Interview | Paar- und Sexualtherapeut - Dating in Berlin: "Unverbindlich, schwierig, aber auch chancenreich"

Mo 25.12.23 | 08:37 Uhr
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Symbolbild: Ein Liebespaar steht in der Morgendämmerung auf dem Drachenberg vor Berlin mit dem Fernsehturm und dem Funkturm. (Quelle: dpa/Soeder)
Bild: dpa/Soeder

Wie liebt es sich in Berlin, einer Metropole mit dem Ruf einer Partystadt? Im Interview spricht der Paar- und Sexualtherapeut Umut Özdemir über offene Beziehungen, Online-Dating und die Liebe im Allgemeinen.

rbb|24: Herr Özdemir, was unterscheidet das Dating in Berlin zum Dating in anderen Städten?

Umut Özdemir: Dass Berlin eine gewisse Unverbindlichkeit hat, weil die Stadt viele Menschen vereint, die hierherziehen und die aber nur für eine bestimmte Zeit bleiben. Die möchten oder können hier aber gar nicht sesshaft werden. Bei vielen stellt sich im Kennenlernen dadurch bereits die Frage: Will die Person, die ich da kennengelernt habe, überhaupt etwas Ernstes? Damit gehen gleich große Entscheidungen einher: Ist das nur ein Ding auf Zeit? Oder wandern wir sogar gemeinsam aus?

Wie kommt es, dass viele Menschen nur für eine kurze Zeit in Berlin leben?

Berlin hat den Ruf als Partystadt. Junge Menschen kommen, um sich auszuleben, mal "verrückt" zu sein und gehen dann wieder, zum Beispiel wegen eines Jobs.

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Paartherapeut Umut Özdemir. (Quelle: M. Djojan)
M. Djojan

Umut Özdemir

... ist Buchautor, Influencer und vor allem eins: Psychotherapeut. In seiner Praxis in Berlin-Mitte widmet er sich dem psychischen Wohlergehen seiner Patient:innen und deren Beziehungen. Sein Buch "Einfach lieben: Weil Beziehung auch einfach geht" erklärt unter anderem, wie man gesund kommuniziert und die richtige Person für sich findet. Auf Instagram und TikTok bereitet er psychologische Sachverhalte wiederum so auf, dass sie für jeden zugänglich sind.

Wie hat sich das Dating in den letzten Jahren verändert?

Online-Dating ist ein Riesen-Einschnitt in die Dating-Kultur. Das hat Vor- und Nachteile. Der Dating-Pool ist jetzt viel größer. Ich kann von zu Hause aus, wenn ich koche oder auf der Toilette sitze, nebenbei Nachrichten beantworten und Dates ausmachen. Ich muss mich nicht nach der Arbeit rausputzen und irgendwo hingehen. Online-Dating ist energiesparender und effizienter – so BWL-mäßig das auch klingen mag.

Verstärkt das Online-Dating die Berlin-Phänomene nicht noch mehr? Durch den noch größeren Dating-Pool herrscht noch mehr Unverbindlichkeit?

Auf jeden Fall! Das hat aber auch Vorteile. Online-Dating hat einen großen Sicherheitsaspekt. Queere Menschen zum Beispiel müssen nichts riskieren und sich in Gefahr bringen. Wenn ein schwuler Mann in einer Bar einen Hetero-Mann anspricht, kann das nach hinten losgehen. Jemand, der noch nicht geoutet ist, muss wiederum keine Angst haben, in einer Gay Bar gesehen zu werden.

Wenn Sie das Dating in Berlin im Jahr 2023 mit drei Worten beschreiben müssten, welche wären das?

Unverbindlich, schwierig, aber auch chancenreich.

Warum ist das Dating in Berlin besonders für queere Menschen attraktiv?

In Berlin sind mehr queere Menschen als im Heimatdorf. Hier gibt es fast für jedes Gusto eine passende Bar oder Party. Und je nachdem, wie man sein Queersein auslebt, findet man in Berlin seine Bezugsgruppen. In Berlin ist die Wahrscheinlichkeit hoch, Gleichgesinnte zu finden. Man kann das Queersein nach außen freier ausleben und sich zeigen, wie man ist und was einem gefällt. Das fängt bei der Kleidung an und geht bis hin zur Geschlechtsrolle. Das fällt in Berlin nicht so auf, weil es häufiger gesehen wird. Ich weiß nicht, wie es im tiefsten, christlichen Bayern ist, wenn ein Mann mit Nagellack und Glitzer im Gesicht feiern geht. Die Trends haben in Berlin oft begonnen und sind dann in die kleineren Ortschaften übergeschwappt. Berlin ist ein safer space für queere Menschen.

Wie entwickelt sich das Dating in den nächsten Jahren? Bleibt sich Berlin in der Unverbindlichkeit treu?

Ich glaube schon, dass das Unverbindliche bestehen bleibt. Der Zu- und Wegzug wird ebenfalls bleiben. Berlin ist eine internationale Metropole, die Menschen aus dem In- und Ausland auszieht. Die bleiben, wie erwähnt, häufig nur auf Zeit. Und das Online-Dating bleibt auf jeden Fall auch. Da braucht man keine Wahrsager-Kugel. Online-Dating ist schlichtweg praktisch. Ich kann mir aber vorstellen, dass Berlin noch inklusiver wird, was weitere Beziehungsformen angeht. Die Leute hier sind mutiger und experimentierfreudiger. Mein Eindruck ist, dass in Berlin besonders häufig offene oder polyamore Beziehungen geführt werden und das sehe ich in der Zukunft noch häufiger.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview mit Umut Özdemir führte Sebastian Goddemeier für rbb|24.

17 Kommentare

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  1. 17.

    Also, es ist ja nun mal so, dass es Möglichkeiten eröffnet, online Menschen kennenzulernen, die sonst nie zu treffen wären. Und es war schon immer so, dass, wenn der Wind der Veränderung blies, die Einen Mühlen und die Anderen Mauern gebaut haben. Am Ende gibt man in den jeweiligen Apps klar an, was man sucht und dann wird das gut. Wer das nicht tut, erntet entsprechend schwammiges Zeug. Wie im analogen Leben. Lasst Euch in Ruhe und guckt Euch richtig an, bevor Ihr irgendetwas verteufelt. Nichts Anderes macht Sinn.

  2. 16.

    Wenn die Chemie, der Haut-Geruch eines Menschen einem das Gefühl gibt, man schwebt auf Wolke 7, dann ist es ein gutes Zeichen. Wenn beim Dating schon unangenehme Düfte einem stören, dann sollte gleich Abschied abgenommen werden. Gerade beim Sex zeigt es sich, ob ein Paar den Schweißgeruch des anderen akzeptieren kann. Wenn nichts stört, dann ist es meistens perfekt.

  3. 15.

    Nun, ich persönlich habe festgestellt, dass man in Dating-Portalen von Menschen gesehen wird, die auf der Straße achtlos an einem vorbeilaufen würden. Und man chattet nicht nur mit seinen potentiellen Partnern, sondern trifft sie auch. Dabei gibt es dann auch den ersten Blick. Natürlich wird auch geflirtet. Es gibt eben viele Wege, um einen Partner zu finden. Und keiner davon ist falsch. Denn letztlich entscheidet ja nicht der Weg über den Erfolg einer Beziehung, sondern ob die Chemie zwischen den Partnern stimmt und der Funke überspringt.

  4. 14.

    "Daten" per App - übermitteln ist ja ok, aber flirten - lieber live. Ich finde das "kläppt"(e) besser. Ok, dazu muss man natürlich mal vor die Tür gehen - aber dafür sieht man dann wenigsten vorher ob es sich "lohnen" könnte. Zumindest ist die Gefahr geringer, das sich Schluckelchen37 vll. als Lapsus10 entpuppt.

  5. 13.

    Reines Wechselspiel nach Lust und Laune, wo am Ende nur Sex programmiert ist? Nein, danke. Wer einen Partner für immer sucht, der hat seinen Katalog zum Aussuchen im Internet? Ich bin happy über das Glück mit meinen Lebensbegleiter wo mein erster, sein erster Blick funkte wir haben uns gefunden und wollen miteinander leben. Von Dating zu Dating unter Druck suchen, dass ist nicht jedermann Geschmack, aber modern. Mögen die Menschen damit glücklich werden, was meistens nur kurze Zeit anhält. Zum Handy scheint eine Dating- Liebe größer zu sein, als ein zufälliger Flirt.

  6. 12.

    Jahrzehntelang waren öffentliche Toiletten der einzige Treffpunkt, an dem sich schwule Männer kennenlernen und verabreden konnten. Im Verhältnis dazu ist es natürlich schon komisch, wenn jemand sich freiwillig ausgerechnet von der Toilette aus verabredet. Manchen ist halt das iPhone an der Hand festgewachsen, so dass sie es überall hin mitnehmen müssen.

  7. 11.

    @ JulianeDie Assoziation hat der Autor dieses Berichts ja selbst herbei geführt,dass man /frau auf der Toilette schnell mal sich verabreden kann über die App. Das fand ich eigentlich sehr lustig!

  8. 10.

    Ich wohne ja schon immer in Berlin, und habe in Berlin auch immer eine Beziehung gesucht. Man wird von den Frauen aus der Innenstadt schon aussortiert, wenn man in einem Außenbezirk wohnt. Berlin ist eine extrem schwierige Stadt zum Kennenlernen, überall wäre es einfacher als hier. Aber in anderen Städten (obwohl ich beruflich viel unterwegs bin) brauche ich es natürlich nicht versuchen, denen ist Berlin zu weit weg, und leben würden die hier auch nicht wollen.

  9. 9.

    Wer Dating-Apps nutzt, denkt sicher nicht zuerst daran, wo der Partner jetzt gerade die App nutzt. Man ist doch eher froh, wenn es mal ein vielversprechendes Match gab. Schön, dass es für Sie auf andere Weise geklappt hat. Als älterer Mensch freue ich mich, dass es Dating-Apps gibt. Denn private Partys für Menschen meines Alters ähneln eher einem Wittwen-Treffen. Durch die Apps kann man Menschen kennenlernen, denen man sonst nie begegnet wäre. Und es muss ja auch nicht immer mit einer lebenslangen Partnerschaft enden. ;-)

  10. 8.

    Wenn Du deswegen ein schlechtes Gefühl bekommst, solltest Du ein stärkeres Selbstbewusstsein entwickeln. Die Meinung anderer sollte nicht relevant sein. Hauptsache ist hierbei das man selbst glücklich ist/wird bei dem was man tut und fühlt.

  11. 7.

    Danke für ihren Kommentar, Sie haben das sehr schön geschrieben. Es geht um Raum geben, Möglichkeiten schaffen und vor allem um Akzeptanz, auch wenn manches nicht nach eigenem Gusto läuft.

  12. 6.

    Schön für dich, Marta, aber lass doch bitte einfach andere Leute in Frieden, jede:r darf Daten wann, wo, und wie er/sie möchte. Dein Kommentar bringt nichts außer ein schlechtes Gefühl für alle, die solche Apps nutzen möchten/müssen oder genutzt haben. Schöne Feiertage an dich und deinen Mann.

  13. 5.

    Hoffentlich bleibt das auch so mit dem safer space Berlin für ALLE irgendwie anders gearteten als mainstream.
    (Wozu ich mich durchaus auch zähle.)
    Mir persönlich liegt zwar nicht das lautstark zur Schau gestellte und Schrille und bin deswegen auf solchen Events auch nicht zugegen.
    Ich möchte aber, dass Menschen sich in dieser harmlosen Art und Weise ausleben können ohne Angst vorAngriffen.
    Berlin wird immer anziehend auf junge Menschen wirken, sofern die Club- und Partywelt so erhalten bleibt. Schön wäre auch, wenn Berlin zusätzlich auch noch wirtschaftlich attraktiver würde. Beides zusammen wäre der Knaller. Dazu die ebenso bunte Flora und Fauna, Berlin hat an sich das Zeug zur Lieblingsstadt.

  14. 4.

    Also da würde es mir vergehen,wenn ich immer damit rechnen müsste, dass beim Tindern der andere gerade auf Clo sitzt und dabei vielleicht auch noch sein großes Geschäft macht ;)), habe meinen Mann ganz konventionell auf der Geburtstag Party seiner Schwester kennengelernt und erstmal Telefonnummern ausgetauscht.

  15. 3.

    Das ist korrekt und deshalb sollte man nur sich selbst folgen und nicht gesellschaftlichen Zwängen.

  16. 1.

    Lebe mit meinem Mann auch eine offene Beziehung, unsere beiden Kinder wissen das und haben kein Problem damit. Man lebt nur einmal....

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