Schule in Berlin-Neukölln - Nächste Stunde: Glück

So 02.06.24 | 12:23 Uhr | Von Anna Severinenko
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Symbolbild: Glücksunterricht in der Schule. (Quelle: dpa/Alessandra Schellnegger)
Bild: dpa/Alessandra Schellnegger

Mathe, Englisch, Deutsch - und Glück? Seit einigen Jahren wird das Fach an einigen Berliner Schulen gelehrt. Die Schüler:innen sollen sich durch Selbsterfahrung besser entwickeln können. Aber wie funktioniert das im Unterrichtsalltag? Von Anna Severinenko

Die Schüler und Schülerinnen stürmen ins Klassenzimmer. Es ist die 7. Klasse der Gesamtschule Campus Efeuweg in Berlin-Neukölln. Mit einem Klangschalen-Gong begrüßt die Lehrerin Helene Harms die 12- und 13-Jährigen zur "Glück"-Stunde, das Ritual für den Unterrichtsbeginn. Man hört die junge Lehrerin kaum vor lautem Lachen, Zurufen, Gesprächen, Rangeleien. Plastikflaschen und zusammengeknülltes Papier fliegen durch die Luft. Ein Schüler brüllt rein: "Ich will kein Yoga machen und auch nicht meditieren".

Persönlichkeitsentwicklung anstatt Yoga

Dabei besteht das Schulfach "Glück" nie aus Yoga. "Der Name des Fachs 'Glück' ist etwas verwirrend. Weil es nicht darum geht, wie ich jetzt lerne, glücklich zu sein oder das vollkommene Glück zu haben, sondern mehr, was ich brauche, um mich wohl und gut zu fühlen", erklärt Harms. Im Fokus stehe viel mehr die Persönlichkeitsentwicklung.

"Es geht darum, mich selbst kennenzulernen, mich meiner selbst bewusst zu werden, mit all meinen Stärken, all meinen Schwächen, all meinen Visionen und mit den Fragen: Wer bin ich, was brauche ich und was möchte ich im Leben?" Fragen, die an einer Schule mit einem sehr hohen Migrationsanteil, nicht nur der Achtsamkeit dienen.

Status: Problemschule

Der Campus Efeuweg lehrt 750 Schüler:innen aus knapp 20 verschiedenen Nationalitäten. Von der ersten bis zur zehnten Klasse kommen alle Klassenstufen zusammen. "Gerade hier, in diesem Bezirk und mit dem, was die Schüler:innen mitbringen, fällt es einfach vielen sehr schwer, sich auf die Fächer zu konzentrieren", betont Harms. Die Kinder und Jugendlichen würden mit sehr unterschiedlichen Ressourcen kommen und bräuchten in vielen Bereichen Unterstützung. "Deswegen gilt die Schule auch als Problemschule."

Seit einigen Jahren benötigt die Schule Wachschutz am Eingangstor. Erst im Dezember gab es eine Massenschlägerei mit fast 50 Beteiligten.

Insgesamt sechs "Glücks-Lehrkräfte" im Einsatz

Die Neuköllner Gemeinschaftsschule, die ihren Schwerpunkt vor allem auf Sonderpädagogik legt, war eine der ersten, die "Glück" in Berlin in den Stundenplan aufgenommen haben. Inzwischen haben sich sechs Lehrkräfte an der Schule weiterbilden lassen und unterrichten das Fach. Organisiert wird das Pilotprojekt seit 2017 von der Sethasa GmbH, die deutschlandweit mit Schulen zusammenarbeiten.

Schulfach "Glück"

Das Projektfach "Glück" wird von einigen Bildungsträgern in Deutschland angeboten, wie zum Beispiel der Setahasa GmbH. Das gemeinnützige Unternehmen bietet "Glück" seit 2017 an, inzwischen unterrichten es 27 Schulen in Berlin. Bundesweit beteiligen sich 72 Schulen an dem Pilotprojekt. Das Schulfach ist kein Bestandteil des Fächerkanons der Kultusministerien.

Die Ausbildung ist für Lehramtsstudent:innen kostenfrei, andere Interessent:innen müssen die Kosten selbst tragen. Das Curriculum kann auch andere Themen der jeweiligen Schule, wie zum Beispiel Umwelt, Digitalisierung, Mobbing, ein bestimmtes Leitbild und kulturelle Programme aufnehmen und so Synergien schaffen.

Das Schulfach "Glück" wurde 2007 von Ernst Fritz-Schubert erfunden und an einer Heidelberger Schule eingeführt.

Selbstreflexion als wichtiger Bestandteil

Das Thema der heutigen Stunde "Glück" lautet Gruppendynamik. Die Jugendlichen sollen in einer Gruppenarbeit eine Maschine bauen, die ein rohes Ei vor dem Zerbrechen schützen soll. Am Ende der Stunde soll es als Test aus dem Fenster geworfen werden. Die Übung soll die Schüler:innen zum Nachdenken bewegen, wie sie sich selbst vor Gefahr schützen, das rohe Ei soll sie repräsentierten. Bis Helene Harms das überhaupt erklären kann, vergehen 20 Minuten. Immer wieder rufen Schüler:innen rein oder laufen durch den Klassenraum. Es wirkt aufgedreht. Die Lehrerin spricht trotzdem in normaler Lautstärke, mit denen die stören, aber auch mit denen, die sich eher zurückziehen.

Ein Großteil ihrer Arbeit ist Beziehungsarbeit, meint sie. "Wenn ich von den Schülern erwarte, dass sie sich öffnen und mir mitteilen, was ihre Stärken und ihre Schwächen sind oder auch ihre Ängste, möchte ich auch als Modell vorangehen und das mitteilen können."

Diese Selbstreflexion ist wichtiger Bestandteil der Ausbildung zur Glückslehrkraft. Die Ausbildung unterscheidet sich dabei im Konzept nicht sehr von anderen Fächern. Der Unterschied wird eher in der Praxis deutlich: Anstatt die Sprache fließend zu sprechen oder geschichtliche Daten zu kennen, setzen sich die zukünftigen Glückslehrer:innen mit ihren eigenen Gefühlen und Verhaltensweisen auseinander.

Als meine 10. Klasse letzten Sommer ihren Abschluss hatte, kamen einige von ihnen zu mir und sagten, es war das coolste Fach, sie werden es vermissen.

Helene Harms, Lehrerin an der Gemeinschaftsschule Campus Efeuweg

Mit Störungen umgehen

Ein Schüler stört immer wieder während des Unterrichts und scheint lauter zu werden, je mehr die Lehrerin um Ruhe bittet. Sie bückt sich zu ihm und schaut ihm fest in die Augen: "Du kannst dir aussuchen, ob du hier bleibst und ruhig arbeitest oder eine Minute rausgehst und einmal ums Gebäude herumrennst." Der Junge geht raus und knallt die Tür zu, kommt aber ungefähr nach einer Minute wieder und wirkt gefasster.

"Ich habe mich oft gefragt, ob ich das richtig mache, ob ich der Klasse was beibringe", reflektiert die Lehrerin, "besonders wenn sie sagen: 'Wir haben keinen Bock, was soll das, was bringt uns das'. Aber als meine 10. Klasse letzten Sommer ihren Abschluss hatte, kamen einige von ihnen zu mir und sagten, es war das coolste Fach, sie werden es vermissen." Auch im Unterricht beobachtet sie, dass die Schüler:innen aufblühen und sich bei den Gruppenübungen engagieren. "Sich auf einmal trauen was zu sagen, sowas wie 'Ich fühl grade Angst', das ist dann ein Durchbruch."

Die 12-jährige Alexandra erzählt, dass sie gelernt hat, wie viel ihr im Leben wichtig ist, weil sie das in einer anderen Stunde aufschreiben sollten. Auf dieses Fach freue sie sich immer mehr als auf andere Fächer, "weil es da mal um andere Themen geht und um die Schüler selbst."

"Glücks-Fach" als Grundlage

Aber wie passt dieses Fach mit Modulen zu Gefühlen, Bedürfnissen und Gruppendynamik zu Mathe, Deutsch und Geschichte? Und nach den bislang schlechtesten Ergebnissen der letzten Pisa-Studie Ende des Jahres 2023, vor allem in Mathematik und Lesen, bräuchte vor allem eine Brennpunkt-Schule nicht eher den Platz im Lehrplan um diese Grundlagen zu stärken?

Helene Harms hält dagegen: "Ich glaube, gerade deswegen brauchen sie das 'Glücks'-Fach, um eine Grundlage zu schaffen, um auch in anderen Fächern, nicht nur in den Hauptfächern, gut lernen zu können." Wenn die Kinder und Jugendlichen Angst oder Probleme zu Hause hätten, könnten sie auch nicht gut lernen, so die Pädagogin.

Es geht mal um andere Themen und um die Schüler selbst.

Alexandra (12), Schülerin im Unterrichtsfach "Glück" bei Helene Harms

Gefühle fühlen und Emotionen benennen

Glück zu lernen, unterstütze die anderen Fächer geradezu. Denn die Schüler:innen setzen sich mit Grundlagen auseinander, die sich auf ihre Motivation auswirken können: Was ist mir wichtig im Leben? Was sind meine Stärken und Schwächen? Welche Strategien kann ich anwenden, um besser zu lernen? Wo möchte ich mal hin? Wie plane ich für meine Ziele?

Und auch die abstrakteren Fragen, wie es den Schüler:innen geht, sind zentral im Glücks-Unterricht, da sie zentral für ihre Entwicklung sind. "Der Punkt ist, dass die Schüler:innen dadurch das Gefühl bekommen, sie werden gesehen, sie werden gehört, jemand fragt wie es ihnen geht, denn das passiert nicht immer im privaten Umfeld. Sie üben hier, ihre Gefühle zu fühlen und Emotionen zu benennen."

Die Eier-Maschinen sind nach ungefähr 20 Minuten fertig und sollen auf den Prüfstand gestellt werden. Die Klasse geht raus zum Beobachten. Eine zweite Lehrkraft, die sich derzeit zur "Glücks"-Lehrerin weiterbilden lässt und die Unterrichtsstunde begleitet, wirft sie nacheinander aus dem Fenster. Die meisten Eier bleiben ganz. Die Schüler:innen zählen jedes Mal einen Countdown runter, jubeln, auch die stilleren Jugendlichen.

Beitrag von Anna Severinenko

37 Kommentare

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  1. 37.

    Zu den Mängeln bei der Ausbildungsreife gehören nach meinem Kenntnisstand auch persönliche Motivation und ähnliches. Ist doch gut, wenn es bei besonders von zu Hause minder bemittelten Schülern und Schülerinnen wenigstens versucht wird, sie auch in dieser Richtung zu bilden.

  2. 36.

    Naja, Heiko, mit 12/13 Jahren (7. Klasse) dürfte Jugendliche was anderes als Spielen auf nem Spielplatz glücklich machen. Z. B. ne Eins für einen Deutsch-Aufsatz oder Klassenarbeiten in Bio, Mathe, Physik etc.
    Das bedeutet jedoch, die Jugendlichen müssten zu leistungsorientiertem Lernen motiviert werden. Wäre mit Sicherheit vorteilhaft für Ausbildung und Studium.
    Mir ist nur nicht klar, weshalb alle Bildungsaufgaben, die eigentlich Eltern leisten müssten, z. B. Charakterbildung, in die Verantwortung staatlicher Einrichtungen abgeschoben werden sollen.

  3. 34.

    Der Artikel hat mich sehr nachdenklich gemacht. Es gibt jetzt also ein Unterrichtsfach, wo Kinder lernen sollen, was "Glück" ist. Der Besuch dieses Fachs ist wohl Pflicht. Ich meine jedoch, dass Kinder immer dann glücklich sind, wenn sie spielen können und genug Bewegung haben. Dann sieht man in den Augen der Kinder, dass sie glücklich sind! Wir brauchen deshalb kein Unterrichtsfach "Glück", sondern genug Freiraum für die Kinder. Zum Beispiel genug Spielplätze in den Unterrichtspausen. Außerdem haben wir ja schon "Ethik" als Unterrichtsfach, wo man über die Voraussetzungen von Glück spricht - u. a. richtiger Umgang der Menschen miteinander.

  4. 33.

    Tja, es bestätigt sich leider ein Songtext von Gunther Gabriel. "Meine Kinder geh'n zur Schule, aber lernen tun se Nix." Und dann will man sich wundern, warum die Schüler beim Verlassen der Schule keine Ausbildungsreife haben, oder es vorher schon bei Pisa mit Anlauf verka...en. Aber wozu braucht man auch Handwerker, Pfleger, Fahrpersonale usw., wenn man Influenza werden kann. Albernheiten werden wohl immer wichtiger. Auweia!

  5. 32.

    Die gesamte Diskussion beachtet nicht, dass das eine Schule ist, in der ein gesundes Selbstkonzept nur wenigen von zuhause mitgegeben wird. Die meisten Kids lernen, dass sie selbst nichts und die Gemeinschaft (der Gläubigen) alles ist. Warum wohl sonst das krampfhafte Streben, als Individuum gesehen zu werden, sei es durch Frisur oder Protzauto?
    Solange sie nicht halbwegs mit sich selbst klarkommen, passen Goethe und Dreisatz eh nicht in die Köpfe. Das zeigt PISA deutlich.

  6. 31.

    Sie machen doch genau das Gleiche - andere Leute verurteilen, die Sie nicht kennen. Jedenfalls bilde ich mir nicht ein, alles besser zu wissen.
    Wenn Sie nicht in der Partei waren, die immer recht hatte, lernen Sie doch einfach, dass man Dinge anders bewerten kann als Sie es sich vorstellen (können).

  7. 30.

    Und dass eine Frage auf einem Arbeitsblatt nicht 100% optimal formuliert ist, reicht Ihnen tatsächlich aus für die heftige Unterstellung, die Schüler würden nur sagen, was die Lehrer wollen? Oder haben Sie dafür noch weitere Argumente? Die braucht man nämlich in einer Demokratie.

  8. 28.

    Das ist doch fast das Gleiche wie Stabü inner DDR. Alleine schon die Fragestellung wie auf dem Bild oben zu sehen, zwingt die Schüler und Schülerinnen in eine bestimmte Richtung zu denken. Wäre man wirklich an der Entwicklung der Jugendlichen interessiert, würde die Frage lauten: "Ist das Schulfach 'Glück' an einer Schule wichtig?" Die Schüler:Innen könnten ihre Meinung äußern und müssten nicht was Vorgekautes beweisen, wenn es um Selbstreflexion und nicht um Reflexion des Lehrerpersonals gehen soll.

  9. 27.

    Ja das sieht man indem sie Leute beurteilen die sie überhaupt nicht kennen.

    Aber Einbildung soll für manche Menschen auch eine Art Bildung sein. :-D

  10. 26.

    Belehrung nicht nötig - aus mir is auch ohne solchen Quark was geworden. Aus Ihnen leider nicht. :-(

  11. 25.

    Hier ist aber wohl auch nicht Glück im Sinne günstiger Zufälle gemeint. Sondern Glück im Sinne von Zu-frieden-heit. Auch das kann man nicht erzwingen - aber man kann es für sich persönlich entdecken und sich ihm aktiv annähern. - Der Verfasser von #18 scheint es in der Religion gefunden zu haben. Glaube ist jedoch kein Garant für Glück: Allzu viele Gläubige in aller Welt sind offenbar zutiefst unzufrieden, denn sie zerstören aktiv den Frieden für sich und andere. - Insofern ist die Auseinandersetzung mit Frust und Unglück einerseits und mit Wegen zu persönlichem, "echtem" Glück andererseits eine höchst sinnvolle Sache. Glücklich, wer dabei gute Unterstützung bekommt.

  12. 24.

    Sehr schön, eine feine Sache ist dies! Schade, daß ich nicht solch ein Fach damals in der DDR-POS hatte...Vielleicht wäre ich heute wirklich glücklicher, bzw. könnte mit Glück besser kommunizieren!

  13. 23.

    Ich kann Ihnen nur zustimmen. GLÜCK ist ein philosophischer Begriff und beinhaltet vieles. Aber wenn die Schüler Selbstvertrauen haben und lernen sich wohl zu fühlen, Sorgen und eigene Probleme ablegen oder lösen ist das die Grundlage für Konzentration und Lernen.

  14. 22.

    Ach Wossi, es vergeht nicht ein Tag wo sie uns ihre vollkommen abwegige neoliberale und sozialdarwinistische Gesinnung zum Besten geben.

    Egal ob es zum Thema passt oder nicht.

  15. 21.

    Noch einer der nur meckert ohne den Artikel gelesen und/oder ansatzweise verstanden zu haben. Es geht ja auch um Teamarbeit.

    Gerade Leute wie sie hätten einen solchen Unterricht dringend gebraucht, so blieben uns ihre unreflektierten "Kommentare" erspart.

  16. 20.

    Und ich frage mich wohin solche "Kommentare" führen sollen. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

    Meckern um des Meckern willen.

  17. 19.

    Tja, was ist Glück? Also man kann es nicht erzwingen, genauso wie bei einem Darmwind wirds dann schiete. Aber den Artikel haben sie hoffentlich gelesen. "Glück" steht da für etwas mehr als kurzfristige Momente der Happiness.

  18. 18.

    Was ist das Wesen von "Glück" ?
    Es ist schnell-lebig. Kaum ist es da, schon braucht Mensch ein neues Highlight. Sonst droht Langeweile, Unzufriedenheit, Frust...
    Wer jedoch mit dem ganzen Herzen, mit ganzer Seele an Gott-Jesus glaubt und IHM vertraut (die Existenz von Gott-Jesus ist kein Märchen !!!),der erfährt tiefe Zufriedenheit, Dankbarkeit, Kraft...
    Wenn Angst (siehe DL, siehe die Welt) an die Tür klopft, kann Glaube die Tür getrost öffnen. Wenn man aber "das Glück" an die Tür schickt...

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