weshalb er der Lage trotzdem Gutes abgewinnt.
rbb|24: Herr Rockström, das "Time"-Magazin hat Sie dieses Jahr zu einem der 100 einflussreichsten Menschen weltweit gekürt. Für wie erfolgreich halten Sie sich, wenn es um die Beeinflussung von Politikern geht?
Johan Rockström: Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung spielt eine bedeutsame Rolle als Anbieter von Wissenschaft. Beim Weltklimagipfel in Dubai drehte sich alles um Politik, Verhandlungen und Auseinandersetzungen zwischen Staaten. Aber hinter den Kulissen spielt Wissenschaft eine wichtige Rolle. Ich denke, wir sind in einer Schlüsselposition. Natürlich verhalten sich Wissenschaftler sehr unterschiedlich: Man kann sich raushalten oder in die Debatte einbringen. Ich habe mich für zweiteres entschieden. Ich sehe mich der Gesellschaft gegenüber in der Verantwortung, zwischen Interessengruppen zu vermitteln.
Die Wissenschaft warnt schon lange vor dem Klimawandel und ist lauter denn je. Politiker hören Ihnen zu. Sehen Sie einen Wandel?
Über die letzten fünf Jahre sehen wir einen Trend zu mehr Populismus, zu häufiger Leugnung des Klimawandels, zu Wissenschaftsfeindlichkeit. Das konnte man schon während der Corona-Pandemie sehen: Bewegungen, die Wissenschaft in Frage stellten, bekamen Zuspruch. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir ein Revival solcher Debatten erleben, diesmal zum Klimawandel.
Ich würde aber sagen: Der Grund, weshalb es gerade etwas ruppiger wird, ist, dass es ans Eingemachte geht. Wenn auf Social Media Front gegen Klimawissenschaft gemacht wird, sehe ich das paradoxerweise sogar ein bisschen positiv. Es ist auch ein Beleg dafür, dass die Klimakrise langsam in der Gesellschaft ankommt und wir an einem Wendepunkt sind, an dem wir uns in eine neue Zukunft ohne Öl und Gas bewegen. Manche empfinden das als Bedrohung des Status Quo. Diese Bedrohung wird nun so real, dass jene, die keinen Wandel wollen, noch mehr gegen die Wissenschaft wettern.
Wir führen sozusagen das letzte Gefecht, wenn es um das Klima und unseren Planeten geht. Dubai war ein starker Beweis dafür. Es ging nicht darum, ob man sich von Öl, Gas und Kohle als Grundlage der Weltwirtschaft verabschiedet, sondern wie schnell man das machen sollte. Natürlich kommt es da zu Interessenskonflikten. Auf der einen Seite steht der Klimaminister der Marshall-Inseln, der sagt: "Wenn wir kein Klimaabkommen zustande bekommen, ist das ein Todesurteil für UNSER Land!". Auf der anderen Seite ist der Chef-Verhandler von Saudi-Arabien, der sagt: "Wenn wir ein Klimaabkommen unterzeichnen, ist es ein Todesurteil für MEIN Land!". Das ist ein Konflikt. Und die Wissenschaft sitzt da zwischen den Stühlen.
War Dubai für Sie ein Erfolg oder nicht?
Ich würde es nicht als Erfolg bezeichnen. Die Weltklimakonferenz hat nicht das erreicht, was nötig gewesen wäre. Aus wissenschaftlicher Sicht hätte es einen konrekten Plan gebraucht, wie die globale Weltgemeinschaft die CO2-Emissionen in den nächsten zwei Jahren senkt, wie wir die Emissionen um die Hälfte bis 2030 reduzieren und wie wir bis 2050 auf null Emissionen kommen. Das haben wir nicht bekommen. Aber wir haben etwas bekommen, womit man arbeiten kann: Wir bewegen uns weg von fossilen Brennstoffen, im Einklang mit der Forschung. Es gibt aber noch einige Schlupflöcher.
Wie würden Sie 2023 aus wissenschaftlicher Sicht bewerten? Wie sehr hat sich der Weltklima verschlechtert?
Man kann 2023 als ein erschütterndes Jahr bezeichnen. In den vergangenen 50 Jahren ist die Oberflächentemperatur der Ozeane in allen Untersuchungen immer weiter gestiegen. Die Temperatur der Atmosphäre, Eisschmelze, Waldbrände, Dürren, Schädlingsbefall in Wäldern, Verlust an Artenvielfalt - alle Kurven zeigen in die gleiche Richtung. 2023 gingen diese Trends nicht einfach weiter nach oben, sondern die Kurven brachen regelrecht aus. Plötzlich waren wir bei 1,5 Grad Celsius Erwärmung im September und Oktober.
An mehreren Orten aller Kontinente war fast gleichzeitig Hitze von 50 Grad Celsius zu beobachten. 2021 waren es 49,6 Grad Celsius in British Columbia. Das wurde zurecht als Desaster bezeichnet, das dazu führte, das die Kleinstadt von Lytton komplett abbrannte. Ein Desaster, verursacht von Super-Hitze, die alles Wasser verdunsten und die Landschaft verdorren ließ. 2023 haben wir sogar noch höhere Temperaturen auf dem Planeten. In der Arktis brennt es. Taylor Swift sagte eines ihrer Konzerte in Rio de Janeiro wegen lebensbedrohlicher Hitze ab. Wir sprechen über Extreme, die wir aktuell aus wissenschaftlicher Perspektive noch gar nicht vollkommen nachvollziehen können - das ist besorgniserregend.
Wie bewerten Sie die Reaktionen der Politik auf die Alarmsignale?
Die Europäische Union ist zweifellos die Region der Welt, die Vorreiter beim Klimaschutz ist. Wir wissen, dass die EU, die USA, China und Indien die großen Vier sind. Sie sind heute verantwortlich für den größten Teil der Emissionen. Grundsätzlich beweist die EU-Führung, indem sie der Wissenschaft folgt und sich Klima-Ziele setzt. Die EU hat entschieden, die Anstrengungen zu erhöhen, bis 2040 die Emissionen um 90 Prozent zu senken und das mitten im Ukraine-Krieg, mitten in einer Rezession, mitten in einer Inflation.
Deutschland hat dabei eine besondere Rolle: Es ist die fünftgrößte Wirtschaftsnation der Welt. Seine Wirtschaft hängt maßgeblich von Exporten ab, und es ist besonders abhängig von fossilen Brennstoffen. Wenn es ein Land wie Deutschland schafft, sich wirtschaftlich gut zu entwickeln, mit einem modernen Wohlfahrtsstaat, mit sicheren Arbeitsplätzen, während es gleichzeitig dekarbonisiert, dann sendet das sehr starke Signale an Länder wie Indien, Indonesien, Brasilien und an aufstrebende Wirtschaftsnationen dieser Welt. Wenn aber ein Land wie Deutschland scheitert und sagt: "Das können wir uns nicht leisten, das ist zu teuer. Wir müssen uns für den Übergang mehr Zeit lassen", dann wäre das wiederum ein sehr starkes Signal für die großen Wirtschaftsnationen wie China und Indien zu sagen: "Wenn es Deutschland nicht macht, warum sollten wir es dann machen?"
Es gibt in Deutschland Stimmen die fordern, sich mit dem Kohleausstieg bis 2038 Zeit zu lassen. Wie sehen Sie die Debatte aus wissenschaftlicher Sicht?
Die Kohlekommission kam zu diesem Kompromiss. Ich glaube, es war sowohl von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus als auch im Hinblick auf europäische Anforderungen klar, dass dieser Zeitpunkt definitiv zu spät ist. Die Bundesregierung strebt danach, früher aus der Kohle auszusteigen, will aber auch sicherstellen, dass es einen ordentlichen Übergang in den Kohleregionen wie in Brandenburg gibt. Deutschland hat die Möglichkeiten, das zu tun. In den Strukturwandel wird eine Menge Geld investiert.
Und eines ist doch klar: Je innovativer man ist, je schneller in die Dekarbonisierung investiert wird, umso wahrscheinlicher ist es, weiterhin wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben. Das sieht man heute schon in der Automobilbranche. Es gibt weltweit ein Wettrennen um die Elektrifizierung. Wer künftig Jobs sichern möchte, sollte sich in Richtung einer modernen, dekarbonisierten Industrie orientieren.
Wohin, denken Sie, wird sich die Welt und die Politik im nächsten Jahr oder in den nächsten beiden Jahren entwickeln?
Wenn es um den Zustand unseres Planeten geht, bin ich aktuell wenig optimistisch. Da geht es weiterhin in die falsche Richtung: beim Klimawandel, beim Verlust von Trinkwasser, von Landsystemen, der Artenvielfalt. Wenn es um Politik geht, bin ich dahingehend optimistisch, dass wir den Übergang zu einer Welt, die nahezu ohne fossile Energien auskommt, schaffen können. Was mir aber wiederum Sorgen bereitet, ist, dass wir nächstes Jahr eine Reihe von Wahlen haben, die die Entwicklung der globalen Klimapolitik in die falsche Richtung lenken können: Die Wahlen in den USA werden entscheidend sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Hanno Christ für rbb|24. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Fassung.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 21.12.2023, 19:30 Uhr
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