Rirkrit Tiravanija im Gropius-Bau - "Den Topf aus der Vitrine holen und darin kochen"
Der thailändische Künstlernomade Rirkrit Tiravanija lädt zum Essen, Trinken und Spielen ins Museum ein. Seine Retrospektive verwandelt den Gropius-Bau in einen Ort sinnlicher Begegnung - das macht Spaß, aber lässt auch Ernsthaftigkeit zu. Von Julia Sie-Yong Fischer
Im großen Lichthof des Gropius-Baus pingt und pongt es: Acht Tischtennisplatten sind dort aufgestellt, jede:r Besucher:in kann darauf spielen. Auf ihre Flächen wurde der Arbeitstitel "tomorrow is the question" (2024) in den in Berlin am meisten gesprochenen Sprachen gedruckt. In der Mitte des Hofs windet sich ein Holzturm mit dem Namen "untitled (demo station no.8)" in die Höhe. Darauf stehen schon die Decks für den DJ, der zur Eröffnung von Rirkrit Tiravanijas "Das Glück ist nicht immer lustig" am Donnerstag auflegt.
Tiravanija ist ein Künstler, der Werke produziert, die sich nicht auf den ersten Blick als klassische Kunst erkennen lassen. Heutzutage sind Kochperformances und "Gatherings", also Zusammentreffen, keine Seltenheit im regulären Kunstbetrieb mehr. Aber ohne Tiravanijas Arbeit in den 1990er Jahren wäre das schwer vorstellbar.
Tarotkarten und Poesie
Der Lichthof mit dem DJ-Pult zum Beispiel soll nicht nur mit Auftritten von Musiker:innen bespielt werden. Auch Berliner Gruppen und Vereine können sich für eine Präsentation in den nächsten Wochen anmelden. Dann werden hier unter anderem Tarotkarten gelegt, Vereinssprechstunden angeboten und Poesie vorgelesen. Ansehen kann man sich das kostenlos, auch ohne Ticket.
Auch Musiker:innen, die einen Proberaum mit Instrumenten brauchen, können sich angemeldet ohne Eintrittspreis in einem der Ausstellungsräume austoben. Das alles ist nicht gerade das, was man von einem gewöhnlichen Museumsbesuch kennt. Häufig heißt das, sich in erster Linie Kunstobjekte anzuschauen. Sie werden dabei zu einer vorsichtig behandelten und beäugten Ware, die fernab ihres Entstehungsorts in weiß gestrichenen Räumen hängt - ein eher steriles Erlebnis. Rirkrit Tiravanija entschied sich früh, dass er etwas anderes mit seiner Kunst erreichen wollte.
Teilnehmen statt nur beobachten
Schon als jungen Studenten im Chicago der 1980er Jahre stieß ihn diese westlich geprägte Auffassung davon, wie Ausstellungen zu sein haben, vor den Kopf, erinnerte er sich später. Als er Alltagsgegenstände der ihm vertrauten thailändischen Esskultur in Ethnologiemuseen anschaute, hatte er einen Entfremdungsmoment. Warum wurden diese praktischen Gegenstände ihres natürlichen Kontexts beraubt und auf einen Sockel gestellt?
Der Sohn einer thailändischen Diplomatenfamilie sagte, er sei sich schnell der politischen Ebene dieser kolonialistischen Ausstellungen bewusst geworden. Die Lösung sah Tiravanija darin, "den Topf aus der Vitrine zu holen und darin zu kochen". Also machte er das – und überführte die Gegenstände so wieder in ihren kulturellen Kontext, "aktivierte" sie mit einer Praxis, wie die Direktorin des Gropius-Bau, Jenny Schlenzka, beim Rundgang erklärt.
So wurden viele der hier gezeigten "Readymades", also in den Kunstkontext überführte Gebrauchsobjekte, bereits eingesetzt - meistens kulinarisch. Bei seiner ersten Performance "pad thai", 1990 in der Paula-Allen-Gallery in New York, kochte Rirkrit Tiravanija das beliebte thailändische Nudelgericht direkt vor Ort und servierte es dem Publikum. Die meisten Besucher:innen hielten ihn für einen Caterer und nicht für den anwesenden Künstler.
Thilo-Sarrazin-Würste und heißer Mokka
Die bekannte Malerin Elizabeth Peyton, Tiravanijahs Ex-Ehefrau, bezeichnete dessen Kunst in einem Interview 2022 als im ersten Moment sehr "sweet" und zugänglich. Im zweiten Moment werde jedoch schnell klar, dass sie eben nicht so leicht verdaulich sei.
So sitzt es sich im Gropius-Bau in dem mit Bücherkartons improvisierten "café deutschland"(1993) zunächst angenehm. An einem kleinen Plastiktisch wird heisser türkischer Mokka mit Kardamom ausgeschenkt. Im Hintergrund hängen in einem einsehbaren Schrank Würste, die mit Seiten aus Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab"(2010) gestopft sind. Diese Arbeit wurde von dem Wahlberliner unmittelbar nach dem rassistischen Brandanschlag in Mölln 1992 konzipiert. Sie klagt jedoch nicht an, sondern eröffnet einen Raum, der zur interkulturellen Begegnung einlädt. Und verschweigt dennoch nicht den rassistischen Diskurs in Deutschland, der im Hintergrund geräuchert wird. Die Seiten des Sarrazin-Buchs fügte er später hinzu.
Und während die Besucher:innen durch die vielen Räume wandeln, bekommen sie über klassische Ausstellungsstücke wie Drucke und Videos hinaus immer wieder eine neue Möglichkeit der Perspektive und Teilhabe angeboten. Neben einer heilenden chinesischen Teezeremonie in einem raumhohen Stoffzelt, werden T-Shirts mit Protestmotiven gedruckt. Zweimal pro Woche serviert man kostenlos deutsche Flädlesuppe und thailändische Tom-Kha-Suppe. Schon allein die Möglichkeit, selbst Installationen zu aktivieren und sich auf eine ungewohnte Weise in den Museumsräumen aufzuhalten, ist eine berührende Erfahrung.
Mittendrin statt nur dabei
Selbst die Direktorin Jenny Schlenzka bleibt nicht auf Abstand, erlaubte es dem Künstler, ihr Büromobiliar in einem Ausstellungsraum unter seiner Anweisung aufzubauen. Über ihrem Schreibtisch hängt fast ironisch ein Siebdruck Tiravanijas mit dem Satz "Ne travaillez jamais": "Arbeite niemals". Schlenzka möchte damit ihre eigene Rolle überdenken und in direkten Kontakt mit dem sonst vom kuratorischen Team nur imaginierten Publikum treten, wie sie sagt. Auf die Frage, ob sie dort wirklich arbeiten werde, lächelt sie und antwortet mit einem verschmitzten "Vielleicht?".
Diese Frage trifft einen nicht unwichtigen Punkt dieser mit spürbarer Euphorie gestalteten Ausstellung: Inwiefern können sich institutionskritische Kunstformen im Rahmen einer solchen Institution entfalten? So zeigt sich auch eine Mitarbeitende gespannt, inwiefern der Gropius-Bau seine neue, freiere Umnutzung zulassen und beispielsweise die Mokkaflecken auf dem Holzparkett akzeptieren kann.
Ende der 1990er Jahre rekonstruierte Tiravanija für eine Installation im Kölner Kunstverein zeitweise sein New Yorker Apartment inklusive Aufnahmestudio und belebte es mit viel Publikum und Aktionen. Daraufhin floh der Direktor nach zwei Wochen in den Urlaub, um sich der Verantwortung für das wilde Chaos zu entziehen.
So könnte auch diese beeindruckende Schau in Berlin bis zu ihrem Ende ein spannendes Experiment bleiben - denn das, was Tiravanijas Kunst ausmacht, sind nicht die Gegenstände, sondern was mit ihnen passiert.
Sendung: radio3 vom rbb, 14.09.2024, 9:40 Uhr