Hertha BSC vor Mitgliederversammlung - Der Kampf um das Vermächtnis von Kay Bernstein
Die Mitgliederversammlung von Hertha BSC am Sonntag bietet einmal mehr Zündstoff. Die Trennung von Trainer Pal Dardai, die finanzielle Situation von Investor 777, ein offener Brief der Ultras, aber vor allem der "Berliner Weg" werden diskutiert. Von Marc Schwitzky
Im Oktober 2023 konnte Kay Bernstein nicht dabei sein. Der damalige Präsident von Hertha BSC hatte sich bei einmal Unfall auf der Geschäftsstelle so stark verletzt, dass er der Mitgliederversammlung nicht beiwohnen und zwischenzeitlich aus dem Krankenbett hinzugeschaltet werden musste.
225 Tage später wird Bernstein auf der "MV" erneut fehlen - er verstarb im Januar dieses Jahres überraschend im Alter von nur 43 Jahren. Eine Tragödie, die die sonst so schnelllebige Fußballwelt für einen Moment stillstehen ließ und Hertha BSC immer noch nachhaltig schockiert.
"Berliner Weg" steht zur Debatte wie nie zuvor
Bernstein hatte den Verein in seiner eineinhalb Jahre währenden Amtszeit geeint, stabilisiert und Hertha-Fans wieder einen Grund zur Hoffnung gegeben. Herzblut, Identifikation und Demut statt Intrigen, Grabenkämpfen und sportlichen Allmachtsfantasien, die in wirtschaftlichem Irrsinn endeten.
Der maßgeblich von ihm geprägte "Berliner Weg" wurde zu Beginn von 2023 als neue Leitlinie im Verein implementiert. Hinter diesem Weg konnten sich die Allermeisten bei der "alten Dame" versammeln - doch im Mai 2024 steht er so sehr zur Debatte wie nie zuvor. Die Mitgliederversammlung am kommenden Sonntag bietet daher gehörigen Zündstoff.
Fanszene kritisiert Investor 777 Partners
Am vergangenen Samstag veröffentlichte Herthas größte Ultra-Gruppierung, die "Harlekins Berlin 98", eine Stellungnahme, in der sie Klub-Investor 777 Partners stark kritisieren. "Die aktuellen Entwicklungen rund um 777 Partners verdeutlichen, dass dieser Anteilseigner ebenso wie Vorgänger Lars Windhorst ein toxischer Akteur für den Fußball und ein brandgefährlicher Partner ist", heißt es darin.
Neueste Nachrichten über 777 "erfüllen uns mit großer Besorgnis um unseren Verein und dessen künftige Ausrichtung", schreiben die Harlekins weiter. Der Investor gerät - mit seinem weltweiten Fußball-Netzwerk - derzeit mehr und mehr ins Schlingern. "Die Pleite von 777 Partners steht offenbar bevor. (…) Es ist davon auszugehen, dass das Kartenhaus bald zusammenfällt", schildert Chaled Nahar, ARD-Experte für Investoren im Fußball, rbb|24. Hertha beteuert, bislang alle vereinbarten Tranchen des 100-Millionen-Euro-Investments von 777 Partners teils sogar vorzeitig erhalten zu haben.
Der "ehrliche, geerdete und authentische Weg mit Blick auf die Forderung der eigenen Talente" müsse im Sinne des verstorbenen Bernstein weiter gefördert und eine gesteigerte, renditeorientierte Einflussnahme des Investors verhindert werden, fordern die Harlekins.
Kritik an Vereinsverantwortlichen
Doch die Ultra-Gruppe sieht den "Berliner Weg" nicht nur wegen des Investors in Gefahr. Ihre deutliche Mahnung richtet sich ebenso an Kräfte im eigenen Klub. "Auch auf der Geschäftsstelle und in den Gremien scheint jene Fraktion zu erstarken, die eine Kehrtwende weg von dem Pfad anstrebt, den Hertha BSC unter Kay Bernstein eingeschlagen hat. Hinter vorgehaltener Hand wird auch schon mal das Narrativ benutzt, 'dass Kays Tod inhaltlich kein Verlust' sei", heißt es, wenn auch ohne Erwähnung konkreter Namen.
So würden die Entwicklungen zeigen, dass derzeit am "Berliner Weg" gerüttelt wird. Der Vertrag, so die Mitteilung, von Geschäftsführer Thomas E. Herrich hätte nach dem Willen von Bernstein nicht verlängert werden sollen. "Der Prozess dazu lief seit vergangenem Herbst und wir haben Gespräche mit Tom im Personalausschuss geführt - damals noch unter der Führung von Kay. So sind wir Ende vergangenen Jahres zu dem Entschluss zur Verlängerung gekommen", entgegnet Interimspräsident Fabian Drescher in einem Vereinsinterview.
Was ist der "Berliner Weg"?
Auf der kommenden Mitgliederversammlung werden keine großen Entscheidungen getroffen und auch keine Gremienwahlen stattfinden - und doch umgibt sie eine große Brisanz. Seit dem Tod von Kay Bernstein ist eine Debatte um die Deutungshoheit des "Berliner Wegs" entbrannt. Was beinhaltet jenes Konzept eigentlich? Und wer bestimmt das? Und ist der "Berliner Weg" an konkrete Personen, allen voran Kay Bernstein gekoppelt?
Seit dessen Tod fallen in Fan- und Beobachterkreisen immer wieder Sätze wie "Das hätte es mit Bernstein nicht gegeben" oder "Das hätte Kay gewollt" - quasi gleichbedeutend damit, ob jene Entscheidung gemäß dem "Berliner Weg" getroffen wurde. Eine vermeintliche Einflussnahme des Investors und Personalentscheidungen wie die in Bezug auf Herrich oder Dardai nähren jenen Diskurs nur weiter.
Drescher: Identifikation und Nahbarkeit
"Es geht nicht um einzelne Beschlüsse oder Personen, sondern stets um die Frage: Was ist das Beste für Hertha BSC? Wie bringen wir diesen Verein dorthin, wo er unserer Meinung nach hingehört? Und wie führen wir diesen Verein? Das möchten wir so tun, wie Kay es ausgerufen hat: Offen, transparent, demütig, mit Fokus auf die eigenen Talente im sportlichen Bereich und vor allem nachhaltig", definierte Drescher "den Berliner Weg" vor wenigen Tagen.
Dazu kämen Aspekte "wie die wirtschaftliche Sanierung, die wir weiter vorantreiben müssen, oder die ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit, mit der wir unsere Arbeit betreiben wollen", so der Interimspräsident. All das solle so umgesetzt werden, dass sich die Hertha-Fans damit identifizieren können und der Verein nahbar bleibt.
Was hätte Kay Bernstein getan?
Dass die Debatte um die Gesamtrichtung des Vereins so leidenschaftlich geführt wird, ist aufgrund der vergangenen Jahre alles andere als verwunderlich. Hertha befand sich in der Windhorst-Ära in einer tiefen Identitätskrise – das soll nie wieder passieren, die Fans sind hierbei gebrannte Kinder.
Nur stellt sich die Frage, ob jede zukünftige Vereinsentscheidung mit "Was hätte Kay Bernstein getan?" beantwortet werden kann. Schließlich hatte Bernstein die Zusammenarbeit mit 777 Partners als auch das Sponsoring von Glücksspielmarke Crazybuzzer mit zu verantworten. Nicht weil er es mochte, sondern aufgrund akuter Alternativlosigkeit. "Es war eine Situation, wo es keine Alternative gab und wir, wenn wir keinen Hauptsponsor bekommen hätten, 20 weitere Mitarbeiter hätten entlassen müssen", erklärte er damals den Crazybuzzer-Deal. Auch Idealist Bernstein war an Realitäten gebunden.
So lässt es aufhorchen, mit welcher Überzeugung dem verstorbenen Bernstein teilweise Worte in den Mund und Entscheidungen an die Hand gelegt werden und er dabei beinahe schon zum Instrument dafür verkommt, die eigene Deutungshoheit im "Berliner Weg" zu behaupten. So wird die kommende Mitgliederversammlung eine von vielen weiteren Diskussionsplattformen dafür sein, wie Hertha BSC den "Berliner Weg" ohne Bernstein definiert und weitergehen will. Dabei wird es vor allem auf die Kommunikation der Verantwortlichen ankommen - etwas, das Kay Bernstein besser als jeder andere konnte.
Sendung: Der Tag, 21.05.2024, 19:15 Uhr