Europa League | Analyse des 3:3 gegen Saint-Gilloise - Union Berlin macht sich selbst das Leben schwer
Im Hinspiel des Europa-League-Achtelfinals kassiert der 1. FC Union zuhause drei Gegentore. Die Gäste aus Belgien lauerten auf Fehler und die Eisernen taten ihnen den Gefallen. Dass sie trotzdem noch Chancen haben, verdanken sie ihrer Mentalität. Von Till Oppermann
"Keiner wird es wagen, keiner wird es wagen, unseren FCU zu schlagen", ist einer der älteren Gassenhauer der Union-Berlin-Fans. In der Vergangenheit stimmten sie dieses Lied meist eher ironisch an.
Doch parallel zum Höhenflug der letzten Jahre singen die Eisernen die Zeilen ernster und ernster. Nicht ohne Grund: In den letzten 13 Monaten gelang es nur einer einzigen Mannschaft, den FCU im heimischen Stadion An der Alten Försterei zu schlagen: Royale Union Saint Gilloise aus Brüssel. Als die Belgier, die im September 2022 in der Gruppenphase der Europa League in Berlin gewonnen hatten, am Donnerstag für das Achtelfinale desselben Wettbewerbs nach Köpenick zurückkehrten, sah es mehrmals so aus, als könnte es ihnen erneut gelingen. Auch weil Urs Fischers Mannschaft sie dabei tatkräftig unterstützte.
Union sieht bei keinem Gegentor gut aus
Abwehrchef (und Torschütze) Robin Knoche brachte es auf den Punkt: "Bei zweieinhalb der drei Gegentore haben wir uns heute zu dumm angestellt, ich glaube, so ehrlich muss man sein." Nach einer dominanten Anfangsphase mit mehreren klaren Torchancen kam es, wie es so oft kommt, wenn eine Mannschaft ihre Chancen nicht verwertet.
Der junge Victor Boniface zog nach etwa einer halben Stunde aus der zweiten Reihe ab, Unions Kevin Behrens fälschte den Schuss unhaltbar für Keeper Frederik Rönnow ab. Was unglücklich klingt, war ein vermeidbarer Fehler. Denn die Union-Abwehr versäumte es nicht nur, den Vorbereiter Yorbe Vertessen zu stören, der unbehelligt von der Eckfahne ans Strafraumeck dribbeln durfte. Er bediente Boniface, der vor seinem Schuss in Ruhe aufdrehen durfte. Behrens hielt ihm nur seine Hacke entgegen, die die Schussbahn entscheidend veränderte. Besser hätte er den Torschützen mit offener Körperstellung gestellt.
Individuelle Fehler in der zweiten Halbzeit
Noch klarer waren die Patzer vor dem zweiten und dritten Tor der Gäste. Vor dem 1:2 spielte Christopher Trimmel einen verheerenden Pass im Spielaufbau, vor dem 2:3 störten weder Diogo Leite noch Knoche konsequent den Konter. Individuelle Fehler sah auch Trimmel, allerdings wisse man bei Union, wie der Fußball ist. "Das passiert mal", entschuldigte der Kapitän.
Recht hat er. Allerdings fielen beide Gegentreffer mit Ansage, denn spätestens seit der Niederlage im September wussten die Unioner, wie gefährlich Saint-Gilloise im direkten Gegenstoß angreift. Trainer Urs Fischer kritisierte angefressen: "Bei den Gegentoren sehen wir teilweise sehr schlecht aus, das können wir viel besser."
Saint-Gilloise lockt die Innenverteidiger
Die individuellen Fehler vor den Gegentoren erklären allerdings noch nicht, warum überhaupt erst so ungewohnt große Räume hinter der Dreierkette der Eisernen entstanden sind. Natürlich wäre da Unions Ballbesitz von 61 Prozent anzuführen. Noch interessanter ist ein Blick darauf, welche Spieler diesen Ballbesitz hatten. Wohlwissend, dass die Berliner Probleme damit haben, durch die Mitte zu spielen, stellten die tiefstehenden Belgier häufig die Schienenspieler Trimmel und Josip Juranovic zu.
So mussten die Innenverteidiger mit dem Ball ungewohnt hoch aufrücken, um Anspielstationen zu suchen. "Das waren dann die Spieler, die die Flanken schlagen mussten", erklärte Trimmel. Das hatte neben dem Platz hinter der Kette einen weiteren Effekt. Insbesondere Diogo Leite fühlte sich in der ungewohnten Rolle nicht wohl und spielte einige Fehlpässe. "Das ist natürlich ein Risiko, weil du offensiver bist, und dann haben sie gute Umschaltmomente", so Trimmel.
Mentalität bewahrt Chancen
Aber es war nicht alles schlecht. Das hat in diesem Fall kein DDR-Nostalgiker gesagt, sondern ebenfalls Trimmel. Denn wenn die Mannschaft schon im Defensivverhalten nicht ihre gewohnten Stärken zeigte, tat sie es mit ihrer Mentalität. Obwohl die Eisernen dreimal in Rückstand gerieten, kamen sie dreimal zurück und glichen jeweils aus. Ein herrlicher Freistoß von Juranovic, Knoches bereits viertes Europa-League-Saisontor und Sven Michels Treffer in der 90. Minute sorgten für Gefühlsausbrüche auf den Tribünen und eine passable Ausgangslage.
"Wenn wir mit einer Niederlage ins Rückspiel gegangen wären, wäre es eklig geworden", sagte Michel wenig später erleichtert. Das 3:3 lasse viel zu, musste auch Trainer Fischer zugeben, obwohl er angesichts der Statistik und der Fehler nicht zufrieden war. Dafür muss es ihm gelingen, eine Antwort auf die Spielweise von Saint-Gilloise zu finden. Sven Michel vertraut darauf: "Ich bin sehr zuversichtlich."
Sendung: rbb24, 09.03.2023, 21:45 Uhr