Angriff auf jüdischen Studenten - Senat will Berliner Unis wieder Exmatrikulation von Gewalttätern ermöglichen

Do 22.02.24 | 15:04 Uhr | Von Leonie Schwarzer und Angela Ulrich
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Symbolbild: Das Gebäude der Freien Universität Berlin von außen am 13.11.2023.(Quelle: dpa/Wolfram Steinberg)
Audio: rbb24 Inforadio | 22.02.2024 | Angela Ulrich | Bild: dpa/Wolfram Steinberg

Eine Attacke auf einen jüdischen FU-Studenten hat zuletzt für Entsetzen gesorgt. Als Konsequenz will der Senat Strafen im Hochschulgesetz verschärfen - vor allem Exmatrikulationen. Aber wie sinnvoll ist das, und hätte es den erwünschten Effekt? Von L. Schwarzer und A. Ulrich

  • Berliner Senat will Hochschulgesetz verschärfen – Wissenschaftsverwaltung hat Gesetzesentwurf erarbeitet
  • Bis 2021 waren Exmatrikulationen im Hochschulrecht verankert, allerdings war die Regelung juristisch nicht einsetzbar und wurde abgeschafft
  • Berliner Hochschulleitungen fordern wieder mehr Sanktionsmöglichkeiten gegen Studierende
  • CDU und AfD legen eigene Entwürfe für verschärftes Hochschulrecht vor

Tim Gräfe sitzt vor der FU und hat ein blaues Plakat in den Händen: "Fridays for Israel" steht darauf. Diese Initiative haben Gräfe und andere Mitglieder der Jungen Union gemeinsam mit jüdischen Studierenden ins Leben gerufen, um Antisemitismus an Hochschulen etwas entgegenzusetzen. Tim Gräfe selbst ist kein Jude, aber viel im Gespräch mit jüdischen Kommilitonen. Nach der Gewalttat auf einen FU-Studenten fühlen sich viele allein gelassen: "Sie haben Angst, in die Universität zu kommen."

Wie können Hochschulen aber wieder sichere Orte werden? Gräfe und sein Verein fordern schärfere Strafen bei Gewalttaten. Aktuell ist die härteste Sanktion, Täter für bis zu drei Monate mit Hausverbot zu belegen. Die Uni müsse aber auch die Möglichkeit haben, Gewalttäter zu exmatrikulieren, fordern neben "Fridays for Israel" auch der Zentralrat der Juden und der Bund.

Die Berliner Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) war zunächst zurückhaltend, diese Regelung wieder einzuführen. Aber nun drückt der schwarz-rote Senat doch aufs Tempo. Das Hochschulgesetz soll verschärft werden, und zwar schnell, sagt Czyborra: "Wir wollen eine Regelung schaffen, die wirklich weiterhilft und den Hochschulen ein gutes Instrumentarium gibt, das anwendbar ist und Opfer tatsächlich schützt." Studierende, die nach Straftaten verurteilt werden, dann auch zu exmatrikulieren, soll möglich werden. Wie das allerdings rechtssicher formuliert werden kann, ist offen.

Rot-Grün-Rot hatte Exmatrikulation als Sanktion abgeschafft

Geht es wieder zurück zum Hochschulrecht, das bis 2021 in Berlin galt? Damals waren Exmatrikulationen wegen diverser Straftaten sehr wohl im Gesetz verankert. Allerdings, sagt Czyborra, die früher wissenschaftspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion war: "Diese Regelung zum Ordnungsrecht stand dort sinn- und zusammenhanglos und war in keiner Weise praktikabel." Sie sei nie angewendet worden, also quasi "totes Recht" gewesen. Deswegen habe der damalige rot-grün-rote Senat dies gestrichen.

Das Ordnungsrecht an Hochschulen ist ein Relikt noch aus der Kaiserzeit - ein überkommenes Relikt.

Michael Lippa, Rechtsanwalt aus Berlin

Für den Berliner Anwalt Michael Lippa war das aus juristischer Sicht folgerichtig: "Das Ordnungsrecht an Hochschulen ist ein Relikt noch aus der Kaiserzeit - ein überkommenes Relikt", meint der Experte für Hochschulrecht. Die Regelung bis 2021 habe sich auf zwischenzeitlich abgeschafftes Bundesrecht bezogen, und sei daher juristisch nicht einsetzbar gewesen. Für Gewaltvorfälle gebe es andere Institutionen wie Straf- und Arbeitsgerichte, sagt Lippa. Und: Eine Universität könne bisher schon Hausverbote aussprechen – und sei damit gut gewappnet gegen Störungen des eigenen Betriebes. Denn darum müsse es bei Sanktionen, auch Exmatrikulationen, immer gehen: den Betrieb der Hochschule zu sichern, sagt Lippa.

Er glaubt daher, dass für den aktuellen Gewaltvorfall an der FU eine Exmatrikulation des mutmaßlichen Täters auch gar nicht infrage gekommen wäre – der Angriff habe weit entfernt von der Uni, in Mitte, stattgefunden, und damit die Funktionsfähigkeit der FU nicht infrage gestellt.

Auch für Tobias Schulze, Wissenschaftspolitiker der Linken, sind Exmatrikulationen damals wie heute der falsche Ansatz. Es habe gute Gründe gegeben, die Regelung damals abzuschaffen. Sie sei nur ein "Papiertiger" gewesen: "Die Verfahren würden sehr lange dauern. Deswegen sehe ich das Instrument auch jetzt kritisch", sagt Schulze und warnt davor, "über das Ziel hinauszuschießen": "Wir brauchen rechtssichere, schnelle Instrumente, um unsere Hochschulen vor Antisemitismus, aber auch vor Vergewaltigern – die Opfer – zu schützen. Dazu taugt diese Exmatrikulationsregelegung weder hier noch in anderen Bundesländern."

Auch Studierende sollen über Exmatrikulationen mitentscheiden

Die Berliner Hochschulleitungen sehen das anders. Julia von Blumenthal, die Präsidentin der Humboldt-Universität, setzt sich entschieden dafür ein, dass Hochschulen wieder mehr Sanktionsmöglichkeiten gegen Studierende bekommen. Auch an der Humboldt-Uni gab es antisemitische Vorfälle. Die Lesung einer israelischen Richterin musste abgebrochen werden. Von Blumenthal sieht Exmatrikulationen zwar als absolute Ausnahme. Aber: "Nach meiner Auffassung hätte man das Ordnungsrecht nie vollständig abschaffen dürfen", sagt Blumenthal dem rbb.

Ein Recht, das für extreme Fälle – also Gewalttaten - zur Verfügung stehe, brauche man als Hochschule. Wichtig ist der Uni-Präsidentin aber auch, wer konkret über solche Strafen entscheidet. Das dürfe nicht die Hochschulleitung allein sein: "Für mich ist es ganz entscheidend, dass das über einen Ordnungsausschuss passiert, in dem auch Studierende vertreten sind. Es ist die Gemeinschaft der Hochschule, die das regelt." Anwalt Michael Lippa findet es allerdings ganz grundsätzlich falsch, wenn Unis über schwerwiegende Strafen selbst entscheiden: "Ich halte es tatsächlich für problematisch, schwierige Sachverhalte, die eigentlich in die Hände von Gerichten gehören, in die Hände von nicht-geschulten Nicht-Juristinnen und -Juristen, sprich Professorinnen und Professoren zu legen."

"Mit Bedacht" will auch FU-Präsident Günter M. Ziegler eine Reform des Hochschulgesetztes ausgestalten, die er aber für nötig hält. "Es gibt (...) gute Gründe und Präzedenzfälle, die zeigen, dass auch ein dauerhafter Ausschluss vom Studium angebracht sein kann", antwortet ein Sprecher der FU auf eine rbb-Anfrage. Ziegler unterstütze daher "grundsätzlich die Wiedereinführung des Ordnungsrechts".

Noch ist nicht klar, wie die neue Regelung aussehen soll. Nur, dass die Wissenschaftsverwaltung einen Gesetzentwurf erarbeitet hat, den der Senat bis Ende März, also noch vor Ostern, beschließen soll. Das Parlament könnte dann noch vor der Sommerpause abstimmen, meint Wissenschaftssenatorin Czyborra.

Fraktionen von CDU und AfD legen eigene Gesetzentwürfe vor

Die CDU- und auch die AfD-Fraktion machen ihrerseits nun Druck auf den Senat. Beide Fraktionen haben eigene Entwürfe für ein verschärftes Hochschulrecht vorgelegt. Im AfD-Entwurf ist als mildeste Strafe von "Androhung von Exmatrikulation" die Rede. Die CDU will vor allem erreichen, dass diejenigen Studierenden, die für Straftaten verurteilt werden, anschließend auch rechtssicher exmatrikuliert werden können.

Es dürfe auch keine Rolle mehr spielen, ob die Taten auf dem Gelände der Uni stattgefunden hätten oder entfernt davon. "Uns geht es darum, den Instrumentenkasten für Hochschulleitungen um die Exmatrikulation zu erweitern", sagt der wissenschaftspolitische Sprecher der CDU, Adrian Grasse, dem rbb. Dabei sei Eile geboten – daher habe sich die CDU eigene Gedanken gemacht.

Der Koalitionspartner SPD sieht hingegen keine Notwendigkeit, aus dem Parlament heraus zusätzlich aufs Tempo zu drücken. "Es ist nicht die Zeit für parlamentarische Schnellschlüsse und parteipolitische Profilierung", mahnt SPD-Wissenschaftspolitiker Marcel Hopp gegenüber dem rbb. Das Thema sei zu ernst, um "auf Kosten der Effektivität vorzupreschen". Die SPD-Fraktion will stattdessen den Gesetzentwurf des Senats abwarten und diesen dann schnell im Parlament beraten. "Unser Ziel ist das gleiche: schnell zu einer Entscheidung zu kommen", sagt Hopp. Aus gutem Grund seien die Hürden für eine Exmatrikulation jedoch hoch – man müsse eine gerichtsfeste Lösung finden.

Tim Gräfe von "Fridays for Israel" hofft, dass bald schärfere Regeln kommen, um Opfer von Gewalttaten zu schützen. Denn es sei auch eine psychische Belastung, "tagtäglich mit dem Täter in einem Raum sitzen zu müssen, weil man dieselbe Klausur schreibt am Ende des Semesters." Dies könne Studierenden nicht zugemutet werden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 22.02.2024, 07:10 Uhr

Beitrag von Leonie Schwarzer und Angela Ulrich

19 Kommentare

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  1. 19.

    Es spricht nichts dafür, den laschen Berliner Weg (keine Exmatrikulation) zu beschreiten. Die FU könnte den Schläger exmatrikulieren und auf das Prozessergebnis des exmatrikulierten warten, im schlimmsten Fall wäre diese Exmatrikulation unwirksam - es werden schon keine weiteren Köpfe rollen..

  2. 18.

    "Wer sich nicht benimmt, darf nicht studieren." Bitte bleiben Sie sachlich! Ein exmatrikulierter Student hat kein Studienverbot sondern nur ein Hausverbot an der Universität seines Opfers. Und das ist auch richtig so, damit die Opfer von Gewalt weiterhin ohne Angst an ihrer Uni bleiben können.

  3. 17.

    Es ist nicht die Aufgabe der Universität, eine Bestrafung vorzunehmen sondern die anderen Mitstudenten vor Gewalt zu schützen. Ist im Berufsleben genau so. Wer da einen Kollegen angreift, fliegt ohne Wenn und Aber raus. Da das Studium als Zweitausbildung gilt, ist das grundsätzlich auch möglich, im Gegensatz zu Schulen, die als Erstausbildungsstätte gelten.

  4. 16.

    Nein, tut es leider nicht. Die geplante Exmatrikulationsmöglichkeit entspricht dem Arbeitsrecht im Berufsleben. Wenn dort ein Kollege einen anderen strafrechtlich relevant bedroht oder gar verletzt, greift das Arbeitsrecht, welches eine umgehende Kündigung erlaubt, da das Vertrauensverhältnis zerstört ist und der Arbeitgeber in der Pflicht ist, seine Arbeitnehmer vor Gewalt zu schützen. Ausschlaggebend ist in diesem Falle nur, ob Täter und Opfer beruflich miteinander Kontakt haben, nicht der Ort der Straftat. Diese Schutzpflicht haben auch Universitäten, da diese als Weiterbildungsstätten mit Arbeitgebern vergleichbar sind. Schulen haben diese Möglichkeit dagegen so nicht, hier sind maximal Schulverweise an eine andere Schule möglich. Die freie Berufswahl wird bei Exmatrikulation nicht beeinträchtigt, da der (ex)Student jederzeit anderswo studieren kann.

  5. 15.

    Zur Prävention weiterer Gewalttaten ist das zu spät. Auch ein Uni-Direktor (mwd) kann eine Gefahr von einer Lapalie unterscheiden. Das Hausverbot kann ja auch vorläufig sein. Die Exmatrikulation meinetwegen auch erst nach einem rechtskräftigen Urteil. Hass gehört nicht an eine Uni. Auch kein bisschen.

  6. 14.

    Bei Straftaten, welcher Art auch immer, hat ein Gericht zu urteilen.
    Kein Uni-Direktor mit Studentenkreis, nicht die "Straße" und auch nicht die Medien.
    Und erst bei rechtskräftigem Urteil ist m.E. auch ein Ex-en möglich.

  7. 13.

    Es sollte dabei einzig und alleine um den Schutz der anderen Studierenden gehen, nicht um Bestrafung. Für die Bestrafung ist das Strafrecht zuständig. Der Täter (mwd) kann sich ja an einer anderen Uni einschreiben.

  8. 12.

    Was machst Du mit Azubis?

    Wer definiert Deine Bedingungen?

    Nein, das Strafrecht sollte hier eigentlich genügen.

  9. 11.

    Vielleicht sollte sich die neue Regelung am Beamtenrecht orientieren. Eine Zwangsexmatrikulation sollte bei Handlungen außerhalb des Hochschulbereichs möglich, wenn diese geeignet sind, Ansehen, Ordnung oder Frieden der Hochschule zu beeinträchtigen. Zusätzlich sollte bei schweren Straftaten die Exmatrikulation automatisch mit Rechtskraft des Urteils, auch ohne dass die sonstigen Voraussetzungen vorliegen.

  10. 10.

    HU-Asta-Stellungnahme zum Thema mal lesen.

  11. 9.

    Bei der Immatrikulation wird kein Führungszeugnis verlangt.

    Fehler gehören zum Menschsein, und ja, manche Fehler können auch Straftaten sein - was nicht heißt, dass alles vergebbar ist, aber eben auch nicht, dass alles nie vergebar ist. Resozialiserung und die Chance auf Besserung statt gandenlos die (berufliche) Zukunft zu verbauen, ist förderlicher für eine Gesellschaft. Abgesehen davon ist ein Führungszeugnis ein behördlich ausgestelltes Dokument und kein persönliches Bekenntnis der Person für die Ewigkeit; das sollte man nicht überhöhen.

    Das bezieht sich ganz allgemein auf die Ausführungen von Rainerharald und ist nicht auf den spezifisch Fall bezogen.

  12. 8.

    Wenn Bildungseinrichtungen Recht sprechen sind wir wieder in der DDR.
    Wer sich nicht benimmt, darf nicht studieren. Der Mann gehört vor Gericht und bestraft, ja. Aber das ist nicht die Aufgabe einer Bildungseinrichtung.

  13. 7.

    "Gewalttäter zu exmatrikulieren"

    Warum? Also warum sollte es die Aufgabe einer Bildungseinrichtung sein, Gewalttäter zu bestrafen?

  14. 6.

    In Berlin kann man nicht exmatrikuliert werden? Das kenne ich noch als normale Möglichkeit an der Universität (war allerdings auch Bergakademie Freiberg).

  15. 5.

    Wenn eine Gewalttat von einem Studenten (mwd) ausgeht und auch noch rechts- oder linksextremistisch oder antisemitisch motiviert war, muss dieser sofort exmatrikuliert werden und Hausverbot erhalten.

  16. 4.

    Jeder Student, der zur Immatrikulation ein Führungszzeugnis bzw. sogar ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen muss, sollte über seinen Verhalten zeigen, dass die Eintragungen im Führungszeugnis der Wahrheit entsprechen. Jeder Student, der schwere Gewalttaten begeht, hat nach Abschluss des Strafverfahrens sein vorher gute Führungsszeugnis verwirkt.
    Deshalb halte ich es es für unerheblich, wo eine Gewalttat stattfindet. Die Gedanken bleiben im Kopf, egal wo sie begangen wird.

  17. 3.

    Sehe ich genauso. Es wird wieder ein Schnellschuss gemacht um lautstarke Verfechter zu beruhigen.

  18. 2.

    Ich hoffe, dass das nicht nur das übliche Geschätz und Betroffenheitsbekundungen sind, sondern zeitnah Taten folgen.
    Antisemitismus an deutschen Hochschulen gehören umgehend entfernt.

  19. 1.

    Hmm, ich finde es schwierig jemanden zu Exen, der nicht auf dem Gelände durch Fehlverhalten aufgefallen ist.
    Das rechtfertigt natürlich nicht die Gewalttat, sie hat aber mit der Uni nichts zu tun und ereignete sich doch am WE.

    Sollte das Strafrecht dafür nicht ausreichen?

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