Berlin-Neukölln - Wie ein Imam und ein Rabbiner Schüler zum Dialog bringen wollen
Viele der 850 Schüler der Otto-Hahn-Sekundarschule in Berlin-Neukölln haben palästinensische Wurzeln. Ein muslimischer und ein jüdischer Geistlicher versuchen, mit den Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen - mit Erfolg. Von Stefan Ozsvath
Ein paar Mal fährt der Feueralarm durch Mark und Bein, als Bildungsstaatssekretärin Christina Henke zu Besuch an die Otto-Hahn-Sekundarschule in Berlin-Neukölln kommt. Die Politikerin und die anwesenden Journalisten halten sich die Ohren zu, Schulleiter Andre Kuglin winkt ab - Schülerstreich.
Die Staatssekretärin ist selbst Lehrerin, will sich ein Bild machen, wie der Dialog zwischen Muslimen und Juden funktionieren kann. Die Bilder aus der Sonnenallee sind noch gegenwärtig: Araber verteilten Süßigkeiten, um zu feiern, dass die Terrororganisation Hamas Israel überfallen hat.
Nahostkonflikt ist präsent
"Die Jugendlichen haben erhöhten Redebedarf", sagt der Schulleiter. Viele seiner 850 Schüler haben palästinensische Wurzeln und Familienangehörige im Nahen Osten, erzählt der Pädagoge. Umso wichtiger sei es, nachhaltig Dialogbereitschaft zu fördern.
Dabei helfen an diesem Tag der Imam Ender Cetin und der Rabbiner Igor Itkin. In einer neunten Klasse, vor mehr 22 Jugendlichen, fragt der Imam seinen jüdischen Kollegen, ob er als Rabbiner an Allah glaube. "Ja", antwortet Igor Itkin. Ungläubiges Kopfschütteln in der Runde. “Wenn Ihr ein arabisch-deutsches Wörterbuch aufschlagt“, sagt er, "und Allah nachschlagt, dann kommt Gott raus", erklärt der Religionsgelehrte mit ukrainischen Wurzeln.
Sie finden noch weitere Gemeinsamkeiten: Jerusalem ist für alle drei Weltreligionen eine wichtige Stadt, es sind Religionen des Buches, mit den gleichen Propheten. "Es ist wichtiger denn je, Gemeinsamkeiten statt der Unterschiede zu betonen", sagt Imam Cetin, "in unseren Religionen geht es immer um gemeinsame Werte und Normen."
Nachhaltigkeit im Dialog fördern
Die Schüler wissen einiges, aber sie wissen auch einiges nicht - auch über ihre eigene Religion. Das wird deutlich in der Diskussion. "Die Schüler haben oft keine Erfahrungen mit Juden", berichtet Rabbiner Itkin, "sie haben sehr oft Vorurteile, sie haben noch nie Juden gesehen, außer vielleicht im Fernsehen."
Einmal im Jahr sind die Trainer des Projekts Meet2Respect in den achten und neunten Klassen der Otto-Hahn-Schule. In den 90 Minuten könnten sie Fragen stellen, auch zu ihrer eigenen Religion, sagt der Rabbiner. Die Jugendlichen erleben einen jüdischen und einen muslimischen Religionsgelehrten im Dialog, werden so zum Vorbild. "Wir suchen Gemeinsamkeiten, um zu zeigen, dass wir uns nicht ständig bekriegen müssen."
Die Erfahrungen mit den Jugendlichen beschreiben beide Trainer als überwiegend positiv. Nur von einem Vorfall erzählt Igor Itkin. Eine Lehrerin habe von einem Schüler berichtet, der ihn - den Juden - "abstechen" wolle. Das war "bevor wir in die Klasse gekommen sind", sagt Itkin. Im Unterricht hätten sie aber offen diskutieren können.
Bildungsstaatssekretärin Christina Henke hofft, dass die Schüler solche positiven Erfahrungen aus der Schule nach draußen tragen. "Das erhoffe ich mir, dass sie auch mit ihren Eltern und Freunden darüber reden", sagt die CDU-Politikerin.
Nahost-Quiz gegen Vorurteile
Im Klassenraum im ersten Stock verteilt Rabbiner Igor Itkin Fotos von Politikern, Landkarten, palästinensischen Flüchtlingen und Shoa-Überlebenden an die Schüler, fragt sie, was und wen sie sehen, lässt sie Jahreszahlen raten. Später werden sie dazu noch Texte bekommen. Ziel ist es, auf einer Zeitleiste den Nahostkonflikt nachvollziehbar zu machen.
"Das finde ich gut", sagt einer der Schüler mit arabischen Wurzeln. Auf die Frage, ob der Nahostkonflikt bei ihm zu Hause eine Rolle spiele, antwortet er, sich "nicht öffentlich äußern" zu wollen. Auf dem Pausenhof erzählt ein anderer Schüler, seine palästinensischen Freunde seien unzufrieden, weil die öffentliche Meinung "pro-Israel" sei, aber sie würden deshalb nicht randalieren.
Der Nahostkonflikt könne an seiner Schule nicht gelöst werden, betont der Direktor, aber die Schüler könnten immerhin lernen, "in einen Dialog mit anderen Religionen zu treten."
Sendung: rbb24 Inforadio, 22.11.2023, 16:00 Uhr