Überschüssiger Ökostrom - Wenn Windräder nicht mehr angehalten werden müssen

Mo 30.09.24 | 06:04 Uhr | Von Jana Ebert
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Symbolbild: Windräder stehen auf einem sommerlichen Feld - Langzeitbelichtung. (Quelle: dpa/Tack)
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Audio: rbb24 Inforadio | 20.09.2024 | Jana Ebert | Bild: dpa/Tack

An Sommertagen oder bei besonders viel Wind übersteigt die Produktion erneuerbarer Energien oft den Bedarf. Überschüssiger Strom bleibt dann ungenutzt. In Berlin wird gerade getestet, wie man das ändern kann. Von Jana Ebert

Ein unscheinbarer Altbau in der Pankower Allee in Berlin-Reinickendorf. Im Keller des Mietshauses steht eine Installation, die ein zentrales Problem der Energiewende lösen soll. Sie ist an den Warmwasser-Speicher der Gasheizung angeschlossen. Umgerüstet hat sie das Berliner Start-up "Decarbon1ze".

"In den Warmwasserspeicher haben wir einen elektrischen Heizstab eingebaut, eine sogenannte Stromdirektheizung", erklärt Geschäftsführerin Arwen Colell. "Das funktioniert wie der Wasserkocher zu Hause: Er macht das Wasser zum Duschen heiß, aber dank der angeschlossenen Elektronik immer nur dann, wenn es zu viel Wind- oder Solarstrom gibt."

Pilotprojekt: Awen Colell mit Warmwasserkesseln in einem Reinickendorfer Heizungskeller. (Quelle: rbb/Ebert)
Arwen Colell mit Warmwasserkesseln in einem Reinickendorfer Heizungskeller. | Bild: rbb/Ebert

Entschädigung in Milliardenhöhe

Das Stromnetz selbst kann überschüssigen Strom nicht speichern. Um es nicht zu überlasten, müssen Wind- und Solaranlagen heruntergeregelt werden, wenn gerade zu viel produziert wird.

Dafür bekommen die Betreiber eine Entschädigung, die letztlich Verbraucherinnen und Verbraucher über die Netzentgelte zahlen.

Im Jahr 2023 gingen in ganz Deutschland auf diese Weise gut 19 Terawattstunden (TWh) Strom verloren, wie aus einer Statistik der Bundesnetzagentur hervorgeht. Das entspricht etwa vier Prozent der gesamten Stromerzeugung Deutschlands. Die Kosten betrugen 3,1 Milliarden Euro.

Doppelter Stromverbrauch Potsdams einfach abgeregelt

In Brandenburg blieben 2023 durch die Abregelung der erneuerbaren Energieanlagen rund 917 GWh Strom ungenutzt – fast doppelt so viel, wie die Stadt Potsdam im gleichen Zeitraum verbrauchte.

Je weniger also abgeregelt wird, desto besser wird der Strom aus erneuerbaren Energien genutzt, Emissionen aus fossilen Energieträgern werden eingespart und es fallen weniger Entschädigungen an – so die Idee.

Im Reinickendorfer Heizungskeller wirft deshalb jetzt ein Steuergerät den Heizstab an, wenn gerade zu viel Wind- oder Solarstrom ankommen. Fünf Heizungsanlagen für insgesamt 210 Wohneinheiten wurden in dem Mietshaus des Wohnungskonzern Vonovia zu Testzwecken umgerüstet.

Gesetzesänderung am 1. Oktober

Damit so eine Speichertechnik sinnvoll werden kann, hat die Bundesregierung das Energiewirtschaftsgesetz geändert: "Nutzen statt Abregeln" heißt der neue Paragraf. Ab dem 1. Oktober können die Betreiber der Übertragungsnetze überschüssige Strommengen Abnehmern zu einem Preis zuteilen, der von staatlichen Abgaben befreit ist. Und weil der Ökostrom dann immer mal wieder den Wasserspeicher nachheizt, muss der Vermieter weniger Gas für die Heizung einkaufen. "Das verspricht natürlich unseren Mietern auch niedrigere Energiekosten", sagt Stefan Ritter, der bei der Vonovia das Pilotprojekt in Reinickendorf verantwortet.

Dass das wirklich so kommt, ist noch nicht sicher. 20 Kubikmeter Warmwasser verbraucht eine Person jährlich im Schnitt, der Kubikmeter kostet zwischen fünf und 15 Euro – je nach Versorger und Heizungsart, erklärt Stefan Bolln, Vorsitzender des Bundes-Verband unabhängiger Energieberatender GIH. Insgesamt also maximal 300 Euro pro Jahr und Person. Ob und wieviel davon eingespart werden kann, muss jetzt das Pilotprojekt zeigen.

Die Idee gab es schon vor zehn Jahren

"Die Idee ist nicht neu, aber sie ist jetzt reif", sagt Bolln. Schon vor über zehn Jahren habe es in Schleswig-Holstein ein ganz ähnliches Projekt gegeben. Doch damals sei es eben einfacher gewesen, Windräder abzuregeln, als den Strom nutzbar zu machen: "Die Kraftwerksbetreiber haben ja trotzdem verdient, da die EEG-Umlage von den Bürgern bezahlt wird."

Letztlich müsse es das Ziel sein, mit grünem Überschussstrom günstiger zu heizen als mit Öl und Gas, sagt Bolln. Und das müsse der Staat über seine Abgaben und Steuern auf den Strom regeln. "Ich bin jetzt 54 Jahre alt - wenn ich das noch erleben kann, dass es bestraft wird, Strom abzuregeln statt ihn zu nutzen, würde mich das freuen. Denn das ist ja richtig Geld."

Kosten-Nutzen-Rechnung steht noch aus

Der Heizstab könne durchaus eine Lösung sein, um die Spitzen aus dem Netz zu kriegen, sagt auch Erik Debertshäuser, Geschäftsführer & Technischer Berater beim Fachverband Sanitär Heizung Klima des Landes Brandenburg. Bestehende Anlagen umzurüsten sei aber nur dann möglich, wenn es einen Anschluss für den Heizstab gebe. Das ist zum Beispiel bei einem Pufferspeicher für Warmwasser der Fall, der oft in Mehrfamilienhäusern vorhanden sei: "Dann ist es eine simple Lösung."

Der fernansteuerbare Heizstab kostet zwischen 500 und 750 Euro, die Kosten für den intelligenten Stromzähler und den Einbau sind derzeit noch relativ hoch, sagt Gründerin Colell. Um eine Gesamtrechnung aufzustellen, muss also erstmal das Pilotprojekt ausgewertet werden, das ab 1. Oktober für zwei Jahre läuft. Erstes Ziel sei, dass Warmwasser insgesamt nicht mehr koste als vorher - und trotzdem sofort Emissionen eingespart würden, sagt Colell.

Gasheizungen noch sehr weit verbreitet

Das potenzielle Anwendungsgebiet wäre da: Laut Zensus 2022 werden rund die Hälfte der Wohnungen in Berlin und Brandenburg mit Gas beheizt und knapp zehn Prozent mit Heizöl. Im Durchschnitt haben diese Heizungen eine Restlebensdauer von mindestens zehn Jahren, so der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft.

Der Zentralverband der Deutschen Haus- Wohnungs- und Grundeigentümer Haus & Grund teilte rbb|24 mit, knapp die Hälfte der Vermieter planten laut einer Befragung keine Modernisierungen – vor allem aus finanziellen Gründen. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, es sei nicht leistbar, die Klimaschutzziele an der eigenen Immobilie bis 2045 zu erreichen, wie es das Heizungsgesetz der Bundesregierung vorsieht.

Vonovia testet demnächst auch in Hamburg

Der Heizstab als Zwischentechnologie könnte also Zukunft haben – wenn er sich denn rechnet. Getestet wird in Berlin derzeit außer bei der Vonovia in einem Mehrfamilienhaus einer privaten Eigentümerin und bei der Wohnungsbaugenossenschaft DIESE eG.

Von der Vonovia sollen demnächst noch Wohnungen in Hamburg dazukommen, erklärt Stefan Ritter. Wenn das Projekt dort gut läuft, werde die Vonovia über eine bundesweite Umrüstung entscheiden.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.09.2024, 06:45 Uhr

Beitrag von Jana Ebert

Kommentar

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69 Kommentare

  1. 69.

    "Erst recht nachdem die Gaspreise wieder anziehen und Strom billiger wird."
    Solange der Strompreis am Gaspreis hängt (Merit Order), solange ist Ihre Geschichte unglaubhaft.

  2. 68.

    Alles klar und gegen die MIstverbreiter: https://www.maschinenmarkt.vogel.de/habeck-will-strompreise-fuer-industrie-noch-weiter-senken-a-f21632640e91f863266ddd93f1f82d77/

  3. 67.

    Bleibt selbstverständlich jedem selbst überlassen Ihren Unfug zu glauben.
    Habe eine WP eingebaut und bin sehr zufrieden damit. Erst recht nachdem die Gaspreise wieder anziehen und Strom billiger wird.

  4. 66.

    Die Diagnose, dass manches der vom BMWK angeschobenen Maßnahmen nur schleppend laufen, stimme ich ja zu, nur trifft Habeck da keine Schuld.
    - Northvolt: mit ein Paar Milliarden Beteiligung durch den Bund wäre das noch im Zeitplan
    - Finanzierung von 50 Gaskraftwerken: Könnte eigentlich aus der Portokasse gezahlt werden. Vom Bund finanziert, von kommunalen Versorgern betrieben
    - Wasserstoff: Das einzige Desaster ist, dass das mit 9 Milliarden stark unterfinanziert ist.
    Eine Sache kann man Habeck dabei natürlich vorwerfen: Dem idiolosch verbohrten Finanzminister freie Hand beim Abwürgen der gesamten Volkswirtschaft zu lassen, anstatt 200-300 Milliarden zusätzlich Schulden aufzunehmen und in den Standort Deutschland zu investieren.

  5. 65.

    Leider etwas ungenau.
    1. Das Problem tritt im Sommer auf.
    Zuviel Solarstrom an Sonn- und Feiertagen bei weniger Verbrauchern.
    2. Durch den Zeitpunkt 1. Oktober will man sich selber in die Tasche lügen und jahresgesamtzahlen einfach verrechnen statt eine zeitgenaue Prozesskostenrechnung durchzuführen.
    3. Die Idee
    " den Strom für Wasser dann zu nutzen, wenn zuviel da ist, "
    als neu anzufuehren ist nicht richtig. Weshalb gab es Stromheizungen und Nachtspeicheröfen ansonsten.

    Es muss darum gehen, die Energie zu speichern bis in den Winter . Und da ist der Hinweis der anderen Kommentare nach dem Wasserstoff völlig richtig.
    Der rbb sollte mal Politiker fragen, wieso man das nicht macht.

    4. Die Messeinrichtungen sind überteuert und veraltet. Heute kann jeder per Smartphone App nen Heizungskörper und eine Steckdose automatisch steuern.
    Wieso sollte nicht die App nun automatisch die Steckdose für den Heizstab anschalten können.

  6. 64.

    kleine Häusle-PV-Anlagen sind eine Spielerei. Wer das Hobby mag, soll es tun. Eine PV Anlage ist niemals eine Energiequelle, um die Immobilie zu heizen. Dazu ist sie viel zu schwach. Es ist immer zusätzlich eine normale Heizung (Gas, Öl) notwendig, bei Neubauten kann es auch eine Wärmepumpe sein. Bei Bestandsbauten sind immer genaue Untersuchungen erforderlich, ob die Immobilie mit angemessenem wirtschaftlichen Aufwand wärmepumpentauglich gemacht werden kann.

  7. 63.

    Mit der Wette wäre ich vorsichtiger. Um den volatilen Strom aus Erneuerbaren zu glätten, plant Habeck 50 neue Gaskraftwerke, die dann laufen müssen, wenn die Sonne mal nicht so stark scheint. Finanzierung -Fragezeichen. Und etliches zerbröselt von Habeck Leuchttürmen, Wasserstoff Desaster Norwegen, Autogipfel der den Niedergang zeigt, keine Batterien aus Kaiserslautern, um Batteriezellenhersteller Northvolt ist es ruhig geworden, Grüner Stahl bei Thyssenkrupp segelt am Rande der Pleite lang, nach 2 Milliarden Steuergeldern, Intel Absage.

  8. 62.

    "Deutscher Strommix 0.45"

    Im letzten Jahr waren es schon nur noch 0.38. Und ich verwette meinen Doktortitel, dass es weiter sinken wird.

    Hat der Professor gesagt, ab welchen Wert die Wärmepumpe ökologischer ist?

  9. 61.

    Habeck wollte mit der Gasumlage die Energiepreise sogar noch erhöhen, schon vergessen? Habeck hat es geschafft, dass wir überteuertes Gas aus Übersee beziehen und neue Windräder Vorrang vor dem Ausbau des Stromnetzes haben.

  10. 60.

    "Wo soll es hin ?"
    Dorthin, wo es hergekommen ist z.B. und etwas Beton herum. Niemand kann für irgendetwas auf dieser Welt 100% Garantie geben und ein Endlager für 1 Million Jahre in jedem Land einzeln ist sowieso unsinnig, wenn man an die politischen Veränderungen nur in den letzten 100 Jahren denkt.

  11. 59.

    Die Sache mit dem "einsam" unterstelle ich hier auch mal vielen Kommentatoren (Akademikern).
    Denen unterstelle ich mal, Abseits von der Berufsausübung, mangelnden sozialen Kontakt.

  12. 58.

    Ich weiß nicht ob power2x wirklich günstiger ist, wenn man mal den miesen Wirkungsgrad bedenkt.
    Da sind große Speicher im Maßstab der USA mit ausrangierten E-Auto-Akkupacks wohl vielversprechender.

  13. 57.

    Übrigens: Habeck sorgte dafür, daß die Energiepreise wieder sanken.

  14. 56.

    Circa 350.000 t Wasserstoff, das dürften wenn ich nicht irre ungefähr 1/6 des Bedarfs der deutschen Stahlindustrie sein und laut stahl-online.de der CO2-Ausstoß demnach um etwa 10.000.000 Tonnen reduziert werden können, aber ein Heizstab im Wassertank eines Hauses hat auch seine Vorteile.

  15. 55.

    Ich weiß nicht ob power2x wirklich günstiger ist, wenn man mal den miesen Wirkungsgrad bedenkt.
    Da sind große Speicher im Maßstab der USA mit ausrangierten E-Auto-Akkupacks wohl vielversprechender.

  16. 54.

    Zitat: "Das verspricht natürlich unseren Mietern auch niedrigere Energiekosten", sagt Stefan Ritter, der bei der Vonovia das Pilotprojekt in Reinickendorf verantwortet.

    Haha, ich lache mich schlapp. Als ob DW oder der Mutterkonzern an dem Mieter interessiert ist. Falls doch habe ich im folgenden ein paar Tipps, um Energie erstmal einzusparen anstatt zu speichern.
    1. Dämmung
    2. Fenster und Türen
    3. Gas, Öl oder Fernwärme zu vernünftigen Preisen einkaufen

    Von den anderen Schummeleien fange ich erst gar nicht.

  17. 53.

    Das lohnt sich in jedem privaten Haus, was ne PV-Anlage hat, ist aber naiv in dem dargestellten großen Szenario.

    Oft sind es ja die Netze, die eine Überlast haben und daher den zu viel produzierten Strom gar nicht zu den Verbrauchern leiten können. Dieser wichtige Aspekt fehlt hier völlig. Und natürlich ist eine Strom-Direktheizung auch Verschwendung. Besser damit Wärmepumpen antreiben! Es wäre billiger und zuverlässiger, den Strom am Produktionsort zu speichern oder in Wasserstoff zu wandeln.

  18. 51.

    19 Terawattstunden, wie viel Wasserstoff hätte da mittels Wasserelektrolyse wohl hergestellt werden können?

  19. 50.

    Und GB hat ähnlich hohe Strompreise wie wir. Günstiger wird es wohl durch AKW auch nicht, wenn man an die zugesicherten Einspeisevergütung für Hinkley Point C betrachtet.

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