Interview | Tierschützerin zu illegalem Welpenhandel - "Sobald die Interessenten den Welpen im Arm haben, setzt der Verstand aus"
Illegaler Welpenhandel ist ein riesiges Geschäft. Die niedlichen Hundebabys kommen meist aus osteuropäischen Vermehrerstationen. Mithilfe dubioser Ausreden werden sie dann in Deutschland auf dem Gehweg oder Parkplätzen verschachert. Viele sind todkrank.
rbb|24: Hallo Frau Thiesmann. Als Mitarbeiterin bei der Tierschutzorganisation Vier Pfoten befassen Sie sich auch mit dem Problem des illegalen Welpenhandels. Was ist das?
Birgitt Thiesmann: Bei nicht legalem Welpenhandel gibt es sehr viel Betrug mit gefälschten Impfpässen, überhaupt gefälschten Dokumenten, und mit zu jungen Tieren. Da geht es um ein großes Geschäft, das unter organisierter Bandenkriminalität läuft.
Ist der illegale Welpenhandel tatsächlich mit anderen kriminellen Strukturen, in denen mit Drogen gehandelt oder Prostitution angeboten wird, vergleichbar?
Das ist absolut vergleichbar und auch offiziell anerkannt von der EU. Organisierte Bandenkriminalität bedeutet, dass mindestens drei Leute – die eine Bande darstellen – beteiligt sind. In den Welpenhandel sind so viele Menschen involviert, dass man die schnell zusammenhat. Die Summen, die da verdient werden, sind sicherlich nicht sehr viel geringer als das, was man mit Drogenhandel einnimmt. Die EU-Kommission geht davon aus, dass mit dem Verkauf von Hunden und Katzen ein Umsatz von schätzungsweise 1,3 Milliarden Euro im Jahr generiert wird.
Was kostet ein illegal verkaufter Hund - etwa ein Labradorwelpe?
Bei einem seriösen Züchter kostet so ein Hund zwischen 1.500 und 2.000 Euro. Mittlerweile sind die Preise der illegalen Welpenhändler meist gleich oder darüber. Früher sagte man immer, es handele sich um "Billig-" oder "Wühltischwelpen". Da konnte man die Hunde anhand der Preise schon auf den Anzeigenportalen erkennen - da kosteten sie 100 oder 150 Euro. Das ist heute komplett anders. Mit Corona hat sich dieser Markt komplett gewandelt. Da war die Nachfrage nach Welpen so groß, dass die Leute Suchanzeigen aufgegeben haben und bis zu 5.000 Euro gezahlt haben. Das hat alles noch einmal richtig verschärft.
Wenn die Preise ungefähr gleich sind bei seriösen und illegalen Händlern, dann macht ersterer vermutlich keinen gigantischen Gewinn, weil er die Welpen impfen lässt, sie mit gutem Futter füttert, sich kümmert. Wie viel verdient der illegale Welpenhändler, der den Hund für 1.500 Euro auf einem Parkplatz an seine neuen Besitzer übergibt?
Wenn man davon ausgeht, dass der Welpe für etwa 180 Euro in Ungarn oder Polen gekauft wird, gibt es mindestens einen Zwischenhändler, der mitverdient. Derjenige, der den Hund zum Schluss verkauft, kassiert mindestens 1.000 Euro. Pro Welpe. Und er hat nichts in das Tier investiert. Seriöse Züchter verdienen absolut nicht in diesem Maße.
Vorhin sprachen wir über die strukturellen kriminellen Strukturen. Handelt es sich bei den Hundeverkäufern auch um dieselben Leute, die mit Drogen oder Prostitution Geld machen?
Das ist schwer zu beantworten. Von unseren Tierschutz-Kollegen im Ausland wissen wir, dass vor allen Dingen die Großhändler in Osteuropa, aber auch beispielsweise in Belgien und den Niederlanden, oft noch in ganz andere Dinge wie Drogen und Geldwäsche verstrickt sind.
Warum ist Berlin für illegalen Welpenhandel ein "guter" Ort?
Berlin ist, was den Welpenhandel betrifft, ein Hotspot. Es gibt zwar auch Erhebungen, bei denen Berlin nur sehr niedrige Zahlen aufweist. Das liegt aber an den Veterinärämtern, die oft nicht wirklich zusammenarbeiten. Da ist es schwierig, überhaupt Zahlen zusammenzukriegen.
Wir wissen aus unserer jahrelangen Arbeit, dass in Berlin vorherrschende Clans auch Welpenhandel betreiben. Zudem liegt es mehr oder weniger direkt an Polen. Es ist klar, dass Berliner rüberfahren nach Slubice – dort gibt es einen Markt. Dort wurden die Welpen früher aus dem Kofferraum heraus verkauft, was heute nicht mehr erlaubt ist. Trotzdem ist es für jemanden, der Welpen möchte, ganz einfach, nach Polen zu fahren und sich diese zu holen. Genau diese Hunde landen dann oft noch am selben Abend in den Verkaufsanzeigen.
Wie steht es mit Brandenburg?
Jedes Bundesland hat so seine eigenen Themen. Viele Hunde werden auch im Osten Deutschlands vermehrt. Das passiert nicht ausschließlich im osteuropäischen Ausland.
Was heißt das für jemanden, der einen Welpen sucht? Woran erkennt man unseriöse Züchter, also sogenannte Vermehrer, und illegalen Wepenhandel?
Onlineanzeigen kann man das auf den ersten Blick nicht mehr ansehen. Die illegalen Händler arbeiten mit gestohlenen Bildern und Texten. Selbst wenn man mit den Verkäufern chattet, ist zu merken, dass sie dazugelernt haben. Sie fragen die Interessenten, ob sie Zeit für einen Hund haben und oder einen Garten. Aber im Grunde interessiert sie das natürlich nicht. Sie versuchen Interessenten so lange zu täuschen, bis es zu einem Treffen kommt, bei dem der Welpe übergeben wird.
Da geht es dann los. In der Regel sind Händler ganz sparsam mit Adressen. Die genauen Daten bekommt man oft erst, wenn man schon auf dem Weg ist. Dabei handelt es sich oft um Adressen, die es zwar gibt, aber die Leute wohnen da gar nicht. Die stehen dann aus irgendeinem Grund unten vor der Haustür, sagen, der Opa sei krank oder die Kinder schlafen. Sie wissen ganz genau: Sobald die Interessenten den Welpen, den sie sehnlich erwarten, einmal im Arm haben, setzt der Verstand aus. Dann spricht nur noch das Herz. Auch wenn die Leute ein schlechtes Gefühl haben, tritt dann kaum noch jemand vom Geschäft zurück.
Und dadurch, dass die Käufer dann keinen Namen, keine Dokumente und keinen Kaufvertrag haben, und es sich auch nicht um die echte Adresse der Verkäufer handelt, gibt es auch fast keine Chance, die Händler im Nachhinein haftbar zu machen, wenn der Hund krank ist.
Sind die Hunde tatsächlich oft krank?
86 Prozent der Welpen, die über den illegalen Welpenhandel kommen, sind richtig krank. Sie kommen ungeimpft und viel zu jung hierher. Denn um sie regulär einzuführen müssten sie, allein was den Impfstatus betrifft, 15 Wochen alt sein. Das ist vielen Käufern viel zu alt, weil sie dann keine winzigen Babys mehr sind. Sie kommen also mit frisierten Impfpässen und fit gespritzt mit Antibiotika nach Deutschland.
In den Vermehrerstationen grassieren sämtliche Krankheiten und Parasiten. Besonders schlimm ist Paravirose, eine hochansteckende Viruserkrankung. Das Virus hält sich bis zu anderthalb Jahren in Räumen, wo der Hund war. Daran sterben auch die meisten Welpen. Schon die Elterntiere, die ja nur zu Produktionszwecken genutzt werden, sind oft schon in vielerlei Hinsicht krank. Inzucht ist auch ein riesiges Thema.
Die Welpen haben dann nicht nur lebenslange psychische Probleme, weil die wichtige Prägephase abrupt unterbrochen worden ist, sondern sie sind oft auch deformiert. Also so überzüchtet, dass sie ihr Leben lang leiden.
Welche Rassen sind vom illegalen Welpenhandel besonders betroffen?
Es liegen immer wieder Rassen im Trend. Im Moment sind es die ganz kleinen wie Malteser, Zwergspitz, Chihuahua oder Französische Bulldogge.
Ist der illegale Welpenhandel rückläufig oder ein steigendes Geschäft?
Mit Corona ist er regelrecht explodiert. Seit 2021 ist er ein bisschen rückläufig – aber immer noch höher als beispielsweise 2015. Der illegale Welpenhandel boomt nach wie vor.
Sie als Tierschützer tätigen auch Scheinkäufe und retten Hundewelpen. Dabei arbeiten Sie mit der Polizei zusammen. Sind die Polizisten im Regelfall sensibilisiert für das Thema?
Die Polizei macht einen wahnsinnig tollen Job. Sie sind immer an unserer Seite, wenn wir Beschlagnahmungen durchführen. Im Januar hatten wir eine Beschlagnahmung in Berlin. Da war die Polizei mit mehreren Fahrzeugen vor Ort und hat die Händler in Handschellen gelegt. Dass so viele Welpentransporte hochgehen, ist vielfach den Kontrollen der Polizei geschuldet.
Mit im Boot haben Sie bei Beschlagnahmungen auch die jeweils zuständigen Veterinärämter. Machen die einen ebenso guten Job?
Das kann ich leider nicht so sagen. Es gibt richtig gute Veterinärämter. Aber sehr oft beißen wir bei den Ämtern auch auf Granit. Die Zusammenarbeit mit den Veterinärämtern ist wesentlich schwieriger als die mit der Polizei.
Aber die Veterinärämter sollten doch eigentlich für die Tiere da sein?
Ja, so ist das. Deswegen waren das früher auch immer unsere Erstanlaufstellen. Doch wir sind wirklich oft abgeschmettert worden. Teilweise gab es richtige Dramen, weil beschlagnahmte Hunde, die bereits im Tierheim waren, vom Veterinäramt wieder freigegeben wurden, und der Händler konnte sie wieder abholen. Das ist zwar ein extremes Beispiel. Wir vertrauen dennoch inzwischen lieber zuerst auf die Polizei.
Was müsste geändert werden, damit das nicht so weitergeht?
Wir kämpfen schon seit 25 Jahren für eine bundesweite Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht. Das wäre so wichtig. Alle europäischen Länder bis auf Estland, Polen und Deutschland haben sie.
Mit einem Transponder, also einem Chip, wäre jeder Hund in einem Heimtierregister registriert. Ohne eine solche Registrierung ist es absolut unmöglich, Tier und Halter nachzuverfolgen. So kann man den Online-Handel auch nicht regulieren.
Vor zwei Jahren konnten wir unsere Forderungen endlich im Koalitionsvertrag verankern. Im Moment wird das Tierschutzgesetz novelliert. Doch so wie es jetzt aussieht, wird es wieder nicht gesetzlich eingeführt. Warum das nicht eingeführt wird, verstehe ich ehrlich nicht. Das hat nicht nur mit Tierschutz zu tun. Da geht es um Steuerbetrug und um Dokumentenbetrug. Die Händler gehen wegen Bandenkriminalität mittlerweile für mehrere Jahre in Haft.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: rbb24 Abendschau, 23.07.2024, 19:40 Uhr