Interview | Russischsprachige Telefonseelsorge - "Nach Russland zurück will keiner"

Do 22.02.24 | 06:10 Uhr
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Symbolbild: Spaziergänger am Glubigsee. (Quelle: dpa/Engelsmann)
Bild: dpa/Engelsmann

Tajana Michalak betreut die russischsprachige Community in Berlin am Telefon. Nach zwei Jahren Krieg scheint der Patriotismus bei vielen Geflüchteten aus der Ukraine nachzulassen, sagt sie. Bei den Menschen aus Russland sei das noch deutlicher.

rbb|24: Frau Michalak, wer ruft bei Ihnen in der Telefonseelsorge vor allem an?

Tajana Michalak: Bei uns melden sich die Flüchtlinge aus der Ukraine, aber auch Leute, die schon länger hier in Deutschland leben, aus der Ukraine genauso wie aus Russland oder aus verschiedenen Ländern der ehemaligen Sowjetunion.

Mit welchen Anliegen kommen ukrainische Geflüchtete momentan vor allem zu Ihnen?

Viele haben posttraumatische Belastungsstörungen durch den Krieg und die Flucht. Einige melden sich auch, weil sie finanzielle Probleme haben oder keine Wohnung finden. Und natürlich machen sich sehr viele Menschen Sorgen um ihre Verwandtschaft in der Ukraine in umkämpften Gebieten.

Besonders viele melden sich auch, wenn sich zum Beispiel die Gesetzeslage ändert. Zum Beispiel im Dezember, als bekannt wurde, dass die ukrainische Regierung auch Menschen im Ausland in den Wehrdienst einberufen möchte, da haben sich viele gemeldet. Die haben Angst.

Zur Person

Tatjana Michalak (Quelle: DWBO)
Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz

Tajana Michalak ist Leiterin der russischsprachigen Telefonseelsorge "Doweria" in Berlin. Seit 25 Jahren ist sie dort tätig. Vor 34 Jahren ist sie selbst aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Seit Kriegsbeginn hat sich die Anruferzahl ungefähr verdreifacht, sagt Michalak.

Wie versuchen Sie denen in so einer Situation am Telefon weiterzuhelfen ?

Wir können den Menschen nicht helfen, die sich dort befinden, aber wir können ein bisschen emotionale Entlastung für die Menschen bieten, die hier sind. Sie können sich bei uns über ihre Sorgen und ihr Leid aussprechen. Sie bekommen mentale Unterstützung von uns, und dann geht es vielen schon etwas besser.

Hat sich an den Sorgen der ukrainischen Geflüchteten in den letzten zwei Jahren seit Kriegsbeginn Ihrer Meinung nach etwas verändert?

Die Stimmung bei den Ukrainern hat sich ein bisschen geändert. Viele waren am Anfang des Krieges patriotisch eingestellt. Mittlerweile ist bei vielen Menschen eine gewisse Kriegsmüdigkeit spürbar. Sie wollen jetzt nicht mehr darüber diskutieren, wer Recht oder Schuld hat. Sie wünschen sich einfach das Ende des Krieges herbei.

Zweitens entsteht Frust und Verzweiflung an der ukrainischen Regierung. Viele wünschen sich eben, dass der Krieg aufhört und nicht immer mehr Menschen hineingeschickt werden, selbst wenn es um die Verteidigung des Landes geht. Das hat zwei Jahren lang nichts gebracht, es sterben Menschen und viele sehen darin keinen Sinn mehr.

Sprechen Sie mit vielen ukrainischen Menschen, die eigentlich gern in ihr Heimatland zurückgehen würden?

Ja, auf jeden Fall. Die meisten sagen schon, dass sie gern zurückkehren möchten, wenn alles vorbei ist.

Was denken Ihrer Erfahrung nach russischstämmige Menschen über den Krieg?

Manche, die schon länger hier sind, sind froh, dass sie schon länger aus Russland ausgewandert sind und in Deutschland leben. Dass sie das Regime nicht miterleben müssen. Diejenigen, die jetzt kürzlich von Russland nach Deutschland geflohen sind, erzählen, dass dort eine Diktatur herrscht. Die Menschen dort haben Angst, ihre ehrliche Meinung zu sagen, weil ihnen sonst Strafen drohen. Deswegen schweigen sie einfach.

Wir hatten noch nie jemanden aus Russland am Telefon, der gesagt hat, dass er zurück nach Russland möchte. Nach Russland zurück will keiner. Noch nicht mal in den Urlaub oder zu Besuch.

Eher andersherum: Ich bekomme auch von unseren ehrenamtlichen Mitarbeitern mit, dass viele Verwandte und Bekannte in Russland sehr gern nach Deutschland ausreisen würden. Aber sie können hier ja ohne Visum nicht bleiben. Wenn russische Bürger in Deutschland aufgenommen würden, würden sehr viele auswandern, glaube ich.

Hatten Sie schon Anrufer, die dafür angefeindet wurden, aus Russland zu stammen?

Wir hatten viele solche Anrufe von Menschen, die Diskriminierung erlebt haben. Aber das war vor allem zu Anfang des Krieges. Manche wurden im Café nicht bedient, sobald die Bedienung festgestellt hat, dass sie Russisch sprechen. Manche Hotels haben sich geweigert, Menschen mit russischen Pässen aufzunehmen. Einigen wurde gekündigt, sogar Menschen, die schon lange in Deutschland leben. Kinder, die in der Schule Russisch gesprochen haben, wurden gemobbt.

Mittlerweile sind solche Sachen aber offenbar abgeklungen. Solche Anrufe bekommen wir nicht mehr.

Wie blicken Ihrer Erfahrung nach die Geflüchteten in die Zukunft?

Viele haben sehr große Angst. Ihnen macht die Ungewissheit zu schaffen, weil sie nicht wissen, was passieren wird. Sie wissen nicht, ob sie zurückgehen werden oder zurückgehen müssen oder ob sie für immer in Deutschland bleiben. Sie wissen nicht, wie sie ihre Leben planen und wo sie ihre Zukunft aufbauen sollen.

Wir versuchen den Menschen dann zu sagen, dass sie hier und jetzt leben sollen. Wir versuchen ihnen klarzumachen: Wenn Sie hier momentan gut leben, und sich nicht in Bunkern verstecken müssen, dann ist das schon ein Erfolg.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Anna Bordel für rbb|24.

57 Kommentare

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  1. 57.

    "Keine Ahnung was passiert, wenn die Schieflage in diesem Bereich noch größer wird." Genau! Während die ukrainische Armee absolut dringend sehr viel Nachschub an Munition, Flugabwehr, Drohnen UND TAURUS braucht lobt sich Pistorius selbst, wie toll die bisherige militärische Hilfe für die Ukraine bisher war, während Scholz abtaucht. Ob die Leopards und andere Panzer wie versprochen endlich geliefert wurden fragt (lieber) keine/r mehr. Seit Merkel abtrat ist die CDU für mich nicht mehr wählbar, aber der gestrige Antrag im Bundestag (für Taurus-Lieferung) war genau richtig. Scholz sollte zurürücktreten, ganz schnell.

  2. 56.

    Wann begreifen Sie es endlich mal, daß Kriegsverbrecher Putin seit 2014 völkerrechtswidrig Teile der Ukraine annektiert.

    Für ein Verhandlungs"ergebnis" steht schon jetzt fest, dass Russland kein einziges von der russischen Armee erobertes Gebiet jemals der Ukraine zurückgibt.

    Ob Putin anschließend weitere Länder im Rahmen seines Großmachtwahns angreifen wird, kann niemand garantieren.

  3. 55.

    Danke, Artikel ist ehrlich und offen. Alle "russischen" Kollegen, die teils viele Jahre hier arbeiten und leben sprechen niemals über politische Dinge dort. Niemals. Sie schweigen.

  4. 54.

    Immerhin existiert die Ukraine noch. Es ist verständlich, das Leute Angst haben an die Front zu gehen. Hätte ich bestimmt auch. Aber wenn die Ukraine jetzt zurückweicht, ist sie bald bestenfalls noch ein Vasallenstaat Russlands. Sie können sich gerne gegen Waffenlieferungen aussprechen. Das ist ihr gutes Recht. Aber kommen sie mir nicht mit irgendwelchen moralischen Gründen. Sie wollen einfach ihre Ruhe haben. Auch das ist legitim und nicht zu kritisieren. Ob, wann und zu welchen Bedingungen Friedensverhandlungen aufgenommen werden sollen, ist alleine Sache der Ukraine.

  5. 53.

    Dann dauert der Krieg länger und nimmt Ausmaße in Zerstörung und Opfern an, die wir hätten durch angemessene militärische Unterstützung der Ukraine eigentlich verhindern müssen.
    Wenn man sich ehrlich macht, ist das alles ein totales Armutszeugnis Deutschlands und der Europäer. Jetzt, nicht etwa seit Ausbruch des Kriegs, rampt man die Munitionsfabriken up?!
    Mir kann doch hier niemand ernsthaft erzählen, dass nicht Europa die benötigte Munition von den Amis selbst abkaufen kann, um sie dann den Ukrainern zu liefern, wenn man schon angeblich erst JETZT auf die Idee kommt, seine eigene Rüstung hochzufahren?!?

  6. 52.

    Kann ich so nicht sehen, die 80 % sind Greise von Gestern. In Wirklichkeit ist die Opposition viel größer als Gedacht. Nur sieht man sie momentan nicht. Die Gedanken sind frei. Aber die Münder nicht.

  7. 51.

    Ich teile Ihre Kommentare sowie die von manch anderen hier. Nur leider wird das Problem immer akuter, dass der Ukraine die Munition ausgeht und Putin weiß das. Keine Ahnung was passiert, wenn die Schieflage in diesem Bereich noch größer wird.

  8. 50.

    Thomas:
    "Antwort auf [Immanuel] vom 22.02.2024 um 16:21
    So einfach funktioniert das leider nicht und Gorbatschow war wie später auch Jelzin mit dieser Aufgabe komplett überfordert."

    Das weiß ich auch.

    Thomas:
    "Was wir aber schon hoffen dürfen, dass die Nachfolgeregierung wieder in gemäßigteres Fahrwasser einlenkt (einlenken wird müssen)."

    Das wäre schon mal besser, wenn dann ein Nachfolger den Angriffskrieg beenden würde. Ein Nachfolger könnte eher sagen, dass sich Putin da verrannt hat; Diktator Putin kann dies nicht, ohne befürchten zu müssen, dass er dann selbst Opfer seines brutalen Regimes wird (s. Progoschin).

  9. 49.

    Ich teile Ihre Befürchtungen, behalte mir aber einen kleinen Zipfel Hoffnung!
    Bis dahin steckt die Ukraine in einem Dilemma: Schrecken ohne Ende (Stellungskrieg) oder Ende mit Schrecken (Putin erobert die ganze Ukraine und foltert, mordet, vergewaltigt alle Ukrainer, die nicht rechtzeitig flüchten - auch die, die jetzt noch relativ friedlich weit weg vom Kampfgebiet leben.). Welcher Schrecken ist größer? Der Schrecken des (Stellungs)Krieges oder der Schrecken des russischen Terrors gegen alle Ukrainer nach der Eroberung/Kapitulation? Das muss die Ukraine entscheiden. Sie hat leider nur diese Wahl zwischen 2 Übeln, solange Putin nicht zu Verhandlungen ohne seine Vorbedingungen (die de facto die Kapitulation bedeuten) bereit ist. Zur Erinnerung: Putin will die gesamte Ukraine (weil sie aus Putin-"historischen" Gründen zu Russland zu gehören habe [NATO-Osterweiterung ist nur nebensächlich!]), und bislang gibt es keine Anzeichen, dass er bereit ist, davon Abstriche zu machen.

  10. 48.

    So einfach funktioniert das leider nicht und Gorbatschow war wie später auch Jelzin mit dieser Aufgabe komplett überfordert. Dazu hätte es seitens des Westens (nicht nur Westdeutschlands) eine ganz andere Unterstützung und weniger durch Eigeninteresse geleitete Politik geben müssen. Zu diesem Kapitel der Geschichte kann man viel von Egon Bahr und anderen großen SPD-Politikern des kalten Krieges (übrigens auch von dem noch lebenden Klaus von Dohnanyi) lernen, wenn man bereit ist, ihnen auch wirklich zu zuhören.
    Was wir aber schon hoffen dürfen, dass die Nachfolgeregierung wieder in gemäßigteres Fahrwasser einlenkt (einlenken wird müssen).

  11. 47.

    "und von allen bedroht wird und die anderen Schuld an den ärmlichen Lebensverhältnissen sind"

    Das ist die Standardrherorik jeder Diktatur. Ohne einen äußeren Feind bricht die Propaganda halt zusammen.

  12. 46.

    Natürlich ist vieles möglich. In diesem derzeitigen Russland aber nicht in Richtung Demokratie. Putin hat sich und seine Natschalniks so fest im Sattel, dass nach ihm ein neuer Diktator oder gleich eine Militärdiktatur kommt. Und vergessen Sie mal nicht: Mindestens 80% der Bevölkerung ist mit ihm! Die ständige Propaganda der aleinigen Staatsmedien, in der Russland der beste Staat auf dieser Welt ist und von allen bedroht wird und die anderen Schuld an den ärmlichen Lebensverhältnissen sind, haben schon ihre Wirkung bei den allermeisten Menschen dort.

  13. 45.

    Detlef:
    "Antwort auf [Immanuel] vom 22.02.2024 um 13:36
    Meinen Sie wirklich, dass Russland zu besiegen ist?"

    Genauso wie Gorbatschow in den 80ern die sowjetische Diktatur in der Sowjetunion beendet hat (leider nicht nachhaltig), kann auch ein neuer Staatschef nach Putins (hoffentlich baldigem) Ableben die Diktatur und den Angriffskrieg beenden. Alles ist möglich, aber leider nichts sicher. Aber die Hoffnung, dass - zumindest langfristig - demokratisches und friedliches Denken Diktatur und Brutalität besiegen, stirbt zuletzt.

  14. 44.

    Die Frage sollte wohl vielmehr lauten:

    WARUM GLAUBEN SIE EIGENTLICH, dass in Russland Meinungs-, Pressefreiheit und Gewaltenteilung herrscht?

  15. 43.

    Detlef:
    "Antwort auf [Immanuel] vom 22.02.2024 um 13:28
    Bitte nennen Sie mir hier mehrere Beispiele für eine ausgewogene neutrale Berichterstattung."

    Die Gesamtheit der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung ist ausreichend vielfältig. Eine ausgewogene Neutralität gibt es nicht, kann es nie geben. Ein Beispiel für eine sehr gute Berichterstattung: "20 Tage in Mariupol"

    Detlef:
    "Woher nehmen Sie die Information, dass alle Menschen in Russland gehirngewaschen sind? Danke."

    Habe ich nie behauptet. Ich habe nur behauptet, dass es in Russland eine Gehirnwäsche durch die - inzwischen nur noch - staatlichen Medien gibt, dass freier Journalismus, freie Diskussion, freie Meinungsäußerung verboten ist. Viele Menschen fallen auf die Lügen der staatlichen Medien herein. Aber viele andere Menschen fallen nicht darauf herein und sind gegen Putin und seinen Krieg.

  16. 42.

    Das hat er so nicht geschrieben: "Damals scheiterte Deutschland - dann sollte heute auch Russland scheitern!"
    Er zieht genau die Parallelen, die man ziehen kann: Diktatur, durch aus mit imperialen faschistischen Zügen (hängt von der Definition ab, da der Begriff keine feste Definition besitzt).
    Das Putin langfristig scheitert, würde ich auch genau so unterschreiben.

  17. 41.

    Detlef:
    "Antwort auf [Immanuel] vom 22.02.2024 um 13:36
    Meinen Sie wirklich, dass Russland zu besiegen ist?"

    Jeder kann besiegt werden. Niemand ist unbesiegbar!

    Ob die Ukraine weiterkämpfen will, das muss Sie entscheiden. Allein die Ukraine kann entscheiden, ob Sie diese vielen Opfer bringt oder sich erobern lässt und viel mehr Opfer bringen muss (s. Butscha)! Wir sollten sie beim Kampf ihrer Demokratie gegen den imperialistischen Diktator und Kriegsverbrecher unterstützen oder alle 40 Millionen Ukrainer aufnehmen, die anderenfalls vor Putins Folter und Morden fliehen müssten. Anderenfalls sind wir dafür morlaisch mitverantwortlich (wegen unterlassener Hilfeleistung), wenn die ganze Ukraine wie Butscha wird! Wir wissen ja, wie Putin mit seinen Gegenern umgeht und dass die Ukrainer keine Freunde von Putin sind. Unsere Opfer sind zwar auch schmerzhaft, aber nur ein ganz kleiner Klacks im Vergleich zu den Opfern der Ukrainer, und bringen uns auch nicht in den Ruin.

  18. 40.

    ....sorry, aber jetzt muss ich nochmal nachfragen: vergleichen Sie jetzt gerade die Medienberichterstattung von Deutschland mit der von Russland? In Russland gibt es mehr oder weniger keine freie, unabhängige Berichterstattung mehr, weder Presse, noch Radio oder Fernsehen. In Deutschland kann man sich über diverse unterschiedliche Kanäle informieren um sich ein eigenes Urteil bilden zu können. Das finde ich einen enormen Unterschied und wenn Sie Deutschland dafür kritisieren: was sagen Sie dann erst über die Berichterstattung von Russland in Russland?

  19. 39.

    Bitte nennen Sie mir hier mehrere Beispiele für eine ausgewogene neutrale Berichterstattung. Mir fällt dazu eine Live-Schaltung bei ZDF nach Mariupol ein ... danach hagelte es aber massive Kritik.

    Woher nehmen Sie die Information, dass alle Menschen in Russland gehirngewaschen sind? Danke.

  20. 38.

    Meinen Sie wirklich, dass Russland zu besiegen ist? Bisher sind wir die einzigen denen das alles schadet. Aber egal. Das "kleine" Deutschland muss endlich sein 2%-Ziel erreichen - richtig? Damit müssten wir die Ausgaben verdoppeln und alleine mehr als Russland für das Militär ausgeben. Warum wurde Russland bisher nicht "besiegt"? Stimmt wir haben ja noch keine Atombombe ...

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