EM-Teamcheck Österreich - Der gar nicht mehr so geheime Geheimfavorit

Fr 07.06.24 | 15:08 Uhr | Von Toni Lukic
Sabitzer ÖFB (Imago/Picture Point LE)
Bild: Imago/Picture Point LE

Eines der aufregendsten Teams der EM spielt gleich zwei Mal in Berlin. Österreich hat alle Zutaten, um Deutschland die Show zu stehlen. Das Problem: Diese Österreicher dürfte niemand mehr unterschätzen. Ein Team-Check mit Andreas Heraf.

Die Ausgangslage

Das Äquivalent der goldenen Ananas im Fußball ist der "Geheimfavorit". Vor jedem internationalen Turnier wird eine Mannschaft gekürt, die alle "überraschen" kann. Dabei bringt dieser inoffizielle Titel rein gar nichts. Am Ende gewinnen Geheimfavoriten den echten Pokal doch nie. Der Begriff sorgt nur dafür, dass die abgehobensten Stars der Gegners vielleicht doch mal beim Videostudium genauer hinschauen und sich doch nicht auf dem falschen Fuß erwischen lassen.

Der offiziell inoffizielle Geheimfavorit der Euro 2024 ist Österreich. Dabei müsste mittlerweile jedem klar sein, wie stark das ÖFB-Team ist. Durch die Qualifikation für die EM pflügten die Österreicher mehr als souverän durch. Die Mannschaft von Ralf Rangnick gewann die vergangenen sechs Spiele am Stück. In seine Amtszeit fallen Siege gegen Teams wie Italien, Kroatien, Schweden, Türkei, Serbien und Deutschland besiegt. Seine Bilanz aus den vergangenen 15 Spielen: Zwölf Siege, zwei Unentschieden, eine Niederlage. "Ich traue dieser Mannschaft alles zu", sagt auch Andreas Heraf, neuer Trainer vom BFC Dynamo und WM-1998-Fahrer für Österreich.

Die Schlüsselfiguren

Vater des österreichischen Erfolgs ist Trainer Rangnick. Der Deutsche implementierte einen modernen Spielstil, der im kompakten 4-2-3-1 auf ein geschlossenes Pressing setzt und die Variabilität seiner laufstarken Spieler perfekt einsetzt. Alle verteidigen aggressiv und fast alle können Tore schießen. Hinzu kommt, dass Rangnick für den Trainer-Job bei Bayern München absagte und damit die Moral der Österreicher nochmal befeuerte.

Verletzungsbedingt fehlen werden allerdings Kapitän David Alaba, ebenso wie Xaver Schlager und Sasa Kalajdzic. Allerdings ist beim ÖFB das Kollektiv der entscheidende Mann, so dass diese Ausfälle fast problemlos aufgefangen werden können. Dennoch hat Österreich einige Spieler, die herausragen. Angeführt wird das Team von Marcel Sabitzer, der vor allem in der Rückrunde bei Dortmund brillierte und mit seiner Laufstärke und Torgefahr (er trägt die Nummer 9 im Nationaldress) symbolisch für die Qualitäten der ganzen Truppe steht.

Vorne wechselt sich der an manchen Tagen geniale Marko Arnautovic mit dem galligen Michael Gregoritsch ab. Dahinter liefert Christoph Baumgartner die entscheidenden Tore. "Er ist der beste Spieler, den ich je unter meinen Fittichen hatte, weil er auch vom Kopf her unglaublich viel Qualität hat", sagt Heraf, der den Leipziger in Österreichs U-Mannschaften coachte.

Der Ausblick

Eigentlich ist bei diesem Turnier alles dafür angerichtet, dass Österreich weit kommt. Die Stimmung im Team ist exzellent. Die meisten Spieler kommen aus der Bundesliga, kennen also die Stadien und Plätze gut. Der deutsche Trainer wird die Österreicher nochmal mehr anstacheln, um den Deutschen im eigenen Land vielleicht sogar die Show zu stehlen. Zudem residiert das Team im Schlosshotel Grunewald, in dem die deutsche Mannschaft während des Sommermärchens 2006 residierte. Wenn das kein Omen ist.

Es gibt nur zwei Probleme: Zum einen die hammerharte Gruppe mit Frankreich, den Niederlanden und Polen und zum Zweiten: Der fehlende Überraschungsfaktor. "Wir haben viele Mannschaften überrascht, die nicht mit dieser Qualität und mannschaftlichen Geschlossenheit gerechnet und uns etwas unterschätzt haben. Bei einem Turnier wissen aber alle, dass es auf jedes einzelne Spiel ankommt", weiß auch Heraf.

Die Berlin-Connection

Zwei Spiele - gegen Polen und die Niederlande - absolviert Österreich in Berlin, der neuen Wahlheimat von Heraf. Eine Karte hat er ergattern können. Der Neu-BFC-Coach befindet sich während der EM in der Saisonvorbereitung mit dem Regionalligisten. Das Engagement in Berlin kam übrigens über BFCs Sportdirektor Angelo Vier. Die beiden spielten Ende der Neunziger zusammen bei Rapid Wien. Seine Ziele beim Klub aus Hohenschönhausen formuliert Heraf offensiv: "Wir wollen in die Dritte Liga." Den Status "Geheimfavorit" kennt übrigens auch der BFC nur zu gut. Viel Glück hat er dem Verein noch nicht gebracht.

Sendung: Inforadio, 07.06.2024, 14:20 Uhr

Beitrag von Toni Lukic

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