Interview | Menstruations-Aktivistin - "Periodenscham ist eine sehr alte Erfindung"
Periodenscham und Periodenarmut sind Schlagwörter unserer Zeit. Aber doch - vor allem letzteres - kein Thema für ein reiches Land wie Deutschland, oder? Oh doch. Sagt Menstruationsaktivistin Franka Frei und berichtet von überraschenden Zahlen.
rbb|24: Hallo Frau Frei. Sind sie sowas wie eine Menstruations-Aktivistin?
Franka Frei: Ja, tatsächlich. Aber diese Bezeichnung habe ich mir gar nicht selbst gegeben, sondern sie wurde mir irgendwann auferlegt. Denn ich war irgendwann einfach sichtbar mit dem Thema in der Öffentlichkeit.
Seit wann beschäftigt Sie das Thema Menstruation als Politikum und wieso?
Das fing damit an, dass ich meine Bachelorarbeit zu dem Thema Menstruation in der Öffentlichkeit und den Medien schreiben wollte. Der Vorschlag stieß aber nur auf Ablehnung. Meine damalige Hochschule riet mir damals ab, mich mit der Thematik überhaupt zu beschäftigen. Ich musste mich richtiggehend durchkämpfen. Dadurch wurde klar, welche tabuisierten und kulturellen Negativannahmen über die Periode auch im akademischen Kontext dazu führen, dass beispielsweise Forschungsarbeiten zu dem Thema abgelehnt werden.
Ich war dann durch meine Arbeit, die ich letztendlich doch schreiben konnte, so voller Redebedarf – weil ich da gemerkt habe, mit wie viel Unwissen, Mythen und Stigmatisierung so ein Tabu einhergeht. Deshalb bin ich damit in den Sozialen Medien an die Öffentlichkeit gegangen. Es war eigentlich nicht meine Intention, damit Menstruationsaktivistin zu werden. Aber ein Post, den ich 2018 auf Facebook veröffentlichte, ging viral. Womit ich nicht gerechnet hatte. Vorher hatte ich dort kein großes Publikum. Offensichtlich hatte ich einen Nerv getroffen. Und durch diesen gesellschaftlichen Bedarf, diese Nachfrage, bin ich da reingerutscht. So bin ich bis heute in Sachen Menstruation tätig – für mich geht es dabei auch um den größeren Kontext. Themen wie Menstruation und Verhütung gehen immer mit Fragen von sexueller Selbstbestimmung, reproduktiven Rechten und Gesundheit einher.
Warum ist das Thema Menstruation überhaupt ein Tabuthema – und sind daran die Frauen am Ende mit Schuld?
Durch meine Arbeit habe ich mich auch mit den kulturhistorischen Ursprüngen des Menstruationstabus befasst. Vereinfacht lässt es sich so erklären, dass sowohl religiöse als auch wissenschaftliche Theorien beziehungsweise wissenschaftliche Fehlannahmen mit zugrundeliegenden Sexismen ein Bild auf die Menstruation erzeugt haben, dass sie zu etwas Negativem gemacht hat. Menstruation wurde in der Geschichte als Fehler konstruiert, als Zeichen von – im buchstäblichem und negativem Sinne – Verweiblichung, von Schwäche oder gar als Teil der Erbsünde. In der Bibel heißt es, eine Frau mit Blutung solle sieben Tage lang in ihrer "Unreinheit" verweilen und niemandem nahe kommen und erst am achten Tag dürfe sie zurück kommen. Aber nicht ohne zwei Turteltauben, die geopfert werden sollen, um "Sühne zu erwirken wegen des Ausflusses ihrer Unreinheit", wie es heißt.
Generell hat die christlich-abendländische Sicht auf die Periode viele Negativ-Zuschreibungen von Weiblichkeit und Sexualität nach sich gezogen.
Aus wissenschaftlicher Sicht sieht man vor allem ab dem 19. Jahrhundert – wo es auch in die Industrialisierung und ins Bürgertum geht – dass es auch darum ging, Frauen mit pseudowissenschaftlichen Theorien aus bestimmten höheren gesellschaftlichen Positionen fernzuhalten. Auch da wurde die Menstruation beispielsweise genutzt um zu sagen, dass Frauen an einer Art "periodischen Irrsinn" leiden, aufgrund ihres schwer zu durchschauenden Hormonchaos hysterisch seien oder gar aufgrund der Periode zu weniger Blut übrig hätten für kognitive Anstrengungen im Hirn. Deshalb, hieß es, hätten sie auch nichts an höheren Bildungseinrichtungen, an Wahlurnen oder im Straßenverkehr verloren. Menstruierende Frauen wurden von Neurologen um 1900 buchstäblich zu gemeingefährlichen Furien erklärt. Also auf jeden Fall als zu irrational, um Entscheidungen zu treffen.
Das zieht sich durch, bis im Zuge der Emanzipation auch der Siegeszug des Tampons gefeiert wurde.
Hat die Erfindung des Tampons die Lage der Frauen denn tatsächlich verbessert?
Er soll die Emanzipation nach vorne gebracht haben. Aber wir sehen auch, dass der Tampon eigentlich als größtes Werbeversprechen hat, die Menstruation unsichtbar zu machen. Als müssten Frauen beweisen, dass sie nicht menstruieren und dass sie an jedem Tag genauso leistungsfähig sind wie ihre männlichen Kollegen – trotz ihres Zyklus. So haben wir gelernt, den Zyklus bis heute zu verstecken.
Dieser Umgang mit der Periode hat viel mit der anhaltenden Leistungsgesellschaft zu tun, die uns anhaltend suggeriert, dass Menstruation ein Fehler ist, der Frauen zu weniger leistungsfähigen Wesen macht. Spätestens so haben moderne Frauen gelernt, die Menstruation möglichst unsichtbar zu halten – um keine Nachteile in der Arbeitswelt zu erfahren.
In den letzten Jahren wird aber klar, dass es wenig Sinn ergibt, die Menstruation zu tabuisieren. Denn sie existiert nun einmal. Dahinter steckt auch ein ganzer Zyklus. Diesen auszuklammern – und das passiert in allen gesellschaftlichen Bereichen – hat viele negative Konsequenzen. Nicht nur für Frauen, sondern für die gesamte Gesellschaft.
Neulich erst habe ich erfahren, dass Frauen vor hundert Jahren 40 Mal in ihrem Leben geblutet haben, heute bluten sie 400 Mal. Wissen die Menschen genug über Menstruation?
Es gibt ein ganz großes Wissensdefizit. Sowohl unter Menstruierenden selbst, die in der Schule nur lernen, dass man eben menstruiert und dann ein Tampon benutzt, als auch bei nicht menstruierenden Menschen, die oftmals erst mit dem Thema in Kontakt kommen, wenn sie eine Partnerin haben. Vielleicht bleibt die Fernsehwerbung, wo ja nur sterile blaue Flüssigkeit auf Binden tropft, für manche auch der einzige Zugang zum Thema. Da ist einiges nachzuholen an Aufklärung.
Das wohl größte Problem ist: Vielen ist gar nicht bewusst, dass sie ein Informationsdefizit haben. Beispielsweise diejenigen, die Menstruation mit Bartwuchs vergleichen indem sie sagen, wenn es kostenfreie Tampons auf Toiletten gäbe, dann sollte es doch auch für Männer kostenfreie Rasierer bereitgestellt werden. Das zeigt ja, dass es einiges an Aufholbedarf gibt.
Aber das Unwissen zieht sich nicht nur durch die Zivilgesellschaft. Beispielsweise sind auch Krankheiten wie Endometriose unter Mediziner:innen oft nicht ausreichend bekannt. Dazu fehlt es an Forschungen und Mitteln zur Heilung, der Bereich ist chronisch unterfinanziert. Patientinnen, die über große Schmerzen während der Menstruation klagen, bekommen häufig die Pille oder Schmerzmittel verschrieben. Aber die Pille heilt Endometriose nicht, sondern legt einfach nur den ganzen Zyklus lahm. Auch dass der Zyklus allgemein in Medikamententests nicht mitgedacht wird, ist selbst ExpertInnen nicht immer bewusst. Und das ist nicht nur erschütternd, sondern fahrlässig. Dadurch erfahren Frauen deutlich häufiger Nebenwirkungen von Medikamenten und weniger gesundheitliche Rechte.
Im Internet kursieren Schlagworte wie Periodenscham und Periodenarmut – können Sie dazu etwas sagen?
Periodenscham ist die schon genannte negative kulturelle Sicht auf die Menstruation. Scham hat eine große Wirkung auf die mentale Gesundheit. Wer sich schämt, fühlt sich weniger wohl, empfindet mehr Stress, kann weniger das eigene Selbstbewusstsein und Potential entfalten und ist dadurch auch weniger leistungsfähig. Scham ist ja nicht angeboren, sondern sie wird uns auferlegt. Wir erlernen, uns für bestimmte Dinge zu schämen. Periodenscham ist eine sehr alte Erfindung.
Periodenarmut ist auch ein Problem, dass es schon länger gibt. Es hat aber erst in den letzten Jahren eine Bezeichnung gefunden. Es geht um den fehlenden Zugang zu Menstruationsprodukten oder auch sanitären Einrichtungen, wo diese adäquat gewechselt werden können. Laut Weltgesundheitsorganisation betrifft Periodenarmit rund 500 Millionen Menschen weltweit. Das hat natürlich große Konsequenzen. Wer keine Periodenprodukte zur Verfügung hat, weil sie vielleicht 15 Prozent vom monatlichen Durchschnittseinkommen kosten, wer keine Toilette zum Wechseln der Produkte hat, kann auch nicht in die Schule oder zur Arbeit gehen – also Teil der Gesellschaft zu sein und diese mitformen.
Sind auch in Deutschland Menschen von Periodenarmut betroffen?
Ja. Aber wir sprechen von anderen Dimensionen. In Algerien kosten Menstruationsprodukte beispielweise tatsächlich knapp 15 Prozent des durchschnittlichen Monatseinkommens. In Deutschland sind es nur 0,3 Prozent. Sie zu beschaffen ist für geringverdienende, Wohnungslose und junge Menstruierende aber trotzdem manchmal schwierig. Studien und die Pionierarbeit des Kinderhilfswerks Plan International zeigen, dass das Thema sehr wohl auch in Deutschland ein Problem ist. Die Zahlen von Plan International von 2022 zeigen, dass das Beschaffen von Menstruationsprodukten für eine von vier Menstruierenden in Deutschland eine finanzielle Belastung darstellt. Eine von zehn zögert den Wechsel der Produkte sogar bewusst hinaus, um länger damit auszukommen. Das kann gesundheitliche Konsequenzen haben. Denn wenn die Produkte länger mit den Schleimhäuten in Kontakt sind, kann es zu bakteriellen Infektionen kommen.
Eine sehr schockierende Zahl, die ein Armutszeugnis für ein reiches Land wie Deutschland ist, ist, dass knapp ein Drittel der Menstruierenden hier während der Periode zu Hause bleibt, um keine schlecht ausgestattete oder schmutzige Toilette benutzen zu müssen. Es fehlt am Zugang zu geeigneten sanitären Einrichtungen, um auch während der Periode am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Und das in einem der reichsten Länder der Welt, in dem man gerne mit einer gewissen Hochnäsigkeit sagt, dass man über "solche Themen" gar nicht zu sprechen brauche, weil es keine Probleme gäbe.
Gibt es Länder, die deutlich besser aufgestellt sind als Deutschland?
Ja und es ist erstaunlich, wie sehr Deutschland da mal wieder hinterherhinkt. Schottland ist ein europäischer Vorreiter. Dort trat 2021 ein Gesetz in Kraft, das Bildungs- und städtische Einrichtungen verpflichtet, kostenlose Periodenprodukte bereitzustellen. Auch in Großbritannien und in zahlreichen Ländern außerhalb Europas wurden die Kosten für Menstruationsprodukte gesenkt und die Steuern darauf abgeschafft, beispielsweise in Kanada, in Indien, Kenia und Neuseeland. In vielen dieser Länder gibt es auch dadurch mittlerweile einen besseren und tabugelösteren Umgang mit dem Thema. Und in Deutschland sind wir immer noch damit beschäftigt, das Thema kleinzureden oder Menstruation mit Bartwuchs zu vergleichen. Wie traurig ist das denn. Bei all den Zahlen, die zeigen, welche Konsequenzen das hat. Das erzürnt mich manchmal sehr.
Welche politischen Maßnahmen könnten die Situation verbessern?
Ich denke, dass ein Gesetz oder eine Regelung, die den Zugang zu Menstruationsprodukten zumindest in Bildungseinrichtungen versichert, sehr wichtig wäre. Außerdem der freie Zugang zu sicheren, sauberen sanitären Einrichtungen. Das betrachte ich als Teil der Menschenrechte.
Es sollte auch mehr Geld und Forschung für reproduktive Gesundheit – wie beispielsweise in den Bereichen Endometriose und Verhütung – zur Verfügung stehen. Gerade beim Stichwort Pille geht es darum, synthetische Hormone zu hinterfragen und geschlechtergerechtere ökologische Verhütung zu fördern. Die Frage nach Fördermitteln ist auch eine politische Frage, denn die großen Pharmariesen sind in Sachen "Verhütung für den Mann" schon lange ausgestiegen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: radio3, 24.05.2024, 17:10 Uhr