Glosse | Oktoberfest in Berlin - Patriotische Preißngaudi!

Sa 16.09.23 | 12:00 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Senay Gueler, Felix von Jascheroff und Björn Schwarz beim Wiesn-Anstich zum Oktoberfest 2022 im Hofbräu Berlin. Berlin, 17.09.2022
Bild: www.imago-images.de

Nichts passt so wenig nach Berlin wie das Oktoberfest: Ein Stück urbayerische Kultur, die in Berlin zum stumpfen Party-Kommerz degradiert wird. Trotzdem ist die Teilnahme dieses Jahr oberste Berliner Bürgerpflicht, kommentiert Sebastian Schöbel.

Lassen Sie mich das Wichtigste gleich zu Beginn sagen: Berlin braucht kein eigenes Oktoberfest. Schon gar nicht 14 (!) Ausgaben davon.

Trotzdem müssen Sie in diesem Jahr mindestens eines der 14 (!!) Berliner Oktoberfeste besuchen, es geht nicht anders.

Aus lokalpatriotischer Pflicht!

Denn dieses Jahr ist’s persönlich! Das ist ausnahmsweise mal nicht Berlins Schuld, anders als bei so vielen anderen Sachen, für die wir völlig zu Recht im Rest des Landes durch den Kakao oder über die Stammtische gezogen werden. Nein, diesen Streit haben die wahlkampftrunkenen Bayern begonnen, unter freundlicher Mithilfe aus dem Sauerland – eine Region berühmt für westfälische Humorlosigkeit.

Gigamoos, Gillagong… wen kümmert’s?

Da hat also dieser sauerländische Friedrich Merz, seines Zeichens Chef der CDU, auf so einem bayerischen Bierfest - Gigamoos, Gillagong… wen kümmert’s - behauptet, Kreuzberg sei nicht Deutschland. Gut, das sagt man in den restlichen 11 1/2 Berliner Bezirken mindestens einmal pro Woche. Aber sich dessen außerhalb des Berliner Rings zu erdreisten, nachdem man sich als Nicht-Berliner erst mit einem Liter Helles Mut ansaufen musste, ist schon ein starkes Stück!

Und dann kommt noch der lederbehoste Lautsprecher Markus Söder dazu und poltert gleich gegen ganz Berlin. Obwohl er hier mal Kanzler sein wollte, was er aber nicht geschafft hat und jetzt an uns auslässt. Während seine Landsleute mit Berliner Mietern ihre Renten aufbessern und ihre Kinder in unseren Clubs die Traumata einer bayerischen Jugend wegtanzen.

Jetzt könnte Berlin das locker weglächeln. Seit die Preußen 1866 im Deutschen Krieg die Machtverhältnisse bei Königgrätz und Uettingen klargestellt haben, nehmen wir an der Spree Bayern sowieso nur noch als Urlaubsdestination ernst. Dabei mögen wir das Oktoberfest, obwohl man uns dort immer nur als schlecht gekleideten Störfaktor mit Tischreservierung empfangen hat.

Biergetränkter Fehdehandschuh aus Bayern

Doch Gilla…dingsbums war der biergetränkte Fehdehandschuh! Eine unnötige Provokation! Jetzt, liebe Bayern, drehen wir euer heiliges Oktoberfest mal so richtig durch die Berliner Kommerzmangel. Auf dem Alexanderplatz zum Beispiel, zwischen Elektronikmarkt und Hochhausbaustelle, oder gegenüber von der Aral-Tankstelle an der Avus. Die Buden können gleich stehen bleiben, für die Weihnachtsmärkte. Hauptsache "Gaudi"!

Wir tragen dabei UNSERE Oktoberfesttracht, den stylisch grauen Heinzelmännchen-Filzhut, dreiviertellange Kunstleder-Lederhosen aus asiatischer Handarbeit, und feinste Polyesterdirndl mit Edelweiß-Stickereien. Die Schürzenschleife tragen unsere Damen übrigens hinten, überm Steiß, denn da geht ihnen die Tradition vorbei. Und die Herren tragen Tennissocken zu Decathlon-Wanderschuhen, weil’s bequemer ist, wenn man wegen ÖPNV-Ausfall nach Hause laufen muss. Über allem flattern blau-weiße Bänder, damit ja jeder weiß, dass es hier "echt bayerisch" zugeht. Bayerns bester Oktoberfest-Comedian Harry G. hätte seine Freude!

In Berlin liegt der Maß-Preis noch unterm Mindeslohn

Euer Bier trinken wir natürlich auch, literweise und sogar mehr als ihr. Weil der Maß-Preis noch unter dem gängigen Mindestlohn liegt, und besser als bei Risa Chicken schmeckt euer Wiesnhendl auch nicht. An Plätze auf unseren Bierbänken kommt man ohne halblegale Kontakte in den lokalpolitischen oder wirtschaftlichen Filz. Das Prosit der Gemütlichkeit singt sich auch mit Blick auf den Ostbahnhof oder die Mauern der Spandauer Zitadelle gut. Blasmusik klingt eh überall scheiße.

Das Beste aber: Man läuft nicht Gefahr, dass man vom Aiwanger Hubsi oder Merz Friedrich mit Bieratem populistisch von der Seite angehaucht wird. Darüber was in Berlin alles nicht läuft, Mist ist und "undeutsch". Ist eh besser so: Auch in Berlin haben wir Adis, die einem den Maßkrug "sanft auf der Schädeldecke aufsetzen" können. Grüße an Gerhard Polt!

Liebe Bayern, wenn ihr dann demnächst gewählt und euch wieder beruhigt habt, kommen wir sehr gerne nächstes Jahr zu eurem, dem echten Oktoberfest. Sofern wir unsere Tracht bis dahin gewaschen bekommen.

Sendung: Fritz, 16.09.2023, 10:00 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

34 Kommentare

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  1. 34.

    Auch wenn es nur um "Saufgelage - Gaudi " geht, meint ein "Ostler", hier geht doch nur um eine "Politschau", so wie dem in in der DDR war.
    Da sind die "Wessis" profaner, es geht wirklich nur um das "Saufgelege".
    Da ich einmal auf den Oktoberfest in München war, konnte ich mich davon überzeugen.
    Übrigen, ich habe 27 Jahre in Bayern gewohnt, und durch Gewerkschaft und SPD manch eine Veranstalltung im Bierzelt miterlebt, und auch da kann ich bestätigen, es ging immer vorrangig um das Bier und die "Gaudi".

  2. 33.

    1 Liter auf ex. Noja, wers mit nem schäumerl vor der gusch schafft, ist halt a barzi. Gaudi im polyester dirndl. Saufen. Alkohol en mass. Das traditionelle Fest aus Bayern wirkt in Berlin wie käsebällchen im görli. Promizelte C-Klasse inklusive. Hauts nei.

  3. 32.

    Die bayerische Braukunst, na ich danke. Die können vielleicht Weißbier, aber kein Pils.
    Das Helle ist nur Notgetränk.
    Das echte Tschechische oder das nordisch Herbe ist da um Längen besser!

  4. 31.

    Zum Glück, dass Berlin Clubs mit lediglich 15 Euro Eintritt inkl. Einlasskontrolle, kostengünstige Orte wie die Halle Neun und den 6. Stock vom KaDeWe hat. Zudem irrsinnig viele Events, die ja alle nur Soli-Beiträge verlangen, so auch die Waldbühne mit den gerade zu billigen 6,50 für 0,4 Massenbier ;-) LOL

  5. 28.

    Jawoll! So, genau so, und auch nicht ein klitzekleines Satzzeichen anders, Herr Schöbel!

    Da ham wat den depperten Wapplern ma so rischtej jezeigt.

    ...und das Berliner Bier ist übrigens auch besser, als deren Gebräu.

  6. 26.

    Jedes Pfarrfest oder dörfliche Kirmes ist urbayrischer wie dies Oktoberfestgedöns.

  7. 25.

    Die Wiesn sind für mich ein kollektives Saufen und alle wichtigen & unwichtigen Menschen finden es auch noch lustig und schick…. aber wem’s gefällt….

  8. 24.

    Ich fand den Beitrag super! Ob das nun ein Preußengaudi ist, oder nicht, kann ich nicht beurteilen.
    Und bayerisch essen schon gar nicht. Als Gemüse'verputzer' hatte ich in Bayern nix zu lachen, dafür viel Sauce und viel Fleisch. Dem Bier könnte ich evtl. noch etwas abgewinnen. Tja, da werden wohl die blau-weißen Buden an meiner "Teilhabe" verzichten müssen. Zum Glück kann man sich ja noch aussuchen, was man mag. Aber eine gewiss mal nette landschaftlich gebundene Tradition aus Kommerz u. Knautsch durch's Land zu schicken? Oder auch rund um den Erdball zu "senden"? Na, gut, wird sich ja wohl lohnen.

  9. 22.

    Sich in Berlin über 8 betrunkene Leute aufzuregen, ist albern. Hier gibt es ganz andere "kulturelle" Gepflogenheiten und da bleibt es auch nicht unbedingt nur beim Alkohol. Und jahreszeitlich begrenzt ist es schon gar nicht.

  10. 21.

    Berlin, das war mal zut Recht ein Sehnsuchtsort für Alle, die an Toleranz glaubten, aber inzwischen kommt bei vielen die Ernüchterung, das insbesondere, wenn sie im Zentrum der Stadt unterwegs sind..
    Die hiesige großgeschriebene Toleranz verkommt immer mehr zum einem "Papiertieger", und das merkt man zunehmend.
    Übrigens, selbst der rbb24 greift diese unerfreuliche Enwicklung zunehmend auf.
    Natürlich die jährlich stattfindenden Feste, etc., die unter besonderen Polizeischutz stattfinden, verlaufen entsprechend dem immer noch gültigen "Papiertieger", aber der Alltag lässt leider immer mehr zu wünschen übrig.
    Wer ohne Handy oft in "Öffis" und sonst wo unterwegs ist, und somit nicht abgelenkt wird, dem entgehen diese negativen Entwicklungen nicht. Nur leider schauen die meisten in ihr Handy, und nehmen die aktuelle Stimmung in Berlin nicht mehr wahr.

  11. 20.

    Ist doch cool, warum nicht? Wir in Berlin feiern hier sämtliche Feste, warum nicht das Oktoberfest? Ein gutes Stück deutsche Kultur kann doch nicht schaden, oder? Ob aus Bayern oder nicht. Wir feiern auch Halloween, das gehört noch viel weniger nach Berlin...

  12. 19.

    Es stellt ja niemand die bayrische Braukunst in Frage. Den Bayern macht sowieso keiner was bez. Bier brauen vor.
    Es geht wohl eher um die Bierzeltsprüche eines Friedrich Merz. Von dem Gelaber eines Hubert Aiwanger oder Markus Söder erwartet man ja sowieso nichts ernsthaftes und „zivilisiertes“.

  13. 18.

    Wiesn in München ist genauso kommerzieller Krampf. 15 Euro für ne Maß ist kein Volksfest mehr.

  14. 17.

    Mal länger dort gelebt und gearbeitet? Ev. lädt das eher als die Messe- und Urlauberperspektive dazu ein Berlin zu schätzen. Auf Postkartenidylle und Bayerngrant kann ich sehr wohl verzichten. Trotz vielerlei Bezüge und andauernder Reiseaktivität – nach Bayern zieht mich nix mehr.
    Im Übrigen: koa Bayer sogd Preißngaudi. Glingd ja furchdbar. Mia song Breißngaude – sacklzemend.

  15. 16.

    >“ Was Toleranz von Berlin angeht, diese Stadt wird seit Jahren mit jedem Tag etwas intoleranter. “
    Was die Toleranz in Berlin angeht, ist die besser als je zuvor: Jerder darf und macht das, was er will… ohne auf den oder die anderen zu achten und Rücksicht auf deren Rechte und Bedürfnisse zu nehmen. Das wird alles total toleriert in Berlin. ;-)

  16. 15.

    Das wäre das letzte was ich besuchen würde. Ein Oktoberfest. NEVER

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