Interview | Paar- und Sexualtherapeut - Dating in Berlin: "Unverbindlich, schwierig, aber auch chancenreich"
Wie liebt es sich in Berlin, einer Metropole mit dem Ruf einer Partystadt? Im Interview spricht der Paar- und Sexualtherapeut Umut Özdemir über offene Beziehungen, Online-Dating und die Liebe im Allgemeinen.
rbb|24: Herr Özdemir, was unterscheidet das Dating in Berlin zum Dating in anderen Städten?
Umut Özdemir: Dass Berlin eine gewisse Unverbindlichkeit hat, weil die Stadt viele Menschen vereint, die hierherziehen und die aber nur für eine bestimmte Zeit bleiben. Die möchten oder können hier aber gar nicht sesshaft werden. Bei vielen stellt sich im Kennenlernen dadurch bereits die Frage: Will die Person, die ich da kennengelernt habe, überhaupt etwas Ernstes? Damit gehen gleich große Entscheidungen einher: Ist das nur ein Ding auf Zeit? Oder wandern wir sogar gemeinsam aus?
Wie kommt es, dass viele Menschen nur für eine kurze Zeit in Berlin leben?
Berlin hat den Ruf als Partystadt. Junge Menschen kommen, um sich auszuleben, mal "verrückt" zu sein und gehen dann wieder, zum Beispiel wegen eines Jobs.
Wie hat sich das Dating in den letzten Jahren verändert?
Online-Dating ist ein Riesen-Einschnitt in die Dating-Kultur. Das hat Vor- und Nachteile. Der Dating-Pool ist jetzt viel größer. Ich kann von zu Hause aus, wenn ich koche oder auf der Toilette sitze, nebenbei Nachrichten beantworten und Dates ausmachen. Ich muss mich nicht nach der Arbeit rausputzen und irgendwo hingehen. Online-Dating ist energiesparender und effizienter – so BWL-mäßig das auch klingen mag.
Verstärkt das Online-Dating die Berlin-Phänomene nicht noch mehr? Durch den noch größeren Dating-Pool herrscht noch mehr Unverbindlichkeit?
Auf jeden Fall! Das hat aber auch Vorteile. Online-Dating hat einen großen Sicherheitsaspekt. Queere Menschen zum Beispiel müssen nichts riskieren und sich in Gefahr bringen. Wenn ein schwuler Mann in einer Bar einen Hetero-Mann anspricht, kann das nach hinten losgehen. Jemand, der noch nicht geoutet ist, muss wiederum keine Angst haben, in einer Gay Bar gesehen zu werden.
Wenn Sie das Dating in Berlin im Jahr 2023 mit drei Worten beschreiben müssten, welche wären das?
Unverbindlich, schwierig, aber auch chancenreich.
Warum ist das Dating in Berlin besonders für queere Menschen attraktiv?
In Berlin sind mehr queere Menschen als im Heimatdorf. Hier gibt es fast für jedes Gusto eine passende Bar oder Party. Und je nachdem, wie man sein Queersein auslebt, findet man in Berlin seine Bezugsgruppen. In Berlin ist die Wahrscheinlichkeit hoch, Gleichgesinnte zu finden. Man kann das Queersein nach außen freier ausleben und sich zeigen, wie man ist und was einem gefällt. Das fängt bei der Kleidung an und geht bis hin zur Geschlechtsrolle. Das fällt in Berlin nicht so auf, weil es häufiger gesehen wird. Ich weiß nicht, wie es im tiefsten, christlichen Bayern ist, wenn ein Mann mit Nagellack und Glitzer im Gesicht feiern geht. Die Trends haben in Berlin oft begonnen und sind dann in die kleineren Ortschaften übergeschwappt. Berlin ist ein safer space für queere Menschen.
Wie entwickelt sich das Dating in den nächsten Jahren? Bleibt sich Berlin in der Unverbindlichkeit treu?
Ich glaube schon, dass das Unverbindliche bestehen bleibt. Der Zu- und Wegzug wird ebenfalls bleiben. Berlin ist eine internationale Metropole, die Menschen aus dem In- und Ausland auszieht. Die bleiben, wie erwähnt, häufig nur auf Zeit. Und das Online-Dating bleibt auf jeden Fall auch. Da braucht man keine Wahrsager-Kugel. Online-Dating ist schlichtweg praktisch. Ich kann mir aber vorstellen, dass Berlin noch inklusiver wird, was weitere Beziehungsformen angeht. Die Leute hier sind mutiger und experimentierfreudiger. Mein Eindruck ist, dass in Berlin besonders häufig offene oder polyamore Beziehungen geführt werden und das sehe ich in der Zukunft noch häufiger.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview mit Umut Özdemir führte Sebastian Goddemeier für rbb|24.