Robert Andrich bei der DFB-Elf - Der Mann fürs Grobe
Robert Andrich ist innerhalb kürzester Zeit zu einem wichtigen Fixpunkt im Mittelfeld der deutschen Nationalmannschaft geworden. Vor einem halben Jahr deutete nichts auf diesen sportlichen Werdegang des gebürtigen Potsdamers hin. Von Fabian Friedmann
Der Fußball ist ein äußerst schnelllebiges Geschäft. Manche Karrieren sind schon an Faxgeräten gescheitert, andere blieben ein Leben lang nur große Versprechen. Wie man vom Bankdrücker im Verein zum Leistungsträger einer deutschen Nationalmannschaft in nur knapp fünf Monaten aufsteigen kann, das ist die Geschichte des gebürtigen Potsdamers Robert Andrich.
Fast-Torschütze gegen die Schweiz
Im Gruppenspiel gegen die Schweiz (1:1) wäre dem defensiven Mittelfeldspieler beinahe sein erstes EM-Tor geglückt, aber nach einem Foul von Jamal Musiala an seinem Gegenspieler wurde der Treffer zum vermeintlichen 1:0 zurückgenommen. "Es ist brutal ärgerlich. Ich hätte mich über mein erstes EM-Tor riesig gefreut", sagte Andrich nach Spielschluss am Mikrofon der ARD-Sportschau.
Dass der Brandenburger überhaupt dort in der Mixed Zone stand und Auskunft gab über das Unentschieden gegen die Eidgenossen, Andrichs drittem EM-Spiel in Folge, seinem erst achten Länderspiel insgesamt, ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit für den 29-Jährigen, der einst in der Jugend von Hertha BSC ausgebildet wurde.
Das Pech eines anderen ist Andrichs Glück
Rückblick: Im Dezember 2023 spielt Robert Andrich im erfolgreichen Team von Bayer Leverkusen allenfalls die Rolle des Ergänzungsspielers. Der Argentinier Exequiel Palacios ist als defensiver Mittelfeldmann neben dem Schweizer Granit Xhaka gesetzt. Andrich bleibt zumeist Reservist und äußert diesen Unmut auch öffentlich: "Es ist nie schön, auf der Bank zu sitzen. Das ist auf jeden Fall keine einfache Situation für mich", sagte er nach dem 5:1-Sieg gegen Molde FK in der Europa League am 14. Dezember 2023.
Seine Situation ändert sich einen Monat später. Konkurrent Palacios verletzt sich und Andrich bekommt das Vertrauen seines Trainers Xabi Alonso. Der ehemaliger Spieler des 1. FC Union nutzt die sich bietende Chance, besticht durch seine Körperlichkeit und mentale Stärke im zentralen, defensiven Mittelfeld. Dazu glänzt er auch als Torschütze wie im Halbfinal-Hinspiel der Europa League gegen den AS Rom. Attribute, die ihm später den Stammplatz neben Toni Kroos im deutschen Mittelfeld für die Euro 2024 bescheren werden.
Andrich als Bodyguard von Toni Kroos
Nationaltrainer Julian Nagelsmann beruft den Deutschen Meister Andrich schließlich in den EM-Kader - der Leverkusener agiert als Absicherung für den zurückgekehrten, spielgestaltenden Kroos. Er soll für Ordnung sorgen, ins Gegenpressing gehen, gerade wenn die deutsche Mannschaft den Ball verliert und der Gegner die Chance auf Konter wittert. Denn die mangelnde Absicherung nach Ballverlusten gehörte bei vergangenen Turnieren zu den größten Baustellen der DFB-Elf. Andrich soll das ändern, als Abräumer auftreten, als einer, der dazwischenhaut.
Dass gefährliche Umschaltsituationen bislang eher die Ausnahme bei Deutschlands EM-Gegnern waren, ist auch ein Verdienst von ihm. Eine Szene aus dem Eröffnungsspiel machte dies besonders deutlich: Nach einer Grätsche von der Seite gegen Schottlands Scott McTominay sah Andrich die erste gelbe Karte dieser EM. Er setzt gerne früh Zeichen und stellt sich damit in den Dienst der Mannschaft. Seine Quote von 52 Prozent gewonnenen Zweikämpfen über das gesamte Turnier ist zwar nicht überragend, wobei aber viel wichtiger für die Betrachtung ist, dass er die entscheidenden Duelle eben nicht verliert. In dieser Disziplin kann Andrich bislang überzeugen.
Gegen die Schweiz in neuer Rolle
Im EM-Spiel gegen die Schweiz war Andrichs Ausrichtung etwas defensiver als gewohnt. Der Mittelfeldmann ließ sich im Spiel gegen den Ball in die Abwehrreihe zurückfallen und machte aus dem Verbund mitunter eine Fünferkette. "Das war dem geschuldet, wie die Schweiz spielt. Das haben wir probiert und das sah ganz gut aus. Für unsere Variabilität kann das nur gut sein", so Andrich, der trotz seiner Defensivaufgaben immer wieder in gefährliche Schusspositionen kam. Ein Fakt, der ebenfalls für den Potsdamer spricht. Der Gegner muss dann nämlich höher stehen, um diese Schüsse zu verteidigen.
Und wie ist die Chemie im Team? Beim Ausgleichstreffer in der Nachspielzeit durch Niclas Füllkrug hat man laut Andrich gesehen, "wie wir uns alle als Mannschaft gefreut haben". Das sei enorm wichtig gewesen. Andrich selbst stand da bereits nicht mehr auf dem Platz, wurde für einen weiteren Brandenburger, Maximilian Beier, ausgewechselt. Für den Mittelfeldspieler aber kein Problem, weil ja zuletzt viele "gute Entscheidungen von der Bank" kamen. Robert Andrich versucht dem Team letztlich nur Stabilität zu geben, und wenn es der Spielverlauf verlangt, dann räumt er seinen Platz – ohne zu Murren.
Als Vorbilder Schweinsteiger und Ramos
Sein Vorbild war zunächst Bastian Schweinsteiger, später kam Sergio Ramos dazu. Und irgendwie scheint Andrich auch so etwas, wie der Hybrid beider Spieler zu sein - das ruhige, überlegte Passspiel des Weltmeisters von 2014 gepaart mit der Zweikampfhärte des ehemaligen Kapitäns der spanischen Nationalmannschaft.
Im kommenden Achtelfinale wird Andrich mit großer Wahrscheinlichkeit wieder in der DFB-Startelf stehen. Durch die Gelbsperre von Jonathan Tah und die Verletzung des zweiten Verteidigers Antonio Rüdiger wird Bundestrainer Julian Nagelsmann die Abwehr umbauen müssen. Robert Andrich wird sich dann neuen Herausforderungen ausgesetzt sehen. Zur Not packt er wie gegen die Schotten die Blutgrätsche aus. Die trägt Andrich übrigens auch als Tattoo auf seiner rechten Wade.
Sendung: rbb24|Inforadio, 24.06.2024, 11:15 Uhr