Theaterkritik | "Wasteland: Peter Pan" am DT - Peter Pan muss sterben

Am Deutschen Theater ist zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen eine Regisseurin in den Proben ausgestiegen. Und aus einer geplanten Uraufführung wurde mithilfe von T.S. Eliots "Wasteland" ein düsterer, bildreicher Todesreigen über Peter Pan. Von Barbara Behrendt
Mit einem Röcheln fängt es an. Ein Röcheln im Dunkeln. Die Bühne dreht sich und zeigt verschiedene Grusel-Zimmer, wie Tortenstücke aufgeteilt: ein eiskalt gefliestes Badezimmer mit giftigem Wassertank statt Wanne; ein winziger Käfig, in dem die Eltern von Wendy Darling hausen; ein Gurt mit schwarzen Flügeln, mit dem man das Fliegen vortäuscht. Das "Neverland" ist ein ödes "Wasteland".
Eine Drehung weiter dann der Grund für das Röcheln: Die alt gewordene Wendy Darling hängt am Tropf und geht in die letzte Nacht ihres Lebens. "Alle müssen sterben", sagt die Schauspielerin Natali Seelig im Nachthemd zur Klavierbegleitung in Moll. "Außer dem Einen. Die meisten wissen schon früh, dass sie sterben müssen. Ich wusste es bereits mit zwei Jahren. Zwei ist der Anfang vom Ende."
Peter Pan hat Angst vor dem Tod
Die ersten Zeilen aus J.M. Barries Romanklassiker "Peter Pan" sind das, umgedeutet. "Alle Kinder, außer einem, werden erwachsen", heißt es im Original. Die Inszenierung unternimmt also eine dunkel psychoanalytische Deutung des Peter-Pan-Stoffes: Peter hat nicht Angst vor dem Erwachsenwerden, sondern vor dem Tod. Daher heißt der neue Abend am Deutschen Theater auch nicht "Neverland: Peter Pan", sondern "Wasteland: Peter Pan". Als Autor ist nicht nur J.M. Barrie aufgeführt, sondern auch T.S. Eliot und die Dramatikerin Patty Kim Hamilton – Zitate von Bell Hooks fließen ebenfalls ein.
Diese recht abenteuerliche Zusammenstellung hat in den Proben offensichtlich zu Problemen geführt. Ursprünglich war die Uraufführung eines neuen Stücks von Patty Kim Hamilton angekündigt - eine junge Autorin, die mit ihrem ersten Stück erfolgreich war, zuletzt bei den Autor:innentheatertagen am DT allerdings nicht überzeugen konnte. Von ihrem neuen Text über die gealterte Wendy Darling ist nur ein winziger Rest geblieben - daher verschwand das Wort "Uraufführung" aus der Ankündigung.
Keine Uraufführung, keine Regisseurin
Zwei Wochen vor der Premiere stieg dann die Regisseurin Jessica Weisskirchen aus - nach Claudia Bauer (in der Inszenierung "Schiff der Träume") die zweite Regisseurin innerhalb weniger Wochen am DT, die mitten in den Proben das Team verlässt. Der Abend verzeichnet nun keine Regie, sondern mit Alexander Eisenach und Jan Jordan eine "künstlerische Leitung" in einer "kollektiven Ensemble-Arbeit".
Gerahmt ist der Abend von der Peter-Pan-Erzählung, gesprochen werden aber viele Passagen aus T.S. Eliots "Wasteland". Ein wegweisendes, schwer zu entschlüsselndes Langgedicht aus dem Jahr 1922. Im Nachgang des Ersten Weltkriegs spricht es von den Umwälzungen, die das neue Jahrhundert der Moderne mit sich gebracht hat. Ein schwerer Text über die Katastrophen der neuen Zeit, wo der Frühling kein Neuanfang ist, sondern ein böses Erwachen. Die vielen Toten des Ersten Weltkriegs stehen dem Autor leibhaftig vor Augen.
Bilder, Musik, Grabesstimmung
Der kurze Theater-Abend sendet in gut einer Stunde eher Bilder, Musik und Grabesstimmung aus, statt einer Geschichte zu erzählen. Der kryptischen Sprache T.S. Eliots lässt sich dabei nur schwer folgen.
Die wichtigste Setzung ist jedoch, dass Peter Pan hier zwar meint, ein Junge zu sein, der niemals erwachsen wird - Lenz Moretti gibt ihn aber als alten Mann mit Halbglatze, dem die Haut fast aus dem Gesicht fällt. Alle in Neverland merken schließlich, dass die Zeit des Spiels vorbei ist und die Zeit des Sterbens gekommen – selbst die Fee Tinkerbell möchte endlich sterben. Nur Peter heult und will es nicht wahrhaben.
Zu schmal fürs Hauptstadttheater
In seinen Bildern, Szenenskizzen, der Musik gibt es wunderbare Momente. Lorena Handschin am Klavier etwa, die eine traurige Version von "I can never go home anymore" von den Shangri-Las singt - und damit auch über die Unbehaustheit von uns kleinen, liebessehnsüchtigen, gebeutelten Menschen. Letztlich ist die sehr reduzierte, performative Installation allerdings zu schmal für ein Hauptstadttheater dieser Größenordnung.
Überhaupt scheint es am DT zu kriseln. Schon die vergangene Saison war künstlerisch schwierig, in der neuen Spielzeit fehlt eine überzeugende Inszenierung bislang noch komplett. Und wenn Regisseurinnen lieber hinschmeißen, als ihre Inszenierung an einem der größten Häuser des Landes herauszubringen, dann fehlt womöglich eine Intendantin, die bestärken, unterstützen und souverän Ruhe ausstrahlen kann. Doch nach der Premiere ist vor der Premiere: Schon heute steht auf der großen Bühne die nächste Inszenierung an. "Das Dinner" - mit Topbesetzung: Ulrich Matthes, Maren Eggert, Bernd Moss, Wiebke Mollenhauer. Schauspielerisch kann das eigentlich nur gutgehen.
Sendung: radio3, 26.10.2024, 8 Uhr
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