Theaterkritik | "Method" an der Volksbühne - Werwolf im Weltraum
Das ungarische Theater- und Filmemacherteam Kornél Mundruczó und Kata Wéber inszeniert an der Berliner Volksbühne mit "Method" eine alberne, blutige Horrorfarce über die Grenzen der Kunst und Machtmissbrauch am Filmset - mit einem Spitzenensemble. Von Barbara Behrendt
Vor wenigen Tagen hat der "Tagesspiegel" [Bezahlangebot] die Nachricht durchgestochen, dass die Extremtheatermacher:innen Vegard Vinge und Ida Müller interimsweise für drei Jahre die Berliner Volksbühne leiten wollen - die Verträge lägen zur Unterschrift bereit.
Vegard Vinge ist allerdings bekannt dafür, sowohl das Publikum als auch die Mitarbeitenden bis zum Anschlag zu provozieren. Da passt es nicht schlecht, dass die nun just auf diese Nachricht gefolgte Premiere an der Volksbühne sich ausgerechnet mit Grenzüberschreitungen und Machtspielen in der Kunst auseinandersetzt.
Die Grenzüberschreitung des Method Actings
"Method" heißt die groteske, schrille, blutige Horrorfarce, die das ungarische Theater- und Filmemacherteam Kornél Mundruczó und Kata Wéber mit dem Ensemble entwickelt hat. "Method" steht hier für Method Acting: Das Abtauchen in eine Rolle, das Hollywood-Stars gern als große Kunst zelebrieren, wenn sie sich 30 Kilogramm runterhungern oder in der Rolle des Bösewichts beim Filmdreh Fremde verprügeln.
Über der Bühne hängt eine gigantische Leinwand. Darauf zu sehen sind die Schauspieler:innen Zarah Kofler und Martin Wuttke als Astronauten in einer Rakete, die versuchen, an der ISS anzudocken. Die Alarmsignale schrillen, die Automatik fällt aus, die Astronauten müssen manuell weitersteuern und schaffen es in letzter Minute. Bis Martin Wuttke eine Panikattacke bekommt und aus der Rolle fällt. Hyperventilierend stolpert er aus dem großen Holzkasten auf der Bühne, der als Raumschiff fungiert. Der Regisseur bricht den Dreh ab, die Live-Videos stoppen, der Schauspielcoach versucht verzweifelt, den Helm zu lockern. Alles ist nur ein Film.
Horror-Science-Fiction mit trashiger Handlung
Der große, narzisstische und brutale Schauspielstar Marvin, gespielt vom großen Schauspielstar Martin Wuttke, hat seine besten Zeiten hinter sich und spielt nun in diesem europäischen B-Movie, ein Horror-Science-Fiction-Film mit ausgesucht trashiger Handlung: Eine Astronautin und ein Astronaut reisen in einem Raumschiff - bis der männliche Astronaut im Anblick des Mondes zum Werwolf mutiert.
Und da Marvin von seinem Schauspielcoach nur Method Acting gelernt hat, muss Marvin als Werwolf am Set das Morden proben, um sich in seine Rolle einzugrooven. Bis das komplette Set niedergemetzelt ist. Solange noch irgendjemand eine Kamera halten kann, wird gnadenlos draufgehalten, denn: Wenn man schon für die Kunst stirbt, dann doch bitte vor laufender Kamera. Und ist es wirklich so schlimm, dass es als nächstes den Kameraassistenten treffen wird, den kaum einer kennt? Oder den abgebrühten amerikanischen Filmproduzenten?
Machtmissbrauch in der Filmbranche? Na, sowas
Plot und Aussage des langen Horrorabends bleiben also übersichtlich: Nicht alles darf womöglich der Kunst zum Opfer fallen. Und: Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse gibt es auch in der Filmbranche. Na, sowas.
Dass man mitunter trotzdem Spaß an diesem irren Gemetzel hat, liegt am Spitzenensemble, das außer Rand und Band gerät. Sir Henry, nicht wie sonst als Musiker am Klavier, sondern als abgebrühter amerikanischer Filmproduzent. Maximilian Brauer als naiver, nerdiger Regisseur, der jeden Quatsch seines Hauptdarstellers feiert. Benny Claessens als perfider Psychoschauspielcoach, der alle ins Verderben treibt. Martin Wuttke als narzisstischer, drogenabhängiger, völlig irrer Promi, jenseits von Gut und Böse. Und Johanna Wokalek als Marvins Ex-Freundin, ebenfalls Schauspielerin: Obwohl sie es aus der Vergangenheit besser weiß, dreht sie nun doch wieder diesen Film mit Marvin, gerät in seine Fänge - bis sie sogar für ihn mordet.
Von wegen politisch
Wenn sich Benny Claessens, der manipulative Coach, am Ende in Rotkäppchenkutte Martin Wuttke, nun tatsächlich zum Wolf mutiert, zum erotischen Fraß vorwirft, ist das so absurd wie albern.
Angeblich, so sagen die sonst sehr politischen Theatermacher:innen, die in Ungarn deshalb keine Chance auf Förderung mehr haben, soll der Abend über den Kunstkontext hinausweisen und über Populismus und Autoritarismus erzählen. Doch bei einer so dünnen Splatter-Handlung ohne jeden Zwischenton bleibt das natürlich Behauptung. Das ist eigentlich nur konsequent: Der B-Movie wird eben auch als schmalspuriges B-Theater erzählt. Schade ist es aber doch.
Sendung: Radio3, 07.10.2024, 7:40 Uhr