Für Jugendliche und ihre Familien - Neue queere Beratungsstelle eröffnet in Neuruppin
Nicht selten sind queere Jugendliche von Ausgrenzung betroffen. Bisher mussten sie, wenn sie zum Beispiel aus dem Nordwesten Brandenburgs kommen, nach Berlin oder Potsdam fahren, um Hilfe zu bekommen. Nun gibt es in Neuruppin eine neue Beratungsstelle. Von Björn Haase-Wendt
Das Coming-out von Peter* vor zwei Jahren war nicht geplant. Eine Postkarte von seinem Freund landete bei seinen Eltern. Doch statt Verständnis schlug ihm vor allem eines entgegen: "Sehr viel Abweisung, sehr viel Distanz von den Eltern. Das war schwierig, ich hätte mir etwas anderes gewünscht", sagt er.
Auch im Dorf ist seine sexuelle Identität bis heute Gespräch, nachdem er sich seinen Freunden anvertraut hat und selbst in Neuruppin, wo er heute eine Ausbildung zum Erzieher macht. "Wenn ich von Neuruppin aus nach Hause fahren will, bekomme ich in der Stadt immer noch Schwuchtel hinterhergerufen."
Peter musste sich bisher alleine durchschlagen
Der 20-Jährige aus einer gut 4.000 Einwohner starken Gemeinde im Nordwesten Brandenburgs, musste sich mit seinen Problemen allein durchschlagen. Denn Hilfsangebote für lesbisch, schwule, bi- oder transgender-Jugendliche gab es bislang keine in der Region. Die nächsten Beratungsstellen sind erst in Berlin oder Potsdam zu finden.
Das Queere Netzwerk Neuruppin ändert das nun, auch auf Wunsch der Jugendlichen. "Wir haben mit der Jugendorganisation Queerlinge ein offenes Café gehabt und da kamen immer Ratsuchende", sagt Psychologe Lars Allolio-Näcke. Zweimal im Monat bietet der Psychologe und Berufsschullehrer gemeinsam mit der Rehabilitations-Psychologin Babett Jungblut nun im Haus der Begegnung in Neuruppin die Beratung an. "Wenn jetzt Jugendliche oder junge Menschen merken, ich fühle etwas und das ist nicht so, wie von den anderen, die neben mir leben oder ich habe blöde Erfahrungen damit gemacht. Das ist das eine. Wir sind aber auch Ansprechpersonen für andere die zum Thema Fragen haben", sagt Babett Jungblut.
Großer Beratungsbedarf
Der Bedarf ist groß. Bereits kurz nach der Ankündigung des neuen Angebots meldeten sich die ersten Jugendlichen telefonisch, zum Auftakt des neuen Angebots gab es im Haus der Begegnung zwei vertrauliche Gespräche. Immer wieder berichten die queeren Jugendlichen von Problemen, Ausgrenzung, Hass.
Eine Erfahrung die auch Psychologe und Berufsschullehrer Lars Allolio-Näcke in seinem beruflichen Alltag macht: "Bei mir an der Schule ist das relativ offen, da kann man schwul oder lesbisch sein. Nebenan ist aber das Oberstufenzentrum. Dort ist es schwierig. Ich kenne Lehrer, die nicht in ihrer sexuellen Identität auftreten, weil es eine Gefahr ist."
Verstaubte Rollenbilder in der Gesellschaft
Lars Allolio-Näcke sieht das Problem in den oftmals noch verstaubten Rollen- und Familienbildern. "Das ist ein Schichtenproblem", sagt er und meint damit vor allem die bildungsferneren Lebenswelten. Dort gebe es eine große Dunkelziffer von Menschen, die ihre Identität nicht zeigten. "Die in heterosexuellen Beziehungen leben, aber eigentlich schwul, lesbisch oder was auch immer sind. Aber da darf es das nicht geben, weil das Patriachat dort immer noch eine große Stellung hat", sagt Allolio-Näcke. Queere Jugendliche würden deshalb auch heute noch aus ihren Familien fliegen.
Ein weiteres Problem sind oftmals falsche Informationen rund um die Belange von lesbisch, schwulen, bi-, inter- oder transgender-Menschen. "Die Diskussionen gibt es und auch oftmals von Kräften, die nicht gerade demokratieförderlich sind", sagt Babett Jungblut. Die Jugendlichen, die in der Selbstfindung sind, hören aber davon und die Diskussionen treiben sie um. "Da ist es besonders wichtig, gute und ausreichend Fachinformationen weiterzugeben."
Mehr queere Sichtbarkeit
Diese Informationen will die queere Beratungsstelle in Neuruppin liefern und bei Bedarf an Experten vermitteln. Vor Ort mit den auf Wunsch anonymen Gesprächen, aber auch telefonisch oder wenn es drängt über ein Online-Gespräch. Momentan findet das Angebot auf ehrenamtlicher Basis statt, mit Unterstützung der Stadt Neuruppin, die die Räume kostenlos zur Verfügung stellt.
Ihr war es wichtig, solch ein Angebot für die Stadt aber auch für den Landkreis Ostprignitz-Ruppin zu schaffen, sagt die Neuruppiner Beigeordnete Daniela Kuzu auf rbb-Anfrage: "Wir haben erkannt, dass gerade zum Thema LGBTIQ+ wenig Sichtbarkeit in der Stadt und im Landkreis herrscht. Auch der Umgang mit diesem Thema braucht Offenheit, um Toleranz und Akzeptanz zu fördern."
Schon im Frühjahr 2022 gab es in der Stadtverwaltung deshalb einen ersten runden Tisch, um die Belange und Nöte von queeren Menschen in der Stadt zu klären. Als erster Schritt bildete sich ein Netzwerk mit gut 40 Aktiven, die sich nun zum Verein "Queeres Netzwerk Neuruppin" zusammenschließen. Neben der Beratung soll es auch Veranstaltungen wie Partys für queere Menschen und im kommenden Jahr den ersten Christopher Street Day in der Stadt geben. Außerdem Bildungsangebote etwa für Schulen und Kitas.
Aufklärung für Eltern
Für Peter* ist das eine gute Entwicklung. Gerade die Beratungsstelle könne für Jugendliche und ihre Familie eine Stütze sein. "Man kann halt sagen, Mama und Papa, habt ihr Lust, wollen wir dort reden. Damit die Eltern aufgeklärt werden über das Thema und über das, womit ihr Kind zu kämpfen hat", sagt der 20-Jährige.
Aufgrund der schlechten Erfahrungen in seiner Familie und im Umfeld will er seiner Heimatgemeinde aber nach dem Abschluss der Ausbildung den Rücken kehren und in eine Großstadt ziehen, auch wenn damit ein Stück queere Sichtbarkeit auf dem Land verloren geht. "Es tut mir für andere queere Menschen leid, aber ich habe hier viel Negatives erlebt", sagt er.
* Name auf Wunsch geändert
Sendung: Antenne Brandenburg, 10.10.2023, 15:10 Uhr