Marode Stromleitungen - Wie gefährlich eine veraltete Hauselektrik für Mieter werden kann
Ein Brand hat die Mietwohnung einer Berliner Familie unbewohnbar gemacht. Zu dem Unglück kam es offenbar durch veraltete Stromleitungen. Und die sind gerade auf dem Berliner Wohnungsmarkt weit verbreitet. Von Bendrik Muhs
- Nach Schätzungen sind in rund einem Viertel der Berliner Wohnhäuser die Stromleitungen marode
- Vermieter von Privatwohnungen sind nicht verpflichtet, Leitungen regelmäßig zu prüfen
- Marode Stromleitungen können Brände auslösen
Esther Verma kann es immer noch nicht glauben: Von ihrer gemütlichen Familienwohnung in Berlin-Friedenau sind nur Ruß verseuchte Räume geblieben. Im September vergangenen Jahres kam es bei der fünfköpfigen Familie zur Brand-Katastrophe, mutmaßlich ausgelöst durch eine Verteilerdose an der Wand. Als das Feuer ausbricht, ist nur die 20-jährige Tochter von Esther Verma zu Hause. Der Brand entwickelt sich innerhalb von wenigen Sekunden. Die Tochter habe noch überlegt, ob sie mit dem kleinen Feuerlöscher den Brand löschen soll. "Aber sie meinte, es war eine Feuerwalze. Es war viel zu groß von Anfang an", erinnert sich Esther Verma. "Sie sagte, es war eine Sache von einer Minute. Und dann ist sie raus, hat die Leute aus den Wohnungen getrommelt. Aber ich war so geschockt, weil klar war, wie knapp das war. Ich hatte Angst gehabt ohne Ende, ich war so froh, dass meine Kinder noch leben."
Ein Teil der Hauselektrik ist rund 100 Jahre alt
Die genaue Brandursache ist bis heute, knapp fünf Monate nach der Katastrophe, immer noch umstritten. Aber Esther Verma ist überzeugt: Alte Stromleitungen haben den Schmorbrand verursacht. Schon vor gut zwei Jahren war es an einer anderen Dose zu einem Schmorbrand gekommen.
Während die Hausverwaltung immer noch prüft, entscheidet sich Esther Verma, eine private Zustandsbewertung anfertigen zu lassen. Der Elektriker kommt zu einem schockierenden Ergebnis – in einer Wohnung, in der sich sogar noch alte Holzlichtschalter finden: "Ein Teil der vorhandenen Leitungen sind sogar noch stoffummantelt und damit geschätzt circa 100 Jahre alt. Die vorgefundene Elektroinstallationsanlage entspricht nicht dem heutigen Stand der Technik. Die Anlage ist überlastet und in Teilen falsch ausgeführt", so der Bericht.
Fachmann: Ein Viertel aller Berliner Mietshäuser mit veralteten Elektro-Installationen
Mike Heider, Mitglied der Elektro-Innung Berlin, ist mit seiner Firma spezialisiert auf den Aufbau und die Sanierung von Elektro-Anlagen. Er schätzt den Sanierungsstau in Berliner Mietshäusern auf bis zu 25 Prozent. Mit anderen Worten: Rund ein Viertel aller Wohnungen wird mit elektrischen Leitungen betrieben, die veraltet sind und dringend ausgetauscht werden müssten. Die Gefahr für Leib und Leben trägt der Mieter.
"Wir haben natürlich das Problem, dass sich Vermietung heute nach ganz anderen Dingen richtet", sagt Heider. Ganze Straßen werden gekauft und in irgendwelchen Fonds nachher eingelagert. Und da geht es in erster Linie darum, Gewinne zu erwirtschaften für die Anleger, und da gibt es dann natürlich den Sanierungsstau, denn ich gebe nicht für etwas Geld aus, was in erster Linie Geld erwirtschaften soll."
Und das ist sogar gesetzlich erlaubt: Denn nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes von 2008 sind Vermieter von Privatwohnungen nicht verpflichtet, die Elektrik zu überprüfen. Bei Büro und Gewerberäumen sind diese Checks hingegen alle zwei Jahre verpflichtend. "Ein Arbeitnehmer ist am Arbeitsplatz sicherer als in seiner vermieteten Wohnung", sagt Heider.
Nach fünf Monaten noch keine Aussage über Schadensersatz
Zurück zu Esther Verma: Sie hat inzwischen ihren Vermieter wegen fahrlässiger Brandstiftung und Körperverletzung angezeigt. Ihre Familie ist notdürftig in zwei kleinen Wohnungen untergekommen. Seit fünf Monaten befindet sich ihr Leben im Ausnahmezustand. Der Vermieter, den der rbb um eine Stellungnahme gebeten hat, gibt keine Auskunft. "Es ist anstrengend für mich, ich konnte nicht gut arbeiten mit dieser ganzen Geschichte. Jetzt sind ungefähr fünf Monate vergangen, und uns wurde noch kein Schadensersatz angeboten", sagt Esther Verma.
Doch zumindest, was den Anspruch auf Schadensersatz angeht, ist man beim Berliner Mieterverein zuversichtlich. Denn einen Trumpf hat Esther Verma in der Hand: Sie hatte den Vermieter mehrfach auf die fehlerhafte Elektrik in ihrer Wohnung hingewiesen.
Werde dem Vermieter ein Mangel angezeigt und komme er der Aufforderung, diesen zu überprüfen, nicht nach, "dann befindet sich der Vermieter im Verzug. Und wenn es tatsächlich zu einem Wohnungsbrand kommt, dann sind Schadensersatzansprüche gegen den Vermieter möglich", sagt Wibke Werner von Berliner Mieterverein.
Den aktuellen Anforderungen nicht gewachsen
Der Brand bei Esther Verma ist kein Einzelfall. Auch die Statistik belegt das Problem: Knapp ein Drittel aller Brände entsteht durch Elektrizität. Alte Stromleitungen sind für die Vielzahl unserer elektrischen Geräte nicht gemacht und werden schnell überlastet. Verschärft wird die Lage jetzt noch durch die Energie-Krise: Heizlüfter waren etwa der Renner der letzten Saison. Gepaart mit den alten Elektroleitungen können sie zur potenziellen Gefahr werden.
Geht man davon aus, dass so eine alte Leitung mit 10 Ampere gesichert ist, so ergibt sich eine Leistung von 2.300 Watt. Schließt man nun einen Heizlüfter mit 1.700 Watt und eine herkömmliche Kaffeemaschine an diese Leitung an, kommt es schon zur Überlastung. Im besten Fall springt die Sicherung raus.
"Wenn der Winter jetzt wieder kälter wird, dann steigt natürlich auch das Risiko von Bränden, klar", sagt Mike Heider von der Elektro-Innung Berlin.
Mit einem "E-Check" auf der sicheren Seite
Wer als Mieter auf Nummer sicher gehen will, dem bleibt nur der 1996 eingeführte E-Check. Für rund 200 Euro erhält der Mieter von einem zertifizierten Elektro-Unternehmen einen Bericht über den Zustand seiner Leitungen. Werden hier eklatante Sicherheitsmängel festgestellt, hat der Mieter etwas in der Hand, mit dem er seinen Vermieter unter Druck setzen kann. Einziger Nachteil: Die Kosten für den E-Check müssen die Mieter selbst tragen.
Für Esther Verma und ihre Familie geht es nun auch darum, andere zu warnen. Denn sie glaubt nicht, dass es sich bei ihrer Wohnung um einen Einzelfall handelt, in der Millionenmetropole Berlin: "Das wird in vielen Häusern in Berlin so sein, und ich möchte wirklich, dass die Menschen darauf aufmerksam werden, dass sie von ihren Hauseigentümern einen Nachweis fordern: Wie alt ist meine Elektrik? Wann ist da das letzte Mal etwas gemacht worden? Und das Ganze bitte immer schriftlich. Denn alles, was mündlich gesagt wird, zählt gar nichts, selbst wenn man Zeugen hat, ist es schwer."
Viele Berliner Altbaumieter müssen sich also, so traurig es ist, selbst um ihre Elektro-Sicherheit kümmern. Frei nach dem Motto: Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner.
Sendung: Super.Markt, 30.01.2023, 20:15 Uhr