ADFC-Umfrage - Fahrradfahrer geben Berlin die Schulnote 4, Potsdam schafft eine 4+
Eine Befragung deutscher Radfahrer zeigt: Berlin ist im Großstadt-Vergleich unterdurchschnittlich. Vor allem die Infrastruktur lässt laut ADFC-Umfrage zu wünschen übrig. In Brandenburg gibt es dagegen kleinere Städte mit guten Bewertungen.
Alle zwei Jahre lässt der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) die Fahrradfreundlichkeit von Städten und Kommunen abfragen. Am Montag sind die Ergebnisse vorgestellt worden. Der "Fahrradklima-Test" funktioniert nach Schulnoten - eine "1" wäre also sehr gut, eine "6" gilt als ungenügend. Der bundesweite Notenschnitt von "4" zeigt schon: Es bleibt noch viel zu tun.
Auch der Schüler Berlin schrammt knapp an der Versetzungsgefährdung vorbei. Die Hauptstadt bleibt sich treu und erreicht ihr "ausreichend" sogar noch mit einem etwas schlechteren Zeugnis als der Bundesschnitt (4,1). Potsdam heimst eine geringfügig bessere Note ein - immerhin eine 3,8. Brandenburg als Bundesland schneidet mit einem Schnitt von 3,9 ähnlich ab. Besonders in den größeren Städten wurden viele schlechte Noten verteilt.
Schmale und vollgeparkte Radwege deutschlandweit ein Problem
Kritisiert wird von den rund 245.000 Teilnehmern der ADFC-Umfrage vor allem die Infrastruktur in Städten. Die Radwege finden deren Nutzer vielerorts zu schmal und zu oft vollgeparkt. Auch in Berlin und den großen Brandenburger Städten sind das zwei der Hauptprobleme. In der Metropole sei auch die Konfrontation mit Autofahrern ein großes Problem, heißt es in der Studie. "Leider ist für eine attraktive Radinfrastruktur in Deutschland noch viel zu tun", sagte die ADFC-Bundesvorsitzende Rebecca Peters am Montag zu den veröffentlichten Zahlen.
Im Ranking werden insgesamt 1.114 Städte bewertet - verglichen werden sie in insgesamt 27 Kategorien und - um das Schul-Bild noch mal aufzumachen - es gibt gewissermaßen Klassenstufen, in denen die Städte nach Bevölkerungsgröße einsortiert werden. Berlin ist die einzige "Großstadt" in der Region (über 500.000 Einwohner) und enttäuscht in seiner Klasse.
Geringes Sicherheitsgefühl und Angst vor Diebstahl in Berlin
Mit 4,1 bekommt Berlin ziemlich genau die gleiche Gesamtnote wie vor zwei Jahren. Neben den schmalen und zugeparkten Radwegen sind in der Hauptstadt auch Konflikte mit Autofahrern ein häufiger Kritikpunkt, wie es in der Studie heißt. Das Sicherheitsgefühl im Straßenverkehr wird demnach nur mit einer 4,7 (in der Schule wäre das eine 5+) bewertet. Das größte Problem ist für Berliner Radfahrer aber die Angst vor Fahrraddiebstählen. Fast 90 Prozent der Befragten zeigten sich hier sehr besorgt.
Insgesamt landet Berlin mit seiner Note gerade mal auf Platz neun der 14 Großstädte. Die besten Zeugnisse haben Bremen, Hannover und Frankfurt (Main) ergattert. Das Ergebnis zeige, so die politische Referentin des Berliner ADFC, Solveig Selzer, dass Fahrradfahrer in Berlin "die Zähne zusammenbeißen" müssten. "Wir brauchen Radwege, für die man nicht mutig sein muss", sagte sie. Der Vergleich mit anderen Großstädten zeige, dass die Verkehrswende in vielen Städten vorangehe, Berlin müsse sich "anstrengen, nicht den Anschluss zu verlieren", so Selzer.
Auffällig gut läuft in Berlin der Umfrage zufolge die Abdeckung mit öffentlichen Leihfahrrädern. Diese Kategorie bewerten die Radfahrer der Stadt mit "2,5" und damit gerade noch "gut". Gelobt werden ebenfalls die vielen für den Radverkehr geöffneten Einbahnstraßen (2,9 - "befriedigend").
Potsdam ist der Streber unter den größeren Städten in Brandenburg
Die größeren Städte in Brandenburg dürfen sich auch nicht über deutlich bessere Noten als der große Bruder Berlin freuen. Nur Potsdam fällt hier mit einer Gesamtbewertung von 3,8 positiv auf. Cottbus mit 4,1, Frankfurt (Oder) mit 4,2 und Brandenburg/Havel mit einem Schnitt von 4,3 sind teilweise noch ein bisschen schlechter als Berlin bewertet worden. In Brandenburg/Havel und Cottbus wird vor allem das Angebot von öffentlichen Leihfarrädern als "mangelhaft" eingestuft. Hier erreichte Potsdam hingegen eine eine gute Note (2,5). Probleme wie zugeparkte Radwege und Konflikte mit Autofahrern gibt es in nahezu allen Städten, auch der Fahrraddiebstahl bleibt ein bekanntes Problem.
Insgesamt wird das Land Brandenburg wie Berlin nur "ausreichend" bewertet. Der örtliche ADFC kritisierte allerdings in seiner Pressemitteilung, dass es insgesamt kaum Verbesserungen gab. Nur drei Kommunen erreichten bessere Noten als bei den letzten Zeugnissen: Königs Wusterhausen, Neuruppin und Michendorf. In Brandenburg wird vor allem die Verkehrssicherheit und der Komfort kritisiert - zu viele alte Radwege seien nicht saniert, so der ADFC.
Die Unterschiede in den Bewertungen der insgesamt 45 Städte in Brandenburg ist allerdings enorm. Während es (traditionell) fahrradfreundliche Orte wie Schwedt (Note 3,1) gibt, das sogar bundesweit auf Platz vier in seiner Kategorie landet, gibt es auch versetzungsgefährdete Kandidaten wie Werder (Havel) - der Ort des Baumblütenfests bekommt die Schulnote 4,5 und gehört damit zu den Fahrrad-unfreundlichsten Städten in seiner Größenordnung. Die beste Note in Brandenburg bekam Bad Wilsnack, mit 2,7. Hier gefällt den Radfahrern vor allem die Infrastruktur, die Ausstattung mit Leihrädern und die Wegweisung - das alles wurde mit der Note "gut" bewertet.
Sonderbefragung im ländlichen Raum
Für das Flächenland Brandenburg ebenfalls interessant ist die diesmal durchgeführte Sonderbefragung zum ländlichen Raum. Während die eigene Mobilität von Kindern und Jugendlichen mit 3,4 hier positiv bewertet wurde - das Fahrrad also ein wichtiges Fortbewegungsmittel auf dem Land ist, wird die vorhandene Infrastruktur kritisiert. Nur an 15 Prozent der brandenburgischen Landstraßen gebe es straßenbegleitende Radwege, teilte der ADFC mit. Der Landesvorsitzende Stefan Overkamp schlussfolgert daraus: "Wer jungen Menschen im Land Brandenburg eine attraktive Heimat bieten will, darf eine gute Fahrradinfrastruktur als Standortfaktor nicht unterschätzen."
Bei der diesjährigen Zeugnisvergabe gab es übrigens bundesweit keinen einzigen Einser-Schüler. Bei den Großstädten ist die beste erreichte Durchschnittsnote eine "3-" (Bremen), die beste insgesamt bekam die Gemeinde Wettringen (Münsterland, etwa 8.000 Einwohner) mit einer glatten "2". Entweder sind die deutschen Städte in Sachen Fahrrad also fast alle lernfaul oder die Prüfer (Deutschlands Fahrradfahrer) besonders streng.
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.04.2023, 15 Uhr