Protestbilanz - Senat zählt für April und Mai 240 Klima-Straßenblockaden in Berlin

Fr 16.06.23 | 07:28 Uhr | Von Sabine Müller
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Bei einer Blockade der Gruppe "Letzte Generation" am 19.05.2023 auf der Stadtautobahn unweit des Kurfürstendamms wird ein Aktivist, der sich mit einem besonderen Gemisch auf die Straße festgeklebt hatte, mit schwerem Gerät von der Polizei von der Straße gelöst (Quelle: dpa / Paul Zinken).
Audio: rbb24 Inforadio | 16.06.2023 | Sabine Müller | Bild: dpa

Auf Anfrage der Grünen legt die Berliner Innenverwaltung neue Zahlen zu den Aktionen der Klimagruppe "Letzte Generation" vor. Was die Daten zeigen – und was nicht. Von Sabine Müller

Im April und Mai registrierten die Behörden in Berlin insgesamt 240 Blockade-Aktivitäten der "Letzten Generation". Diese Zahl nennt die Innenverwaltung im Antwortschreiben an den Grünen-Abgeordneten Vasili Franco, das dem rbb exklusiv vorliegt. Dieser hatte eine Kleine Anfrage an den Senat gestellt. Die erste Klebeblockade passierte demnach am Morgen des 5. April 2023 im Bereich Kantstraße/Neue Kantstraße/Suarezstraße, die letzte Aktion wurde am späten Nachmittag des 26. Mai im Bereich Frankfurter Allee/Frankfurter Tor registriert. Die Auswertung zeigt, dass die "Letzte Generation" besonders ab Ende April aktiv war. Bis zum 23. April sind insgesamt elf Blockaden aufgelistet, der Rest betrifft die Zeit danach.

Die Einsatzorte der Klimaaktivisten sind über die ganze Stadt verteilt, die betroffenen Straßen variieren. Es gibt allerdings Blockade-Schauplätze, die mehrfach auftauchen, etwa der Ernst-Reuter-Platz oder die Bundesallee. Insgesamt 25-mal blockierten Klimaaktivisten auf dem Stadtring Teile der Autobahn.

Der Abgeordnete Vasili Franco sagt im Gespräch mit dem rbb, die Aktionen der "Letzten Generation" fänden "wechselnd, stadtweit an unterschiedlichen Orten statt und sind weit weg davon, die ganze Stadt lahm zu legen". Er äußert den Eindruck; Es könne keine Rede davon sein, dass die Stadt in "Geiselhaft" genommen werde, wie die Innensenatorin Iris Spranger (SPD) mehrfach in Interviews gesagt hatte.

Ermittlungen in mehr als tausend Fällen

Aufgrund der Aktionen im April und Mai wurden durch die Polizei Berlin 1.123 Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der "Letzten Generation" eingeleitet. Die meisten wegen Nötigung im Straßenverkehr (642 Fälle), sonstiger Nötigung (275) und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (125). Als weitere Straftatbestände werden unter anderem genannt: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch. Interessant: In drei Fällen ist "Bildung krimineller Vereinigungen" als Straftatbestand gelistet. Auf rbb-Nachfrage teilte die Polizei mit, diese Strafanzeigen gemäß Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs seien durch Privatpersonen erstattet und an die Staatsanwaltschaft übersandt worden.

Über die Frage, ob die "Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung einzustufen ist, wird gerade bundesweit diskutiert. Die Staatsanwaltschaft Berlin sieht dafür bisher keinen Anlass. Die Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) lässt die Frage allerdings aktuell durch ihre Verwaltung prüfen, was Grüne und Linke in Berlin als Misstrauensvotum gegen die Staatsanwaltschaft bezeichnen. Wie der rbb aus der Justizverwaltung erfuhr, ist die Prüfung bisher nicht abgeschlossen.

Kaum längerer Gewahrsam für Klimaaktivisten

Angesichts der Debatte über einen verlängerten Präventivgewahrsam für potentielle Straftäter hatte der Grünen-Abgeordnete Vasili Franco auch gefragt, wie oft Klimaaktivisten in Gewahrsam genommen wurden. Die Antwort der Innenverwaltung: Im April und Mai wurden 60 Personen durch die Polizei in eine Gefangenensammelstelle gebracht, 49 von ihnen wurden ohne richterliche Entscheidung entlassen. Details werden nicht genannt, aber die Vermutung liegt nahe, dass die betroffenen Personen sich gegenüber der Polizei zunächst nicht ausweisen konnten und nur so lange festgehalten wurden, bis ihre Identität geklärt war.

Bei elf Personen bestätigte ein Gericht den Gewahrsam. Die meisten wurden kürzer als neun Stunden festgehalten. In drei Fällen am 18. Mai, die vermutlich zusammenhängen, lag der Gewahrsam zwischen knapp 29 und knapp 32 Stunden.

Ob es sich hier um Präventivgewahrsam handelte, der in Berlin aktuell maximal 48 Stunden betragen kann, ist den Angaben der Innenverwaltung nicht zu entnehmen. Vasili Franco sieht sich - wie er sagt - durch die niedrige Zahl der Fälle mit langem Gewahrsam aber in seiner Auffassung bestätigt, dass Präventivhaft kein "Allheilmittel gegen Klimablockaden" darstelle. "Die Zahlen zeigen: es sind nur sehr, sehr wenige Fälle, die sich überhaupt dafür eignen", sagt Franco und appelliert an die Innensenatorin Spranger, den Präventivgewahrsam nicht wie geplant von zwei auf fünf Tage auszuweiten.

Spranger hatte kürzlich im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses betont, sie wolle die Ausweitung nicht ausschließlich wegen der "Letzten Generation", ihr gehe es um Terrorverdachtsfälle, aber auch Fälle von häuslicher Gewalt, wo man Zeit brauche, Frauen und eventuell Kinder aus dieser Situation herauszubringen.

Ermittlungen gegen Attackierer

Aber nicht nur gegen Mitglieder der "Letzten Generation" wird ermittelt, auch gegen Menschen, die sie während der Klebeblockaden angingen. Im April und Mai wurden 39 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Straftaten gegen Aktivistinnen und Aktivisten eingeleitet – die meisten davon wegen Körperverletzung und Beleidigung. Laut den Daten der Innenverwaltung waren bis Ende Mai zwölf der Tatverdächtigen namentlich ermittelt, 27 Verfahren liefen gegen Unbekannt.

In einem Drittel der Fälle erstatteten Mitglieder der "Letzten Generation" die Strafanzeigen, in einem Fall eine außenstehende Person. Die übrigen Strafermittlungsverfahren wurden von den Behörden selbst, also von Amts wegen, eingeleitet.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.06.2023, 7 Uhr

Beitrag von Sabine Müller

57 Kommentare

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  1. 57.

    Schnellgericht vor Ort helfen auch diesen ganzen Aufwand und Zeit / Arbeit zu sparen. Ging doch während der Pandemie auch. Vor dem Gesetz sind doch alle Menschen gleich. Oder

  2. 56.

    Solange Falschparker nicht wegen Nötigung angezeigt werden, lässt se kleben.
    Gleiches Recht für alle.

  3. 55.

    Welche hohen Strafen? Einfach kleben lassen und weniger darüber berichten. Den geht es nicht um Klimaschutz (Stau und Sachbeschädigung erzeugen nur mehr co2 und kosten sinnlos rohstoffe). Den geht es nur um Aufmerksamkeit.

    Mir tun nur die Polizisten leid. Arbeit nur für den Papierkorb.

  4. 54.

    So viel Arbeitszeit und Steuergelder wird durch die LG verschwendet. Der Staat muss die Gesetze verschärfen und bei vorsätzlichen Straftaten und Drohungen (z. B. Berlin lahm legen) müssten die Einsatz- und Verfahrenskosten auf die Täter umgelegt werden können. Die in der Regel zu milden Urteile von 300 Euro, decken in keinster Weise die entstandenen Schäden. Die Infrastruktur gehört den Steuerzahlern und nicht klebenden Tätern. Die richter sollten den Weichspüler bei den Urteilen weglassen.

  5. 53.

    Die Kirchen sollten da helfen, wo Hilfe gebraucht wird, dann wird auf dem Weg nach Europa auch niemand umkommen.
    Bis jetzt haben sich ALLE Kirchen einfach nur rausgehalten. Jesus oder wie sie auch heißen mögen würde sich schämen!

  6. 52.

    Im Mai war Deutschland im Allgemeinen wie auch in Bezug auf Frankreich Netto-Stromimporteur. Stöbern Sie mal auf Energy Charts. Andererseits konnten wir im Juni phasenweise mehr Strom aus Erneuerbaren Quellen erzeugt als wir selber verbraucht hatten. Trotzdem liefen fossile Kraftwerke, da Politiker wie Söder und sein Rechtsaussen Aiwanger z.B. den Ausbau der Stromnetze blockiert hatten. Als Folge davon muss z.B. sogar in Bayern EE abgeregelt werden. Populisten haben den Atomausstieg von CDU/CSU und FDP gründlich vergeigt.

  7. 51.

    Sie können noch so viel aus der Bibel lesen, es wird sich nichts ändern, denn die Realität ist eine andere. Die Welt ist langsam zu klein für soviel Menschen, daraus entstehen Engpässe und alle Ressourcen werden knapp. Und was die Rettung von Menschen angeht, ja man muss die Menschen retten, aber warum nach Italien, Deutschland warum nicht gleich zurück ans Afrikanischen Festland. Wenn das nicht passiert, wird es in Europa bald sehr ungemütlich werden! Das ist meine Überzeugung.

  8. 50.

    Sollen die sich doch weiter fest kleben, dafür hohe Strafe zahlen. So können dann die maroden Straßen Berlins saniert werden! Kann man mal drüber nachdenken.

  9. 49.

    etwas tun, damit weniger flüchten müssen

    Ich bin gestern an einem Schaukasten einer evanhelischen Kirche vorbeigelaufen. Dort wurde ein Plakat ausgehängt:

    Johannes 7,37
    Jesus Christus spricht "Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen"

    Auf dem Bild zu sehen war ein völlig überfülltes Flüchtlingsboot.

    Wenn ich Jesus suche--dann werde ich ihn ganz einfach finden können. Niemand muss mit überfüllten Booten bis nach Deutschland fahren und sein Leben riskieren.

    Unsere Kirchen meinen wohl tatsächlich, jeder muss nur mit dem Boot nach Deutschland kommen. Dort findet man Jesus--und er wird niemanden abweisen.

    Beten für Photovoltaikanlagen, Meerwasserentsalzungsanlagen..eine bessere Entwicklungshilfe , Geburtenregulierung--keine Waffenlieferungen...wer Jesus sucht, wird nicht abgewiesen. Vielleicht verhindern gerade unsere Kirchen /Gottesvertreter auf Erden Wohlstand für alle....

  10. 48.

    12x musste ein 2. RTW losgeschickt werden, weil die ursprünglich disponierten RTW bei der Weiterfahrt blockiert wurden.

    Aus Antwort 13g geht hervor, dass es kaum möglich ist, direkt hinter den Blockaden der Klimakleber eine Rettungsgasse zu bilden.In einem näher beleuteten Fall hätte der RTW passieren können, hätten die Straßenblockierer einen Lieferwagen und 4 weitere PKW durchfahren lassen.Dann hätte er nur 1 Minute später am Einsatzort sein können. So musste ein 2. RTW losgeschickt werden, der dann 9 Minuten später eingetroffen ist. Als Notfall gemeldet wurde ein Sturz--das mutmaßliche Opfer sei dann aber nicht angetroffen worden. Ermittlungen dazu seien am Laufen.(absichtlicher Fehlalarm um den Blockierern zu schaden?--Hat gestürztes Opfer andere Hilfe in Anspruch genommen--weil es zu lange dauerte?--Fehlarlarm von Blockierern,Umherstehenden..Fans...um auf die Blockaden medial aufmerksam zu machen?)

    Ich denke, ganz so harmlos sind diese Straßenblockaden nicht.

  11. 47.

    Nicht wirklich ernstzunehmen. Welt geht unter, Menschen sterben, nicht zu ertragen Punkt greetings, Leeds

  12. 46.

    Kann mir mal einer erklären, warum man von unseren Steuergeldern diese festgeklebten oder gar festbetonierten Typen von ihrem freilig gewählten Los befreit? Wenn man jemand aus einer mißlichen Lage hilft ist das etwas ganz anderes.

  13. 45.

    Wie viele Blockaden von Rad- und Fußwegen und Übergängen wurden gezählt, bzw. haben stattgefunden?

  14. 42.

    Eigentlich macht man sich nicht strafbar, den es gibt das "Jedermannsrecht", es ist in DE der umgangssprachlich Ausdruck für
    "Das Recht eines jeden Bürgers *innen, einen/e mutmaßlichen Täter *innen auf frischer Tat ( wird nicht gegendert da Tat ein Substantiv)auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen/festzuhalten.
    Da das festkleben eine Nötigung im Straßenverkehr bedeutet und eine Straftat ist,könnte das Jedermannsrecht zur Anwendung kommen.

  15. 41.

    Ja Klausbrause, es lst mir wirklich egal, denn diese ganze hysterische Argumentation geht mir langsam auf die Nerven.
    Alle Diskussionen über dieses Thema haben wir weltweit, nur es ändert sich sehr wenig oder nix. Tausend mal gesagt, dass kleine Deutschland kann nicht über den Rest der Welt bestimmen. Schauen Sie nach Deutschland, was für ein Problematik mit Heizungen, und Streitereien, und da soll ich mir einen Kopf machen. Wenn es hier heiß ist, müssen die Leute nicht mehr nach Mallorca!!

  16. 39.

    Wie sieht es denn im Mai 2023 aus ? Auch wahnsinng exportiert ?

  17. 38.

    Ich kann mich nicht erinnern ihnen das "Du" angeboten zu haben.

    " Im April 2023 exportierte Deutschland rund 1,2 Terawattstunden Strom nach Frankreich. Im selben Monat importierte Deutschland 0,8 Terawattstunden aus dem Nachbarland. Frankreich war zuletzt das wichtigste Abnehmerland für deutsche Stromexporte. Im Jahr 2022 führte Deutschland insgesamt circa 20,5 Terawattstunden nach Frankreich aus. "

    Quelle: statista

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