Proteste gegen AfD und Rechtsextremisten - "Wir melden eine Demo an! In Perleberg!"
Bis vor knapp zwei Wochen hat Andrea von Bezouwen sich noch nie politisch eingemischt. Dann initiiert sie eine Demo gegen Rechtsextremismus in der Prignitz - und Hunderte Menschen kommen. Von Michaela Grimm
Andrea van Bezouwens gesellschaftspolitisches Handeln begann mit einer Frage, die sie auf Instagram stellte: "Wo kann ich hier in der Prignitz gegen die AfD auf die Straße gehen?", tippte sie dort am 14. Januar vormittags in eine Statusmeldung. Freunde vom Kirchenkreis Prignitz trugen diese Frage weiter und so kamen noch am selben Tag spontan zehn Menschen vor der Wunderblutkirche in Bad Wilsnack zusammen, um ein Zeichen zu setzen: "Für Freiheit, Demokratie, Mitmenschlichkeit".
Und gegen die AfD. So richtig aus der Deckung gewagt "habe ich mich aber erst in dem Moment, als ich im Whatsapp-Status 'NOAFD' stehen hatte. Denn dort sehen es dann alle Nachbarn und alle aus dem Dorf", sagt die Brandenburgerin.
Als Vertreibungspläne von Rechtsextremen und AfD-Politikern bekannt geworden waren und sich in größeren Städten Proteste formiert hatten, war Andrea van Bezouwens erster Impuls: Ich fahre doch nicht zwei Stunden bis nach Potsdam! Und nach ihrem Aufschlag in Bad Wilsnack war das Ziel der Mitstreiter: "Wir müssen größer werden! Wir melden eine Demo an! In Perleberg!"
Die erste politische Rede ihres Lebens
Hunderte Menschen kamen eine Woche später mit vielen bunten Schildern auf den Großen Markt in Perleberg, skandierten "Nie wieder ist jetzt!" und van Bezouwen hielt zum ersten Mal in ihrem Leben eine politische Rede auf einer öffentlichen Bühne: "Rechtsextremisten gefährden unsere Demokratie", sagte sie da beispielsweise. Auf einer Deutschlandkarte mit Punkten der Orte, in denen an jenem Wochenende Anti-Nazi-Demos stattfanden, zeigt sie stolz auf einen Punkt im Nordwesten Brandenburgs. Perleberg. Ihr Punkt ist das. Andrea van Bezouwen ist froh und stolz darauf.
Die Demonstration selbst mit den eigenen Personalien anzumelden, war ihr ein Anliegen: "Das sollte kein Politiker sein, der das macht, sondern jemand aus der Mitte der Gesellschaft." Perlebergs Bürgermeister Axel Schmidt (parteilos) befürwortet auf Nachfrage gesellschaftliche Initiativen und politisches Engagement und begrüßt, "dass diese Demonstration aus der Bürgerschaft heraus entstanden ist". So solle es auch bleiben. In seiner Funktion als Bürgermeister plant er aber nicht, selbst an den Demos teilzunehmen.
Eine Hamburgerin zieht aufs Land
Politischen und emotionalen Rückhalt bekommt Andrea van Bezouwen von ihrem älteren Bruder, der in Schleswig-Holstein lebt und schon länger politisch aktiv ist. Ihn bezeichnet sie als ihren Mentor. Jeden Morgen haben die Geschwister Kontakt. Jeden Morgen machen sie sich "gegenseitig Mut rauszugehen und klare Kante zu zeigen", sagt sie im Gespräch mit dem rbb.
Aufgewachsen sind sie wohlbehütet als Kinder zweier Beamter, christlich-konservativ in Hamburg. Gespräche über Politik habe es bei ihr zu Hause nie gegeben, sagt van Bezouwen. Sie wurde Diätassistentin, kochte zehn Jahre lang Essen im Krankenhaus, machte dann das Marketing für einen Tiefkühlkosthersteller. Sie kündigte, als ihre Kinder erwachsen waren und zog vor sieben Jahren "als Öko", sagt sie, in ein Dorf bei Perleberg zwischen Hamburg und Berlin.
Da erfüllte sich ihr Kindheitstraum vom Leben auf dem Land mit Tieren und Gemüse. Deshalb empfindet van Bezouwen eine "große Dankbarkeit dafür, dass ich so ein privilegiertes Leben führen kann". Ihr Geld verdient die Freiberuflerin mit Auftragstexten und als Social-Media-Managerin im gastronomischen und touristischen Bereich. Vernetzt vor Ort hat sie sich schnell. Online wie offline.
Unmut der Landwirte versteht Bezouwen
"Der Kirchenchor im Dorf war mein Einstieg. Es hat mir Spaß gemacht mich zu integrieren", sagt die 56-Jährige. Inzwischen mischt sie mit im Gemeindekirchenrat, in der Theatergruppe, leitet einen Männergesangsverein, spielt in der Posaunengruppe, die Liste ist noch länger, Verzettelungen inbegriffen. "Ich bin die Einzige, die zum Feuerwehrfest ihre Veggie-Bratwurst mitbringt", da würden Nachbarn schon mal mit den Augen rollen. Politische Debatten seien in ihrem Leben in der Prignitz aber bislang ausgeblieben.
Da, wo Andrea van Bezouwen wohnt, stehen entlang der Straßen zwischen kleinen Kieferwäldern, überfluteten Wiesen, Windrädern, Feldern, Bullen- und Pferdekoppeln immer noch Galgen mit Ampeln am Straßenrand und Heuballen mit regierungskritischen Bannern. An Ortseingangsschildern baumeln Gummistiefel als Symbol der Solidarität mit den Protesten der Landwirte. Den Unmut verstehe sie. "Es sind komplexe Zeiten mit großen Problemen und ich gehe auch nicht mit allem konform, was die Ampel macht. Aber trotz allem geht es uns doch im Großen und Ganzen goldig, mit unserem Sozialsystem, mit den Schulen, auch wenn da auch nicht alles fein ist", findet van Bezouwen.
Zweitstärkste Kraft AfD
Hat sie gar keine Angst vor Übergriffen, vor einer Hetzkampagne gegen sie? "Gute Frage. Ich bin ziemlich angstfrei. Das ist mein Naturell." Das Allerschlimmste, was einem im Leben passieren könne, sei ohnehin der Tod, vor dem die Christin keine Angst habe. Der Spruch: "Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand" gebe ihr Zuversicht.
Ihre politische Arbeit beginne gerade erst, sie sei da "ein totaler Neuling" und "jetzt irgendwie in der Pflicht". Als sie nach der Demo in Perleberg zum ersten Mal wieder durch die Stadt spaziert und Besorgungen macht, wird Andrea van Bezouwen weder angesprochen noch kritisch beäugt. Die AfD-Politiker vor Ort hat sie noch nicht getroffen. Im Stadtparlament von Perleberg hat die AfD keinen Sitz.
Bei den letzten Landratswahlen in der Prignitz im Mai 2022 landete der SPD-Politiker Christian Müller mit 65,5 Prozent der Stimmen deutlich vor dem mit elf Prozent gewählten zweitstärksten Kandidat Jean-René Adam von der AfD. Was würde sie ihm sagen, sollten sie sich doch einmal begegnen? "Ich würde ihn fragen, wie er sich einer Partei zugehörig fühlen kann, die faschistisches Gedankengut derart propagiert. Ob das wirklich sein Ernst sein kann, dass er alles in diesem Land, was anders, fremd oder bunt ist, ausmerzen will, so wie es die Nazis gemacht haben."
Demo als Startschuss?
Aus ihrem Dorf kamen bislang zwei Reaktionen: eine positive und eine kontroverse. Mit der Person will van Bezouwen ins Gespräch gehen. Irgendwann zwischen all ihren Gruppentreffen und ihrem Engagement.
Die vergangenen zwei Wochen kommen ihr vor wie ein ganzes Jahr. So viel sei passiert, so groß habe es sich angefühlt. Ihre Hoffnung ist nun, dass ihre Demo ein Startschuss war. Dass all diejenigen nun rauskommen, die hinter diesen Fenstern sitzen, sagt sie auf dem Perleberger Marktplatz und zeigt mit ihrem Finger reihum auf die Fachwerkhäuser. "Der Protest soll sich verselbstständigen. Und anhalten."
Für künftige Aktionen hat van Bezouwen einen Whatsapp-Kanal gegründet. Am Montagabend unterstützen sie und ihre Mitstreiter eine Demo "Für Demokratie und Freiheit, gegen Faschismus und Hass" auf dem Marktplatz in Kyritz. Und dann werden, so van Bezouwens Hoffnung, im besten Fall die nächsten Demos von "Menschen aus der Mitte" angemeldet.
Sendung: Antenne Brandenburg, 21.01.2024, 10 Uhr
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